Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Stötteritz

Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Stötteritz
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aus: Leipziger Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band I, Seite 145–146
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Stötteritz.


Stötteritz liegt ½ bis ¾ Stunde östlich von Leipzig, auf einer fast von allen Seiten allmälig ansteigenden Fläche, von 430 bis 470 Pariser Fuss über der Meeresfläche (d. i. gegen 60 Ellen über den Spiegel der Pleisse) in einer nichts weniger als reizenden Gegend, die jedoch eine weite Aussicht zeigt.

Der Ort gehörte vor der neuen Gerichtsorganisation, mit Ausnahme des früheren Leipziger Amts-Antheils, zu den beiden hiesigen hübschen Rittergütern, deren eins durch den ehemaligen Besitz des Dichters und Kinderfreundes C. F. Weisse, das andere durch den Besitz des grossen Jenaischen Philologen Eichstädt berühmt ist.

Das, was man hier in der Abbildung sieht, ist das des früheren Kinderfreundes C. F. Weisse zugehörig gewesene Gut. Es steht nordwestlich vom Gute des Prof. Eichstädt in Jena, dessen Besitzung in der Mitte des Orts liegt. Beide Rittergüter sind nur von mittlerer Stärke und haben angenehme Gärten und kleine, aber gefällige Herrenhäuser. Beide Güter haben, ausser der Wirthschaft, nur wenig Intraden.

Auf dem Gute, dem unsere Beschreibung gilt, verlebte Christian Felix Weisse die angenehmsten Stunden seines Alters und viele seiner Geistesprodukte gingen von Stötteritz aus, zur Belehrung, Aufheiterung und Veredlung des jugendlichen sowohl, als des reifen Alters, durch ganz Deutschland.

Von Christian Felix Weisse kam das Gut an dessen Sohn, den Oberhofgerichtsrath und Prof. Weisse. Nach dem Tode des Letztern haben seine Erben Stötteritz eine Zeit lang gemeinschaftlich besessen, bis es aus dem Erbe der derzeitige Besitzer, Herr Prof. der Philosophie und Doctor der Theologie, Christian Herrmann Weisse, übernahm.

Stötteritz ist das grösste und bevölkertste, aber nicht eben das wohlhabendste Dorf des Leipziger Kreises. Seine Einwohner nähren sich grösstentheils als Handlanger und Fabrikarbeiter in Leipzig; die wenigen Felder, die sie besitzen, werden meist zum Anbau von Küchenkräutern, Tabak und Kartoffeln verwendet.

Der Tabakbau war früher hier ein Haupterwerbszweig, geht jedoch jedes Jahr mehr zurück, indem alle Versuche im Grossen aufgegeben worden sind und nur die kleinen Besitzer sich noch mit der Kultur dieser Pflanze abgeben. Wenn man sonst jährlich den Ertrag der Tabaksernte auf 10,000 Centner berechnen konnte, so dürfte jetzt höchstens noch der zehnte Theil dieser Summe erbaut werden.

Von den Weisseschen Anlagen aus hat man eine recht freundliche Aussicht bis nach dem Petersberge bei Halle und dem Merseburger Schlosse.

Die Bauart des Dorfes selbst ist die eines kleinen Landstädtchens mit einzelnen Gassen. Mehre Villen von Leipzigs Bürgern und einige Vergnügungsorte zeichnen sich unter den Gebäuden aus. Von letzteren wird von den niedern Ständen die ehemalige Papiermühle – deren Gezeug durch eine holländische Windmühle (nach der Erfindung des in Dresden verstorbenen Papiermüllers Schuchard, dessen Papier-Windmühle bei Dresden im 7jährigen Kriege verbrannte) getrieben wurde, die aber durch einen Brand 1809 ihr baldiges Ende erreichte – am westlichen Dorfeingange am meisten besucht; doch ist die Schänke in der Mitte des Dorfes mit ihren vielen kleinen Lauben fast nicht minder beliebt.

