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auch der Baalsdorfer Schulmeister zugleich die hiesige Schule – ein Uebelstand, den die Gerichtsherren von Stötteritz abzuhelfen suchten und eine besondere Schule fundirten. Den Begründern dieser Schule muss die Mit- und Nachwelt ihren Dank dafür zollen; denn es kann nur zum Segen gereichen, wenn die Kindheit vor den Gefahren der Immoralität auf alle mögliche Weise beschützt und behütet wird.

Baalsdorf liegt zwischen den Dörfern Engelsdorf, Hirschfeld, Holzhausen und Zweinaundorf. Der Ort gehörte in früheren Zeiten der Nicolaikirche zu Leipzig, mit welcher es durch die Freigebigkeit Markgraf Dietrichs 1213 wahrscheinlich mit dem Kirchenpatronate an das neugestiftete Thomaskloster in Leipzig kam. In den über diese Schenkungen ausgefertigten Urkunden wird der Ort Boldwinsdorf genannt. Der eigentliche Name war Balduinsdorf, von einem gewissen Balduin, der sich nach Unterjochung der Sorben hier zuerst niederliess und den Grund zum Dorfe legte.

Baalsdorf war ein ehemaliges Klostergut, welches im Jahre 1543 der Leipziger Rath, nebst mehreren andern in der Umgegend liegenden Ortschaften, erkaufte, in den Zeiten des 30jährigen Krieges aber veräussern musste.

Die Collatur über die Pfarre zu Baalsdorf steht dem Rittergute Belgershain zu.

Stötteritz mit seinen beiden Rittergütern gehört jetzt zum Gerichtsamt Leipzig I., zum Bezirksgericht Leipzig, zur Amtshauptmannschaft Borna, zum Regierungsbezirk Leipzig, und zwar im Ganzen mit 204 bewohnten Gebäuden, mit 716 Familienhaushaltungen und mit 2950 Einwohnern.

In geringer Entfernung von Stötteritz am Connewitz–Stötteritzer Wege, einige 100 Schritt vom Thonberg entfernt, stand die frühere Quandt’sche Tabaksmühle oder sogenannte holländische Windmühle, welche dadurch historische Merkwürdigkeit erlangt hat, dass sie am 18. October als dem Hauptschlachttag, Napoleons Hauptquartier bildete, von wo aus er fast nach allen Seiten hin die Armeebewegungen leitete und überschaute. Noch in der folgenden Nacht wurde die eigentliche Windmühle durch die Franzosen zum Gerippe gemacht und in den nächsten Tagen vom losen Volke vollends rasirt und zum Theil als Brennholz in Leipzig verhandelt. Sehr nahe bei dieser sogenannten Tabaksmühle ist der berühmte Gesundbrunnen, welcher früher am Johannistage vor Sonnenaufgang als Wallfahrtsort benutzt wurde. Die Wallfahrten wurden später als eine Art Lustpartien fortgesetzt, und da häufig Unfug dabei vorfiel, so verbot der Stadtrath vor mehreren Jahren gänzlich das Oeffnen des Brunnens am Johannis-Morgen.

Höchst wahrscheinlich schrieb sich diese Sitte aus der vorlutherischen Zeit von einem Wallfahrtsorte Olschwitz her, der zwischen Connewitz und dem Thonberge lag und in der nun längst eingegangenen Kreuzkirche eine wunderthätige Nachbildung des Grabes Christi enthielt.

Die in der ehemaligen Sandgrube bei Leipzig im Jahre 1803 aufgefundenen thönernen Röhren lassen vermuthen, dass dieser Brunnen früher durch ein Röhrenlager sein Wasser in das Nonnenkloster der Marienmägde zu Leipzig gesendet hat, wovon auch der in früheren Zeiten vorgekommene Name des Brunnens „Mariabrunnen“ herzuleiten ist.

Uebrigens knüpft sich hieran die Sage, dass der unterirdische Gang, welcher im Paulinum anhebt und schon längst nicht mehr zu passiren ist, bei diesem Johannis- oder Gesundbrunnen sein Ende erreicht hat. Sonach würde er volle Dreiviertelstunden lang gewesen sein.

Nicht unerwähnt kann hier der ⅛ Stunde von Stötteritz an der Grimmaischen Strasse gelegene „Thonberg“ bleiben, ein grosses, von dem Leipziger Rathe im Jahre 1719 für 19,000 Thaler erkauftes Vorwerk. Es ist, wie die Papiermühle in Stötteritz, ebenfalls ein häufig besuchter Vergnügungsort der untern Stände Leipzigs. In alten Urkunden heisst dieses Vorwerk auch Uebelessen.

Die Erzählung, dass dieser Name durch die Worte eines die Stadt belagernden Feldherrn herstamme, dem eine Kanonenkugel beim Essen den Teller vom Tische weggenommen und der ganz ruhig gesagt haben soll: „Ei hier ist doch gar übel essen, lieber nach Wolkwitz, wird um so mehr zur Fabel, wenn man bedenkt, dass schon vor der ersten Belagerung Leipzigs durch Johann Friedrich im Jahre 1547 diese Benennung schon im Jahre 1539 vorkommt.

Von Thonberg aus hat man Stötteritz in seiner ganzen Ausdehnung vor sich liegen und die sehr belebte Grimmaische Strasse mit ihren Nebenwegen nach Stötteritz und andern Orten gewährt in schöner Jahreszeit von hier aus viel Unterhaltung.

Gewöhnlich wird der Thonberg von Leipzig aus von den Spatziergängern als Ruhepunkt benutzt und dann weiter gewandert zur Papiermühle in Stötteritz oder zur Schänke im Dorfe von Stötteritz. Denn mit einem Orte begnügt sich der Leipziger am Sonntage nicht.

Dem Thonberge gegenüber auf dem Fahrwege von Stötteritz und beim Eingange des Dorfes befindet sich die seit einigen Jahren erbaute Schänkwirthschaft zum Mariabrunnen, welche aber zu der daneben befindlichen Irrenanstalt des Herrn Dr. Günz acquirirt worden ist.

M. G.     



Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen I. Section. Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser, Leipzig 1860, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_I.djvu/226&oldid=- (Version vom 7.1.2019)