Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Elegiendichter
Band XIX,2 (1938) S. 17811783
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Phanokles. Elegieendichter unbekannter Herkunft. Auch über seine Lebenszeit sind keine Angaben erhalten. Früher glaubte man (Couat 9), er sei als nachdemosthenisch gesichert durch Clem. Alex. strom. VI 440 St.: ἀλλὰ καὶ Δημοσθένους εἰπόντος ,πᾶσι γὰρ ἡμῖν ὁ θάνατος ὀφείλεται‘ καὶ τὸ ἑξῆς ὁ Φανοκλῆς ἐν Ἕρωσιν ἢ Καλοῖς γράφει (folgt frg. 2 P.), doch verkennt die temporale Auffassung des Participiums Absicht und Stil des Clemens, wie besonders deutlich wird aus S. 441 St.: Πλάτωνός τε ἐν Πολιτείᾳ εἰπόντος κοινὰς εἶναι τὰς γυναῖκας Εὐριπίδης ἐν Πρωτησιλάῳ γράφει• κοινὸν γὰρ εἶναι χρῆν γυναικεῖον λέχος. Gesichert ist die Zeit des P. erst durch die Feststellung von v. Leutsch Philol. XII (1857) 66, daß der Anspielungen liebende Apoll. Rhod. IV 903 den Vers des P. frg. 1, 1: ἢ ὡς Οἰάγροιο πάις, Θρηΐκιος Ὀρφεύς mit der auffallenden Messung Θρηΐκιος so zitiert, ‚daß man es merken soll‘ (v. Wilamowitz 108). Damit wäre der terminus ante quem gesichert. Genauere Einordnung ergibt sich aus Inhalt, Tendenz und Stil.

Inhalt. Kenntlich ist nur ein einziges Werk des P., dem die drei wörtlichen Fragmente und einige mythologische Notizen entstammen; Buchangaben fehlen. Clem. Alex. strom, VI 440 und Protr. 28 St. zitiert es ἐν Ἔρωσιν ἢ Καλοῖς, Lactant. arg. zu Ovid. met. II fab. 4: in Cupidinibus. (Der von Lactant. Inst. div. I 11, 1 beschriebene triumphus Cupidinis eines ungenannten Dichters darf nicht hineingezogen werden: Rohde Gr. Rom³ 115, 1.) Frg. 1 und 3 P. beginnen beide ἢ ὡς: also war es ein Kataloggedicht nach dem Vorbilde der Hesiodschule, deren es in hellenistischer Zeit mehrere gab (Rohde Gr. Rom³ 89), die Verwendung des Distichons statt des Hexameters legt nahe, daß die Leontion des Hermesianax – doch wohl das erste elegische Gedicht dieser Art – schon bekannt war. Der Vergleich mit Hermesianax ist auch sonst berechtigt; denn κατάλογον ποιεῖται ἐρωτικῶν (Athen. XIII 597 a über Hermesianax) würde auch auf P. zutreffen, dessen Καλοί offenbar als Gegenstück zu den κατάλογοι γυναικῶν gedacht sind. Doch übersehe man den Unterschied nicht. Hermesianax gibt eine Aufzählung der (wirklichen oder angeblichen) Geliebten von Dichtern und Weisen geschichtlicher Zeit (auch Orpheus galt den Musiktheoretikern für eine historische Person), P. erzählt, soviel wir wissen, nur mythische Begebenheiten: Liebesabenteuer von Göttern und Heroen (zu denen bei ihm auch Orpheus gehört) mit schönen Knaben,

