Wie er- und behält man den Ocean auf dem Tische, oder das Marine-Aquarium

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Titel: Wie er- und behält man den Ocean auf dem Tische, oder das Marine-Aquarium
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 503–506
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie er- und behält man den Ocean auf dem Tische,

oder das Marine-Aquarium.

Die schusterleuchtkugelartigen Zimmerdecorationen mit ein Paar traurigen, sich langweilenden Goldfischchen entsprechen dem Geschmacke und dem Bedürfnisse der naturwissenschaftlichen Gegenwart nicht mehr als Hausfreunde. Die Gartenlaube bekam dafür erfreuliche Beweise in die Hände, da ihre Hinweisung auf das „Marine-Aquarium“ oder den Ocean auf dem Tische[1] überall, in allen Gegenden Deutschlands und Rußlands, das größte Interesse erregte und in unzähligen Briefen um nähere Auskunft und Anweisung gebeten ward. Wir wollen diese hiermit so genau und praktisch als möglich geben und bemerken nur noch, daß die Redaktion dieses Blattes eben Anstalten trifft, „die enthüllten Wunder der Meerestiefe“ ganz ausführlich und speciell in Wort, Bild und Farbe allgemein zugänglich zu machen.

Das Marine-Aquarium, welches uns die seltsamsten und in Gestalt, Form, Formenwechsel, Farbenspiel, Lebensweise u. s. w., wunderbarsten Geschöpfe, Pflanzenthiere, Thierpflanzen, Mollusken, Crustaceen, Feenschlösser mit unterseeischen Gärten, Parken und Wäldern in einem Oceane auf den Tisch zaubern soll, kann nach Räumlichkeit, Mitteln und dem Geschmacke des Einzelnen die verschiedensten Formen annehmen, so daß eine bestimmte Regel nicht gegeben werden kann. Um aber die Phantasie und der Lust für diese neue, wissenschaftliche, stets lebendige Zimmerdecoration gleich von vorn herein zu Hülfe zu kommen, fügen wir in Abbildung ein ästhetisches Muster-Aquarium mit Springbrunnen bei, wie es für den Professor Gosse in Edinburgh, den Schöpfer derselben, ausgeführt ward.

Das Marine-Aquarium muß ein kleiner Ocean zwischen Glaswänden sein, dem Lichte der Sonne und dem Auge von allen Seiten zugänglich. An einem Fenster mit Receß kann man es so einrichten lassen, daß es die ganze Breite desselben einnimmt. Dies hat einen prächtigen Effekt auf’s ganze Zimmer, wovon sich der Verfasser dieser Mittheilung in englischen „drawing rooms“ selbst oft genug überzeugte. In solchen Fällen müssen natürlich die Glasscheiben mit gutem, nicht schädlich wirkenden Material, am Besten Gutta-Percha, zusammengekittet werden. Zieht man die cylindirsche Form vor, kann das Ganze aus einem einzigen Glaskörper bestehen, doch giebt es hier eine Grenze in Bezug auf Größe, da sie über zwölf Zoll im Durchmesser schwer zu blasen sind und beim Gebrauch auch noch sehr leicht zerbrechen. Auch die Höhe hängt vom Geschmacke ab, dem man hier gleich von vorn herein, wie bei Vasen u. s. w., eine bedeutende Stimme zuerkennen sollte. Vasenartige Formen selbst würden für kleinere Privat-Oceane viel für sich haben. Giebt man den Wänden eine geradlinige, z. B. achteckige Construction, vermeidet man zugleich die Entstellungen der innern Pflanzen und Thiere, wie sie durch Lichtreflex an gebogenen Wänden und Kugelformen entstehen. Will man die Kugelform dennoch beibehalten, sorge man dafür, daß die Tiefe des Miniatur-Meeres sehr gering sei, damit von von Oben, dem einzigen richtigen Beobachtungspunkte, immer bis auf den Grund sehen kann.

Da unsere kleinen Oceane sich nicht nur mitten im Lande, sondern auch im Staube der Zimmer befinden und gedeihen sollen, müssen sie von oben gut geschützt werden, also z. B. mit feinem Musselin, oder besser, mit einer Glasplatte, doch so, daß noch Luft entweichen kann. Dabei wäre letztere jeden Tag ein paar Mal je für ein paar Secunden zu lüften, um einen vollständigen Luftwechsel darunter zu veranlassen.

