Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Römisches Götterpaar, häuslicher Kultus unterer Volksschichten
Band XX,2 (1950) S. 13691372
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Pilumnus und Picumnus sind uns als Götterpaar bezeugt seit Fabius Pictor (cos. 135) bei Nonius Bd. III 834 Lds. Pilumno et Picumno (s. u.), Alliteration und Reim der Namen zeigen, daß die Paarung nicht allzu jung sein wird. Über ihre Bedeutung für den Kultus, der ausschließlich ein häuslicher, und zwar später der unteren Volksschichten, gewesen zu sein scheint, sind wir nur durch Varro unterrichtet, einmal unmittelbar bei Nonius Bd. III 848 Lds. Pilumnus et Picumnus di praesides auspiciis coniugalibus putantur. Varro de vita populi Romani lib. II: ‚natus si erat ritalis ac sublatus [1] ab obstetrice statuebatur in terra ut aspiceretur rectus esse; dis coniugalibus Pilumno et Picumno in aedibus lectus sternebatur‘, das zweitemal durch Augustin c. d. VI 9, auf Varro ant. rer. div. XIV zurückgeführt von Erdm. Schwarz Jahrb. f. Philol. Suppl. XVI 454 und Agahd ebd. XXIV 177: mulieri fetae post partum tres deos commemorat adhiberi, ne Silvanus deus per noctem ingrediatur et vexet eorumque custodum significandorum causa tres homines noctu circuire limina domus et primo limen securi ferire, postea pilo, tertio deverrere scopis, ut his datis culturae signis deus Silvanus prohibeatur intrare, quod neque arbores caeduntur ac putantur sine ferro, neque far conficitur sine pilo neque fruges concervantur sine scopis; ab his autem tribus rebus tres nuncupatos deos, Intercidonam a securis intercisione, Pilumnus a pilo, Deverram a scopis, quibus diis custodibus contra vim dei Silvani feta conservaretur. Hier werden zwei völlig verschiedene Riten beschrieben, die aber beide mit der Geburt eines Kindes in engstem Zusammenhang stehen. Zum Schutze der Wöchnerin gegen Silvanus dient nach Augustins Bericht die trotz Samter Jahrb. 41 nicht mehr verständliche Begehung, die Schwelle mit Beil und Mörserkeule zu schlagen, dann zu fegen, wodurch die drei Gottheiten Intercidona, Pil. und Deverra als Nothelfer beschworen sein sollen. Wichtig ist, daß hier Pic. fehlt. Im andern Falle wird dem neugeborenen und vom Vater anerkannten Kinde*) die Gnade der – angeblichen - Ehegottheiten Pil. und Pic. durch ein lectisternium gesichert, während man seine körperliche Wohlgeratenheit [1370] prüfte. Ein unmittelbarer Zusammenhang der zwei Vorgänge ist nicht erkennbar. Ihn versucht Serv. Dan. Verg. Aen. X 76 dadurch herzustellen, daß er schreibt: Varro Pilumn[i]um et Picumn[i]um infantium deos esse ait eisque pro puerpera lectum in atrio sterni, dum exploretur, an vitalis sit, qui natus est, also aus dem zweiten Bericht pro puerpera in den ersten hineindeutet (Agahd 177).