Stötteritz ist der Geburtsort des Professors Eucharius Gottlieb Rink, welcher 1670 geboren, von 1707 an bis zu seinem Tode im Jahre 1745 in Altorf die Rechte lehrte und sich besonders um die historischen Hülfswissenschaften verdient machte. Er besass auch ein gutes Münzcabinet.

Im Jahre 1546 vom 7. bis 27. Januar diente der Ort dem Kurfürsten Johann Friedrich zum Hauptquartier, als er Leipzig belagerte, und im Jahre 1642 bei der Belagerung Leipzigs durch General Torstensohn hatte letzterer seinen Sitz ebenfalls hier.

Bei der grossen Völkerschlacht im Jahre 1813 stand hier der linke Flügel der französischen Armee, welchen die Garden und Cavallerie-Reserven bildeten. Vom 17. zum 18. October stand Stötteritz mit den Dörfern Probsthaida, Holzhausen und Schönfeld in Flammen.

Der beabsichtigte Angriff auf Stötteritz Seiten der verbündeten Mächte gelang wegen der hier concentrirten Macht der französischen Truppen nicht. Das Gefecht beschränkte sich hier bis zum Abende auf eine Kanonade. In der Nacht wurde schon der Rückzug der Franzosen angeordnet und solcher in aller Stille angetreten, so dass der Feind nicht das Geringste davon merkte.

Die Kirche in Stötteritz, ein gefälliges Gebäude, doch fast zu klein für die Gemeinde, steht fast mitten im Dorfe und ist das Filial von Baalsdorf, ¾ Stunden östlich von hier entlegen. In früheren Jahren versah [146] auch der Baalsdorfer Schulmeister zugleich die hiesige Schule – ein Uebelstand, den die Gerichtsherren von Stötteritz abzuhelfen suchten und eine besondere Schule fundirten. Den Begründern dieser Schule muss die Mit- und Nachwelt ihren Dank dafür zollen; denn es kann nur zum Segen gereichen, wenn die Kindheit vor den Gefahren der Immoralität auf alle mögliche Weise beschützt und behütet wird.

Baalsdorf liegt zwischen den Dörfern Engelsdorf, Hirschfeld, Holzhausen und Zweinaundorf. Der Ort gehörte in früheren Zeiten der Nicolaikirche zu Leipzig, mit welcher es durch die Freigebigkeit Markgraf Dietrichs 1213 wahrscheinlich mit dem Kirchenpatronate an das neugestiftete Thomaskloster in Leipzig kam. In den über diese Schenkungen ausgefertigten Urkunden wird der Ort Boldwinsdorf genannt. Der eigentliche Name war Balduinsdorf, von einem gewissen Balduin, der sich nach Unterjochung der Sorben hier zuerst niederliess und den Grund zum Dorfe legte.

Baalsdorf war ein ehemaliges Klostergut, welches im Jahre 1543 der Leipziger Rath, nebst mehreren andern in der Umgegend liegenden Ortschaften, erkaufte, in den Zeiten des 30jährigen Krieges aber veräussern musste.

Die Collatur über die Pfarre zu Baalsdorf steht dem Rittergute Belgershain zu.

Stötteritz mit seinen beiden Rittergütern gehört jetzt zum Gerichtsamt Leipzig I., zum Bezirksgericht Leipzig, zur Amtshauptmannschaft Borna, zum Regierungsbezirk Leipzig, und zwar im Ganzen mit 204 bewohnten Gebäuden, mit 716 Familienhaushaltungen und mit 2950 Einwohnern.

