Rede zur Einweihung der Emmerans-Kirche

Textdaten
Autor: Adolf von Stählin
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Titel: Rede zur Einweihung der Emmerans-Kirche
Untertitel: auf dem Friedhofe zu Nördlingen gehalten am 5. Dezember 1875
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Entstehungsdatum: 1875
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: C. H. Beck
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Erscheinungsort: Nördlingen
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Quelle: Commons
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Rede
zur
Einweihung der Emmerans-Kirche
auf dem Friedhofe zu Nördlingen
gehalten am 5. Dezember 1875


von
Adolf Stählin,
k. Consistorialrath.




Nördlingen.
[...] Verlag der C. H. Beck’schen Buchhandlung.
1876.


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Unser Anfang sei im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

 Geliebte in dem Herrn! Die Weihe dieser Gottesackerkirche soll ich kraft meines Amtes vollziehen. Ich thue es mit freudig bewegtem Herzen, mit bewegtem Herzen aus mehr als einem Grunde. Die Erbauung dieser Kirche war längst ein inniger Wunsch der Stadt und Gemeinde Nördlingen. Es ist gewiß ein seltener Fall, daß eine Kirche, wie hier geschehen, nach zweihundert ein und vierzig langen Jahren völligen Darniederliegens wieder aufgebaut worden ist. Wie oft mögen eure Väter nach dem Wiederaufbau sich gesehnt haben, wie sehr habt ihr nach demselben verlangt! Nun sind eure Wünsche in einer Weise erfüllt, die Herz und Auge erfreut, Geist und Gemüth erhebt. Wir alle erhalten in diesem freundlichen, mit den Denkmalen heiliger Kunst geschmückten Räumen den Eindruck eines wohlgelungenen Werkes. Dieß Werk lobt seinen Meister, es lobt euch alle. Ihr habt nachgeholt, was die beiden Jahrhunderte vor euch versäumt haben, zum deutlichen Beweis, daß auch im neunzehnten Jahrhundert noch kirchlicher Sinn lebt und waltet, daß Christenglaube und Christenhoffnung nicht ausgestorben sind.

 Aber nicht Menschenlob soll in diesem Hause wohnen, sondern das Lob des ewigen Gottes, das Lob dessen, der den Tod überwunden hat. Daß es diese Bestimmung haben solle, drücken wir in dem Weiheakte aus. Wir übergeben dieses Haus dem dreieinigen Gotte, daß er drinnen walte mit seinem Worte und Geiste, wir| bitten ihn zum Anfang für alle Zeiten, so lange dieses Haus steht, daß er nach seiner untrüglichen Verheißung auch hier, ja gerade hier Angesichts von Tod und Grab an allen, die aus- und eingehen, etwas schaffen möge zum Preise seines Namens, seiner alle Mächte der Zeit und des Todes überwindenden, zur lichten schönen Ewigkeit erhebenden Kraft und Gnade.

 Der Weiheakt schaut aber nicht blos vorwärts, sondern auch rückwärts; jeder Weiheakt ist auch ein Erinnerungsakt. Wenn eine Kirche das erste mal an ihrer Stätte steht, eine Erstlingsgemeinde ihr erstes Gotteshaus an ihr begrüßt, so ist ihre Weihefeier auch eine Erinnerungsfeier, eine Versenkung in die Vorgeschichte des Kirchleins, in all die Kämpfe und Nöthen, die vorausgegangen und nun überwunden sind, in die Wünsche und Hoffnungen, die nun eine tief erfreuende Erfüllung gefunden haben. Steht eine Kirche schon länger, hat sie nur eine neue Gestalt angenommen, so gedenkt man am Weihetag wohl all des Segens, der durch die Jahrhunderte von ihr ausgegangen ist, man faßt ihre verschiedenen Erscheinungen, da sie alterte und wieder neu wurde, in eine geschichtliche Einheit zusammen und sieht in ihrem geschichtlichen Gang das Streben und Ringen, die Freuden und Schmerzen vergangener Generationen, auch ein gut Stück der zeitlichen Entwicklung der ewigen Kirche Gottes, dieses unsichtbaren unvergänglichen Gottesbaues, verkörpert. Man sammelt am Weihefest all’ die ehrwürdigen Erinnerungen einer entronnenen Geschichte in einen Brennpunkt und legt sie als eine Weihe- und Segensgabe auf die neu erstandene Kirche für ihren weitern Bestand bis in die fernsten Zeiten.

