Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Iulianus cos. suff. 83 n. Chr.
Band V A,1 (1934) S. 1107 (EL)–1110 (EL)
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10) Tettius Iulianus, Consul suffectus im J. 83 n. Chr. Sein Name lautet bei Tacitus und in den Inschriften Tettius Iulianus (Tac. hist. I 79 hat die Handschrift Iulianus et Titius, IV 39 [1108] Tito [statt Tettio] Iuliano); das Praenomen ist nicht überliefert. Im J. 69 kommandierte er (noch vor der Praetur, s. u.) eine Legion in Moesien (Tac. hist I 79), und zwar, wie sich aus Tac. II 85 ergibt, die VII Claudia pia fidelis (vgl. Ritterling o. Bd. XII S. 1625). Bei der Vernichtung eines Reiterheeres der Rhoxolanen, das wohl im Februar 69 einen Einfall in Moesien unternommen hatte (zur Datierung vgl. Patsch S.-Ber. Akad. Wien CCXIV 1932, 1, 173), zeichnete er sich zugleich mit den anderen Legionslegaten der Provinz aus und erhielt von Otho die Consularornamente (Tac. hist. I 79). Gleichfalls noch von Otho (der am 25. April 69 den Tod fand) wird er zum Praetor für das folgende Jahr designiert worden sein (s. u.). Als die moesischen Legionen den Entschluß faßten, sich für Vespasian zu erklären, wollte der Consularlegat von Moesien, Aponius Saturninus, die Gelegenheit benützen, um Iulianus, mit dem er persönlich verfeindet war, aus dem Wege zu räumen und entsendete einen Centurio, um ihn (als vorgeblichen Parteigänger des Vitellius) zu töten. Aber Iulianus, dem Kunde von der ihm drohenden Gefahr zugekommen war, entwich; er flüchtete gnaris locorum adscitis per avia Moesine ultra montem Haemum (Tac. II 85) und schlug den Weg zu Vespasian ein, richtete sich aber in der Schnelligkeit seiner Reise nach den Nachrichten, die er vom Kriegsschauplatz erhielt (Tac. a. O.). Am 1. Januar 70 wurde ihm im Senate die Praetur, die er wohl an diesem Tage hätte antreten sollen, aberkannt tamquam transgredientem in partes Vespasiani legionem deseruisset (Tac. IV 39). Kurze Zeit nachher wurde dieser Beschluß jedoch rückgängig gemacht, da inzwischen bekannt geworden war, daß er sich zu Vespasian begehen habe (Tac. IV 40).

Welche praetorischen Ämter T. unter dem ersten Flavier bekleidete, ist unbekannt. Noch als Praetorier erhielt er die Legation der Legio III Augusta, mit der die Statthalterschaft von Numidien verbunden war: ein Soldat dieser Legion wird in seiner Grabschrift als benef(iciarius) Tetti Iuliani et Iavoleni Prisci leg. Aug. bezeichnet (CIL VIII 27 854 = Gsell Inscr. lat. de l’Algérie I 3122 = Dess. III 9089 Theveste). Iulianus war demnach der unmittelbare Vorgänger des Iavolenus Priscus, der die Legion im J. 83 kommandierte (CIL VIII 23 165); da anderseits im J. 79 noch Cn. Pinarius Aemilius Cicatricula, der in demselben Jahre zum Consulat gelangte, als Legat der Legio III Augusta bezeugt ist (CIL VIII 22 060), wird Julian im J. 79 an seine Stelle getreten sein and den Legionsbefehl bis in das J. 82, spätestens 83, geführt haben. Im J. 83 führte er die consularischen Fasces; am 9. Juni dieses Jahres wird er in einem Militärdiplom (CIL III p. 1962 nr. XV = Dess. I 1996) als Suffectconsul mit Terentius Strabo Erucius Homullus genannt.

Über die weitere Laufbahn des T. besitzen wir kein sicheres Zeugnis, doch kann eine Vermutung Imhofs (Domitianus 58, 2), die von Gsell (Mél. d’arch. et d’hist. 1888, 74-80. Essai sur le règne de l’emp. Domitien 221) aufgenommen und sachlich begründet wurde, als wahrscheinlich richtig bezeichnet werden. Gsell weist darauf [1109] hin, daß Etrusca, die Gattin eines kaiserlichen Freigelassenen a rationibus und Mutter des Claudius Etruscus, an den Statius das Gedicht Silv. III 3 richtete (s. o. Bd. III S. 2670ff. 27l9f.), von dem Dichter als eine Frau illustrer Herkunft und als Schwester eines Consularen, der durch Kriegstaten gegen die Daker Ruhm gewann, gefeiert wird (v. 115–118): nec vulgare genus: fasces summamque curulem frater et Ausonios enses mandataque fidus signa tulit, cum prima truces amentia Dacos impulit et magno gens est damnata triumpho.