Thiere, und besonders Pflanzen in dem kleinen Kunstoceane bedürfen des vollen Lichtes, weshalb das Aquarium in der sonnigsten und lichtesten Stelle des Zimmers stehen muß, so daß die Sonnenstrahlen ungeschwächt hineinwirken können. Es ist ein gar anmuthiges Schauspiel, zu beobachten, wie sich unter dem Einflusse der verklärenden Sonnenstrahlen Tausende von kleinen Luftdiamanten an den Steinen und Pflanzen bilden und wie sie in einem ununterbrochenen Perlenregen von Unten nach Oben eilen, so lange sie sich der Sonne freuen. Diese kleinen Diamanten bestehen aus reinem Oxygen (Sauerstoff). Da dieses die „Lebensluft“ für Thiere bildet (und auch unsern Zimmern und Lungen zu Gute kommt), wird man die Wichtigkeit dieses Perlenregens sofort einsehen. Nur im Sommer bei großer Hitze ist namentlich das kleinere Aquarium mit wenig Wasser gegen das directe Brennen der Sonne durch Musselin oder geöltes Papier oder Milchglas zu schützen. Wird das Wasser bis zur Lauheit erwärmt, sterben die Thiere.

Der wichtigste Punkt in praktischer Beziehung, namentlich für deutsche Gegenden, die durch das beste Fernrohr kein Meeresufer entdecken können, sind die Kosten erster Anschaffung. Was die Preise für Gefäße betrifft, so stellten sie sich in England für die größten von ornamentaler Form, 24 Zoll lang, 18 breit und 18 tief, auf 3 Pfund 10 Schillinge (24 Thaler) für’s Stück, für kleinere (15, 12, 12) auf 7 Thaler. Hat man mehr wissenschaftliche, als dekorative Zwecke vor Augen, kann man natürlich mit Silbergroschen eben so viel ausrichten, wie für decorative mit fleckenlosem Spiegelglas mit Thalern. Aber wie bringt man nun das wirkliche Leben der Meerestiefe hinein? Zunächst hat man für Gegend, für entsprechende, unterseeische Landschaft zu sorgen und kann hier in Wirklichkeit ein malerischeres Talent entwickeln als der Pinsel nur zum Schein. Man kann mit wirklichen kleinen Felsenstückchen, Korallen u. s. w. aus dem Meere componiren; wo dies aber nicht leicht geht, hat man mit Roman- oder Portland-Cement, der unter dem Wasser zu Felsen sich härtet, einen um so freiern Spielraum für keramisches Formentalent. Mit diesem Cemente kann man nach Herzenslust Klippen und Klüfte, Höhlen und Hütten für die künftigen Bewohner zurechtkneten. Stücke verzweigter Korallen, Höhlen, Steinfragmente, Klippen, überhängende Felsen sind theils nothwendig für das Gedeihen von Pflanzen und Thieren, theils wünschenswerth als Verschönerungen, zumal wenn hernach die Natur das Ihrige thut und die kleine unterseeische Kunstnatur mit ihren Seepflanzenguirlanden und hängenden Gärten malerisch in Form und Farbe übertapezirt. Korallenzweige lassen sich auch wie Bäume in den noch weichen Cement pflanzen, so daß sie hernach auf dem erhärteten Felsen wie maritime Bäume stehen und Thieren und Pflanzen Anknüpfungspunkte gewähren.

Wohl zu beachten ist, daß der zu verwendende Cement vorher ganz gehörig ausgelaugt werden muß, um ihn unschädlich zu machen. Zu diesem Zwecke muß er mindestens einen Monat lang und häufig durch neues zu ersetzendes Wasser gehalten werden. So lange sich das Wasser trübt und auf der Oberfläche Schaum absetzt, ist er untauglich. Durch Vernachlässigung dieser Vorsicht wurden schon oft alle hernach angesiedelten Thierchen getödtet.

