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XLI.
14. August.
Athanasia,
Wittwe.


 Diese in manchen Gegenden sehr bekannte Wittwe wird mit einem Webstuhl neben ihr und einem leuchtenden Sterne auf der Brust abgebildet, denn da sie einst in früher Jugend an ihrem Webstuhle saß, kam eine Entzückung über sie, und es war ihr als ob ein leuchtender Stern von der Höhe hernieder käme, ihre Brust durchdränge, und ihr Inneres durchleuchtete. Seitdem war sie innerlich eine andere geworden, und der Ton ihres Lebens war für immer gefunden. Athanasia war übrigens die Tochter adelicher und reichbegüterter Eltern, des Nicetas und der Irene, und auf der Insel Aegina im Anfang des 9ten Jahrhunderts geboren. Die Welt und das Leben lachten ihr entgegen, wie weite, glänzende, reiche Auen, aber sie hatten dennoch für sie die Anziehungskraft verloren,| und ihr Auge hieng mehr am Himmel, als an der Erde. Sie hatte daher auch keine Lust, sich zu vermählen, und würde sich sehr frühzeitig der klösterlichen Einsamkeit übergeben haben, wenn ihre Eltern nicht widerstrebt hätten. Auf deren Gebot verheirathete sie sich zuerst an einen Kriegsobersten, der aber sechszehn Tage nach der Hochzeit in einem Kampfe gegen afrikanische Saracenen das Leben verlor. Nun glaubte sie ihrer Neigung folgen zu dürfen; aber ihre Eltern befahlen ihr eine zweite Heirath, und so schien ihr das Ziel weit hinausgerückt. Doch schien es nur, denn ihr zweiter Gatte hatte Einen Sinn mit ihr. Ehe sie selbst es beantragte, zog er sich mit ihrer Zustimmung von dem ehelichen Leben zurück, und sie hatte daher nur seinem Beispiele zu folgen. Sie verkaufte, was sie hatte und widmete ihr Haus zu einem Sammelpunkte gleichgesinnter Frauen, die in Abgeschiedenheit vom öffentlichen und äußeren Leben unter ihrer Führung der Andacht und seligen Stille pflegen wollten. Doch schien auch diese Abgeschiedenheit für sie nicht hinreichend, und sie gründete daher nach empfangenem Rathe in einer entfernteren Gegend ein Kloster, welches den Namen Timia empfieng. Hier starb sie| am 14. oder 15. August 860. Ihr Leben ist ein Rückzug aus der Welt in die Stille, eine standhafte Bemühung, das als höchstes Glück in der Zeit zu suchen, was von andern als Unglück und Langeweile des Lebens geflohen wird, nemlich die tiefe, abgeschiedene Stille. Der Betrachtung einer andern Welt zugekehrt, fand sie den Glanz derselben so reizend und anziehend, daß sie nur von ihm und für ihn leben wollte. Unthätig war sie deshalb nicht; in jenen alten Zeiten wußte man gar wohl, daß die niederen Kräfte beschäftigt sein müßen, wenn der Flug der höheren Kräfte zur Ewigkeit recht gedeihen soll. Aber allerdings das innerlich stille abgeschiedene Leben, welches man damals mit Recht so hoch schätzte, war auch von Athanasia geschätzt und gesucht, und wer sie deshalb tadeln will, der muß, um nicht ungerecht zu sein, vor allen Dingen mit ihr eins werden in dem, worin sie Recht hat. Hat man jenesmal die Abgeschiedenheit und Stille des Gemüthes zu hoch geachtet, so achten wir sie jetzt ohne Zweifel zu gering. Wir misachten, was wir nicht kennen, denn wir kennen allerdings den Segen und das Glück eines stillen innerlichen Lebens nicht, weil wir es nie gehabt und nie geübt| haben; denn das ist gewislich wahr, daß nur die eigene Erfahrung die richtige Beurtheilung einer Erfahrungssache lehren kann. Wollen wir daher gegenüber Athanasia und andern Recht behalten, so müßen wir ihr erst in einem gewissen Maße ähnlich werden. Sehr häufig haben wir die bestimmteste Einladung Gottes zur Einsamkeit und Stille, nemlich durch unverkennbare, ja unvermeidliche Fügungen; wir sollten ihnen folgen und das Glück der Stille ergreifen; kein Mensch könnte sagen, daß wir damit selbsterwählte Wege giengen; jedermann würde es für Tugend erkennen. Dennoch widerstreben wir auch dann, nichts weniger wollen wir erkennen, als die Einladung Gottes zur stillen Ruhe der Seelen. Unsere Gedanken mögen sich aus der Mannigfaltigkeit zur reichen Einheit nicht sammeln laßen, und wir gehen lieber in selbsterwählter Zerstreuung hin bis in den Tod, als in gottgewollter Sammlung. Damit sind wir aber auch gestraft, wie sich’s gebührt; unsere Strafe liegt, wie in tausend anderen Fällen, in unserer eigenen Wahl.




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