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XL.
12. August.
Clara,
Jungfrau, Aebtissin.


 In allen lutherischen Kalendern findet man das Gedächtnis der Ordensstifter, sogenannten Bettelmönche, des Franziskus von Assisi und des Dominikus, eingezeichnet. Es erweist sich dadurch der gesunde Sinn der lutherischen Kirche, vermöge deßen sie die Fremdartigkeit der Erscheinung überwinden und das Gute und Große an jenen Männern anerkennen konnte. Derselbe gesunde Sinn ist es auch, welcher der Freundin des Franziskus von Assisi, der Aebtissin Clara von Assisi, ihren Platz im protestantischen Kalender trotz alles deßen gesichert hat, was man als Irrthum und Abweg der mittelalterlichen Kirche bezeichnen muß. Die Leserin laße sich’s gefallen, eine kurze Summe des Lebens der Aebtissin Clara von Assisi kennen zu lernen.

 Clara wurde in der mehrgenannten Stadt im| Jahre 1194 von Hortulana von Assisi, der Gemahlin des Phavorino Sciffo, geboren. – Nach den Jahren ihrer ersten Jugend hörte sie einmal den heiligen Franziskus von Assisi reden, und wurde von seinen Worten so sehr ergriffen, daß sie von Stund an wußte, welchen Lebensweg sie zu betreten hätte. Am 18. März 1212, also in ihrem 18. Jahre, verließ sie im Feierkleide, von gleichgesinnten Jungfrauen umgeben, ihr elterliches Haus und gieng in das Kloster Portiuncula zu Franziskus, aus deßen Händen sie das Bußgewand empfieng und von dem sie sofort in das Kloster der Benediktinerinnen von St. Paul in Assisi geführt wurde, da in jener Zeit noch kein eigenes Nonnenkloster des Franziskus bestand. So war nun Clara allerdings Nonne, aber ohne Einwilligung ihrer Eltern und Verwandten, mit denen sie erst harte Kämpfe zu bestehen hatte, bis sie ruhig ihrer Neigung leben durfte. Nachdem sie aber Ruhe gefunden, entwickelte sich in der Stille der Betrachtung auch ihre Kraft und Gabe zum Wirken nach außen hin. Sie hatte bereits das Kloster St. Angelus von Panso bezogen, als sie von da aus den Orden der armen Clarissen stiftete. Dieser Orden breitete sich in| wenigen Jahren über ganz Italien und Deutschland aus; die Töchter aller Stände, auch der höchsten, freuten sich, unter einer Oberin, wie Clara, gemeinsam zu leben, zu beten und zu arbeiten. Clara hatte die große Freude, daß allmählich auch ihre Schwestern und ihre Mutter sich ihr zu gemeinschaftlichem Leben anschloßen. Sie selbst war auf das eifrigste beflißen, allen ihren Genoßinnen voranzugehen in Weltentsagung, Armuth und Arbeit; sie hatte es recht eigentlich darauf abgesehen, unter den Geringen die Geringste zu sein. Ihr Schlaf dauerte nur wenige Stunden, ihre Bette war ein Sack mit dürrem Rebenholz, ihr Kopfkissen ein Holzblock, ihr Kleid ein rauh härenes Gewand, ihre Fußbekleidung keine. Oefters krank pflegte sie auch in ihrem Bette zu arbeiten, besonders zu spinnen. Sie spann und bereitete ganz feine Leinwand zu fünfzig Paar Corporalien, welche sie in Beuteln von Seide und Purpur den armen Kirchen in den Thälern von Spoleto und jenen in den Gebirgen Asiens sandte. Sie war eine berühmte Beterin, die oft merkwürdig erhört wurde. Einst in der Christnacht, tief betrübt daß sie sich Krankheits wegen den Lobgesängen nicht anschließen konnte, rief| sie den HErrn um ihr bescheidenes Theil der Weihnachtsfreuden an, und siehe, da wurde ihr das Ohr geöffnet, daß sie den fernen Gesang der feiernden Chöre seliglich vernehmen konnte, als säße sie mitten unter ihnen. Ein andermal stürmten die Saracenen Kaiser Friderichs II., welche die Gegend überschwemmten, herzu, Assisi und den Aufenthalt der Nonnen zu verderben. Da rief sie den HErrn