Da viele Seethierchen, wie Kaninchen, Ratten und Mäuse, [504] unter dem Boden nach Schätzen zu graben lieben, muß man ihnen dazu Gelegenheit geben, und den Boden 1–3 Zoll dick mit grobem See- oder Flußsand bedecken, nachdem man ihn sorgfältig gereinigt und das Wasser ausgetrocknet hat. Man kann kleine, vorher sorgfältig gewaschene Steine hinzufügen. Manche Thiere brauchen besondern Schutz und Schlupfwinkel, deshalb muß man danach bauen und zusammensetzen. Sandstein, Granit, Kalkstein, Conglomerate, alle Arten von Baumaterialien sind gut, vorausgesetzt, daß sie keine schädlichen Substanzen an das Wasser absetzen. Um sicher zu gehen, werden deshalb Baumaterialien aus dem Meere selbst allen andern vorzuziehen sein; wo nicht, ist Waschung und Auslaugung im Wasser, hernach in wirklichem oder künstlichem Seewasser durchaus nothwendig. Dabei muß man auf etwas Wildheit und Rauhheit sehen. Je mehr Poren, Löcher, Höhlen und Winkel, desto besser. Nur hier keine geschmacklose Glätte und Politur angebracht. Ueber die Zubereitung künstlichen Seewassers haben wir schon das Nöthige mitgetheilt. Städte, die mit dem Meere und Hafenstädten in naher oder wohlfeiler Verbindung stehen, können sich leicht natürliches Seewasser verschaffen. Für größere Quantitäten sind Fässer (neue, ausgelaugte oder wenigstens solche, die keine Spirituosen, Chemikalien, Säuren u. s. w. enthalten haben) am Besten, doch hüte man sich vor eichenen, welche trotz aller Auslaugung immer noch etwas Gallus-Säure entwickeln. Für kleiner Quantitäten bieten sich Steinkruken, doch vergesse man auch hier nicht, gut ausgelaugte Pfropfen oder sonstige Schließung zu gebrauchen. Gutes Seewasser leidet nicht durch eine lange Reise auf der Eisenbahn oder sonst über Land.

Der Ocean auf dem Tische.

Aber nun das Leben, wie bekommt man das Leben in die Marine-Aquarium hinein? Felsen, Höhlen, Hütten, Klüfte, Meeresboden, Meerwasser – alles ist da, aber die Pflanzen, oder die [505] Thiere! An der Spitze alles guten Rathes steht auch hier: Selber ist der Mann! Man krebse sich die nöthige Zahl von Colonisten selber aus dem Meere heraus. Freilich wer in Leipzig oder gar in Böhmen wohnt und von dort aus in verschiedene Meerestiefen hinunter spazieren soll, um die seltsamsten, kleinsten, verstecktesten Wunder des Oceans herauszufischen, der wird sich lange besinnen, ehe er zur Sache kommt. Man muß also andere Mittel und Wege, Leute, die dies für uns thun, ausfindig machen. Diese werden sich mit der Zeit wohl finden. So lange die Sache neu ist, hat man freilich wenig Auswahl, und was England, die Geburtsstätte der Marine-Aquarien betrifft, weiß ich vorläufig Niemanden, der den Deutschen dienen könnte, als mich selbst[2], und zwar auch nur, in sofern ich auf einen vom Professor Gosse empfohlenen Herrn rechne, der sich erboten hat, die nöthigen Thiere und Pflanzen für mäßige Preise zu besorgen. Diese sind nun aber auch noch das Wenigste, in sofern sie eben nicht an Ort und Stelle geschafft würden. Wie transportirt man sie? Viele lassen sich allerdings in blos feuchter Verpackung versenden, einige empfindliche aber können nur in ihrem Elemente reisen. Also muß man für den Ocean Eisenbahnbillets lösen und ihn mit seinen sonderbaren Bewohnern über Land reisen lassen. Für Reisen der Art kann man zunächst nur im Allgemeinen rathen, daß die Passagiere, die gar nicht an Landreisen gewöhnt sind und eben so leicht landkrank werden, wie wir auf ihrem Elemente seekrank, so schnell als möglich spedirt und bei der Ankunft sogleich in Empfang genommen werden, wie große Herren. Werden sie unterwegs lange aufgehalten, sind Bäder in frischem Seewasser und Licht nöthig. Und obgleich sie im Wasser leben, wie wir in der Luft, dürfen sie doch nicht naß werden, d. h. von solchem Wasser, wie es bei uns auf dem Lande regnet. Doch schützt man sie leicht auch in offenen Gefäßen unter dem Regen vor dem Regen, wenn man unmittelbar über der Oberfläche des Meerespiegels der Gefäße Oeffnungen anbringt, durch welche das leichtere Regenwasser abfließt, ohne in das schwerere vom Oceane einzudringen.

