Rudelsburg und Saaleck in Thüringen

CCXVII. Die Universität Göttingen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXVIII. Rudelsburg und Saaleck in Thüringen
CCXIX. Madagascar
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RUDELSBURG UND SAALECK

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CCXVIII. Rudelsburg und Saaleck in Thüringen.




 Das Böse
Stürzt mit dem Guten im Strom der Zeiten.


Die Natur zeigt uns in allen ihren Werken unendliche Mannichfaltigkeit. Keine zwei Wesen gleichen sich in der seelen- und willenlosen Schöpfung: denn im grenzenlosen All herrscht die Freiheit. Die organische Welt kann nicht davon ausgenommen seyn, und mehr als irgend ein anderes Geschaffenes hat der Mensch die Nothwendigkeit, seine Individuen in unendlicher Mannichfaltigkeit zu entwickeln, und jedem aufzudrücken sein eigen unterscheidendes Gepräge. Nach dem nämlichen Gesetze bilden sich die Völker, ebenso verwandte Stämme ein und desselben Volks eigenthümlich aus nach dem Einflusse ihres Klimas, der Natur und Fruchtbarkeit ihres Bodens, nach ihrem Stammcharakter, ihren Ideen, ihrer Lebensweise, ihrer Kunst, ihren geschichtlichen Erinnerungen, und überhaupt nach der ganzen Art ihres Seyns. Ich kenne nichts Lächerlicheres und Nachtheiligeres zugleich, als das Streben, welches in einem großen Reiche alle Individualität der einzelnen Völkerstamme verwischen und die Mannichfaltigkeit der Formen zerstören will. Nur Unverstand und Despotismus mögen einen solchen Willen befolgen. Kein Götzendienst aber empört mehr, als der für eine willkührlich ausgedachte, die Nationalitäten zerstörende Einheit geforderte.

Nicht einmal unter sich verwandten Stämmen darf die Idee der Volkseinheit näher treten, als es die freie Entwickelung des Stammcharakters zuläßt. Wie thöricht sind Diejenigen z. B., welche von der Nothwendigkeit reden, alle Menschen [81] deutscher Zunge in eine Form einzupressen, damit ein Deutscher dem Andern gleiche! Deutschland, das allen andern Ländern in der Bildung vorangeht, hat seine schöne, geistige Entwickelung einzig und allein der reibenden, rivalisirenden, immer zur Nacheiferung spornenden Individualitäts-Bildung seiner Stämme zu danken. Es trägt die Mannichfaltigkeit einer Welt in sich; und gerade diese Mannichfaltigkeit ist der Träger seiner Kultur und der Bürge ihres Fortschreitens. Welchem Stamm unter so vielen würde denn, wenn wir eins werden sollen, das Münzrecht gebühren? Welchem das Recht, mit seinem Stempel die übrigen, die Urbilder vernichtend, auszuprägen und in Kurs zu setzen? Dem Stärksten doch wohl. Und der wäre? Man sieht, wohin es führt. Nein! jeder deutsche Volksstamm muß sein selbstständiges, eigenes Leben behalten; er muß behalten seinen eigenthümlichen Charakter, seine Sitten und seine Gebräuche. Würden alle deutschen Stämme zu einer großen Nation zusammen geschmolzen, wie die französische, dann würden wir vielleicht der Welt Gesetze geben; aber mit dem Verwischen aller Individualität im Einzelnen ging unsere höhere Bestimmung sicherlich verloren.

