Sagen von Andernach und der Umgegend

Textdaten
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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Sagen von Andernach und der Umgegend
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 135–137
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
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Sagen von Andernach und der Umgegend.

Andernach hat seinen Namen von einem Kastell, welches Drusus zwölf Jahre vor Christo im Auftrage des Kaisers Augustus hier anlegte und Antenakum nannte. In dem wilden Kampfe der Bataver unter Claudius Civilis gegen die römische Herrschaft ist die Stadt gänzlich zerstört, in den nachfolgenden Friedensjahren jedoch wieder aufgebaut worden. In der Mitte des vierten Jahrhunderts wurde Andernach abermals durch die Franken und Allemannen zerstört. Kaiser Julian baute es nach der Schlacht bei Straßburg gegen die Allemannen 357 von neuem auf und befestigte es. In der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts war Andernach der letzte Waffenplatz der Römer am Rheinstrome. 428 nahm der römische Statthalter Aëtius hier seinen Sitz. Siegreich behauptete er ihn mit seinen Legionen gegen den Hunnenkönig Etzel. Als die Römerherrschaft geendet und das Regiment der Merowinger festen Fuß gefaßt hatte, nahmen diese hier ihren Wohnsitz. Andernach und Metz waren die Hauptstädte der merowingischen Herrschaft und sind es geblieben, bis Pipin der Kurze 752 dies Geschlecht stürzte. Am 8. Oktober 876 fand vor den Thoren von Andernach die Schlacht statt, in welcher Ludwig der Jüngere seinen Oheim Karl den Kahlen und 50 000 Gallier besiegte. Auch damals stritt man um den Besitz des linken Rheinufers. Es war aber wohl die erste Schlacht, in welcher Deutsche den Franzosen gegenüber standen. Gerade tausend Jahre später, am 8. Oktober 1876, hat [136] Andernach, noch froh der deutschen Siege von 1870 und 1871, im lebhaftesten Fahnenschmucke ein Erinnerungsfest an den Sieg Ludwigs über Karl den Kahlen gefeiert.

Man kann sich nicht wundern, daß Andernach in seiner Pfarrkirche ein in romanischem Stile aufgeführtes Bauwerk von hohem Alter besitzt. Wenigstens der nördliche Chorturm soll ungefähr aus dem Jahre 900 herrühren. Sehenswert ist auch das alte Rheinthor, wo zwei Bäckerjungen verewigt sind, die einst die Stadt vor einem nächtlichen Ueberfalle gerettet haben.

Die Bürger und Ratsherren von Andernach standen nämlich in alten Zeiten in dem Rufe, daß sie einen sehr festen und für die Sicherheit ihrer Stadt gefährlichen Schlaf hätten. Während einer Fehde mit den Bewohnern der Nachbarstadt Linz hatten ihnen diese einmal in den Betten die Köpfe abgeschnitten, weshalb ihre Nachkommen diese „Linzer Kopfabschneider“ schelten, aber von ihnen selbst „Andernacher Siebenschläfer“ genannt werden. Die beiden Bäckerjungen waren in jener Nacht die Einzigen, die in Andernach wachten. Selbst der Meister mit seinen Gesellen, falls er solche hielt, hatte sich dem Schlafe hingegeben. Zum Glücke lag die Backstube nahe am Thore. So hörten denn die Bäckerjungen ein Waffengeräusch und bemerkten, wie der Feind im Begriff war, die Stadtmauer von Andernach zu erklimmen. Da rannten sie in den Garten, der dicht an der Stadtmauer lag und ergriffen, weil ihnen hier nichts weiter zur Hand war, eine Anzahl Bienenkörbe. Diese schleuderten sie mutig von der Mauer auf den Feind. Die Bienen setzten dem Feinde an der Stadtmauer wacker zu und trieben ihn in die Flucht, wobei sie dann allerdings wohl von dem aus dem Schlafe erwachten Meister mit seinen Gesellen und dessen Nachbaren, ja, später vielleicht sogar von den Bürgern und Ratsherren noch unterstützt sein mögen.

Andernach ist durch die vielen Gewässer in seiner Nähe ein besonders fischreicher Ort. Den schönsten Aal, welcher im Laufe des Jahres gefangen wurde, bewahrten die Andernacher in einem durchlöcherten Fischkasten im Wasser auf. Wenn nun die engen Röhren der Trinkwasserleitung gereinigt werden mußten, so steckten die Ratsherren den Aal mit der Schnauze in die Röhrenöffnung, gossen ihm frisches Wasser [137] auf den Schwanz, worauf er wie ein Pfeil in der Röhre verschwand, sie reinigte und am entgegengesetzten Ende mit dem Kopf zuerst wieder herauskam. Zuletzt wurde der Aal von den Ratsherren verspeist, wobei sie ihm aber kein Wasser, sondern nur Wein nachgegossen haben sollen. Denn die alten Andernacher wußten zu leben. Nicht umsonst hieß es in einer Andernacher Polizeiverordnung vom 29. November 1582: „Item verbeut Rhaidt das überflüssige Fressen und Saufen mit großen Potten und Glaseren Strich voll, in ein Soff aus, off Gesundheiter oder wie solches zugehe, geschehe oder Namen haben mag.“

Auch von Kruft, dem ältesten Dorfe dieser Gegend, ist manches Lustige zu erzählen. Die alten Krufter waren Leibeigene der Abtei Laach und hatten als solche besondere Rechte und Pflichten. Bei einem Aufgebote mußten sie das Kloster mit Wehr und Waffen schützen. Doch berichtet die Chronik bloß, daß sie einmal bei einem Überfalle davon gelaufen sind. Im Volksmunde werden die Krufter Sarazenen genannt. Bei manchen von ihnen will man orientalische Gesichtszüge bemerken. Man leitet die Sage daher, daß ein Graf Siegfried aus einem Kreuzzuge gefangene Sarazenen mitgebracht und hier seßhaft gemacht habe. Zur Erinnerung an die Kreuzzüge wallfahrteten die Bürger von Mayen alljährlich in Harnischen nach Frauenkirchen und stellten die Kreuzfahrer vor. Vor Frauenkirchen harrten ihrer die Krufter als Sarazenen gekleidet. Es entspann sich ein Scheingefecht, in welchem die Kreuzfahrer Sieger blieben. Nach der Schlacht zogen Sieger und Besiegte friedlich zusammen in die Kirche und wohnten dem Gottesdienste bei. Nach dem Gottesdienste aber ging es zum Trunke. Bei demselben aber kam es gewöhnlich noch zur Prügelei, wobei die Sarazenen trotz ihrer in der That nur sehr geringen Tapferkeit doch den Kreuzfahrern die Hiebe, die sie vor dem Kirchgange dem Herkommen gemäß hatten hinnehmen müssen, mit Zinsen zurückzugeben suchten.