Lebende Seepflanzen lassen sich ohne Wasser schicken. Man verpackt sie in geeignete Botanisirkapseln, die man durch Korbgeflechte beschützt. Unten legt man gemeines Seegewächs (Fucus serratus) frisch und noch ganz naß, auf dieses Bett mit den nöthigen Stückchen Fels (der aber gegen Verschiebung und Schüttelung geschützt werden muß) die zu versendenden Exemplare, auf diese wieder frische Seegrasfüllung mit genauer Ausfütterung der Zwischenräume, bis der große Raum so gefüllt ist, daß nach Schließung Alles sicher und ziemlich fest liegt. So verpackte Seegewächse kommen stets über Hunderte von Meilen wohlbehalten an, selbst die ungemein zarten Delesseriae. Von den Thieren lassen sich die Mollusken, viele Echinodermata, einige Arten von Crustaceen und alle Actiniae auf dieselbe Weise wohlfeiler und bequemer senden als in Wasser. Eine handvoll Seegewächs, noch ganz naß von Seewasser mit dem betreffenden Exemplar von Thier in einen Korb oder Krug gesteckt und mit einem durchlöcherten Kork oder sonst einer Schließung zugemacht (doch nicht ganz gefüllt mit Seegewächsen, damit kein Druck entsteht) ist hier die ganze Kunst.

Fische freilich, viele Crustaceen, die meisten Anneliden, alle Medusen und die zarteren Species von Zoophyten müssen in Seewasser versendet werden. Weithalsige Krüge von Steingut mit wasserdicht zugeschraubten Knöpfen, von denen mehrere in einen Flechtkorb gepackt werden können, Zinkeimer, durch Lattenkasten geschützt, mit fein durchlöchertem, angeschrobenen Deckel, Zinkkannen von Quadratform, mit durchlöcherten Deckeln, in eine offene Kiste eingefüttert – alle diese Methoden des Versendens in Seewasser wurden mit Glück angewendet. Mit ein Bischen Einsicht und Nachdenken lassen sich vielleicht noch bessere Methoden ausfindig machen, z. B. Glaskugeln, die so in einem Kasten hängen, daß sie die offene Seite stets nach oben richten, wie man den Kasten auch drehe und wende. Austerschaalen oder Steine aus dem Meere, die sehr oft dicht von Zoophyten und Anneliden bewohnt sind, lassen sich in einem gewöhnlichen Netze, das man in der Mitte des Gefäßdeckels befestigt, sehr gut befördern. Bei aller Beflügelung des jetzigen Verkehrs versteht es sich doch von selbst, daß man den allerschnellsten Weg wählen und, wo es möglich, unmittelbare Beförderung per express ausmachen muß. Sofort nach Ankunft müssen die erschöpften Ankömmlinge in offene, mit frischem Seewasser halb gefüllte Gefäße gebracht und ihnen Zeit gelassen werden, sich zu erholen und nachzudenken, was aus ihnen geworden und wo das große Meer wohl geblieben sein könne. Man untersucht dabei jeden einzelnen angekommenen Fremden, ob er krank, gesund, todt oder lebendig sei. Die Todten mag man anständig begraben, Kranke werden in der Regel wieder gesund durch ein Luftbad des Wassers, wie wir Landesbewohner ja auch oft wieder durch ein Seebad zu Kräften kommen.