Von den zwei Darstellungen einer kultischen Begehung ist das wörtliche Varrozitat bei Nonius deshalb besonders wichtig, weil es außer den zwei Worten dis coniugalibus nichts enthält, was nicht reine Beschreibung eines Vorganges wäre, so daß hier die Aussicht, das Wesen des Pil. und Pic. zu verstehen, größer ist als in der mit rationalisierender Ausdeutung durchsetzten Wiedergabe bei Augustin. Während der Feststellung, ob der Neugeborene gerade gewachsen sei, wird den beiden Göttern das lectisternium ausgerichtet: in dieser Prüfung lebt offenbar die Sitte eines kriegerischen und darum auf körperliche Wohlgeratenheit besonders aufmerksamen Stammes fort, und wir können deshalb die dabei mitwirkenden Gottheiten am ersten in der Sphäre des Krieges suchen. In diese Richtung scheint aber, trotz aller dabei gebotenen Skepsis, doch auch die Etymologie der beiden Götternamen zu weisen. Auszugehen ist von Festus 224 Lds. (vgl. Preller–Jordan a. O.): Pilumnoe poploe in carmine saliari Romani, velut pilis uti assueti, vel quia praecipue pellant hostes. Die zweite, etymologische Deutung kann hier auf sich beruhen, die erste versteht pilumnoe ähnlich, wie man später hastati, veruli sagte, von denen ersteres durch umbr. iorie hostatu (tab. Ig. VI a 59 usw.) für das Gebet bezeugt ist. In pilumnoe ist -mno- einer der wenigen lateinischen Überreste der idg. Participialbildung auf -meno-, -mno-‚ hier denominativ zu pilum ,Wurfspieß‘ (Leumann in Stolz-Schmalz Lat. Gr.⁵ I 222, mit Unrecht zurückhaltend in der Deutung Wackernagel o. Bd. XX S. 1336). Da man sich trotz Walde Et. Wörterb.² 581 kaum dazu entschließen wird, Pil. und pilumnoi voneinander zu trennen, wird man auch Pil. als ‚qui pilo utitur‘ verstehen, und entweder das Wort als eine alte Indigitation des Mars ansehen oder wahrscheinlicher, seinen Träger für eine Gottheit dieses Kreises halten. Das ist um so möglicher als auch der Name des Pic. in die gleiche Richtung weist. Non. Bd. III 834 Lds. Picumnus et avis est Marti dicata, quam picum vel picam vocant, et deus qui sacris Romanis adhibetur. Aemilius Macer in Theogoniae lib. I: ‚et nunc agrestis inter Picumnus habetur‘ (sc. deos). Hyginus: ‚est parra Vestae, picus Martis‘. Fabius Pictor Rerum gestarum lib. I: ‚et simul videbant picum Martium‘. idem luris pontificii lib. III: ‚Pilumno et Picumno‘. Man darf wohl annehmen, daß der Name des picus Martius, einer einstigen Erscheinungsform des Gottes selber, als er zusammen mit Pil. als Götterpaar verehrt wurde, durch Reimbildung dem des Pil. angeglichen wurde. (Die in den Hss. häufige Form Pitumnus für Pic. ist offensichtlich reiner Schreibfehler und bleibt deshalb hier unberücksichtigt.) Ob in der Gleichsetzung bei Serv. Dan. Aen. IX 4 quidam Pilumnum el Picumnum Castorem et Pollucem [1371] accipiunt, nonnulli laudum deos noch eine wirkliche Anschauung von dem Wesen dieses Götterpaares erhalten ist, läßt sich nicht mehr ausmachen. Daß hier keine bloße Konstruktion vorzuliegen braucht, könnte man nämlich daraus schließen, daß Pil. und Pic. ein lectisternium (trotz Wissowa Religion² 423, 1) nach griechischem Ritus ausgerichtet wird, wie es im Gegensatze zu Rom im tusculanischen Castordienste üblich war (Fest. 410 Lds., vgl. 472). Man könnte auf den Gedanken kommen, dsß die von Bickel erschlossenen vorgriechischen ‚Dioskuren‘ auf dem Forum (Rh. Mus. LXXXIX [1940] 17ff.) die Namen unseres Götterpaares geführt hätten, deren Verehrung sich in den ländlichen Bezirken (s. o. agrestis inter sc. deos) und beim niederen Volke erhielt, während sie bei den Vornehmen auch aus den Geburtsriten verschwanden und dort durch Juno und Hercules ersetzt wurden (Wissowa² 423, 1).