 Nun, Geliebte, diese Kirche ist eine neue und alte zu nennen, wie nicht leicht eine andere Kirche. Sie ist auch eine neue Kirche; denn von der alten waren längst die letzten Ueberreste verschwunden, und ihr selbst wißt am besten, wie viel Sorge und Mühe ihrem jetzigen Bestande vorausgegangen ist. Es ist aber zugleich eure alte Gottesackerkirche, die hier wie von den Todten erweckt, vor euch steht und ihre lang unterbrochene Geschichte neu anhebt. Und welch eine| Geschichte ist dieß! Wir sehen gern im Kleinen Großes, in dem einzelnen geschichtlichen Denkmal großartige geschichtliche Zusammenhänge. Nicht leicht wird sich aber ein Gotteshaus finden, wie diese Gottesackerkirche, in dessen Geschichte sich so unmittelbar spiegelte die Geschichte der Stadt, der es angehört, die Geschichte unseres Volkes, die Geschichte der Kirche selbst, sofern sie verschlungen ist mit der Geschichte des deutschen Volkes. Dieses Kirchlein selbst, in graue Vorzeit zurückschauend, muß uns am heutigen Tage zum Prediger werden. Was prediget es uns? „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt, und die Blume ist abgefallen, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist (1 Petr. 1, 24. 25).“

 In tiefes Dunkel verliert sich der Ursprung der alten Emmeranskirche. Nur soviel wissen wir, daß ihre Ursprungszeit die Zeit war, wo es licht wurde in unserem deutschen Vaterland, wo das Evangelium an allen Orten, in verschiedenen Weisen und doch im gemeinsamen Drang der Liebe Christi gepredigt, wo die neu gepflanzte Kirche ein neues Regen und Bewegen allenthalben auf deutschem Boden erweckte, wo das inmitten heidnischer Finsterniß angezündete Licht unserem Volke als Fackel vorleuchtete auf der Bahn seines weltgeschichtlichen Berufes, ihm hinaufleuchtete auf die Höhe, auf welcher es sich Jahrhunderte lang als der beherrschende Mittelpunkt der abendländischen Christenheit erhielt.

 In jener Zeit des Anfangs brach auch in dieser Gegend der lichte Tag an. Hier auf der Höhe, von wo die weite Ebene überschaut wird, stand das alte Nördlingen, und hier haben wohl auch die ersten Anwohner der Stadt zum erstenmal in gemeinsamer Andacht sich geschaart um das Kreuz des Erlösers. Die alte Kirche, die hier stund, die Emmeran’s, des alten Heidenbekehrers, Namen trug, war Nördlingens erste Pfarrkirche.

 Im schönen Aufgang unseres Volkes und Vaterlandes ist diese Kirche gegründet, im traurigen Niedergang, in dem schrecklichsten| aller Kriege, dem dreißigjährigen, der unsere Ohnmacht und Schwäche, der Zerrissenheit und Fremdherrschaft für lange besiegelte, unmittelbar nach der in der Nähe dieser Stadt geschlagenen Schlacht ist sie zerstört worden. Wohl ich weiß, auch dieser Krieg hat noch eine andere Seite, er ist die freilich tragische Kehrseite des unserem Volke vor andern einwohnenden Berufes, die Geisteskämpfe, die der Menschheit beschieden sind, in ihrer Tiefe zu erfassen und durchzukämpfen; kein Volk litt aber so furchtbar unter der entsetzlichen Verkehrung des Kampfes der Geister in dem blutigen Streit der Fleischeswaffen, wie unser deutsches Volk. Nie komme solche Zeit wieder! Das ganze Elend der damaligen Zeit tritt uns wie in einem traurigen Wahrzeichen entgegen, wenn Nördlingens eigene Bürger, um sich gegen den Feind zu schützen, Hand an ihre altehrwürdige Kirche legen. Noch sechzehn Jahre hat die Lohe des Kriegs, welche über dieser Kirche zusammenschlug, Unheil und Jammer verbreitend, sich fortgewälzt über die deutschen Gauen, bis das edle Friedenswort erklungen.

 Im schönen Aufgang des deutschen Volkes ist diese Kirche gegründet, im traurigen Niedergang ist sie zerstört worden; nach glorreichem Wiederaufgang, nach dem Wiedererstehen des alten deutschen Reichs in neuer Herrlichkeit ist diese Kirche wieder gebaut worden.