Man badet das Seewaoer in Luft durch eine Spritze, d. h. man macht Seesturm im Kleinen, bis derselbe Zweck, welcher dem Meere durch den Wind, der die Wogen thurmhoch und thaltief durcheinander, meilenweit über die Gestade und in himmelanspritzendem Schaum nun gegen die Felsen peitscht, erfüllt wird. Diese Lüftung und Ventilation des Meerwassers im Aquarium ist eine Hauptbedingung des Gedeihens der pflanzlichen, thierpflanzlichen, pflanzenthierlichen und thierischenl Bewohner. Deshalb ist es gut, dauernde Ventilation anzubringen. Die einfachste Methode ist ein Tropfglas, d. h. ein Glas mit einer Oeffnung unten, die man durch einen Schwamm so schließt, daß das Wasser stets tropfenweise hindurchsickern und so stets mit der atmosphärischen Luft in möglichst viel Berührung kommen kann. Man hängt das Glas über dem Aquarium auf und füllt es von Zeit zu Zeit immer wieder daraus. Je höher es hängt, desto besser, weil dann jeder Tropfen sich eine hübsche Bewegung in frischer Luft machen muß, ehe ihn sein Instinkt wieder geradewegs in das mütterliche Element zurückführt. Noch praktischer und eine unverwüstliche, stets lebendig spielende, glänzende und zuweilen regenbogenspielende Schönheit ist der im Aquarium durch Felsen in die Höhe sprudelnde kleine Springbrunnen, wie wir ihn in unserm abgebildeten Muster-Aquarium angebracht sehen. Diese Schönheit scheint dem Laien für Privatzimmer vielleicht schwer oder wegen des Teppichs u. s. w. unthunlich. Doch nichts leichter und reinlicher. Man bringt irgendwo über dem Aquarium, vielleicht in dem Zimmer oben darüber, ein Reservoir an, leitet durch dieses in einem Gutta-Percha-Schlauche (dieser ist der beste und wohlfeilste, metallene rosten) das Wasser aus dem Reservoir zwischen der Wand unterm Boden hin in die durch’s Aquarium laufende Röhre (die man durch Felsen u. s. w. hübsch verstecken kann, so daß sich Hinz und Kunz halb zu Tode wundern müssen) – und die Fontaine ist fertig, fein wie ein silberner Seidenfaden, mit welchem man auch durch Anschraubung anderer Oeffnungen, Spalten und Ritzchen die verschiedensten kleinen Wasserkünste abwechseln lassen kann.

„Aber, lieber Himmel, was muß das kosten?“ höre ich irgend einen Gevatter oder eine Muhme, Tante oder Stiefmutter des deutschen Michel ausrufen. Vielleicht kostet’s etwas, sehr wahrscheinlich, aber immer noch lange nicht so viel, als das schlechte Bier, der verdummende Spiritus, oder der theure Wein, oder die Putzsucht, oder die Faulheit dieser Ausrufer. Wer erst den Geist dieses lebendigen Seewassers zu Hause zu genießen weiß, spart die Kosten der ganzen Geschichte in höchstens ein paar Monaten und von da lebt er reineweg von den Zinsen dieses ersparten Kapitals.

Doch fort in unserer Vorlesung. Hat man die angekommenen Gäste gehörig erquickt und die todten von den lebenden geschieden, bringt man sie fein säuberlich in ihrer kleinen, neuen Kolonie an. Das Wasser ist ein oder zwei Tage etwas trübe, wird aber dann klar und krystallhell; die Pflanzen fangen an, ihre Blumen, Blätter und Fächer, die Thierpflanzen ihre farbigen, befranzten Sonnen- und Regenschirme und allerlei ganz erfreulich wunderbare Fangruthen, Fühlhörner und Federbüsche zu entfalten und damit in den herrlichsten prismatischen Farbenspielen zu renommiren, wie mexikanische Prinzen. Einige, die sich in selbstgebauten wunderbaren Burgen und Schlössern verriegelt hielten, kommen mit ihren „Stopfern“ hervor und legen sich zum Fenster hinaus, um sich die neue Welt erst ordentlich zu besehen. Finden sie, daß keine Gefahr vorhanden ist, holen sie ihr Handwerkszeug und ihre Raubinstrumente heraus, und fangen das Geschäft der Ritter an, nämlich Raub. Andere besehen sich die Vegetabilien, kosten und essen. Noch Andere, die mehr zum Vergnügen leben, treiben allerlei Allotria. Doch davon ein andermal mehr. Alle überleben die neue Ansiedlung nicht. Während der ersten Woche giebt’s mehr Begräbnißfeierlichkeiten, als Lebensfreuden. Unendlich viele mikroskopische Thierchen in Seegewächsen, an Muscheln und Steinen versteckt, sterben und verderben das Wasser, was man an neuer Trübung und Milchigkeit desselben erkennt. So wie man das bemerkt, ist das Wasser vermittelst eines Hebers sorgfältig in andere Gefäße [506] abzuziehen, in welchen man auch Thiere und Pflanzen einstweilen unterbringt, bis man das Aquariumgefäß gehörig ausgerieben und ausgespült hat. Jetzt filtrirt man das Wasser durch eine vermittelst eines Schwammes am untern Ende leicht geschlossene Glasröhre und setzt auch Thiere und Pflanzen wieder hinein. Steine, Muscheln u. s. w., die durch eine Lupe verdächtig aussehen, behalte man einstweilen in besondern Gesäßen, bis man über deren Stand in’s Klare gekommen.

