Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Flavius cos. 392 n. Chr.
Band I A,1 (1914) S. 11891193
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23) Flavius Rufinus (CIL IX 6192. De Rossi Inscr. christ. urb. Rom. I 399. 403), Gallier (Zosim. IV 51, I) aus Elusa (Claud. in Ruf. I 137; anders Mommsen Chron. min. I 650, 34), Bruder der Silvia oder Salvia, die um 388 eine Wallfahrt nach Palästina und Ägypten unternahm (Pallad. hist. Laus. 142 = Migne G. 34, 1244; vgl. J. F. Gamurrini S. Hilarii tractatus de mysteriis, Rom 1887 p. XXXI). Auch er selbst hing mit großem Eifer am orthodoxen Christentum. Auf seinem Landgute Drys bei Chalkedon (Pallad. dial. 8 = Migne G. 47, 28), das später den Namen Rufinianae führte (Procop. bell. Pers. I 25, 21. Callin. vita S. Hypatii 54, 2. 55, 18. 69, 25. 70, 5. 71, 19), gründete er im Zusammenhange mit seiner prächtigen Grabpyramide (Callin. 66, 20. Claud. in Ruf. II 448) das Apostoleion, eine große Kirche verbunden mit einem Kloster, wohin er Reliquien des Petrus und Paulus brachte und ägyptische Mönche einlud (Callin. 66, 16–22. Sozom. VIII 17, 3. Codin. 74). Bei der Einweihung empfing er als Praefect die Taufe (Pallad. hist. Laus. 12 = Migne G. 34, 1034). Nach seinem schmählichen Tode nannte man den Ort εἰς τοὺς καμάτους Ῥουφίνου (Callin. 70, 21), und die Mönche verließen ihn wieder (Callin. 66, 22; vgl. Byzant. Ztschr. VIII 429. IX 63). Obgleich er von einer Habgier beseelt war, die ihn kein Mittel der List oder Gewalt scheuen ließ, um seinen ungeheuren Reichtum noch zu vergrößern (Claud. in Ruf. I 100. 183. 299. II 134. 436. 498. Symmach. epist. VI 14, 1. Hieron. epist. 60, 16 = Migne L. 22, 600. Zosim. V 1, 1–4. 2, 1. 7, 6. Eunap. frg. 63. Joh. Ant. frg. 188 = FHG IV 42. 610. Philostorg. XI 3. Joh. Lyd. de mag. II 10. Cod. Theod. IX 42, 14. II 9, 3 mit der Anmerkung Gothofreds), war er doch zu ansehnlichen Gaben bereit, wenn ein Heiliger sie von ihm als fromme Almosen heischte (Callin. 6-3, 3). Er wird geschildert als hochgewachsener Mann mit klugen Augen und gewandter Rede (Philostorg. XI 3). Nach der Thronbesteigung des Theodosius (Claud. in Ruf. I 51), also nicht vor 379, aber auch nicht viel später, ging er nach Constantinopel und trat dort in den Hofdienst (Claud. in Ruf. I 172ff.). Schon 382 erscheint er als Beamter von großem Einfluß (Symmach. epist. III 81. 89. 90), wird als vir excellentissimus bezeichnet (Symmach. epist. II 22, 2), und selbst ein so hoher Würdenträger, wie der Quaestor sacri pelatii Flavianus, ist gezwungen, sich gut mit ihm zu stellen (Symmach. epist. III 86, 2; vgl. o. Bd. VI S. 2508). Schon hat R. begonnen, [1190] seine Nebenbuhler aus der Gunst des Kaisers zu verdrängen (Symmach. epist. III 81, 2. 85. 86, 2) und Männer zu Ämtern zu empfehlen, die ihm genehm sind (Symmach. epist. III 81. 87. 89. 90. Claud. in Ruf. I 180). Jene Kämpfe der Eifersucht dauerten dann auch später fort (Zosim. IV 51, 1. Claud. in Ruf. I 256).

388 ist er zuerst als Magister officiorum nachweisbar; denn damals erscheint einer seiner Unterbeamten, wohl ein Agens in rebus, in Antiochia, und zugleich wird angedeutet, daß eine Gesandtschaft von seiner Gunst abhängig ist, was beides den Kompetenzen jenes Amtes entspricht (Liban. epist. 784).