Mit der hier vorgeschlagenen Erklärung scheint der Bericht bei Augustin völlig unvereinbar, indem dort Pil. nicht nach der Waffe, sondern nach der Mörserkeule pilum (beide Worte nicht identisch: Walde Et. Wörterb.² 583, anders Schulten o. Bd. XX S. 1334) benannt sein soll, mit der die Schwelle der Wöchnerin geschlagen wird. Bei genauerem Zusehen bemerkt man aber, daß 1. in dem Berichte die Zauberhandlung von der Aufzählung der beschworenen Götter durch eine abstrakte Erörterung getrennt ist und daß 2. mindestens Intercidona mit dieser Handlung nichts gemein haben kann, da ihr Name den geschilderten Vorgang in keiner Weise zum Ausdruck bringt: er führt wohl eher auf das Durchschneiden der Nabelschnur des Neugeborenen. So darf man annehmen, daß die drei Gottheiten erst von Varro aus etymologischen Gründen mit dem Zauberritus in Verbindung gebracht sind, und daß deshalb die Deutung Pil. a pilo = Mörserkeule, zumal bei dem Fehlen von Pic., ohne religionsgeschichtlichen Wert ist.

Aber wie Mars in seiner Wirksamkeit nicht auf das kriegerische Geschehen beschränkt war (Ambarvalia), so scheinen auch Pic. und Pil. auf die allgemeine bäuerliche Lebenssphäre eingewirkt zu haben. Denn es wird bald Pil. (Serv. Dan. Aen. X 766), bald Pic. (Serv. Aen. IX 4) der Beiname Stercutius oder Sterculinus gegeben - August. c. d. XVIII 15: Stercen sive Stercutium [dort Vater des Picus!] merito agriculturae fecerunt deum –‚ weil er usum stercorandorum invenit agrorum (Serv. Aen. IX 4), und in dieser Umgebung ist es verständlich, wenn man Pil. von pilum ‚Mörserkeule‘ ableitete, am knappsten formuliert nach Varro von Isidor IV 11, 5: Varro . . refert Pilumn[i]um quendam in Italia fuisse, qui ‚pinsendis praefuit arvis‘ (arva = frumenta, als poetisches Zitat noch nicht erkannt?)‚ unde [et] pilumni et pistores. Die hier noch als Mensch gedachte Erfinderpersönlichkeit (Plin. XVIII 10. Mart. Cap. II 158) wird dann wie Romulus vergöttlicht (Serv. Aen. IX 4. Serv. Dan. X 76. Min. Fel. Oct. 25, 7. Cypr. Quod idola 4, p. 21, 7 Hart, alle auf Varro zurückgehend).

Die letzte Etappe der Saecularisierung ist dann bei Vergil erreicht, wenn er Pil. (Pic. erwähnt er nirgends, sondern nur Picus) in den [1372] Stammbaum der Könige von Ardea einfügt. Merkwürdig ist dabei das Schwanken des Dichters, der IX 3 Pil. als parens, X 75 als avus X 619 als quartus pater, d. h. als abavus des Turnus bezeichnet. was Scrv. Aen. X 619 durch die übliche Annahme zweier Pil. auszugleichen sucht. Doch scheint auch Vergil noch an die Göttlichkeit des Pil. erinnern zu wollen, wenn er IX 3 sagt: luco tum forte parentis Pilumni Turnus sacrata valle sedebat, und XII 83 die Rosse des Pil. als Geschenk der Orithyia (wohl in Erinnerung an die von Boreas gezeugten Rosse des Erichthonios Hom. Il. XX 219ff.) bezeichnet werden.

Literatur: Preller-Jordan Röm. Myth.³ I 375ff. De Marchi A. Il. culto privato di Roma antica (Mailand 1896) I 161. 166. E. Samter N. Jahrb. XV (1905); Geburt, Hochzeit und Tod (1911) 29ff. Wissowa Religion² 244 mit Anm. 1-3. 423, 1. Myth. Lex. s. Pil.; Indigitamenta 213-215. H. J. Rose Primitive culture in Italy 133.

  1. Daß so und nicht nach obst. zu interpungieren ist, ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit daraus, daß Varro offenbar ein etymologisches Wortspiel obstetrix a statuendo in terra beabsichtigt. Die sublatio durch den Vater ging also dieser Prüfung voran.