Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Südslavisches Familienrecht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 671–672
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[671] Südslavisches Familienrecht. In einer Leipziger Zeitschrift wurde vor Kurzem in einem längern Artikel der Beweis zu liefern gesucht, die „Kroaten, Slovaken etc.“ seien noch nicht „constitutionsflügge“ und deshalb der Wohlthat einer solchen Verfassung nicht werth. Der Schreiber dieser Zeilen, ein geborener Südslave, der mit tausend andern Slaven von Kindsbeinen an deutsche Bildung genossen hat und deren Werth für seine Nation zu würdigen weiß, will es aber versuchen, die Kroaten mit wenigen Zügen den Lesern der Gartenlaube zu schildern und ihnen zu zeigen, daß dieses seit dem Jahre 1848 in Deutschland ohne Grund so gehaßte und verachtete Volk dergleichen wegwerfende Behandlung nicht verdient.

Der Grundzug im Charakter der Südslaven, der in allen seinen Lebensverhältnissen sich wiederfindet, ist seine tiefe Anhänglichkeit an die Familie, an das Haus im weitesten Sinne. Der ganze bäuerliche Grundbesitz der Kroaten und Serben in Oesterreich und der stammverwandten Völkerschaften in der Türkei ist nicht Eigenthum der einzelnen Bauern und Bäuerinnen, sondern der ganzen Bauernfamilien. In jüngster Zeit hat man bei Anlegung der Grundbücher in Kroatien und Slavonien die einzelnen Besitzthümer der Bauern deshalb auch als Eigenthum der „Haus-Kommunion N.“ eingetragen. Ein solches Besitzthum gehört oft mehreren Brüdern, Vatersbrüdern, noch entfernteren Verwandten und deren Weibern und Kindern gemeinschaftlich. Es ist keine Seltenheit, daß man in einer solchen Gemeinschaft 50–100 Personen und darüber antrifft, wenn der Grundbesitz entsprechend groß ist. Jedes Ehepaar mit seinen Kindern hat in den Wohngebäuden eine abgesonderte Schlafstätte; alle übrigen Räume werden gemeinschaftlich benutzt. Zur Leitung der Wirthschaft, zur Schlichtung kleinerer häuslicher Zwiste, zur Geldgebarung und zur Vertretung des Hauses gegenüber der Gemeinde und dem Staate wählen die Hausgenossen den fähigsten Mann, der dann auch von der Gemeinde als Hausvater bestätigt werden muß. In allen wichtigeren Angelegenheiten leisten ihm die Hausgenossen nur dann Folge, wenn seinem Gebote die Berathung aller erwachsenen Familienglieder voranging, und er lediglich den hierbei gefaßten Beschluß vollzieht.

Die gewonnenen Erträgnisse werden im Herbste eines jeden Jahres an die Theilfamilien des Hauses mit Berücksichtigung der Zahl ihrer Glieder vertheilt, nachdem voraus Steuern und Hausauslagen bezahlt, und das im Hause für das Jahr nöthige Quantum von Lebensmitteln ausgeschieden worden ist. Kein Hausgenosse kann seinen ideellen Grundantheil veräußern oder verpfänden; er ist eben nur Mitfruchtnießer, die Familie aber ist allein die Eigenthümerin. Stirbt ein Glied der Familie, so werden nur jene Kleider und Geräthe, die zu dessen persönlichstem Gebrauche dienten, unter seine Kinder oder näheren Verwandten vertheilt. Sein Grundtheil aber wächst den Ueberlebenden von selbst zur Nutznießung zu, denn die Familie als eigentliche Grundeigenthümerin ist nicht gestorben.

Will ein Mitglied der Hausgenossenschaft auswärts arbeiten, so steht ihm dies jederzeit frei; nur muß er einen Theil seines Verdienstes in die Hauscasse abliefern. Der Einzelne kann auch das Haus ganz verlassen, er wird bei seinem Austritte wohl auch mit einem Nothpfennige ausgestattet. Sein Wiedereintritt in das Haus wird mit Rücksicht auf den Werth, den die Arbeitskraft in Kroatien hat, gern gestattet. Das Mädchen, das dem Hause von ihrem Bräutigam entzogen wird, erhält eine kleine Ausstattung; sie wird vollberechtigte Hausgenossin in der Familie ihres Gatten.

