CCCXXIV. Das Wildbad Gastein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXXV. Rio Janeiro
CCCXXVI. Mailand
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RIO JANEIRO

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CCCXXV. Rio Janeiro.




Brasilien ist die einzige Monarchie in der neuen Welt, und die Ehre, eine fürstliche Residenz zu seyn, hat unter den amerikanischen Städten Rio Janeiro allein. Es liegt unterm 29. Breitengrade an einer der schönsten Bayen der Welt, umgeben von einem Panorama von Bergen, dessen hinter einander sich aufthürmende Gipfel bei hellem Wetter in einer Entfernung von 20 Seemeilen dem Schiffer sichtbar werden. Die zunächst der Stadt gelegenen sind steil, und auf ihnen sitzen, wie Adlernester, Warten, Klöster, das Observatorium und 2 kleine Kastelle. Einige von Gärten und üppigen Zucker- und Caffeepflanzungen umgebene Dörfer und Flecken beleben die entfernteren Punkte der Bucht. Quer vor dem Hafen und denselben schützend, liegt ein kleines, schmales Felseneiland, – Schlangeninsel, (Cabras) und erst, wenn man dasselbe umschifft hat, genießt man die volle Ansicht der Stadt, welche mit ihren vielen Palästen, den kaiserlichen Schlössern, den Klöstern und Kirchen über einen Mastenwald hervorragt. Die weiße Farbe der Gebäude macht, daß sie sich von dem dunkeln Hintergrunde der Berge grell abhebt. [134] Glocken ertönen auf verschiedenen Punkten, die Kanonen der Batterien salutiren, es knallen Böller auf den Höhen, und Raketen zu Hunderten zischen von Zeit zu Zeit in die Luft. Hier ist alle Tage Feiertag; denn jeder Tag hat seinen Heiligen, der von einem Kloster, oder einer Congregation fetirt wird.