Wir dürfen nicht fürchten, daß die Metamorphose, schon zweimal mißlungen, sobald von neuem versucht werde. Die Manie, die alten deutschen Landnamen auszutilgen, gleichsam als fürchtete man die historischen Erinnerungen, welche sich an sie knüpfen, ist eine obsolete, und in der neuerlichen Wiedererweckung der Ehrfurcht für deutsches Alterthum finden wir ein Palliativ gegen die Wiederholung. Wer freute sich nicht, hört er die alten Namen von Ländern und Gauen wieder aus dem Munde der Fürsten? So ist auch der Urname Thüringen, den des Thüringers Stamm treu bewahrt hat, so viel auch daran getauft und wieder getauft worden ist im Laufe der Jahrhunderte, und so viele Herren auch herrschen in seinen Gauen und auf seinen Höhen, neuerlich wieder zu Ehren gekommen, und man hat von Thüringischen Staaten und Staatenbündnissen mancherlei gehört. Am Ende liegt dem Volke freilich wenig daran: es vergißt den Heimathsnamen doch nicht, vergäßen ihn auch die Diplomaten.

Thüringen, wie Jean Paul es nennt, „das Land der gemüthlichen Natur und der gemüth- und bildungreichen Menschen,“ zählte einst eine kaum glaubliche Anzahl von Burgen und Vesten, deren Ruinen jetzt die Gegend schmücken. Der größere Theil derselben entstand zu jener Zeit, wo die Slaven sich gewaltsam Wohnsitze erbauten von den Westmarken Deutschlands an bis zu seinem Herzen; wo Wenden und Sorben der Lausitz und die Böhmen ihre räuberischen Einfälle oft bis in’s Thüringer Land ausdehnten. Da kamen feste Burgen auf auf allen Höhen, zu Schutz und zur Abwehr der frechen Fremden. Die Rudelsburg wurde damals gebaut; Saaleck, für welches die Volkssage Karl den Großen als Gründer nennt, bedeutend erweitert.

Ritter Rudolf von Münchhausen errichtete jene im 10ten Jahrhundert. Anfangs bestand sie aus einem einzigen festen Thurme, hoch auf einem die Saale überragenden steilen Felsen, von Naumburg etwa anderthalb Stunden entfernt. Die Veste bezweckte ursprünglich, ein Zufluchtsort in Zeiten kriegerischer Noth zu seyn. Rudolf wohnte und wirthschaftete im gegenüberliegenden Dorfe Kreipisch, wo noch jetzt ein Rittergut ist, das ihm gehörte. Nach ihm erhielt die Burg den Namen Rudolfsburg, welcher später in den heutigen verkrüppelte. Grenzstreitigkeiten [82] wegen kam es zwischen dem Geschlechte Münchhausen und dem der Gültenburge, welches auf der nahen Krainburg seinen Hauptsitz hatte, zur Fehde, die der Erbhaß ein paar Jahrhunderte lang nährte. Der Rudelsburger Zweig der Münchhausen war bereits im zwölften Jahrhunderte bis auf ein einziges Auge verdorrt. Ritter Otto, der letzte seines Stammes, hatte im heiligen Kriege seinen Sohn verloren; eine einzige Tochter war ihm geblieben, und der durch Alter entnervte Arm des Vaters war unvermögend, seine nach Hülfe schreienden Hintersassen gegen den drangsalirenden Nachbar zu schützen. Da that Otto den ersten schweren Schritt zur Aussöhnung. Er lud den Krainburger, diesem für sicheres Geleit sein Ehrenwort einsetzend, zu einem Fastnachtsschmauß. Ludwig von Gültenburg kam. Mit einer wechselseitigen freundschaftlichen Erklärung war der langwierige Hader aufgelöst, der böse Geist entwich und der der Liebe kehrte ein. Otto’s reizende Tochter, die reiche Erbin, wurde Ludwigs Hausfrau. Im Heirathsvertrage hatte man aber ausgemacht, daß, wenn die Ehe mit mehren Söhnen gesegnet, einer der jüngeren die mütterlichen Besitzungen erben, das Münchhausen’sche Wappen führen, am väterlichen Gute aber keinen Antheil haben solle; und am Hochzeittage that Hildegard laut das Gelübde, daß, wenn Gott ihr mehre Söhne schenke, sie den Klöstern zu Weißenfels und Naumburg, jedem tausend meißnische Gulden verehren wolle.

