Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Empfänger eines Briefes des Plinius
Band XXIV (1963) S. 12651268
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Quintilianus.

1) Der Empfänger des Briefes Plin. epist. VI 32, sonst aber ebenso unbekannt wie seine daselbst genannten Angehörigen Tutilius und Nonius Celer. Plinius kündigt ihm ein Geschenk von 50 000 Sesterzen an, denn Q. lebt in beschränkten Verhältnissen, die mit seiner Herkunft in Zusammenhang stehen und die er durch eine Heirat nicht verbessert hat. Er ist eben daran, seine Töchter – die Enkelin seines Schwiegervaters Tutilius, deren Namen wir nicht erfahren – [1266] mit einem kleinen, nicht begüterten Beamten, namens Nonius Celer, zu verheiraten. Dieser wird nur honestissimus vir genannt: demnach war er ein anständiger Mann ohne auffällige Untugenden, der keinesfalls die Ritterwürde besaß; seine amtliche Stellung (civilia officia) wird ihn eben nur von der niederen Plebs unterschieden haben; denn sie wird uns verschwiegen oder richtiger mit der Phrase umkleidet, daß ihm sein Amt im Staatsdienste doch einigermaßen Repräsentationspflichten auferlegte (§ 1). Im Briefe Plin. epist. IX 30 taucht noch ein Nonius ohne Zusatz auf, der von Geminus Rosianus, einem der engeren Pliniusfreunde, wiederholt wegen seiner Freigebigkeit gerühmt wurde. Mommsen nennt im Index Plin. 420 beide ohne Kommentar, ebenso wie Q. und Tutilius. Es wäre ungereimt, in einem Manne, der reichen Leuten Geschenke macht, um Gegengeschenke zu erlangen, bloß der Namensgleichheit wegen jenen anderen Nonius wiederzuerkennen, der sich die erwartete Mitgift von seinem Schwiegervater erst zustellen lassen muß. Man braucht ja die Begründung, die der stets liebenswürdige Plinius seiner Spende gibt, nicht ganz wörtlich zu nehmen. Er will offenbar die Familie, der sein Wohlwollen gilt, vor der Welt seiner Leser in eine höhere Schicht heben. Er spricht darum von Ausstattung und von Dienerschaft (comitatus) für die Braut, die so einfach erzogen war, während es sich in der Tat um die Mitgift handelt, die der wenig bemittelte Verlobte nötig hat, dessen Amt der Brief eben nicht zu nennen wagt. V. Duruy Histoire des Romains IV 208 übersetzte comitatus mit ,train de maison‘ (Hausgesinde), fand aber damit lebhaften Widerspruch bei E. Allain Pline le jeune et ses héritiers I (Paris 1901) 113, der darunter die pompa nuptialis versteht, d. h. die Dienerinnen und Diener, die die Braut bei ihrem Gang zur Hochzeit begleiten und ihr die Schmucksachen und sonstigen Gegenstände, die sie erhielt, zur Schau für Gäste und Umstehende vorantragen; also nicht bloß das Hauspersonal, sondern auch die für den Tag der Feier aufgenommenen Leute, die er sich bei dem nicht unbedeutenden Betrag der Spende zahlreich denkt. Diese Auffassung ist Allain aber nur darum möglich, weil er in Q. den berühmten Rhetor sieht. Ihm heißt die Braut deshalb nicht mit Mommsen Ges. Schr. IV 366f. Tutilia, sondern Fabia nach Q., den Plinius epist. II 14, 9 und VI 6, 3 seinen Lehrer nennt, sonst aber nirgends erwähnt hat, was bei der Stellung, die er gegen Domitian nach dessen Tode einnahm, sehr begreiflich ist. Nun hat der Rhetor im Prooemium (§ 1–13) des VI. Buches seiner Institutio den Verlust einer jugendlichen Gattin und zweier Söhne beklagt und in rührenden Worten es bedauert, daß er sie überleben mußte. So konnte niemand sprechen, der bereits eine zweite Ehe geschlossen und aus ihr eine heiratsfähige Tochter gewonnen hatte. Die von Allain angenommene Heirat müßte demnach später fallen als die Abfassung des VI. Buches, ja später als der Abschluß des ganzen Werkes, der wahrscheinlich im Herbst des J. 95 erfolgte; denn jene Klage wäre nach der Veröffentlichung unpassend geworden, wenn die Heirat schon stattgefunden hätte. Nach diesem Zeitpunkt wäre sie denkbar, wenn man die [1267] Abfassungsfrist des VI. Buches der Pliniusbriefe möglichst spät und das Heiratsalter der Fabia-Tutilia möglieht zeitig ansetzt. Mommsen verlegt die Entstehung der Briefe des VI. Buches in die J. 106–107 (Ges. Schr. a. O.). W. Otto Zur Lebensgesch. d. jüng. Plinius, S.-Ber. Akad. Münch. 1919, 10. Abh. hat ihm nicht widersprochen, da er bei der Datierung der Briefe (S. 37) das VI. Buch übergeht. Allein wie dem auch sei: entscheidend ist der Umstand, daß der Rhetor, seit ihm Domitian die Ausbildung seines Großneffen übertragen (Quintil. inst. IV prooem. 2) und dann auch die Ornamenta consularia verliehen hatte, in glänzenden Verhältnissen lebte. War er doch auf diese Art in den Senatorenstand eingetreten: vgl. dazu Plin. epist. IV 11, 3. Iuv. VII 197f. si Fortuna volet, fies de rhetore consul, si volet haec eadem, fies de consule rhetor und L. Schwabe o. Bd. VI S. 1850. An einer anderen Stelle derselben Satire tadelt es Iuvenal zwar, daß selbst der gefeierte Lehrer Quintilian mit einer armseligen Vergütung seiner öffentlichen Unterrichtstätigkeit vorlieb nehmen mußte (sat. VII 186f.), doch fertigt er den Einwurf eines fingierten Zwischenrufers (,Unde igitur tot Quintilianus habet saltus?‘ (v. 188f.) mit der kurzen Bemerkung exempla novorum fatorum transi (v. 189f.) ab, weil sonst ein anerkennendes Wort für Domitian nicht zu vermeiden gewesen wäre. Es ist somit vollkommen ausgeschlossen, daß der Pliniusbrief VI 32 den berühmten Rhetor meine; vgl. auch L. Schwabe o. Bd. VI S. 1851.