389. Als Theodosius Rom besuchte, befand sich R. in seiner Umgebung, Symmach. epist. III 84.

390 wird am 8. März das Gesetz Cod. Theod. X 22, 3 an ihn als Magister officiorum gerichtet. Im Dezember bewirkt er nach dem Frevel von Thessalonica die Versöhnung des heiligen Ambrosius mit dem Kaiser (Theodor. h. e. V 18, 6–12) und gewinnt damit die Freundschaft des Bischofs (Ambros. epist. 52 = Migne L. 16, 1165).

391. R. geriet in Streit mit den Feldherren Timasius und Promotus, wobei dieser ihn ins Gesicht schlug. Zur Strafe wurde Promotus in die Provinz geschickt, wo er in einem Hinterhalte der Bastarner seinen Tod fand (Zosim. IV 51). Dies geschah kurz bevor R. sein Consulat antrat (Zosim. IV 52, 1), wodurch das Jahr bestimmt wird.

392 war R. Consul, wahrscheinlich zur Belohnung dafür, daß er Theodosius mit Ambrosius ausgesöhnt hatte. Es gelang ihm, den heidnischen Praefectus praetorio Orientis Tatianus zu stürzen und sich selbst an dessen Stelle zu setzen (Zosim. IV 52, 1. 2. Ambros. a. O. Liban. epist. 972. 981). Die amtlichen Verfügungen des Tatianus wurden zum großen Teil für ungültig erklärt (Cod. Theod. IX 42, 12. 13. XI 1, 23. XII 1, 131) und er selbst vor ein Gericht gestellt, dem R. vorsaß (Zosim. IV 52, 1. 2. Claud. in Ruf. I 239. Cod. Theod. IX 38, 9). Dieser trat sein neues Amt zwischen dem 30. Juni (Cod. Theod. XII 1, 127) und dem 26. August an (Cod. Theod. VIII 6, 2): An ihn wurden in diesem Jahre gerichtet Cod. Theod. VIII 6, 2. IX 28, 1. II 26, 5. XVI 10, 12. XII 1, 129. IX 7, 7.

393. R. reiste in größter Eile nach Antiochia (Claud. in Ruf. I 240. Liban. epist. 1025; vgl. 1003. 1028 b. 1029), um dort den Comes Orientis Lucianus zu Tode peitschen zu lassen, weil dieser Eucherius, den Oheim des Kaisers, beleidigt hatte (Zosim. V 2. Joh. Lyd. de mag. III 23). Proculus, der Sohn des Tatianus, der während der Zeit, wo dieser Reichspraefect war, die Stadtpraefectur von Constantinopel bekleidet hatte, hielt sich versteckt und war nicht aufzufinden. R. täuschte daher den Vater durch eidliche Versprechungen und scheinbare Gunstbezeigungen des Kaisers und bewog ihn dadurch, daß er Proculus veranlaßte, sich dem Gerichte des R. zu stellen (Eunap. frg. 59 = FHG IV 40. Zosim. IV 52, 3). Darauf wurde Proculus am 6. Dezember vor den Augen seines Vaters hingerichtet (Mommsen Chron. min. I 245. Claud. in Ruf. [1191] I 246. Aster. hom. IV = Migne G. 40, 224; vgl. Cod. Theod. XIV 17, 12; etwas anders Zosim. IV 52, 4). Dieser selbst wurde gleichfalls zum Tode verurteilt, aber begnadigt und in seine Heimatprovinz Lykien verbannt; seines Vermögens durch Konfiskation beraubt, soll er sich als Bettler ernährt haben und bald auch erblindet sein (Phot. cod. 258 p. 484 B 39. Claud. a. O. Aster. a. O. Zosim. a. O.). Aus Haß gegen Tatian verfolgte R. sogar alle seine Landsleute; die Lykier wurden zu jedem Amte für unfähig erklärt und ihre früheren Ämter und Würden annulliert (Cod. Theod. IX 38, 9. Claud. in Ruf. I 232). In diesem Jahre sind an R. gerichtet Cod. Theod. VII 3, 1. X 19, 13. XIII 11, 4. XI 7, 14. XII 1, 134. IX 42, 11. XI 25, 1. XII 1, 135. IX 42, 12. XI 1, 23. XII 1, 136. IX 21, 10. V 14, 32. VIII 5, 52. XIII 3, 15. V 14, 33. VII 4, 20. IX 4, 1. XII 1, 137. XIII 5, 22. XV 7, 11. II 12, 5. IV 3, 1. 8, 9. XI 30, 52. XIII 11, 5. IX 7, 8. XIII 5, 23.

