Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Die Pleissenburg
Mit der weltberühmten Stadt Leipzig – deren ursprünglich wendischer Name Lipsik, Lindendorf, Lindenbusch bedeutet und welche deshalb auch Philarea genannt wird – in engster Verbindung steht das Schloss Pleissenburg: Wer die Stadt Leipzig nennt, wird unwillkührlich an die Pleissenburg erinnert, und wer das Schloss Pleissenburg ausspricht, der denkt gewiss zugleich auch an Leipzig. Eins ist mit dem andern enger verwebt und verbunden.
Die Pleissenburg vor dem Petersthore gehörte ursprünglich zu den Schlössern, welche Diedrich der Bedrängte nach Beendigung seiner Fahrten mit den Bewohnern von Leipzig zu seiner Sicherheit dort errichtet hatte und befand sich damals an einer dem Ufer des Flusses, von der sie den Namen hat, nähere Stelle.
Im Jahre 1546 wurde sie von Kurfürst Moritz, der dieselbe in weiterem Umfange befestigen wollte, für die Summe von 64,000 Gulden, die in 8jährigen Raten entrichtet werden sollten, dem Leipziger Rath überlassen; im nächstfolgenden Jahre aber durch eine von Kurf. Johann Friedrich unternommenen Belagerung fast gänzlich zerstört.
Seit den Jahren 1549–1551 erhielt sie ihre jetzige Gestalt durch den Baumeister Hieronimus Lotter und zwar nach dem Style der Citadelle in Mailand.
Auf die innere Ausstattung verwendete Kurfürst August im Jahre 1551 über eine Tonne Goldes.
Im dreissigjährigen Kriege bemächtigte sich ihrer Tilly und später Holk und ihr damaliger Kommandant, den man der Feigheit und Ueberschreitung seiner Vollmachten beschuldigte, wurde enthauptet. Nach der von Holken schwer erfolgten Belagerung wurde sie unter Georg II. und III. wieder ausgebessert.
Seit dieser Zeit, wo sie einen besondern Kommandanten nicht mehr hatte, ist ihr Kommando dem jedesmaligen Gouverneur von Leipzig übertragen worden.
In den Kriegen mit Karl XII. und Friedrich II. besiegten feindliche Truppen dieselbe ohne Widerstand.
Im Jahre 1764 hörte ihre frühere Bestimmung als Festung gänzlich auf und der vormalige Burggraben wurde in Gärten und parkartige Anlagen umgestaltet. Die beiden Brücken aber, welche sonst das Schloss mit der Stadt und Vorstadt in Verbindung setzten, verwandelte man im Jahre 1774 in Erddämme.
Von der Stadtseite der Pleissenburg erblickt man einen starken, [203] massiven viereckigen Bau, der von seiner frühern Bestimmung her den Namen „Trotzer“ erhalten hat.
Im Eingang desselben, den vormals 3 eiserne Thüren verschlossen, befindet sich die Wachstube der hiesigen Garnison, während früher nur eine Schlosswache da war.
Während des siebenjährigen Krieges lies der Jude Ephraim mit Bewilligung Friedrichs II. die unter dem Namen Ephraemiten bekannten äusserst schlechten und später verrufenen Münzen in den Gewölben des Trotzers prägen.
Die grossen Dachbodenräume des Gebäudes werden zu Niederlagen und Magazinen benutzt. Die beiden 3 Stockwerke hohen Seitenflügel desselben enthalten Getreideböden u. s. w. Zwei viereckige mit den Flügeln in den Hof vorspringende Thürme enthielten früher Gefängnisse.
Dem Trotzer schief gegenüber liegt das grosse Thurmgebäude, das sich auf der Südseite mit dem Schlossthurme verbindet.
Im Erdgeschoss war sonst die zum Gottesdienste der Katholiken bestimmte Hofcapelle, welche seit Erbauung der katholischen Kirche nicht mehr benutzt wird.
Noch umfasst das untere Geschoss jenes Gebäudes den mit einem Deckengewölbe von Oeser verzierten Versammlungssaal der ökonomischen Societät.
Die vormals das zweite Stockwerk einnehmende Wohnung des Schlosshauptmanns enthielt die Zimmer für die bei der katholischen Kapelle angestellten vier Geistlichen, und das dritte Stockwerk erhielt vom Jahre 1835 bis zur Erbauung des neuen Postgebäudes die Zimmer für die Kreisdirection. In dem über 100 Ellen hohen Schlossthurme hielt die hiesige öconomische Societät ihre Sitzungen, deren Versammlungssaal mit einem Deckengemälde von Oeser geziert ist.
Die Spitze des Thurmes, bei dessen Abtragung man interessante Manuscripte über die Erbauung der Pleissenburg fand, hat der König Friedrich August der Gerechte in den Jahren 1787 bis 1790 in eine Sternwarte verwandeln lassen, welcher er auch die nöthigen Instrumente z. B. einen ganzen Kreis von Prougthon, eine Secundenuhr von Willamy, theils kaufte, theils schenkte. Ueberhaupt kostete die Einrichtung dieser Sternwarte der Regierung über 10,000 Thlr., ungerechnet 2000 Thaler, die der Fürst zum Ankaufe nöthiger Bücher und die 3500 Thlr., die er zum Bau der Wohnungen für die dabei angestellten Personen gab. Im Jahre 1794 erfolgte die Ueberlassung der Sternwarte an die Universität.
Eine Freitreppe führt bis ins 6. Stockwerk zu einem grossen Saale mit 8 Ausgängen, umgeben von einer breiten, mit Geländer versehenen Gallerie, und 6 kleinen, zu Instrumenten bestimmten Kabinets, aus welchen das Dach geöffnet werden kann.