In geringer Entfernung von Stötteritz am Connewitz–Stötteritzer Wege, einige 100 Schritt vom Thonberg entfernt, stand die frühere Quandt’sche Tabaksmühle oder sogenannte holländische Windmühle, welche dadurch historische Merkwürdigkeit erlangt hat, dass sie am 18. October als dem Hauptschlachttag, Napoleons Hauptquartier bildete, von wo aus er fast nach allen Seiten hin die Armeebewegungen leitete und überschaute. Noch in der folgenden Nacht wurde die eigentliche Windmühle durch die Franzosen zum Gerippe gemacht und in den nächsten Tagen vom losen Volke vollends rasirt und zum Theil als Brennholz in Leipzig verhandelt. Sehr nahe bei dieser sogenannten Tabaksmühle ist der berühmte Gesundbrunnen, welcher früher am Johannistage vor Sonnenaufgang als Wallfahrtsort benutzt wurde. Die Wallfahrten wurden später als eine Art Lustpartien fortgesetzt, und da häufig Unfug dabei vorfiel, so verbot der Stadtrath vor mehreren Jahren gänzlich das Oeffnen des Brunnens am Johannis-Morgen.

Höchst wahrscheinlich schrieb sich diese Sitte aus der vorlutherischen Zeit von einem Wallfahrtsorte Olschwitz her, der zwischen Connewitz und dem Thonberge lag und in der nun längst eingegangenen Kreuzkirche eine wunderthätige Nachbildung des Grabes Christi enthielt.

Die in der ehemaligen Sandgrube bei Leipzig im Jahre 1803 aufgefundenen thönernen Röhren lassen vermuthen, dass dieser Brunnen früher durch ein Röhrenlager sein Wasser in das Nonnenkloster der Marienmägde zu Leipzig gesendet hat, wovon auch der in früheren Zeiten vorgekommene Name des Brunnens „Mariabrunnen“ herzuleiten ist.

Uebrigens knüpft sich hieran die Sage, dass der unterirdische Gang, welcher im Paulinum anhebt und schon längst nicht mehr zu passiren ist, bei diesem Johannis- oder Gesundbrunnen sein Ende erreicht hat. Sonach würde er volle Dreiviertelstunden lang gewesen sein.

Nicht unerwähnt kann hier der ⅛ Stunde von Stötteritz an der Grimmaischen Strasse gelegene „Thonberg“ bleiben, ein grosses, von dem Leipziger Rathe im Jahre 1719 für 19,000 Thaler erkauftes Vorwerk. Es ist, wie die Papiermühle in Stötteritz, ebenfalls ein häufig besuchter Vergnügungsort der untern Stände Leipzigs. In alten Urkunden heisst dieses Vorwerk auch Uebelessen.

Die Erzählung, dass dieser Name durch die Worte eines die Stadt belagernden Feldherrn herstamme, dem eine Kanonenkugel beim Essen den Teller vom Tische weggenommen und der ganz ruhig gesagt haben soll: „Ei hier ist doch gar übel essen, lieber nach Wolkwitz, wird um so mehr zur Fabel, wenn man bedenkt, dass schon vor der ersten Belagerung Leipzigs durch Johann Friedrich im Jahre 1547 diese Benennung schon im Jahre 1539 vorkommt.

Von Thonberg aus hat man Stötteritz in seiner ganzen Ausdehnung vor sich liegen und die sehr belebte Grimmaische Strasse mit ihren Nebenwegen nach Stötteritz und andern Orten gewährt in schöner Jahreszeit von hier aus viel Unterhaltung.

Gewöhnlich wird der Thonberg von Leipzig aus von den Spatziergängern als Ruhepunkt benutzt und dann weiter gewandert zur Papiermühle in Stötteritz oder zur Schänke im Dorfe von Stötteritz. Denn mit einem Orte begnügt sich der Leipziger am Sonntage nicht.

Dem Thonberge gegenüber auf dem Fahrwege von Stötteritz und beim Eingange des Dorfes befindet sich die seit einigen Jahren erbaute Schänkwirthschaft zum Mariabrunnen, welche aber zu der daneben befindlichen Irrenanstalt des Herrn Dr. Günz acquirirt worden ist.

M. G.