Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Certus, Praetor 93 n. Chr.
Band XXIII,2 (1959) S. 19031904
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32) Publicius Certus, gewesener Praetor 93 n. Chr., der Domitian bei einem an Helvidius (s. o. Bd. VIII S. 221f.) verübten Rechtsverbrechen Helferdienste leistete, nachdem er des Herrschers Grimm gegen den aufrechten, freilich oppositionell eingestellten Mann entfacht hatte. Helvidius, der Sohn des republikanisch gesinnten, unter Vespasian hingerichteten Helvidius Priscus (s. o. Bd. VIII S. 216ff.), war von Domitian im J. 93 unter einem nichtigen Vorwand beseitigt worden: nach Ansicht des Kaisers hatte er nämlich in dem dramatischen Scherzspiele ,Paris und Oenone‘ auf die Ehescheidung des Regenten angespielt (Suet. Dom. 10, 4). Als Helvidius im Senate der Verspottung des Kaisers bezichtigt wurde, trat der Delator P. als Ankläger des Beschuldigten auf: vgl. Plin. epist. IX 13, 16, wo des P. blutgierige Kriecherei (cruenta adulatio) gegenüber Domitian hervorgehoben wird. Bei dieser denkwürdigen Senatsverhandlung schreckte der Richter und ehemalige Praetor P. nicht davor zurück, sich an dem Senator und Konsular (Plin. a. O. § 3) Helvidius tätlich zu vergreifen und ihn unter Beihilfe anderer Senatoren in den Kerker abzuführen, wo ihn Domitians Rache erreichte (Tac. Agr. 45).

Nach dem gewaltsamen Ende des Kaisers (96 n. Chr.) verwaltete zwar P. das Amt eines Schatzmeisters (praefectus aerarii, Plin. § 11) und die Konsulswürde stand ihm in naher Aussicht (ebd.): aber Plinius, der mit Helvidius innig befreundet war (epist. IX 13, 3 und III 11, 3), ergriff unbekümmert um P.’ hohen Rang zum Schutz der mißhandelten Ehre des toten Freundes im Senate das Wort (96/97) und prangerte P.’ schnöde Angeberei, Knechtseligkeit und ungeheuerliche Gewalttätigkeit (epist. IX 13, 2) – trotz scharfer Zwischenrufe und wiederholter Einsprachen von Seiten der Genossen des Delators (Plin. a. O. § 7ff.) – in ebenso schneidender wie zündender Rede an. P. wohnte dieser Senatssitzung nicht bei, ,sei es, daß er etwas ahnte oder weil er tatsächlich krank war, wie seine Entschuldigung lautete‘ (§ 22). Plinius hatte nicht in den Wind gesprochen: P. erhielt das erhoffte Konsulat nicht, verlor aber auch sein Amt als Vorstand der Schatzkammer (§ 23). Seine Senatsrede gegen P. veröffentlichte Plinius nachher in Buchform; wie er selbst sagt, schrieb er sie aus dem Gedächtnis [1904] nieder und gab ihr dabei eine erweiterte Gestalt (§ 24). Ganz kurze Zeit nach dem Erscheinen dieser Schrift erkrankte P. zufällig (aber die öffentliche Meinung wollte dies nicht als Zufall gelten lassen, vgl. § 24) und starb.

Vgl. Prosop. Rom. III 106 nr. 777. Th. Mommsen im Index der Pliniusausgabe von H. Keil p. 423. St. Gsell Essai sur le règne de l’emp. Domitien Paris 1894, 281f. J. Asbach Röm. Kaisert. u. Verf. bis auf Traian Köln 1896, 124. Schanz-Hosius Gesch. d. röm. Lit. II4 (1935) 659.