Auch wenn die erste Krisis (während der ersten 10 Tage) vorüber ist, kommen, wie im Menschenleben, gelegentliche Todesfälle vor. Deshalb muß man das ganze Aquarium etwa alle acht Tage einer Specialhaussuchung unterwerfen, und Todtes und sonst Ungehöriges mit einem kleinen, rechtwinkelig gebogenen und an einen dünnen Stab befestigten Zinnlöffel entfernen (Silber und Gold ist hierbei nicht verboten). Ein Paar andere dünne Stäbchen, einige am Ende spatenartig zugeschnitten, können gelegentlich dazu benutzt werden, um diesen oder jenen Bewohner zu exmittiren, ausziehen oder blos wo anders hin spazieren zu lassen. Kleine Netzchen (Musselin, lose zwischen Ringe befestigt und diese an einem Stäbchen) sind die besten Instrumente, dies oder jenes Exemplar zu fangen, herauszufischen und speziell zu untersuchen oder zu versetzen. Regel dabei muß freilich sein: Quäle nie ein Thier zum Scherz! Anfassen sollte man nie eins.

Im Verlaufe der Zeit verdunstet bloßes Wasser des Seewassers, das man daher durch gelegentliche Hinzufügung reinen, frischen Wassers (nicht Seewassers) in seiner Quantität erhalten muß. Destillirtes Wasser ist dazu natürlich das beste, doch geht auch Flußwasser. Genau genommen, hat man nicht sowohl dieselbe Menge, als dieselbe Dichtigkeit des Seewassers zu erhalten, doch reicht ein Zeichen just da, wo das Wasser an der Wand des Aquariums aufhört, hin, um immer so viel Flußwasser hinzuzufügen, daß der Stand im Aquarium nicht unter dieses Zeichen sinke. „Reinlichkeit ist das Nächste nach Gottseligkeit,“ sagt der Engländer. Den kleinen Ocean, weil er eigentlich ein Gefängniß ist, muß man besonders sorgfältig rein halten. Als Straßenkehrer stellt man einige Schnecken – die in England täglich millionenweise gegessenen periwinkles – an, welche mit der Zunge, in Ermangelung eines Besens, die innern Wände fleißig von dem grünen, vegetabilischen Ansatz befreien, doch nicht immer ganz regelmäßig, so daß man gut thut, etwa monatlich einmal, alle innern Wände mit einem feinen Scheuerlappen (an ein Stäbchen gebunden) gehörig abzufegen. Doch muß man dabei die Ansiedelungen der einzelnen Bewohner möglichst schonen, und den etwa an die Wände angesetzten Laich ganz unberührt lassen, damit die Kolonisten nicht um ihre Vaterfreuden gebracht werden.

Bekommen die Felsen und Steine ein frühlingartiges Ansehen, darf man nicht an den Scheuerlappen denken, sondern muß ein Loblied auf den marinirten Lenz singen. Die kleinen Sprößchen der grünen Algen wuchern rasch über den Boden und die Felsen hin, und kleiden sie in den zartesten Sammetrock des Frühlings, aus welchen bald Millionen Sauerstoffdiamanten steigen, allen Thieren zur Gesundheit und Freude. Sobald dieser grüne Hauch ein wolliges, dauniges Ansehen bekommt, sind wir über den Berg und können sagen: unser Ocean auf dem Tische ist eine Wahrheit, eine lebensversicherte Thatsache. Sprossen und Zweige zacken und züngeln sich empor und erreichen ihre natürlichen Dimensionen. Alles, was man dann zu thun hat, beschränkt sich auf Zurückweisung zu großer Ausbreitung und Entfaltung, so daß man hier und da jäten, abbrechen und reduciren mag.