 Es ist eine große Predigt, welche dieß geringe Kirchlein in seiner mehr als tausendjährigen Geschichte uns hält. Welchen Wechsel auf- und niedergehender menschlicher Herrlichkeit, welch einen Aufgang göttlichen Wortes und göttlicher Wahrheit hat es erlebt! Welch ein Segen ist in jenen ältesten Zeiten von dem hier verkündeten Gottesworte ausgegangen als Lebensspeise unsterblicher Seelen, als Triebkraft des Aufblühens eurer Stadt und Gemeinde. Ein Brand, der eure Stadt im dreizehnten Jahrhunderte verzehrte, hat diese Kirche verschont; ein gewaltiges Naturereigniß, das in dem Jahre des Anbruchs der gesegneten deutschen Reformation, im Jahre 1517, die Mauern dieser Kirche erschütterte, war nur das Vorzeichen der tiefen Bewegung und Erschütterung der Geister, welche über unser| ganzes Volk kommen und es aus den Fugen heben sollte, welche auch eure Väter ergriff. Gottes Wort zog in seiner Lauterkeit und wiedergewonnenen Herrlichkeit in das umgebaute, aus einer Pfarrkirche in eine Friedhofskirche verwandelte Gotteshaus, zog in eure majestätische Georgskirche, an der eure Väter fast ein Jahrhundert gebaut, ein. Gotteswort ist euch geblieben bis auf diese Stunde; Gottes Wort ist unserem Volke geblieben unter all den Stürmen und Schrecken, die über dasselbe gekommen. Was wäre aus unserem Volke geworden, wenn es dieß Wort verloren hätte! Verstehet die Sprache dieser Kirche, dieser verjüngten Kirche im Zusammenhang mit der Geschichte eures Volkes, deren Spiegel seine eigene Geschichte ist, recht! Sie will euch reden nicht blos vom Wandel und Wechsel alles Irdischen und der alles Irdische überdauernden Macht des göttlichen Wortes, sie redet zugleich von den verjüngenden, erneuernden, sittlich zuchtenden und stählenden Kräften, welche in dem Worte des lebendigen Gottes liegen, und welche unser Volk bis herein in seine jüngsten Tage nicht am wenigsten erfahren hat. Es ist ein gewaltiger Gegensatz der Gegensatz von der niedergehenden Herrlichkeit alles Menschlichen und Gottes ewigem Worte, und doch wieder kein bloßer Gegensatz. Auch das menschlich Hohe und Herrliche hat Bedeutung und Werth, ist es doch von Gott gewollt und geschaffen; es hat aber nur in dem Maße Bestand und Wesen und Wahrheit, als es im Zusammenhang bleibt mit einer höheren ewigen Welt, die im Worte Gottes sich zu uns herabsenkt. Die Blüthenkelche menschlicher Herrlichkeit müssen sich dem Thau von oben öffnen, wenn sie frisch und gesund bleiben wollen. Es liegt an der Wurzel menschlicher Größe die Axt der Vergänglichkeit; es nagt an den Gebilden menschlicher Kraft eine Macht des Verderbens, es zehrt an ihnen der Wurm des Todes; nur die Kraft des göttlichen Wortes, der göttlichen Wahrheit und des göttlichen Lebens selber begegnet diesen Mächten.
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  Aber es bleibt dabei, alles Fleisch ist wie Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde (Jes. 40, 6). Die größte| und zugleich zerstörendste Weltmacht ist die Sünde, und um der Sünde willen geht durch alles Irdische eine Macht des Todes, seufzt alle Creatur unter dem Dienst des vergänglichen Wesens. Die ganze Weltgeschichte ist eine Schädelstätte menschlicher Herrlichkeit, aber in Kraft des ewig alten und ewig neuen Gotteswortes zugleich eine beständige Auferstehungsfeier unvergänglicher Gotteskräfte. Wir brauchen keine Offenbarung, keine Kirche, um uns die erste Wahrheit sagen zu lassen. Ergreifend genug tönt es aus allen Zeiten und nicht am wenigsten aus den tiefsten Erzeugnissen des Menschengeistes wie Prophetenruf zu uns herauf, daß Alles hierunten so eitel und nichtig sei, auch das Beste und Größte so schnell und eilend vorüberziehe; doch nur in Gottes Offenbarung, im Zeugniß der Kirche, im Glauben des Christen findet sich das große gewaltige Aber: aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. Dieses Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit weil es eine ewige Welt, eine ewige Gotteskraft und Herrlichkeit in sich selber trägt. Und wenn diese Herrlichkeit einst über den Trümmern der irdischen Welt wird aufgegangen sein, dann wird auch alles Große, alles Wahre, alles Schöne, alles Herrliche, was Gott hier unten gepflanzt hat, im ewigen Wesen und Licht der Verklärung sich wiederfinden.

