Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon)

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon)
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 664–665
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Carl Schoepffer nennt 1873 Bock als Autor dieses Textes, vgl. Keil und Bock; Entscheidung in Sachen der Wahrheit und Vernunft gegen den extra-ordinär Professor Bock in Leipzig : zur Aufklärung und Warnung aller Besitzer Bockscher Bücher und Leser der Gartenlaube, S. 32, urn:nbn:de:bsz:15-0013-533770.
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Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon).

Sauerstoff, Oxygen, Lebensluft, Feuergeist, der ewige, unermüdlich zerstörende Allbeleber, der Gott aller Lebenswärme und nie rastende Einheizer in dem langsamen Verbrennungstode alles Athmenden, der unsichtbar allgewaltige und allgegenwärtige Geist aller Wasser und Lüfte, dem selbst das stolze Eisen vergebens trotzt und welcher die kostbarste Damascenerklinge mit knisternder, blauer Flamme rasch in Asche verwandeln kann, mit aller Welt und aller Welt bekannt und verwandt, Duzbruder aller möglichen chemischen Familien und Vereine – wer kennt ihn? Welcher umsichtigste Polizei-Beamte könnte sein Signalement schreiben? Geschäft, Stand und Charakter? Alles todt machen oder Alles beleben? Was ist richtig? Beides, Beides! Sichert er nicht durch seine ewige Mordbrennerei allem Sterblichen und Geschaffenen just eine elementare Unsterblichkeit? Uebt er nicht, neben tausenderlei Geschäften, die mächtigste, wirksamste Gesundheits-Polizei?

Wir können ihn nicht in seinen unzähligen bekannten, mysteriösen Functionen verfolgen, da er selbst in den dicksten Lehrbüchern der Chemie nicht vollständig dargestellt wird, und wollen blos eine neuerkannte Wahrheit beleuchten, die sich hauptsächlich als Gesundheits-Polizei des Sauerstoffs offenbart. Dieses Amt verwaltet er besonders in chemischer Verbindung mit der Elektricität (wofür Andere „Magnetismus“ sagen) und unter der Firma Ozon, auf deutsch: Stinker. Schießbaumwollen-Schönbein in Basel muß für diese despectirliche Benennung, die von allen Naturalisten angenommen und beibehalten ward, auch als man gerade das Gegentheil der Verstänkerung erkannt hatte, verantwortlich bleiben. Aber wir denken nicht mehr an die Bedeutung des griechischen Worts, von welchem er den Taufnamen des elektrischen Sauerstoffs herleitete, und verstehen nun unter Ozon hauptsächlich folgende erfreuliche Wahrheiten und Processe in der Natur.

Die wissenschaftliche Welt verdankt dem Hauptarzte des Militär-Hospitals zu Metz, M. Scoutteten, die erste umfassende Zusammenstellung und Beleuchtung aller Entdeckungen und Beobachtungen, die bisher in Sachen des Ozon gemacht wurden. Ihm entlehnen wir in der Hauptsache, was wir in diesem Artikel zu sagen haben.

Schönbein entdeckte zuerst eine übelriechende Substanz, die sich bei den meisten galvano-elektrischen Processen einstellt, und nannte sie Ozon. Er hielt sie zuerst für eine Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff. Weitere Untersuchungen von ihm selbst und andern Chemikern Frankreichs und Deutschlands führten zu der Entdeckung, daß Ozon elektrisirter Sauerstoff sei, Elektricitäts-Oxyd, verrostete Electricität, wenn man in diesem luftigen Gebiete so sagen darf, Präsident und Director der Gesetze atmosphärischer Elektricität, Regulator des Luftdrucks und der Barometer, Thermometer und Hygrometer, Beleber und Auferstehungs-Engel des Sauerstoffs, der beim Athmen, Verbrennen und Verrosten, beim Kochen, Braten, Heizen von Eisenbahn- und Menschenlocomotiven, kurz bei den sonstigen tausenderlei Functionen des Sauerstoffs verzehrt ward.