Ueber dem grossen Saal ist ein kleiner und über diesem befindet sich die Plattforme der Sternwarte, in deren Mitte eine runde Oeffnung von 2 Ellen Durchmesser, von dem Hauptsaal die Aussicht nach dem Firmamente gewährt.
Zwei Zimmer neben dem Thurm dienen zur Bibliothek und zur Instrumentensammlung, ein drittes benutzt man zu Vorlesungen.
Der zu Baden im Jahre 1806 verstorbene Sächs. Gesandte Graf von Brühl schenkte der Sternwarte seine Instrumentensammlung und starke Biblibliothek, an denen er 40 Jahre lang gesammelt hatte. Schon vom Jahre 1789 existirte ein Vermächtniss von 2000 Thlr., welches der Landkammerrath Kregel von Sternbach legirt hatte.
Diese Anstalt hat einen Ruhm erlangt, die nicht allein durch alle deutsche Gauen, sondern auch über dieselben weit hinaus sich verbreitet hat. Ihr Werth der wissenschaftlichen Leistungen, durch welche sich die an ihnen gestellten Observatoren bekannt gemacht haben, ist ausgezeichnet.
Das Erdgeschoss der zu beiden Seiten sich erstreckenden Flügelgebäude des Thurmes enthält mehrere Expeditionen, sowie das chemische Laboratorium des Professor der Chemie.
In den obern Stockwerken befinden sich jetzt die beiden Gerichtsämter, in welche die umliegenden benachbarten starken Dörfer gewiesen sind.
Beim Eingange in das Schloss von der Burgstrasse befindet sich die Caserne der hier garnisonirenden Schützen.
Mit diesem Schlosse stehen eine Reihe geschichtlicher Begebenheiten in Verbindung.
Hier wurden 1288, 1290, 1350, 1428 und 1435 mehre wichtige Landtage gehalten. Die Landtage in den Jahren 1438 und 1445 dienten zur Aussöhnung der durch die Landestheilung uneinig gewordenen Brüder Friedrichs des Sanftmüthigen und Herzog Wilhelm.
Auf dem Landtage des Jahres 1499 wurden Gelder zum Friesländischen Kriege bewilligt, auf dem von 1537 setzte Herzog Georg, seines blödsinnigen Sohnes wegen, auf seinen Todesfall eine Regentschaft nieder und im Jahre 1620 errichtete man das Defensionswerk.
Auch in den Jahren 1446, 1454, 1469, 1487, 1495, 1504, 1509, 1516, 1523, 1529, 1534, 1538, 1540, 1541, 1547, 1548, 1553, 1620 und 1706 wurden hier Landtage gehalten.
[204] Den letztgenannten hielt Karl XII. zur Bestimmung seiner Forderungen an Sachsen, die erst auf alle Einkünfte sich erstreckten, dann aber auf 623000 Thaler monatlich sich beschränkten. Uebrigens waren Tilgung der Landesschulden, Krieg- und Religionsangelegenheiten die drei Hauptpunkte der meisten Landtage.
Hier vermählte sich die Schwester Ludwig IV. von Thüringen mit Peppo von Henneberg, hier theilte dessen Sohn Heinrich der Erlauchte seine Länder und hier erfolgte im Jahre 1485 auch die Theilung der von Kurfürst Ernst und dem Herzog Albert ererbten Besitzungen.
Hier hielten vom 28. Juni bis 16. Juli 1519 in der sogenannten grossen Hofstube Dr. Luther und Karlstadt mit dem Dr. Eck jene bedeutende und die Begründung der evangelischen Lehre wirksam befördernde Disputation, welche statt Luthern, wie es sein Gegner verkündet hatte, zum Schweigen zu bringen, die Wahrheit seiner Lehrsätze nur um desto siegreicher bewährte. Hier predigte Luther im Jahre 1519 vor seinen eifrigsten Widersachern dem Herzog Georg dem Bärtigen und zwanzig Jahre später vor einem seinen innigsten Verehrer und Freunde, dem Herzog Heinrich dem Frommen.
Der Pleissenburg bediente man sich oft auch als eines Staatsgefängnisses.
Die Gewölbe des Trotzers waren einst so furchtbar berühmt, als die Jupen zu Rochlitz, und die Folterkammern zu Hohnstein und Stolpen.
Hier bewahrte man unter andern im Jahre 1514 die des Kalvinismus verdächtigen M. Schütz, Dr. Peucer und Dr. Cracau, welcher letztere an den Folgen der Folter am 16. März 1575 auf diesem Schlosse seinen Geist aufgab. Peucer, sass hier 10 Jahre, bediente sich statt der Dinte gebrannten Brodes mit Bier, schrieb aus Mangel des Papiers auf die Ränder und leeren Blätter des Concordien-Buches und wurde im Jahre 1586 endlich entlassen.
Hier stellte man im Jahre 1696 eine allgemeine Münz-Conferenz an, von welcher der Leipziger Münzfuss den Namen hatte.
So stellt sich denn dieses Schloss als ein berühmtes und in der Sächs. Geschichte merkwürdiges dar; zugleich erinnert es aber auch an alles Wandelbare auf Erden und wenn auch noch Jahrhunderte hinaus die Mauern desselben stehen und allen Elementen Trotz bieten werden, so kann man doch nicht behaupten, dass seine jetzige innere Einrichtung eine bleibende sein werde. Wie es bisher schon zu verschiedenen Zwecken in den einzelnen Jahrhunderten benutzt wurde, so kann auch die Zukunft Verhältnisse herbeiführen, wodurch wieder andere Einrichtungen nöthig werden.