 Diese Kirche predigt uns vom Tode und vom Leben zugleich, sie versinnbildet uns den Triumph des Lebens über den Tod. Sie ist wieder aufgebaut worden, unmittelbar bei der Stelle, wo die frühere Kirche stund, damit sie die Predigt ihrer Vergangenheit in die Gegenwart herein trage und die Gegenwart unter dem tiefsten Leid des Lebens und dem bitteren Weh des Todes mit den Kräften einer zukünftigen Welt fülle, tröste, segne. Die Predigt bleibt aber immer ein und dieselbe: alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume, aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit.

 Das Wort des Herrn hat euch diese Kirche geschaffen; das sage ich, obwohl ich weiß, wie viel in treuem Opfersinn und edler Hingebung in alter und neuer Zeit von euch für dieß Kirchlein geschehen| ist. Es muß doch in den Herzen noch etwas anderes glimmen, als Pietät gegen eine bedeutungsvolle Vergangenheit und bürgerlicher Gemeinsinn, um ein Werk wie dieses in’s Dasein zu rufen. Was Gottes Wort, was evangelisches Zeugniß in euch geweckt, gepflegt, erhalten hat in Glaube, Liebe und Hoffnung, das hat im letzten Grund euer Verlangen nach diesem Gotteshause rege erhalten, das hat endlich das Werk hinausgeführt. Des Herrn Wort soll nun auch darin walten. Da steht diese Gottesackerkirche mit ihrem gegen Himmel ragenden Thurme, mit ihrem sinnreichen Schmucke, mit ihren ehrwürdigen Emblemen, dem heiligen Kreuze voran, über diesem weiten Todtenfeld; und wenn dieß Todtenfeld predigt: alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit wie des Grases Blume, so predigt das Kirchlein auf demselben: aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Es muß immer, es muß allenthalben Gottes Wort geprediget werden; es ist aber der Höhepunkt der christlichen Predigt, da Gottes Wort zu verkünden, wo die Mächte der Vergänglichkeit, äußerlich angesehen, triumphiren, Gottes ewige Verheißungen in starker Glaubenszuversicht den Schrecken des Todes und der Finsterniß des Grabes gegenüberzustellen.  Welch eine Predigt der Vergänglichkeit wird euch an dieser Stätte gehalten! Hier ist das Grab eurer alten Stadt; hier ist eine große Gräberstadt; hier hat der Tod über ein Jahrtausend an unzähligen seiner Opfer gearbeitet. Was birgt nicht oft ein Grab für Weh, und welche Schmerzenskette schließt sich um dasselbe! Wie viel und welch bittere Thränen sind aber hier im langen Lauf der Zeit geweint, welche Verbindungen gelöst, welche zarte Blumen geknickt, welche kräftige Blüthen vor der Zeit der Reife zerstört worden! Wie oft stand man still und stumm vor den Räthseln göttlicher Führung, wenn der Mann in der Fülle der Manneskraft, auf der Höhe seines beruflichen Schaffens, mitten in froher Lebenshoffnung dahingerafft wurde! Was liegt hier für ein Trümmerfeld menschlicher Wünsche, Hoffnungen, Anschläge vor uns! Wenn sie aufstünden, die hier den Schlaf des Todes schlafen, wie hätten sie zu| reden von des Lebens Kampf, Mühe und Leid! Ein dunkles Geheimniß, ein tiefes Räthsel ist der Tod. Auch dieses Dunkel wird aber Licht im Lichte des göttlichen Wortes. Ein grelles, strafendes Licht, ein mildes, trostreiches Licht ergießt sich von dem Licht- und Lebensquell des göttlichen Wortes über alle Dunkel dieses vielfach so dunklen Lebens, auch über das letzte und größte. Der Tod ist ein Gericht, ist der Sünde Sold; es gibt aber auch eine Erlösung vom Tode, eine Vergebung der Sünden, eine Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Der Tod, der so bitter schmeckt und einen so düstern Schatten über aller Menschen Leben wirft, wird dem Glaubenden zum freundlichen Uebergang, zum seligen Führer in ein höheres und ewiges Leben.