Die mysteriös klingenden Functionen werden durch Thatsachen anschaulich werden. Ozon, rein ein farbloses, stechend-stinkend riechendes Gas, ist zunächst die allergewaltigste Oxydations-Macht. Es verzehrt Silber und Quecksilber in kaltem, feuchtem (nicht trockenem) Zustande. Es zerstört mit der größten Schnelligkeit organische Materien in der Luft, die so oft als Miasmen, Fieber- und Peststoffe wirken. Nach Dr. Letheby wäre halb London vorigen Sommer an der Themse gestorben, wenn nicht eine ungewöhnliche Quantität von Ozon in der atmosphärischen Luft die organischen Gifte derselben zerstört hätte.

Ozon verbindet sich nicht von selbst mit Wasser. Dies kann aber durch Pressung ozonisirt und so zu der mächtigsten Substanz chemischer Bleichung verwandelt werden. Es verbindet sich mit Chlor, Brom und Jod zu Säuren, die wahrscheinlich chemisch und medicinisch in Ruf kommen werden. Es zerstört am schnellsten das tödtlichste Luftgift Schwefelwasserstoffgas und alle oxydablen Miasmen und ist so die größte Desinfections- (Reinigung von Ansteckungsstoffen) Substanz, die man bis jetzt kennt, die erste Großmacht in der Gesundheits-Polizei der Natur. Auch wird es rasch von einer Menge vegetabilischer und animalischer Substanzen, z. B. Albumin, Caseïn, Fibrin und Blut, aufgesogen, sodaß alles Lebendige in der intimsten Verbindung mit ihm steht. Ein homöopathisches Nichts mehr oder weniger, und Tod wird Leben oder Leben Tod. Ein tausendstel Theil Ozon in der Luft ist wohlthätig, ein anderes Tausendstel mehr – und schon sterben eine Menge kleine Thiere in dieser Luft. In noch größerer Menge erstickt es die stärkste Lunge. Man hat Beweise genug, daß Menschen nach einem einschlagenden Blitze, nicht von dem Blitze getödtet wurden. Auf jeder Stelle, wo es eben eingeschlagen, riecht es wie Phosphor oder Schwefel, d. h. nach Ozon, das sich durch den Blitz bildet, da die Elektricität sich in ungewöhnlicher Menge mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft verbindet. Jedes Gewitter producirt Ozon, das sofort miasmatische Stoffe zerstört und so, wie es längst sprichwörtlich geworden, „die Luft reinigt“. Als medicinische Gabe wird Ozon eine Rolle spielen, doch wird es dabei wirklich sehr wesentlich auf lächerlich kleine Dosen ankommen, da ein Atom unter tausend Atomen mehr Alles umkehren und die lebensrettende Medicin in Gift verwandeln kann. In einer gewissen kleinen Beimischung erregt es die Lungen zu größerer Thätigkeit und hilft verdauen, Magen, Appetit, „Gedächtniß“ etc. stärken, in größerer erregt es Schwindsuchtshusten und in noch größerer erstickt es Alles, was athmet.

Atmosphärisches Ozon bildet sich hauptsächlich durch die elektrische Thätigkeit in der Luft, besonders Gewitter. Künstlich und chemisch gewinnt man es am besten durch Stäbchen von Phosphor, halb in Wasser getaucht. Ein Glas Wasser mit einigen Stückchen Phosphor darin, so daß sie zur Hälfte herausragen, ist das beste Räucherpulver, das beste Mittel, in Krankenstuben und Hospitälern die Luft rein zu halten. Die Dämpfe, welche von den Phosphorstäbchen ausscheiden, verbinden sich mit Sauerstoff der atmosphärischen Luft zu hypophosphorischer Säure, die sich immer sofort im Wasser auflöst. Diese chemische Combination entbindet Elektricität, die sich mit dem Säurestoff in der Luft zu Ozon verbindet, der nun sofort alle schädlichen Bestandtheile der Luft aufsaugt oder sonstwie beseitigt. (Diese nur angedeuteten chemischen Processe sind nicht für die exacte Wissenschaft, welche sich in Scoutteten’s Werke nähere Auskunft holen mag, sondern für das Publicum.)

