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Andernach, noch froh der deutschen Siege von 1870 und 1871, im lebhaftesten Fahnenschmucke ein Erinnerungsfest an den Sieg Ludwigs über Karl den Kahlen gefeiert.

Man kann sich nicht wundern, daß Andernach in seiner Pfarrkirche ein in romanischem Stile aufgeführtes Bauwerk von hohem Alter besitzt. Wenigstens der nördliche Chorturm soll ungefähr aus dem Jahre 900 herrühren. Sehenswert ist auch das alte Rheinthor, wo zwei Bäckerjungen verewigt sind, die einst die Stadt vor einem nächtlichen Ueberfalle gerettet haben.

Die Bürger und Ratsherren von Andernach standen nämlich in alten Zeiten in dem Rufe, daß sie einen sehr festen und für die Sicherheit ihrer Stadt gefährlichen Schlaf hätten. Während einer Fehde mit den Bewohnern der Nachbarstadt Linz hatten ihnen diese einmal in den Betten die Köpfe abgeschnitten, weshalb ihre Nachkommen diese „Linzer Kopfabschneider“ schelten, aber von ihnen selbst „Andernacher Siebenschläfer“ genannt werden. Die beiden Bäckerjungen waren in jener Nacht die Einzigen, die in Andernach wachten. Selbst der Meister mit seinen Gesellen, falls er solche hielt, hatte sich dem Schlafe hingegeben. Zum Glücke lag die Backstube nahe am Thore. So hörten denn die Bäckerjungen ein Waffengeräusch und bemerkten, wie der Feind im Begriff war, die Stadtmauer von Andernach zu erklimmen. Da rannten sie in den Garten, der dicht an der Stadtmauer lag und ergriffen, weil ihnen hier nichts weiter zur Hand war, eine Anzahl Bienenkörbe. Diese schleuderten sie mutig von der Mauer auf den Feind. Die Bienen setzten dem Feinde an der Stadtmauer wacker zu und trieben ihn in die Flucht, wobei sie dann allerdings wohl von dem aus dem Schlafe erwachten Meister mit seinen Gesellen und dessen Nachbaren, ja, später vielleicht sogar von den Bürgern und Ratsherren noch unterstützt sein mögen.

Andernach ist durch die vielen Gewässer in seiner Nähe ein besonders fischreicher Ort. Den schönsten Aal, welcher im Laufe des Jahres gefangen wurde, bewahrten die Andernacher in einem durchlöcherten Fischkasten im Wasser auf. Wenn nun die engen Röhren der Trinkwasserleitung gereinigt werden mußten, so steckten die Ratsherren den Aal mit der Schnauze in die Röhrenöffnung, gossen ihm frisches Wasser

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/147&oldid=- (Version vom 1.8.2018)