 Wie viele sind auch hier gebettet, die an dieses Wort sich gehalten im Leben und Sterben, deren Wahlspruch war: Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn[WS 1]; sie wurden als Saaten gestreut in diesen Acker für den großen Tag der Ernte; wie viele Saatkörner des Lebens und eines ewigen Trostes sind hier in die von Schmerz und Gram durchfurchten Herzen gestreut worden! Es ist ja wieder ein Triumph des Christenglaubens und der Christenpredigt, da zu trösten, wo Menschentrost am Ende angekommen, da zu heilen und zu verbinden, wo das Menschenherz zum Tode verwundet ist, da an Gottes Vaterherz emporzuziehen, wo Vater-, Mutter- und Gattenherzen zu schlagen aufgehört haben. Der letzte Verbündete des göttlichen Wortes bleibt die Menschenseele selbst, die weil von Gott auch für Gott und zu Gott geschaffen ist; nirgends ist diese Menschenseele aber in der Regel bedürftiger, nirgends auch empfänglicher für höheren Trost und höheres Leben, als unter dem Druck der thränenreichen Wechsel dieses irdischen Lebens.

 Des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit. Es sind nicht Ahnungen des nach dem Unendlichen strebenden Menschengeistes, nicht voreilige Wünsche des nach Frieden lechzenden Menschenherzens, was hier verkündet wird! Es sind Dinge, die aus Gottesherzen selbst hervorgequollen und darum auch zu Gottes Herzen führen, Dinge, die in| keines Menschen Sinn gekommen, aller Menschen Gedanken überragen, die uns Gott in gnädiger Herablassung, in den Thaten seiner unendlichen Liebe geoffenbart. Es sind Gottes Verheißungen, gestützt auf seinen ewigen Liebesrath und dessen in dieser Zeit, unter uns Menschenkindern in Jesu Christo vollbrachte, wunderbar selige, in hehrer Harmonie zusammenklingende Erfüllung. Es bleibt des Herrn Wort, weil bleibt der ewige Gott, der es verkündet, der in unveränderlicher Lebensmajestät waltet über allem Geschaffenen, waltet über dem Kommen und Gehen seiner Menschenkinder, über dem Aufgrünen und Abwelken menschlicher Herrlichkeiten; es bleibt Gottes Wort, weil der Erlöser bleibt, Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in Ewigkeit[WS 2], von dem es zeugt, der seine göttliche Herrlichkeit mit menschlicher Armuth und Niedrigkeit vermählt, der mit seiner göttlichen Gerechtigkeit menschliche Sünde und Schuld, mit seiner göttlichen Siegesmacht den Tod und alle Todesgewalt überwunden hat; es bleibet des Herrn Wort, weil bleibet ein ewiges Leben und eine ewige Herrlichkeit, zu welchen es emporhebt.
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 Giebt es hierunten Leben, wahres, in sich selber ewiges Leben, gibt es Wahrheit aus Gott, die sich behauptet dem Scheinwesen und Todestrug, den flüchtigen Bildern irdischer Vergänglichkeit gegenüber? Das ist die große Frage, die alle Zeiten hat bewegt, die namentlich die Gegenwart im tiefsten Grunde in mächtiger, großartiger Weise bewegt, erschüttert, zerklüftet. Von denen laßt mich schweigen, die, allem Höheren abgewandt, das alte Weltlied in immer neuen Variationen anstimmen: laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt[WS 3]. Von den Edleren, von den Tieferen rede ich, welche, abhold dem Lichte göttlicher Offenbarung, mitten unter dem stolzen Ruhm einer Culturhöhe ohne Gleichen eine Weisheit nicht des Lebens, sondern des Todes, nicht des Aufgangs, sondern des Untergangs uns verkünden, welche die Verzweiflung an Allem, dumpfe Resignation, kalte Verachtung aller Güter des Lebens als höchstes Ziel preisen, welche die Seligkeit des Menschen, dessen Dasein mit Wollen und Bewußtsein schon die Quelle allen Elendes| sein soll, im verlöschenden Uebergang in das öde, trostlose Nichts erkennen. Solche Weisheit schaut euch an und betrachtet euch überhaupt das tiefe schmerzensreiche Ringen des Menschengeistes um Güter wirklicher Befriedigung, wie er hinaufsteigt auf schwindelnde Höhen der Selbstverherrlichung und der stolzen Selbstgenüge, um nur um so jäher in die Thale gemeiner Wirklichkeit herabzustürzen und ohnmächtig allen Räthseln dieses irdischen Daseins, dem Stachel der Todesmacht und Todesfurcht gegenüberzustehen. Und von diesem Blick wendet euer Auge zu Gottes ewigem Worte, und seinem