Dieser Ansicht neigt nach einigen Bedenken auch M. Döring C. Plinii Caec. Sec. epist. erläutert Freyberg 1843, II 65 zu, doch glaubt er für den Fall einer anderen Annahme den Reichtum des Rhetors durch einen uns unbekannt gebliebenen besonderen Glücksfall erklären zu müssen; er soll ihm begegnet sein, nachdem Plinius seiner Bedürftigkeit zu Hilfe gekommen war. Dies wird jedoch durch Iuven. VII 197f. (s. o.) widerlegt; denn hier wird deutlich auf die Worte des Licinianus Quos tibi, Fortuna, ludos facis? Facis enim ex senatoribus professores, ex professoribus senatores (Plin. epist. IV 11, 3) angespielt und mit Recht weist L. Schwabe 1850 darauf hin, daß Iuvenal dabei um so sicherer Quintilian im Auge hat, als er den Rhetor im gleichen Gedicht erst wenige Verse vorher (186. 189) erwähnte; auch muß diese Ehrung Quintilians bei ihrer Besonderheit allgemeines Aufsehen hervorgerufen haben: war sie ja von allen bei Sueton de rhetoribus genannten Meistern der Beredsamkeit nur unserem Rhetor zuteil geworden! Damit ist aber auch erwiesen, daß der Rhetor Q. außer den Abzeichen der Consulswürde auch das Senatorengehalt bekam, also eines besonderen Glücksfalls gar nicht bedurfte, um Eigentümer der zahlreichen Grundstücke zu werden, die man ihm bei Iuvenal (VII 188f.) zuschreibt.

Döring hält es a. O. schließlich auch für möglich, daß Q. aus Quintianus verschrieben sei und verweist auf Plin. epist. IX 9, 1. Indes die Lebensumstände des hier genannten Pompeius Quintianus sind von denen des Q. gänzlich verschieden. Er stammte offenbar aus einem vornehmen Hause, stand noch unter väterlicher Gewalt, sein früher Tod wird beklagt [1268] und seine Wesensart in den höchsten Tönen gefeiert. Er war bestimmt nicht verheiratet, denn sonst hätte er seinem ihm wenig ähnlichen, unangenehmen Vater nicht ein derart musterhafter Sohn sein können, daß man an seinem Verhalten gegen diesen Vater beinahe Anstoß nahm (dies ist wohl der Sinn der gesuchten Antithese IX 9, 2): seine Eigenschaft als braver Sohn tat der Schätzung, die er in der Gesellschaft als Mann genoß, keinen Eintrag. Auch von Quintianus weiß Mommsens Index nichts zu melden.

Schrifttum. P. v. Rohden Prosop. Rom. III 115 nr. 14. Th. Mommsen Index Plinian. in der Ausg. v. H. Keil (Lpz. 1870) p. 424. Th. Mommsen Ges. Schr. IV (1906) 366ff. E. Allain Pline le jeune et ses héritiers, 4 Bde, Paris 1901/02.