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deutscher Zunge in eine Form einzupressen, damit ein Deutscher dem Andern gleiche! Deutschland, das allen andern Ländern in der Bildung vorangeht, hat seine schöne, geistige Entwickelung einzig und allein der reibenden, rivalisirenden, immer zur Nacheiferung spornenden Individualitäts-Bildung seiner Stämme zu danken. Es trägt die Mannichfaltigkeit einer Welt in sich; und gerade diese Mannichfaltigkeit ist der Träger seiner Kultur und der Bürge ihres Fortschreitens. Welchem Stamm unter so vielen würde denn, wenn wir eins werden sollen, das Münzrecht gebühren? Welchem das Recht, mit seinem Stempel die übrigen, die Urbilder vernichtend, auszuprägen und in Kurs zu setzen? Dem Stärksten doch wohl. Und der wäre? Man sieht, wohin es führt. Nein! jeder deutsche Volksstamm muß sein selbstständiges, eigenes Leben behalten; er muß behalten seinen eigenthümlichen Charakter, seine Sitten und seine Gebräuche. Würden alle deutschen Stämme zu einer großen Nation zusammen geschmolzen, wie die französische, dann würden wir vielleicht der Welt Gesetze geben; aber mit dem Verwischen aller Individualität im Einzelnen ging unsere höhere Bestimmung sicherlich verloren.

Wir dürfen nicht fürchten, daß die Metamorphose, schon zweimal mißlungen, sobald von neuem versucht werde. Die Manie, die alten deutschen Landnamen auszutilgen, gleichsam als fürchtete man die historischen Erinnerungen, welche sich an sie knüpfen, ist eine obsolete, und in der neuerlichen Wiedererweckung der Ehrfurcht für deutsches Alterthum finden wir ein Palliativ gegen die Wiederholung. Wer freute sich nicht, hört er die alten Namen von Ländern und Gauen wieder aus dem Munde der Fürsten? So ist auch der Urname Thüringen, den des Thüringers Stamm treu bewahrt hat, so viel auch daran getauft und wieder getauft worden ist im Laufe der Jahrhunderte, und so viele Herren auch herrschen in seinen Gauen und auf seinen Höhen, neuerlich wieder zu Ehren gekommen, und man hat von Thüringischen Staaten und Staatenbündnissen mancherlei gehört. Am Ende liegt dem Volke freilich wenig daran: es vergißt den Heimathsnamen doch nicht, vergäßen ihn auch die Diplomaten.

Thüringen, wie Jean Paul es nennt, „das Land der gemüthlichen Natur und der gemüth- und bildungreichen Menschen,“ zählte einst eine kaum glaubliche Anzahl von Burgen und Vesten, deren Ruinen jetzt die Gegend schmücken. Der größere Theil derselben entstand zu jener Zeit, wo die Slaven sich gewaltsam Wohnsitze erbauten von den Westmarken Deutschlands an bis zu seinem Herzen; wo Wenden und Sorben der Lausitz und die Böhmen ihre räuberischen Einfälle oft bis in’s Thüringer Land ausdehnten. Da kamen feste Burgen auf auf allen Höhen, zu Schutz und zur Abwehr der frechen Fremden. Die Rudelsburg wurde damals gebaut; Saaleck, für welches die Volkssage Karl den Großen als Gründer nennt, bedeutend erweitert.

Ritter Rudolf von Münchhausen errichtete jene im 10ten Jahrhundert. Anfangs bestand sie aus einem einzigen festen Thurme, hoch auf einem die Saale überragenden steilen Felsen, von Naumburg etwa anderthalb Stunden entfernt. Die Veste bezweckte ursprünglich, ein Zufluchtsort in Zeiten kriegerischer Noth zu seyn. Rudolf wohnte und wirthschaftete im gegenüberliegenden Dorfe Kreipisch, wo noch jetzt ein Rittergut ist, das ihm gehörte. Nach ihm erhielt die Burg den Namen Rudolfsburg, welcher später in den heutigen verkrüppelte. Grenzstreitigkeiten

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/147&oldid=- (Version vom 3.9.2024)