unvergeßlichen, hohen und weiten, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit umfassenden Inhalt. Ihr werdet in ihm schauen eine Herrlichkeit, die alle menschliche Herrlichkeit, auch alle Herrlichkeit menschlichen Wissens und Könnens weit überragt, eine Herrlichkeit, die ein mildes Licht segnender Weihe und heiligender Verklärung über alles, was menschlich und natürlich heißt, ausgießt, und sich zugleich in ihrer Eigenart und göttlichen Ursprünglichkeit unter dem Vorübergang irdischer Größen und den wandelnden Gestalten menschlicher Weisheit behauptet, eine Herrlichkeit, die euch nicht blos rückwärts weist auf die Einzelnen und die Völker, die von ihren Strahlen durchleuchtet wurden, nicht blos vorwärts auf die Erfüllung aller Christenhoffnung, sondern die in einem höheren Frieden, in einer höheren Kraft, in einer tiefen Sättigung des Lebens, in einer wirklichen Ueberwindung der Sündenschuld und der Todesfurcht alle Tage und alle Stunden an unser aller Herzen sich bewähren will und kann. Denn des Herrn Wort, welches bleibt in Ewigkeit, ist das Wort, welches unter euch verkündigt ist. Die Kraft des göttlichen Wortes ist nichts Fernes und Jenseitiges, sie wirkt unmittelbar unter euch; jeder kann sie spüren, fassen, ergreifen, sich zueignen und erfahren. Jeder kann und soll durch dieses Wort zur tiefen, schmerzensreichen Erkenntniß seiner selbst, seiner Sünde und Schuld, aber auch zur seligen Gewißheit der Vergebung, zu fröhlicher Lebens- und Herrlichkeitshoffnung gebracht werden.
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 In der Kraft göttlicher Wahrheit und göttlich versiegelten| Zeugnisses soll hier stets gepredigt, getröstet, zu den Herzen geredet werden! Nie laßt uns aber auch stumpf und gleichgiltig an diese ernste Stätte treten! Ich weiß, ihr begleitet gerne die Euren, eure Verwandten, Freunde und Genossen auf ihrem letzten Gange. Vergeßt nicht, daß, so oft wir auch mitziehen, zuletzt uns selbst das Geleite gegeben wird. Wir sammeln hier die Züge des verblichenen Lebensbildes, wir versenken uns in Liebe, in theilnehmender, dankbarer, trauernder Liebe in den am Grabe geschlossenen Lebensgang. Aber nicht verfallendes Menschenlob, nicht das Gedächtniß der Menschen, nicht der bei den Meisten schnell verfliegende Nachruhm ist unser wahrer Trost. In des Herrn Wort stehet unser Trost; er lautet: „Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach (Offenb. Joh. 14, 13).“ Was Trost über die Dahingeschiedenen ist, das soll zugleich Mahnung für die Ueberlebenden sein. Des Herrn Wort soll uns durchläutern, umsetzen und umschmelzen unter den Heimsuchungen dieses Lebens, je schwerer und erschütternder sie sind, desto tiefer und gründlicher, und uns zuletzt als Licht im dunklen Thale des Todes hinauf leuchten zum ewigen Licht und Leben.
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 Und geht einer nach dem andern dahin, Gottes Wort bleibt und geht seinen stillen, triumphirenden Gang über unsere Gräber weiter, schafft und wirkt, ruhet und rastet nicht, bis die ewige Gotteswelt, die es jetzt schon in sich trägt und deren Kräfte es im Verborgenen einsenkt in alle ihm sich öffnenden Herzen, in all ihrer gottverheißenden Schöne und Herrlichkeit dasteht. Und wollen Staub und Moder der Verwesung uns schrecken, so halten wir dem modernden Reiche der Vergänglichkeit das gewaltige Aber entgegen: Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit; auch die Todten müssen leben; was gesäet wird verweslich und in Schwachheit, wird auferstehen unverweslich, in Herrlichkeit und Kraft; die glaubende Seele kommt doch nach Kampf und Noth zum Frieden, zum Schauen dessen, was sie geglaubt hat; der Leib muß doch das durchgeistete| und verklärte Gebilde der erlösten Seele noch einmal werden. Gott wird und muß sein Werk hinausführen, trotz Sünde, Tod und Hölle, an dem Einzelnen, an seiner ganzen Gemeine, zu seliger Gemeinschaft mit ihm, dem ewigen, dreieinigen Gott, zur vollen friedreichen Gemeinschaft der Erlösten untereinander, zur wunderbar hohen und herrlichen, vom Preise der Ewigkeit gekrönten Erfüllung des Wortes: der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?[WS 4]