Die großen Erwartungen, welche das Aeußere von Rio anregt, löst sein Inneres in Täuschung auf. Statt der regelmäßigen, prachtvollen Straßen und großen Plätze, womit die Phantasie die Kaiserresidenz des Westens freigebig ausstattete, findet man meistens enge, übelriechende Gassen, in denen der Unrath sich so lange anhäuft, bis ihn ein Regenguß fortschwemmt. Die Trottoirs sind schmal und ärmlich, und der Fußgänger ist immer in Gefahr, durch die vorbeistreifenden Räder der Fuhrwerke gefaßt, oder doch beschmutzt zu werden. Die Marktplätze sind elend; schmutzige Buden stehen ohne Ordnung umher, in denen Gemüse und Früchte etc. zum Verkaufe ausgestellt sind. Die schönste, breiteste Straße ist die Rua direita, und da, aus dem Fenster eines der vielen Kaffeehäuser in derselben, kann man das äußere Leben und Treiben gemächlich beobachten. – Man erkennt bald, daß die Residenz in Rio null und der Handel Alles ist. Geschäftsleute von allen europäischen Nationen mit dem in sich gekehrten, rechnenden Blick eilen auf den Trottoirs hin, bald da, bald dort an den lässig und faul dahin schlendernden freien Schwarzen stoßend, oder an den gemächlich vor seiner Thür die Cigarre schmauchenden portugiesischen Krämer. Dann und wann stolzirt ein Offizier vorüber mit wichtig thuender, hochmüthiger Miene, gefolgt von einem uniformirten Neger, seinem Bedienten. Caleças (Kaleschen) und Seges (Karriolen), von Maulthieren gezogen, rasseln vorbei unter dem Fluchen und Anspornen ihrer grimmassen-frohen Treiber, und dann und wann kommt eine glänzende Karosse, 2 schwarze goldverbrämte Diener hinten auf, auf dem Bock ein Kerl mit einer ungeheuern Peitsche, hohen Courierstiefeln mit schweren Absätzen, ungeheuern plattirten Sporen, glasirtem Lederhut mit tellergroßer Kokarde und schwankendem Federbusch. Züge von Sklaven, Afrika’s unglückliche Kinder, durch eiserne Halsbänder und Ketten von 10 bis 12 Fuß Länge an einander geschmiedet, trotten, angetrieben von der Peitsche ihres Führers, still und verdrossen, mit Körben voll Kaffee und Zucker auf dem Kopfe, dahin; ein anderer Zug folgt, blühende Mädchengestalten, die den traurigen Klang der Eisen durch Gesänge zu übertönen suchen, Lieder aus ihrer Heimath. Jedem Sklavenhaufen folgt außer dem Treiber immer ein Soldat mit gezogenem Pallasch. – Schnell und leicht bewegt sich ein hübsch aufgeputzter Palankin daher, getragen von trabenden Schwarzen; er hält vor dem glänzenden Laden eines Pariser Marchand de Modes, eine farblose, mit Juwelen bedeckte Hand schiebt den Vorhang zurück, hastig öffnet der Verkäufer die weiten Glaspforten seines Tempels und verbeugt sich tief gegen die eintretende Dame. – Zischend fährt auf einmal eine Rakete auf und unter dem Gelächter eines Schwarms von Negerknaben platzt ein Bündel Schwärmer. – Behaglich tappt ein dicker, aufgedunsener Priester daher, die kleinen Satyraugen unter einem breiträndigen, an [135] den beiden Seiten aufgestülpten Hut umherwerfend. Er trägt einen langen, weiten, seidenen Rock, zusammengehalten mit einem gewaltigen Strick, der ihm in Form einer Quaste den Rücken hinabfällt; dazu schwere, plumpe Schuhe mit ungeheueren silbernen Schnallen. Hart hinter ihm her trippelt der junge brasilianische Dandy. Er zählt noch nicht 14 Jahre; aber er ist gekleidet wie der Pariser Stutzer von fünf und zwanzig. Ehrfurchtsvoll folgen ihm in abgemessener Ferne 2 Diener, bedeckt mit Goldbrokat. Dann kommen schwarze Wasserträger, nackte, widerwärtige Gestalten; und die nächste Figur ist jene hagere Gestalt mit dem langen, scharf ausgeschnittenen Gesicht und der Weltherrenmiene, der man überall auf Erden begegnet. Am Arm des Britten geht ein stattlicher, wohl aussehender Mann, in dessen rundem Gesichte der Bonvivant ausgeprägt ist, dem der liebe Gott die Welt nur um des Genusses willen geschaffen hat. Er trägt einen aufgestülpten Hut mit Straußfedern, einen breitgeschnittenen Frack, eine Weste mit geräumigen Taschen, zierlich ausgenähete Beinkleider, die, wie das Uebrige, schwarz und am Knie über ein paar rothseidenen, gewirkten Strümpfen zugeschnallt sind. Ein paar lackirte Schuhe mit großen Schnallen, auf welchen farbige Steine funkeln, Manschetten von Spitzen, schwarzseidene Handschuhe und ein Rohr mit schwerem, goldnem Knopfe vollenden den Anzug. Don Gonzalo, Mitglied des Congresses, geht eben zur Sitzung. –