Schönbein in Basel und Jame, Apotheker in Versailles, haben Ozonometer oder Ozonoskope erfunden, um die Quantität des Ozon in der atmosphärischen Luft zu ermitteln. Der Ozonometer besteht aus Papierstreifchen, die mit einem empfindlichen Reagens (Jod und Stärke) getränkt sind und verschiedene Grade (10) von blauer Farbe haben. Beinahe Weiß ist 0, das dunkelste Violet Grad 10. Diese präparirten Papierstreifchen werden je zwölf Stunden der offenen Luft (ohne Sonne) ausgesetzt und dann in Wasser getaucht. Vergleichung der Farbe, welche das Papier jetzt annimmt, mit der, welche es ursprünglich hatte, gibt einen Maßstab für die Quantitäten Ozon in der atmosphärischen Luft. (Das Technische des Ozonometers und die große Vorsicht und Feinheit erfordernde Beobachtung muß man in Scoutteten nachlesen oder sich anderweitig darüber unterrichten. Hier würde es uns zu weit von unserer Darstellung der Hauptsachen ablenken.)

Diese Ozon-Messung ist noch sehr unvollkommen und unsicher, da Vieles von der Genauigkeit und Reinheit der präparirten Papiere und dann noch mehr von dem Farbensinne und dem Augenmaße abhängt. Ohne Zweifel wird man bald sicherere Ozonometer erfinden. Die Ergebnisse, die man mit den bisherigen ermittelte, sind schon interessant genug. Man hat z. B. gefunden, daß Ozon in bewohnten, geschlossenen Räumen ganz fehlt, während es sich draußen vor dem Fenster oft ganz entschieden in ungewöhnlicher Quantität kundgab. Dies wird wahrscheinlich zu sichern Ermittelungen über den Unterschied des Stubenlebens und der Beschäftigung und Bewegung im Freien mit Rücksicht auf Ozon führen, eben so zu Mitteln, Ozon in Stuben künstlich zu erzeugen und so die Nachtheile der Stubenluft zu verringern, und wer weiß, zu welchen andern Gesundheitsmitteln. Die Quantität des Ozon in der Luft hat einen entschiedenen Einfluß auf jedes athmende Leben. Im Jahre 1845 litt Aarau bedeutend an Cholera. Director Wolf an der Sternwarte zu Bern beobachtete während dieser Zeit den Ozon-Gehalt der Luft und fand, daß die Cholera in demselben Verhältnisse stieg, als sich der Ozongehalt der atmosphärischen Luft – also deren Kraft, sich selbst zu reinigen, verminderte.

[671] Im Jahre 1855 beobachtete Schönbein in Berlin eine ungewöhnliche Menge von Ozon in der atmosphärischen Luft während einer bösartigen Grippe, die alle Personen ergriff, welche nicht lungenfest waren. Dr. Boeckel hat beobachtet, daß gewisse Fieber stets desto mehr wüthen, je weniger Ozon vorhanden ist. In Straßburg stellte sich die Cholera ein, als Ozon ganz ausgegangen war, und nahm in demselben Grade ab, als sich wieder Ozon in der atmosphärischen Luft einfand.