394. Als Theodosius gegen Ende des Sommers Constantinopel verließ, um den Usurpator Eugenius zu bekämpfen, ließ er den Praefecten zurück, um für seinen unfähigen Sohn Arcadius die Regierung zu führen (Zosim. IV 57, 4. V 1, 1. 3. Eunap. frg. 62. 63. Joh. Ant. frg. 188. 190 = FHG IV 42. 610. Philostorg. XI 3. Oros. VII 37, l). Sogar das Recht der Gesetzgebung scheint der alte Kaiser sich nicht vorbehalten zu haben; denn die Gesetze vom 6. November 394 und vom 9. Januar 395 sind in Constantinopel, also von Arcadius, oder richtiger von R., erlassen und stammen, falls ihre Datierung richtig überliefert ist, aus der Zeit, als Theodosius seinen Feldzug schon angetreten hatte, aber noch am Leben war (Cod. Theod. V 14, 34. XIII 8, 1). An R. sind in diesem Jahre gerichtet Cod. Theod. II 29, 2. I 13, 1. VIII 4, 18. XII 1, 139. XV 7, 12. 5, 2. XVI 5, 23. XV 1, 31. XVI 5, 24. V 14, 34.

395. Als Theodosius am 17. Januar gestorben war, nahm R. den Eunomianern alsbald wieder das testamentarische Erbrecht (Cod. Theod. XVI 5, 25), das jener ihnen kurz vorher zurückgegeben hatte (Cod. Theod. XVI 5, 23. 27), und zeigte noch durch eine Reihe anderer Gesetze gegen Ketzer und Heiden seine orthodoxe Begeisterung (Cod. Theod. XVI 5, 26. 28. 29. 10, 13. II 8, 22). Er soll die Absicht gehabt haben, seine Tochter mit dem jungen Kaiser zu vermählen (Zosim. V 1, 4. 3, 1. 3. 5. Joh. Ant. frg. 190); doch hintertrieb dies der Eunuche Eutropius, indem er die Begierden des Arcadius auf die schöne Eudoxia lenkte, mit der am 27. April die Hochzeit gefeiert wurde (s. o. Bd. VI S. 917). Dann wird dem R. der Plan zugeschrieben, sich selbst zum Kaiser zu machen (Claud. in Ruf. II 314. 346. 383. 442. 450. Zosim. V 1, 4. 3, 3. 7, 1. Joh. Ant. frg. 190. Philostorg. XI 3. Oros. VII 37, l. Socrat. VI 1, 6. Sozom. VIII 1, 2. Joh. Lyd. de mag. II 10. III 7. 23. 40. Suid. s. Ῥουφῖνος). Diesen Gerüchten wurde dadurch Nahrung gegeben, daß er der erste Privatmann war, der sich ein Gefolge von Bewaffneten hielt, das vorzugsweise aus Hunnen bestand (Mommsen Chron. min. I 650, 34. Claud. in Ruf. II 76. Seeck Ztschr. [1192] f. Rechtsgesch. XVII Germ. Abt. 109), und daß er die Aufsicht über die staatlichen Waffenfabriken und Arsenale dem Magister officiorum entzog und selbst übernahm (Joh. Lyd. de mag. II 10. III 40). Man behauptete, er habe kurz vor seinem Tode schon Münzen mit seinem Bilde schlagen lassen (Claud. in Ruf. II 342). Der Haß gegen ihn wurde so groß, daß das Gerücht, das wahrscheinlich Stilicho verbreiten ließ, R. habe die Barbareneinfälle, die 395 über das Ostreich hereinbrachen, absichtlich veranlaßt, Glauben finden konnte (Claud. in Ruf. I 308. 319. II 9. 501. Bell. Poll. 517. Zosim. V 5, 3. 4. 7, 1. Joh. Ant. frg. 190. Oros. VII 37, l. Mommsen Chron. min. II 64, 395, 4. Socrat. VI 1, 6. Sozom. VIII 1, 2). Dieser Verdacht wurde dadurch gesteigert, daß Alarich bei seinen Plünderzügen die Landgüter des R. verschonte (Claud. in Ruf. II 71) und dieser selbst germanische Tracht anlegte, als er persönlich in das Lager der Goten vor Constantinopel kam, um sie durch Unterhandlungen zum Abzuge zu bewegen (Claud. in Ruf. II 73ff.). Doch jene Einfälle nützten nur dem Stilicho, insofern ihm dadurch Gelegenheit geboten wurde, in die Regierung des Ostreiches einzugreifen, die er, gleich der des Westreiches, als Vermächtnis des Theodosius für sich in Anspruch nahm (Claud. in Ruf. I praef. 17. II 4–6. 152; de nupt. Hon. 307; de III cons. Hon. 151–158; de IV cons. Hon. 432; de cons. Stil. I 140. II 54; vgl. in Eutrop. II 599–602. Ambros. de obit. Theod. 5 = Migne L. 16, 1387. Zosim. V 4, 3. 34, 6. Olymp. frg. 2 = FHG IV 58). Denn der alte Kaiser hatte fast die ganze Kriegsmacht des Orients gegen Eugenius ins Feld geführt, und bei seinem Tode war sie in Italien unter dem Oberbefehl des Stilicho zurückgeblieben, so daß Arcadius den Barbaren so gut wie waffenlos gegenüberstand (Claud. in Ruf. II 6. 104–119. 156–158; de cons. Stil. I 151–161. Zosim. V 4, 2). Stilicho rückte daher in Thessalien ein, wohin Alarich ihm vorangezogen war, und rüstete sich, die Goten zu bekämpfen (s. o. Bd. I S. 1287). Doch er war schon unter der Regierung des Theodosius der erklärte Gegner des R. gewesen (Claud. in Ruf. I 260. 298. Laus Serenae 232; vgl. Eunap. frg. 62. Zosim. V 4, 3), und dieser mußte fürchten, daß es ihm zum Verderben werde, wenn Stilicho auch im Ostreiche Macht erlange (Claud. in Ruf. II 130. Zosim. V 5, 1). Er beförderte daher nach Kräften die möglichste Sonderung der beiden Reichsteile (Claud. in Eutrop. II 539. 550) und veranlaßte jetzt den Kaiser, daß er Stilicho den Befehl übersandte, das oströmische Heer nach Constantinopel zurückzuschicken (Claud. in Ruf. II 161. 170. 195; vgl. Zosim. V 7, 3). Dies geschah, aber Gainas, der die Führung übernahm. empfing geheime Aufträge (Zosim. V 7, 4. Joh. Ant. frg. 190. Philostorg. XI 3; vgl. Claud. in Ruf. II 275. 402; bell. Gild. 304). Als das Heer am 27. November (Socrat. VI 1, 4) auf dem Felde des Hebdomon bei Constantinopel angelangt und in Parade aufgestellt war, kam Arcadius, begleitet von dem Praefecten, vor die Stadt hinaus, um es zu begrüßen. Da kreisten die Soldaten den R. ein und hieben ihn in Stücke (Claud. in Ruf. II 366ff.; in Eutrop. II 542; de [1193] cons. Stil. II 212. Zosim. V 7, 5. Joh. Ant. frg. 190. Philostorg. XI 3. Oros. VII 37, 1. Mommsen Chron. min. I 650, 34. II 64, 395, 5. Sozom. VIII 1, 3. Hieron. epist. 60, 16. Aster. hom. IV = Migne L. 22, 600; G. 40, 224). Die Reste seines zerstückelten Leichnams blieben unbegraben (Claud. in Ruf. I 371. II 452). In diesem Jahre wurden an ihn gerichtet Cod. Theod. XIII 8, 1. XVI 5, 25. 26. 10, 13. II 9, 3; falsch datiert Cod. Theod. I 14, 2, ohne Datum Cod. Iust. XI 52.