an, und der HErr erhörte sie, daß ein Schrecken Gottes über die Schaaren kam, wie über das Heer Sanheribs, und sie sich eilends von der Stadt Assisi entfernten. Die Herzen derer, welche die Frömmigkeit, wie sie in jenen Tagen sich erwies, hochschätzten, wurden durch so viel Tugend und Gnade angezogen; auch Papst Gregor IX. war Clara’s Freund. Ihm kam die Armuth und Kasteiung Clara’s und ihrer Nonnen gar zu drückend und lästig vor, so daß er ihr in einem Gespräche mit ihr die Entbindung des Ordens von dem Allzuharten in seiner Regel antrug. Clara bat aber nur um Entbindung von ihren Sünden, weigerte sich jedoch standhaft, die Entbindung von irgend einem Theile ihrer Regel anzunehmen. Gregor IX. wollte dem Kloster St. Damian Einkünfte zuweisen, da ja doch die Nonnen nicht| wie die Franziskanermönche herumgehen und ihre Nothdurft betteln, und doch herbe Tage des Mangels eintreten konnten, wenn die armen Klosterjungfrauen rein der Erinnerung freiwilliger Christenliebe überlaßen blieben. Aber auch davon mochte Clara mit den Ihrigen nichts wißen; im Gegentheil reichte sie hernach bei Innocenz IV. eine Bitte ein, ihren Orden bei dem besonderen Vorrechte der evangelischen Armuth allezeit zu schützen. Kann man nun auch gleich die strenge Entsagung, da sie von Gott nicht erfordert, sondern selbsterwählt war, so hoch nicht anschlagen, wie das Mittelalter und heutzutage noch die römische Kirche: so muß man doch gestehen, daß eine bedeutende Kraft der Seele dazu gehört, ein solches Leben durchzuführen bis ans Ende, und daß noch mehr dazu gehört, um ein solches Leben für Glück zu achten und dabei ein gesalbtes Angesicht der Welt entgegen zu tragen. Die so etwas beurtheilen oder gar verurtheilen wollen, sollten zu allererst wenigstens lernen, in gleichem Frieden und mit gleicher Freude, wie Clara und die Ihrigen, die nicht selbsterwählten, sondern von Gott auferlegten Entbehrungen und Leiden des Lebens zu tragen. – Clara wurde bei diesem Leben 60 Jahre| alt, denn sie starb am 12[.] August 1253. Innocenz IV. besuchte sie auf ihrem Sterbelager und erfreute sie durch die Absolution ihrer Sünden. Während sie auf ihre letzten Athemzüge wartete, ließ sie sich die Leidensgeschichte Jesu vorlesen, um mit dem besten Trost zu sterben. Ihre jüngere Schwester Agnes, welche zu Florenz Aebtissin war, wollte von der Sterbenden erbeten haben, daß sie mit ihr stürbe. Clara tröstete sie aber mit der Verkündigung eines baldigen sanften Todes. Mit ihrem Gewißensrathe unterhielt sie sich in heiterem Tone, und fragte ihn zum Beispiel, ob er ihr nichts neues von Gott zu sagen wiße. Sie sprach auch fröhlich mit ihrer Seele: „Gehe hin, sagte sie, meine Seele, dein Weg ist sicher. Du hast einen guten Führer auf deiner Reise; dein Schöpfer hat dich geheiligt und über dir stets in der Liebe, wie eine Mutter für ihren Säugling, gewacht.“ Da eine ihrer Schwestern, welche ihre Worte nicht verstanden hatte, fragte, was sie denn eigentlich wünschte, sagte sie: „Ich spreche mit meiner überglücklichen Seele.“ Zuletzt sprach sie zu ihrer Schwester Agnes: „O meine Tochter, siehest du nicht den König der Ehren?“ Da sah auch Agnes: nemlich einen Feierzug leuchtender| und gekrönter Jungfrauen, deren Führerin Clara nahte, welche in der Umarmung der himmlischen Gestalt ihren Geist aufgab. So starb Clara. Ihr Lebensgang gleicht einer geraden Straße, an deren Ende man das Ziel erblickt, – auf welcher der Wanderer rastlos, unermüdet, treu seinem Vorhaben dahingeht, ohne sich umzusehen, bis er sein Ziel erreicht hat.




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