Es traf ein. Ludwig und Hildegard hinterließen 2 Söhne; der jüngere bekam die Rudelsburg mit dem mütterlichen Gute. Es war ein braver, redlicher, freundlicher Mann, allgemein geachtet; aber sein Sohn, auch ein Otto, schlug gänzlich aus der Art. Er wilderte auf Abenteuer umher, ein berüchtigter Raufbold; und als der Vater aus Gram über ihn starb, trieb er es ärger, als zuvor. Er bewaffnete seine Bauern und übte mit ihnen die adeliche Straßenräuberei auf eine gräuliche Weise aus. Sein Burgverließ füllte sich mit Schlachtopfern an, sein Schatz mit unrechtem Gute. Er baute eine Brücke über die Saale, blos um Vorwand zu haben zu Erpressungen. Da mußte jedes Schiff, das sie passirte, und Jeder, der des Wegs zog, schweres Zoll-, Brücken- und Geleitsgeld zahlen, und weder Freund noch Feind kam ungerupft durch. Dieses unwürdigen Otto’s Sohn war nicht besser als der Vater. Er war der Schrecken und die Geißel des Landes 10 Meilen in der Runde. Vergeblich waren die Klagen bei Kaiser und Reich. Sie wurden nicht gehört, oder das Raubgesindel verlachte die kaiserlichen Befehle, die ohne Kraft waren.

Aber der große Habsburger kam, und mit ihm die Stunde der Vergeltung. 1289 erschien der Kaiser in Erfurt, wohin er einen Reichstag ausgeschrieben hatte; ihm nach zog ein kleines, aber streitgeübtes Heer. Nun ließ er von allen anwesenden Fürsten den Landfrieden beschwören, und wie ein Sturm ging’s dann zur Vertilgung der adelichen Räuber von Burg zu Burg. An einem Tage richtete er zu Ilmenau über 28 gefangene Stegreifritter. Alle büßten mit dem Strang. Der Rudelsburger entging seinem wohlverdienten Schicksal auch nicht. Nach heftiger Gegenwehr fiel er, beim Sturme der Burg verwundet, von der Mauer, auf der er kämpfte, und wurde jämmerlich zertreten; die eingenommene Veste aber wurde geplündert, angezündet und zerstört. Dieß geschah 1290.

[83] Nach langen Jahren erhielten die Nachkommen die Besitzungen zurück und vom Kaiser die Erlaubniß zum Wiederaufbau der Burg. Eine Fehde mit dem Bischofe von Naumburg führte die zweite Zerstörung derselben im Jahre 1348 herbei. Das Geschlecht der Gültenberge erlosch, und vom 16ten Jahrhunderte an änderte die Burg öfters ihre Besitzer. Die Familien Bünau, Kreuzen, Zech, Brühl und Schönberg besaßen sie wechselsweise. Schon zu Ende des 17ten Jahrhunderts war sie theilweise verfallen. Gänzlich verlassen wurde sie erst 1730 und seitdem ist sie, als Ruine, eine Zierde der Landschaft.

Den ehemaligen großen Umfang der alten Veste kann man noch aus den Trümmern deutlich erkennen. Brustwehren und Wälle umgaben einen äußern Hof, und eine sehr hohe Mauer, mit einem tiefen und breiten, in den Fels gehauenen Graben, umschloß die eigentliche Burg. Noch erkennt man an der Mauer die hervorstehenden Quadern, in denen die Angeln der Fallbrücke ruheten, welche letztere ein Bollwerk vertheidigte. Aus der Mitte der Veste erhob sich ein ungeheuerer viereckiger Thurm, dessen untere Mauern 12 Fuß dick waren. Der Eingang in denselben war 50 Fuß über dem Boden. In seinen tiefsten Gewölben sieht man noch das Burgverließ. Bei dessen kürzlich geschehener Aufräumung fand man die Ueberbleibsel menschlicher Gebeine. Welche Geschichten würden diese erzählen, wenn sie reden konnten! –


Der Rudelsburg gegenüber, nur durch eine tiefe Felsschlucht getrennt, stehen die Ruinen von Saaleck: – der Burg Karls des Großen, und des nachherigen Sitzes eines berühmten, längst erloschenen Geschlechts.