Seine Frau und Tochter hatten in einer Kirche Schutz gesucht; sie wurden begnadigt und durften nach Jerusalem ziehen, wo sie ihr Leben beschlossen (Zosim. V 8, 2. 3. Joh. Ant. frg. 190. Mommsen Chron. min. II 64, 396, 1). Sein Vermögen wurde konfisziert (Symmach. epist. VI 14, 1), aber nicht etwa denen, die er beraubt hatte, zurückgegeben, sondern der größte Teil an Eutropius und andere Günstlinge verschenkt (Zosim. V 8, 2; vgl. Cod. Theod. IX 42, 14). Sein Nachfolger in der Praefectur wurde Caesarius (Philostorg. XI 5), in der Herrschaft über den schwachen Kaiser Eutropius (Philostorg. XI 4). An ihn gerichtet Symmach. epist. III 81–91. Liban. epist. 784. 1025. Libanios beabsichtigte, einen Panegyrikos auf ihn zu schreiben (Liban. epist. 1029), scheint aber durch den Tod daran gehindert zu sein. Claudian schrieb gegen ihn ein Schmähgedicht in zwei Büchern. A. Güldenpenning Geschichte des oströmischen Reiches unter den Kaisern Arcadius und Theodosius II, Halle 1885, 25ff. Seeck Die Briefe des Libanius 255. Geschichte des Untergangs der antiken Welt V 267.

[Seeck. ]