Das sind die wesentlichsten Rechtssätze des südslavischen Familienlebens. Einem Juristen, der das römisch-germanische Recht mit dem heillosen Grundsatze „societas mater discordiarum“ in sich ausschließlich aufgenommen hat, wird freilich dabei grauen; er möge aber bedenken, daß jedes Volk seinen eigenen Geist hat, so gut, wie jeder Einzelne, und daß die Producte der verschiedenen Nationalideen eben auch verschieden sind. Wer sich über die hier geschilderte tausendjährige Nationalsitte eines Näheren belehren will, dem empfehle ich das treffliche Buch von Utiesenovic: „Die Hauscommunionen der Südslaven“, Wien 1859 bei Manz u. Co. – Das ganze Institut beruht im Wesentlichen auf dem Geiste der Familienliebe, der in dem Südslaven so mächtig ist; es ist der Communismus in der edelsten, praktisch allein möglichen Form. Um die segensreichen Wirkungen desselben nur anzudenken, berühre ich, daß ein Bauern-Proletariat dadurch unmöglich wird, daß die jüngeren Geschwister nicht mit wenigen Gulden vom älteren Erben ungerechter Weise abgefertigt werden und nicht heimathslos umherirren müssen, daß die Zerstückung der Bauerngüter vermieden wird, daß man das Dienstbotenunwesen kaum kennt, daß das obschon unwissende Volk dennoch nicht roh ist, daß die Criminal-Statistik Oesterreichs hinsichtlich der Südslaven eine bedeutend geringere Zahl von Verbrechen ausweist, daß zahlreichere und frühere Ehen geschlossen werden etc.

Aus der oben hervorgehobenen Gewohnheit der Kroaten, im Familienkreise die wichtigeren Angelegenheiten zu berathen, folgt nun, daß dieselben auch zur Selbstverwaltung in größeren Kreisen nicht so unreif sind, als die Leipziger Zeitschrift annimmt. In den Gemeinden und in den Bezirken wissen die Vorsteher sehr gut, daß das Volk für keinen Schulbau, keine Straße etc. gern Arbeiten oder Zahlungen leistet, bevor die Vorsteher in einer improvisirten Volksversammlung den Nutzen der Neuerung dargethan, auch wohl die alten Männer angehört baben. Was dem Volke an Einsicht mangelt, wird durch die Bereitwilligkeit, sich belehren zu lassen und die eigene Ansicht nicht mit Parteihartnäckigkeit auf Kosten des Ganzen durchsetzen zu wollen, reichlich ersetzt.

Das Familienleben, wie es hier geschildert wurde, durchdringt das ganze Bewußtsein des Volkes. Die Dörfer führen oft den Geschlechtsnamen einer Familie in der vielfachen Zahl. Der Wirthshausbesuch ist [672] gering, die Gastfreundschaft im Hause desto größer. Der Fremde erscheint wie ein naher Verwandter, der das Haus besucht. Die Gemeinde – das Volk – betrachtet man als immer größere Familienkreise; der Kaiser wird als ein oberstes Familienhaupt angesehen. Wenn dem Kroaten nach seiner Ansicht in der Gemeinde oder bei Gericht Unrecht geschieht, geht er gleich selber zum Banus nach Agram, oder nach Wien zum Kaiser. In letzter Zeit ist das allerdings etwas anders geworden.

Ich möchte noch das Verhalten der Kroaten im Jahre 1848 berühren. Damals hatten die Ungarn seit mehr als zwanzig Jahren schonungslos die slavische Sprache unterdrückt, trotz allen Familienrechtes das ungarische Erbrecht und Grundtbeilungen eingeführt, und die slavische Nation in allen Punkten auf das Tiefste verletzt. Die Erbitterung der letzteren gegen die Ungarn drohte schon 1845 auszubrechen; im Jahre 1848 bedurfte es nur eines Befehls der Regierung, daß der letzte Mann gegen die Ungarn zu Felde zog. Von Ungarn aus wurden die Kroaten gegen Wien geführt. Daß der durch Entbehrungen aller Art demoralisirte undisciplinirte Landsturm in Wien so arg wüthete, mögen die verantworten, welche ihm die Plünderung Wiens zusagten und erlaubten.