 So habe ich, im Herrn Geliebte, nach vollen neun Jahren wieder zu euch gesprochen aus vollem, tief bewegtem Herzen. Es ist mir eine rechte Mahnung, daß ich es gerade an dieser Stätte thue. Ich gedenke mit Wehmuth so mancher, die seitdem heimgegangen sind, manches Starken, der in der Fülle und Blüthe seiner Jahre dahingerafft worden ist. O wie schnell und eilend geht unser Leben dahin. Was ich in meiner letzten Predigt, da ich Abschied nahm von euch, euch zugerufen, das möchte ich hier wiederholen: O Ewigkeit, du schöne, mein Herz an dich gewöhne! Mein Heim ist nicht von dieser Zeit.“[WS 5] Ich fühle, wie tief ich unter euch wurzelte und noch wurzele. Die Gemeinde kann den Geistlichen vergessen, der Geistliche die Gemeinde nie. Wir sind nichts. Wir kommen und gehen, Gottes Wort ist Alles. Vieles an uns fällt ab wie die welkende Blume und muß abfallen. Nur eines bleibt, was Gottes Wort in uns geschaffen, was von Kräften des göttlichen Wortes mit unserem innersten Leben und Wesen sich vermählt und verwachsen hat. O Brüder! Laßt uns in den unerschöpflichen Born dieser Kräfte ohne Unterlaß niedersteigen, um verjüngt und erfrischt daraus hervorzugehen für die Predigt von einem Reiche unverwelklichen Lebens mitten unter den Todeswehen dieser Zeitlichkeit! Seien wir unerschütterlich im Glauben, weit und frei in der Liebe, lauter in der Wahrheit, unentwegt in der Hoffnung, seien wir treu dem Herrn und seinem Worte, bis uns das Herz im Tode bricht!

 In diesem Worte wollen wir alle uns jetzt zusammenschließen und die alte Verbindung erneuern! Bleiben wir alle im Zusammenhang| unseres Volkes, dessen große Geschichte dieß kleine Kirchlein mit seinem wandelnden Geschick uns in’s Gedächtniß gerufen hat; im Zusammenhang unserer Kirche, deren Ruhm und Ehre Gottes Wort ist, im Zusammenhange mit dem göttlichen Worte selbst, das nimmer vergeht, mag auch Himmel und Erde vergehen! Vergessen wir nie, was es unsere Väter sich haben kosten lassen, das Kleinod evangelischen Glaubens festzuhalten und zu bewahren! Seien wir echte Protestanten, die wurzelnd im Boden des Evangeliums in den tiefsten Fragen des Geistes und Herzens gewappnet sind gegen Trug und Täuschung, von welcher Seite sie auch kommen; wollen wir unsererseits nie Anlaß geben zu dem Vorwurf, als sei unsere Sache nur die der Verneinung! Das ist der ächte Protestantismus nicht, der gegen alles glaubt protestiren zu müssen, zuletzt gegen den lebendigen Gott im Himmel selbst. Und wenn wir treu sind in Wahrung unserer ererbten, in Gottes Wort wurzelnden Glaubensgüter, laßt uns nie die Liebe verleugnen, laßt uns in einer Zeit tiefer Entzweiung der Gemüther mitten in unserem neugeeinten Vaterland, so viel an uns ist, Frieden halten, Frieden halten auch mit den Gliedern der anderen Kirche, gerne ihr Gutes, gerne das Band, das uns noch mit ihnen verknüpft, anerkennen, laßt uns nicht heraufbeschwören den alten Haß und Hader, dessen traurige Denkmale, woran auch diese Feier uns erinnert, der Geschichte unseres Volkes mahnend und warnend eingegraben sind! Im Tode fallen die Schranken, dieser Friedhof eint die im Leben Geschiedenen. Die Wahrheit macht frei und friedsam; eine der schönsten Früchte wahren Christenglaubens ist ächte Toleranz und Humanität. Dienen wir alle einander in selbstsuchtloser Liebe! Füllen wir dies flüchtige und nichtige Leben mit den Schätzen der Ewigkeit, mit dem Reichthum an guten, in Gott gethanen Werken! Legen wir in thatkräftigem Glauben an des Herrn Wort, an unsern Jesum Christum einen guten Grund auf’s Zukünftige, ergreifen wir das ewige Leben, halten wir fest bis an’s Ende die Hoffnung ewiger Seligkeit und Herrlichkeit! Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der| Menschen wie des Grases Blume; das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen; aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. Amen.