Nur 2 hohe, runde Thürme sind noch übrig; alles Uebrige ist versunken, und blos mit Bäumen bewachsene Schutthügel deuten den Standort der ehemaligen Gebäude dieses prachtvollen Schlosses an. Zwischen beiden Thürmen sieht man den Brunnen, der hinab drang bis unter den Spiegel der Saale. Er ist jetzt zur Hälfte verschüttet; jeder der Hinkommenden will die Tiefe durch einen Steinwurf beurtheilen, und so füllt er sich allmählich aus. Von dem höchsten der Thürme, in dem der jetzige Besitzer sich ein freundliches Zimmer eingebaut hat, und der bequem zu ersteigen ist, genießt man, nach Ost und West, hinauf und hinab in das Saale-Thal eine reizende Aussicht.

Als die ältesten Besitzer Saalecks nennt die Geschichte das Dynastengeschlecht der Schenken von Vargula, berühmt in Thüringens Geschichte. Nach dessem Aussterben gab der Kaiser Schloß und Gut den Bischöfen von Naumburg zu Lehn. Diese benutzten die stattliche Burg zu ihrem Sommeraufenthalt, und in jener Zeit des äußersten Verderbnisses der Kirche (im 14ten Jahrhundert) waren die einsamen Mauern Saalecks öfters Zeuge von Scenen, von welchen die einfältige Laienwelt kaum eine Ahnung hatte, so frech und toll auch mancher geistliche Oberhirte in den Städten sein Wesen trieb. „Der bischöfliche Sitz zu Naumburg,“ berichtet eine alte Handschrift aus jener Zeit, „war eine [84] Grundsuppe der Hölle und bestand aus erzgottlosen Bösewichtern und Kindern des Teufels, welche die ärgsten Sünden zu begehen keine Scheu trugen. Es hatten auch die bischöflichen Räthe und Vögte kein Gewissen, vielweniger Mitleid mit den Unterthanen, und da sie immer nur Geld in die bischöfliche Kammer schaffen sollten, mußten sie allezeit sinnen, wo sie es hernehmen und den Unterthanen abpressen sollten. Am schlimmsten von Allen trieb es der Bischof Johannes aus dem Geschlechte der Miltitze, dem der Teufel 1347 den Krummstab in die Hand gelegt. Dieser bezeigte sich seine ganze Regierung über als ein rechtes Satans- und Weltkind und lebte in Fressen, Saufen, Huren, Buben, Reiten, Fahren und Jagen also, als ob kein Herrgott im Himmel wäre. Er ließ, (und desselbigen Gleichen thaten seine Saufgenossen, die Canonici), die geistlichen Aemter durch Vikare verrichten und verlebte alle Zeit auf den Schlössern, oder in der Nähe von Nonnenklöstern, wo er ein schreckliches Leben verführte. Seine größten und meisten Schandthaten aber hat er auf Saaleck begangen, und man nannte die Burg mit Recht den Satanswinkel der Lust und der Bosheit. Da wurden Rotten von Gauklern aus Nürnberg verschrieben und lüderliche Metzen, und Leckerbißlein aus Leipzig und Braunschweig zu Hauf, und eingeladen zuweilen bei 200 Personen beiderlei Geschlechts, und nicht von dannen gegangen, als bis Küche und Keller geleert waren ganz und gar etc. etc.“ – Doch genug aus der Saalecker Chronik, die merkwürdige Beiträge zur Sittengeschichte einer längst vergangenen Zeit liefert.

Nach der Reformation wurde Saaleck mit den übrigen Besitzungen des Bisthums eingezogen, und die verlassene Burg verfiel. Als das dazu gehörige Gut durch Kauf an die Familie Feilitzsch kam, war sie Ruine.