Da nun derjenige Feldherr, der in den Dakerkriegen Domitians, die bis dahin sehr unglücklich verlaufen waren, die römische Waffenehre wiederherstellte, Iulianus hieß (Dio-Xiph. LXVII 10, 1) und andrerseits die Namen Tettius Etruscus und L. Tettius Etruscianus unter den Grundbesitzern auf der Alimentartafel der Ligures Baebiani begegnen (CIL IX 1455 col. II 23. 30), 5 schließt Gsell wohl mit Recht, daß der Besieger der Daker mit unserem Tettius Iulianus identisch sei. Er weist auch zutreffend darauf hin, daß die Kriegserfahrung, die Iulianus in den Ländern der unteren Donau gewonnen habe, ihn zur Leitung eines Dakerkrieges geeignet gemacht habe.

Der Feldzug fällt in eines der J. 88 oder 89 (für 88 tritt Weynand o. Bd. VI S. 2570 ein; Köstlin Die Donaukriege Domitians 1910, 68ff. nimmt zwei Feldzüge in den J. 88 und 89 an; in das letztere Jahr setzt er die Schlacht bei Tapae). Über die Stellung, in der Iulianus den Kriegszug leitete, sind wir nicht unterrichtet; aus den Worten Dios (bei Xiphilin) ὁ γὰρ Ἰουλιανὸς ἐπιταχθεὶς ὑπὸ τοῦ αὐτοκράτορος τῷ πολέμῳ ist kaum – mit Gsell Dom. 218 – zu schließen, daß er ein außerordentliches, den Provinzstatthaltern übergeordnetes Kommando innegehabt habe, ähnlich wie vor ihm Domitius Corbulo und später Avidius Cassius: der Regierungspolitik eines Autokraten wie Domitian entsprach es nicht, seinen Heerführern derartig weitreichende Befugnisse zu verleihen. Iulian wird vielmehr den Krieg als legatus Augusti pro praetore von Moesia superior geleitet haben.

Wie Dio berichtet (10, 1), stellte Iulian zuerst die Disziplin im Heere wieder her; u. a. verfügte er, um das Verantwortlichkeitsgefühl der Soldaten zu heben, daß sie auf ihre Schilde ihre und ihrer Centurionen Namen zu setzen hätten. Sein Operationsziel war die feindliche Hauptstadt (nähere Angaben fehlen; über die Marschroute, die er wahrscheinlich einschlug, vgl. Gsell 220) Bei Tapae kam es zu einer Schlacht, die mit einer schweren Niederlage der Daker endete (Dio § 2) und dem römischen Heere den Vormarsch gegen Sarmizogetusa ermöglichte. Dieses Ziel konnte allerdings nicht erreicht werden, sondern Iulian mußte sich entschließen, den Rückzug anzutreten (Dio § 3), selbstverständlich nicht infolge der von Dekebal angeblich angewendeten Kriegslist, von der Dio a. O. berichtet. Köstlins Annahme (70f.), daß er die gewonnenen Stellungen behauptet habe, ohne weiter vorzudringen, steht zwar in Widerspruch zu den Worten des Dio-Exzerptes ἵνα (οἱ Ῥωμαῖοι) . . . ἀναχωρήσωσιν· ὃ καὶ ἐγένετο, wird aber insofern zutreffen, als Iulian den Eisernen Tor-Paß, die [1110] Pforte Dakiens, nicht aufgegeben haben wird. Den Stillstand der Operationen erklärt Köstlin schwerlich mit Recht durch Abkommandierung starker Kontingente zu einem Markomannenkrieg (vgl. Ritterling o. Bd. XII S. 1278). Auf jeden Fall war die Widerstandskraft des Dakerkönigs schwer erschüttert (δεινῶς γὰρ ἐτεταλαιπώρητο Dio LXVII 7, 2 = Exc. de leg. p. 87 n. 14 de Boor; vgl. Weynand o. Bd. VI S. 2570ff.).

Für seine Kriegstaten hat Iulianus zweifellos eine Auszeichnung erhalten, wahrscheinlich die ornamenta triumphalia; dagegen ist ihm nicht (wie Asbach Bonn. Jahrb. LXXIX 123 vermutete) ein zweites Consulat zuteil geworden, da Statius dieser außerordentlichen Ehre sonst gedacht hätte (Gsell 221). – Über die späteren Lebensschicksale des Iulianus ist nichts überliefert. Er stand vermutlich in nahem Verwandtschaftsverhältnis zu seinem Zeitgenossen C. Tettius Africanus Cassianus Priscus (Nr. 6); der Schwiegervater (oder Schwager) dieses hochgestiegenen römischen Ritters, L. Funisulanus Vettonianus, war, wie es scheint, Iulians Vorgänger in der Statthalterschaft von Obermoesien (s. o. Bd. VII S. 303ff.; Stein Röm. Ritterstand 350).