 So weihe ich denn dieses Haus, aus Holz und Steinen erbaut, zu einem Gotteshaus, zu einer Kirche, von Neuem geschmückt mit dem alten Namen Emmerans; ich übergebe sie dem Dienst des dreieinigen Gottes, daß Gottes Wort und Gottes Ehre, der Trost und Friede der Erlösung, die Hoffnung ewigen Lebens für immer drinnen wohnen solle.

 Du theures Gotteshaus! Du zeugest von einer großen, an Ehren und an Wehen reichen Vergangenheit; du zeugest von der unvergänglichen Kraft des göttlichen Wortes. Zeuge fort und fort von einer heilvollen, gnadenreichen Gegenwart in der Kraft dessen, der da spricht: Ich war todt, und siehe ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit;[WS 6] mache durch ihn, den großen Todesüberwinder, auch die thränenschwerste Gegenwart zu einer Gegenwart wahren Trostes, seligen Gottesfriedens! Blicke vorwärts in eine noch größere Zukunft! Sei ein Prophet von der Herrlichkeit, die uns verheißen ist, deren die Leiden dieser Zeit nicht werth sind; führe uns vom Dunkel des Grabes aufwärts zur lichten Stadt des lebendigen Gottes, laß uns schauen Jerusalem die schöne, laß uns hören die Freudenchöre der vollendeten Gerechten!

 Ich weihe diese Kirche sammt ihrem Altar zu einer Stätte göttlicher Anbetung, zu einer Lebens- und Friedensstätte mitten unter den Schrecken des Todes, einer Trösterin der vom Tode betrübten und zerschlagenen Herzen, zu einer Verkündigerin eines unvergänglichen Gottesreiches nach der kurzen Pilgerschaft dieser Tage, im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

 Zu dir, ewiger Gott, Vater unseres Herrn Jesu Christi, heben wir Herz und Hände empor, und rufen dich an, laß dein Auge offen stehen über diesem Hause, das von nun an deines Namens Ehre dient! Laß durch das Zeugniß von deiner ewigen Liebe, deiner Sünde und Tod überwindenden Gnade die Herzen aller, die hier| aus- und eingehen, geweckt, getröstet, überwunden werden! Laß sie ergriffen werden von dem Ernst der Buße und der Zuversicht ewigen Heiles im lebendigen Glauben an dich und den du gesandt hast, Jesum Christum! Segne diese ganze Stadt mit ihren Vätern und Berathern, und laß dein Wort in ihr wachsen und immer reichere Frucht bringen! Laß nie den Leuchter deines Evangeliums in ihr umgestoßen[WS 7], laß vielmehr sein Licht immer neu angezündet werden durch treue Diener deines ewigen Wortes! Gib deinen Geist, den Geist der Kraft und der Liebe und der Zucht, den Predigern und Seelsorgern, die jetzt an dieser Gemeinde arbeiten! Segne unsere ganze Kirche! Laß sie halten, was sie hat, daß niemand ihre Krone nehme![WS 8] Segne unser engeres und unser weiteres Vaterland! Segne uns alle mit geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Jesum Christum![WS 9] Amen.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Phil. 1,21.
  2. Hebr. 13,8.
  3. 1. Kor. 15,32.
  4. 1. Kor. 15,55.
  5. Gerhard Tersteegen, Nun sich der Tag geneiget, 1745, EG 481, 5; dort mit anderem Ende "...in dieser Zeit".
  6. Offb. 1,18.
  7. Vgl. Offb. 2,5.
  8. Vgl. Offb. 3,11.
  9. Vgl. Eph. 1,3.