Scoutteten glaubt aus diesen und andern Beobachtungen schließen zu können, daß Cholera, kalte, Sumpf- und andere Fieber aus organischen, sumpfigen Ausdünstungen hervorgehen oder wenigstens dadurch genährt werden, wenn nicht Ozon genug vorhanden ist, sie zu neutralisiren. Je größer die Hitze, desto mehr solche organisch-miasmatische Ausdünstungen. Fehlt es dann an Ozon und ist eine ansteckende Krankheit schon im Laufe, so nimmt letztere mit der Hitze zu, wie an dem heißesten Tage in Paris, als die Cholera-Pest ihre höchste Höhe erreichte. Der Ueberschuß von Ozon während einer epidemischen Grippe in Berlin, beobachtet von Schönbein, erklärt sich leicht aus dem Ueberschusse, da Ozon auf die Lungen wirkt und die geringste Vermehrung desselben Lungen- und Halsleiden bis zur Entzündung hervorrufen kann.

Aus allen Beobachtungen ergibt sich dies Resultat, daß die gänzliche Abwesenheit des Ozon in der atmosphärischen Luft stets ungesund ist, mindestens in bewohnten Häusern, besonders in Krankenstuben und Hospitälern, wo der Luft alle mögliche organisch-miasmatische Partikelchen mitgetheilt werden, daß also Desinfections-Apparate, wie Phosphorstäbchen in Wasser, gute Gegengifte liefern.

Es ist eine treffende, wenn auch harte Wahrheit, daß wir Alle gegen einander giftig sind. Das theuerste Haupt, das neben uns schläft, athmet Tod für uns, und umgekehrt. Liebe ist schön, aber die Kohlensäure, die auch die heißest Liebenden ausathmen, ist Gift. Neue Untersuchungen und feine Experimente haben klar bekundet, daß Städteluft nicht nur viel schädliche organische Substanzen, sondern auch directe Blutgifte enthält; Städteluft röthet das Blut schneller, erregt es mehr, als Landluft. In Manchester, das sechzehn englische Quadratmeilen bedeckt, regnet es mehr, als irgendwo in England, regnet es auch jährlich 20,000 Centner – Vitriol, das der Regen aus der Manchesterer Luft mit herabspült. Die übermäßig mit faulenden organischen Bestandtheilen, Kohlensäure und Schwefelwasserstoffgas erfüllte Luft begünstigt Krankheiten, reizt das Blut, das Gehirn- und Nervensystem – so daß die Städter im Durchschnitt stets blasser aussehen, lebendiger, reizbarer, geweckter und intelligenter sind, also auch eher gebrechlich werden, Verbrechen begehen oder sterben, als die Leute auf dem Lande. Städte athmen dichter, produciren mehr Krankheitsstoffe und Lungengifte, als das dünner bevölkerte Land. Wer weiß, ob wir nicht bereits einem Mittel auf der Spur sind, außer durch öffentliche und Privat-Reinlichkeit, Ventilation, Wasserleitung etc. auch durch Ozon die Luft der Städte zu verbessern?

Vor der Hand liegt in den großartigen, schönen Gesundheits-Polizei-Maßregeln der Natur ein großer Trost. Sie sorgt durch Donnerwetter mit Knalleffect, durch ungeheuere Wasserflächen, die Elektricität frei machen für den Sauerstoff der Luft, auf eine stille, dauernde Weise dafür, daß Elektricität und Sauerstoff sich stets in bedeutenden Massen zu Ozon verbinden können. Und im Ozon haben Naturforscher aller Nationen gleichmäßig die allermächtigste Gesundheits-Polizei-Behörde erkannt. Was dieses feine, unsichtbare Paar von Luftgeistern noch außerdem in wissenschaftlicher, medicinischer, industrieller und lebenverschönernder Beziehung zu leisten im Stande sein mag, hängt von weiteren ernsten, anhaltenden, feinen Beobachtungen, Experimenten und Entdeckungen der Wissenschaft ab, welche in diesem flüchtigen, feinen chemischen Dioskuren-Paare nach jahrelangen Vorbereitungen und Vorstudien nun wenigstens so viel erkannt hat, daß sie in ihren stolzesten, mit der größten Sicherheit auftretenden Hypothesen einen der einflußreichsten Luftgötter ganz übersah, und daß derselbe von nun an desto sorgfältiger beachtet werden müsse.