Nächst der Rua direita sind die Rua D’Ouvidor und D’Ourives (wo die Goldschmiede und Juweliers ihre Magazine haben), die besuchtesten und schönsten. – Die Bauart in Rio ist im Allgemeinen tüchtig. Die Häuser sind massiv, zwei Stockwerke hoch, rauh beworfen und weiß getüncht. – Bei der Milde des Klima’s (denn Rio liegt unter’m tropischen Erdgürtel!) kennt man das Bedürfniß künstlicher Erwärmungsmittel nicht, also auch keine Kamine. Die Dächer sind platt, wie in Italien. Die Fenster des zweiten Stocks nehmen die ganze Zimmerhöhe ein und öffnen sich auf eisernen Veranda’s, wo der Hausherr, beschattet und angefächelt von der Zugluft, den ganzen Nachmittag mit der Cigarre im Munde des Müssiggangs pflegt. Decken und Wände sind meistens getäfelt. – Architektonische Werke von großer Schönheit besitzt Rio nicht. Die Paläste sind plump und geschmacklos; deren Erbauung fällt meistens in die Zopfzeit des vorigen Jahrhunderts. Theater, Opernhaus, die großen Hotels sind mehr geräumig, als schön. Kirchen gibt es einige 40 in Rio; voller Ungeschmack von außen und innen, voller Vergoldung, Schnitzerei und Schnörkelei ohne Kunstwerth. Viele aber besitzen einen großen Schatz an Juwelen, silbernen Gefäßen und Statuen von Heiligen. Die Hauptkirche, San Francisco de Paulo, ist ein ungeheueres Gebäude, ganz überladen mit schlechten Verzierungen. Doch schön sind die Glasmalereien der Fenster, obschon sie nicht der höchsten Blüthezeit der Kunst angehören. In dieser Kirche werden unaufhörlich Todten-Messen gelesen, bei welcher Gelegenheit die Frommen auf Teppichen und Matten knieen, schweigend Perle um Perle an ihrem Rosenkranz um die Ruhe der Abgeschiedenen abzählend. Zu den Katakomben unter der Kirche führt eine Treppe von 60 Stufen. In diesem schauerlichen Tempel des Todes, den das Licht der an den Gräbern gestifteten ewigen Lampen erleuchtet, sieht [136] man eine Menge Sclaven beschäftigt, die Ruhestätten ihrer Herren zu schmücken. Große Urnen, die die Asche der Todten enthalten, sind in langen Reihen unter Baldachinen von rothem und schwarzem Sammet, die mit goldenen Franzen oder breiten Borden besetzt sind, aufgestellt. In der ganzen Länge und Höhe der Seitenmauern des Gewölbes befinden sich Löcher, jedes groß genug, um einen Sarg fassen zu können. In ein solches wird der Neuankömmling geschoben und die Oeffnung mit Kalk verstrichen. So bleibt der Sarg 2 Jahre stehen. Dann wird die Leiche herausgenommen, verbrannt und die Asche in einer Urne beigesetzt.

Der Brasilianer hat in seinem Benehmen noch vieles vom Ceremoniellen des vorigen Jahrhunderts, da dies seiner Bequemlichkeit am meisten zusagt. Die Fremden klagen über kalte Aufnahme und Ungastlichkeit in Rio. Leute, die längere Zeit in der Hauptstadt lebten, schildern die Männer als eine träge, indolente Raçe, blos dem Genuß lebend, fremd höhern Bestrebungen, und sehr selten mit den wissenschaftlichen Kenntnissen ausgestattet, die man in Europa bei jedem Gebildeten voraussetzt. Artigkeit, Liebenswürdigkeit und Feinheit im Umgange sind hingegen in den höhern Damenzirkeln auch hier allgemeine Zierden. In Musik und Tanz gelten sie als Meisterinnen; Conzerte sind ihre gewöhnliche Unterhaltung. Die Brasilianerin ist stark brünett, mit schwarzen, glühenden Augen, und obschon zum Embonpoint geneigt, ist sie doch leicht und graziös in ihren Bewegungen. Wie in allen tropischen Climaten heirathen die Mädchen hier sehr früh; im 12. Jahre Hausfrau und Mutter zu seyn, fällt in Rio nicht auf.

Das größte Bauwerk in der Nähe von Rio und zugleich das bedeutendste in ganz Südamerika ist eine Wasserleitung, die aus einer Entfernung von 1½ Stunden vortreffliches Trinkwasser auf einem Aquaedukt, römischen Baustyls, zur Stadt führt. Er kostete über 1 Million Dukaten.

Rio Janeiro, das jetzt 100,000 Einwohner zählt, prangt zwar mit einer Universität, einem großen botanischen Garten, Sternwarte, Museum, naturhistorischen und artistischen Sammlungen und einem zahlreichen, gut besoldeten Lehrercollegium etc.; aber die Leistungen aller dieser Anstalten sind sehr gering. – Der Handel ist’s, der hier alle Welt mehr oder minder in seinen Kreis zieht. Jede Handelsnation der Erde hat in Rio unter ihrem Consul eine kleine Colonie. Die Basis der Geschäfte ist der Produktenreichthum Brasiliens zur Ausfuhr nach Europa: – die Diamanten, das Gold und Silber der Minen, – vor allem aber Kaffee und Zucker. Die Cultur dieser beiden Artikel hat in den letzten 2 Jahrzehnten unglaublich zugenommen, und die vorjährige Ausfuhr von Rio betrug an 16 Millionen Piaster.