Ja, aber alle Bewohner des großen Oceans kann man doch nicht in dem kleinen ansiedeln, keine Walfische, Haifische, Seehunde u. s. w. Nein. Für verschiedene Zwecke muß man verschiedene Thierchen wählen und diese natürlich blos unter den Wundern, also mit Ausschluß von Oderkrebsen, Bleien und Plötzen. Für wissenschaftliche Zwecke sieht man weniger auf die unmittelbare Schönheit, für Privatdecorationen wird diese oben anzustellen sein. Hier giebt’s noch ein unendliches Feld der Wahl und Modifikation. Für Männer vom Fach erwähnen wir hier nur, daß sich für unsere Oceane auf dem Tische folgende kleine Meerwunder am Besten eignen und darin am Besten gedeihen: die verschiedenen Arten des Gasterosteus und einige Klippenfische; unter den Mollusken Aplysia, periwinkles, Chitonen, die Sandgräber der Bivalven, besonders Venus, Pullastra u. s. w., von Crustaceen Eurynome, Portunus puber, Carcinus Moenas, Ebalia Corystes, Pagurus, Porcellana platycheles, Crangones, Palaemones; von Anneliden: Pectinaria, Sabella, serpulae, Pontobdella muricata; von Zoophyten alle Actiniadae und viele Madreporae. Schwerer zu erhalten sind von den Fischen Cottus (Seescorpion), der fünfzehndornige Gasterosteus, Saug- und Pfeifenfische; von den Mollusken die nacktkiemigen, die Naticae, Cyprea, Purpura, Cynthiae und Ascidiae, von Crustaceen die Pisae, Portuni, kleine Hummern, Athanas nitescens, Hyppolytes, Pandalus, Gammarus, Idotia; von Anneliden Terebella, Aphrodite aculeata und die Planariae; von Echinodermen Cribella, Palmipes, Asterina, Asterias, Echinus und Cucumaria; schwerer zu erhalten, aber alle sehr interessant und doch auch erwiesener Maßen Monate lang in dem Weltmeergefängniß lebensfähig. Wegen der barbarischen Gelehrsamkeit hier bitte ich übrigens den Leser und ganz besonders die Leserin dringend um Entschuldigung. Uebrigens bin ich gar nicht so gelehrt, wie diese schrecklichen Namen vielleicht verrathen, sondern nur ein Laie in allen Oceanen.

Aber freuen sollt’ es mich, etwas zur Einbürgerung des Oceans auf dem Tische in Deutschland beitragen zu können, da wir doch nun einmal die deutsche Flotte verkauft haben und nicht auf dem großen Weltmeere umherstolziren können. Mit Genehmigung meines lieben Freundes Keil erlaube ich mir zunächst allen Interessenten vorzuschlagen, der Redaktion dieses Blattes anzuzeigen, daß sie kleine Meeresschätze für Marine-Aquarien wünschen. Daraus läßt sich dann ersehen, ob es sich der Mühe lohnt, Anstalt zur Einführung dieser Schätze zu treffen, und sich mit den noch spärlichen Bezugsquellen in England in Verbindung zu setzen. Im günstigen Falle werden dann Verbindungen angeknüpft, Kosten berechnet, Bürgschaften für sichere Einführung gewonnen und die Interessenten gebeten, die Beträge, die sie etwa dran wenden wollen, bei der Redaktion dieses Blattes zu deponiren. Wäre ich ein Geld machendes Genie, würde ich diesen Vorschlag nicht machen, denn er ist zum Vortheil der Interessenten, nicht zu meinem. Aber da ich einmal nicht durch große kaufmännische Gewinne reich werden kann, denke ich mir wenigstens als Handlanger für eine der schönsten wissenschaftlichen Neuerungen und Häuslichkeits-Dekorationen eine Viertelelle Unsterblichkeit zu erwerben.


  1. Vergl. Nr. 4 und 28 der Gartenlaube.
  2. Dessen Adresse auf Verlangen die Redaktion gern mittheilen wird.