[1782] Tendenz. Auch diese ist von Hermesianax verschieden, dessen Aufzählung der Dichtergeliebten in irgendeiner nicht mehr genau erkennbaren Beziehung zu der mehrmals angeredeten (verstorbenen?) Geliebten Leontion gestanden haben muß, dagegen verfolgen die Ἔρωτες des P. ausgesprochen aitiologische Zwecke, die zwar auch Hermesianax berücksichtigte (Heibges o. Bd. VIII S. 826), aber mindestens in dem wörtlich erhaltenen Stücke nicht aufdringlich betont. Das ist deutlich im frg. 1 des P.: Die thrakischen Weiber zerreißen den Orpheus, über seine Knabenliebe ergrimmt; ihre Männer strafen sie dafür durch Brandmarken, woraus die Sitte des Tätowierens bei ihnen sich herleitet, das bei den Thrakern für εὐγενές (Herod. V 6) galt: ποινὰς δ’ Ὀρφῆι κταμένῳ στίζουσι γυναῖκας | εἰς ἔτι νῦν κείνης εἵνεκεν ἀμπλακίης. Das widerlegt auch die moderne Behauptung, P. habe Polemik gegen die Knabenliebe beabsichtigt, weil alle bekannten Erzählungen tragisch ausgingen. In den Orpheusmythos ist noch die Entstehung der lesbischen Sängerschule als zweites αἴτιον kunstvoll eingewoben (vgl. dazu Weil-Reinach Plut. de mus. § 49). – Auch die Liebe Agamemnons zu Argynnos (Clem. Protr. 28 St. + Athen. XIII 603 d + Steph. Byz. Ἀργύννιον mit der Anmerkung von Meineke, frg. 5 P.) diente als αἴτιον für das Heiligtum der Aphrodite Argynnis am Kephisos. – Durch ihre rationalistische Tendenz, die an Hekataios von Abdera denken läßt (s. o. Bd. VII S. 2760), ist die Fassung charakterisiert, welche P. der Ganymedessage gegeben hat, obwohl sie längst nicht so plump erklärt wie Hemkleitos (περὶ ἀπίστων 28). Euseb. = Hieron. z. J. 660 (daraus Oros. I 12, 4): Ob raptum Ganymedis Troi, patri Ganymedis, et Tantalo bellum exortum est, ut scribit Fanocles poeta. Frustra igitur Iovis fabula et raptrix aquila confingitur (frg. 4 P.). Wenn Ovid. met. II 367ff. die Verwandlung des Cygnus, wie Lactant. im arg. angibt (frg. 6 P.) und nicht bezweifelt zu werden braucht, aus P. genommen hat – v. Wilamowitz vermutet, daß er ihm noch mehr verdanke (X 83 geht auf frg. 1 zurück: Knaack Quaest. Phaetonteae Philol. Unters. VIII 63. Couat 101) –, so fehlt auch dieser alexandrinische Typus bei P. nicht. Der Raub des Adonis durch Dionysos (frg. 3 P.) mag Aition eines kyprischen Kultbrauches gewesen sein. Er ist also beherrscht von den Tendenzen der kallimacheischen Zeit: Kürze, Aition, Metamorphosen, Rationalismus.

Stil. Nur in einer Besonderheit des poetischen Ausdrucks steht er Hermesianax, dem Freunde des Philitas, näher als den Kallimacheern. Etwa die Hälfte der Pentameter des Leontionfragments sind so gebaut, daß der erste Hemiepes mit einem Adjectivum, das zweite mit dem zugehörigen Substantivum schließt (Couat 94), ein Typus, der von den älteren griechischen Dichtern eher gemieden als gesucht wird (Beispiele in den etwas anders geordneten Zusammenstellungen von N. Bach Historia critica poesis Graecorum elegiacae Progr. Fulda 1840) und auch bei Kallimachos nicht besonders häufig ist. P. hat ihn sechsmal auf 14 Verse. Durch diese Technik stellt er sich zu Hermesianax (Couat 95), der sie vielleicht von Philitas übernahm [1783] (Couat 79). Weiteres über Versbau und Stil des P. bei Couat 104. Wir dürfen also P. zwischen Hermesianax und Apollonius Rhodius einreihen.

Nachleben. Außer von Ovid ist P. anscheinend von Properz gelesen worden – er zieht III 7, 21 die Argynnossage an – und von Plutarch, der ebendiese Bruta rat. 990 d zusammen mit der Hylassage erzählt, frg. 2 D. des ἐρωτικὸς ἀνήρ (Quaest. conv. IV 5, 3 p. 67l c) erhalten hat und de sera n. v. zweimal auf ihn anspielt: οὐδὲ γὰρ Θρᾷκας ἐπαινοῦμεν, ὅτι στίζουσιν ἄχρι νῦν, τιμωροῦντες Ὀργεῖ, τὰς αὑτῶν γυναῖκας (= frg. 1, 255.). οὐδὲ τοὺς περὶ Ἠριδανὸν βαρβάρους, μελανοφοροῦντας ἐπὶ πένθει τοῦ φαέθοντος, ὥσπερ λέγουσιν (= Ovid. met. II 367ff.). Auch das Aition für das μελανοφορεῖν dürfte aus P. genommen sein. Ist es Zufall, daß die beiden von Plutarch hier nacheinander angezogenen Sagen auch Ovid (frg. l, 9 = met. X 83) bekannt waren, oder folgten sie vielleicht bei P. ebenfalls aufeinander? – Clem. Protr. 28 St. hat die Sage von Argynnos schwerlich aus P. unmittelbar, sondern hat eine ähnliche Kompilation benutzt, wie sie uns bei Athen. XIII vorliegt, wo 603 d vielleicht der Name des P. ausgefallen ist, aus verwandter Quelle dürfte die Ganymedessage bei Eusebius stammen und letzten Endes auf Didymοs zurückgehen, vgl. Sync. 305, 11 Bonn: Γανυμήδην ὁ Τάνταλος ἁρπάσας υἱὸν τοῦ Τρωὸς ὑπ αὐτοῦ κατεπολεμεῖτο Τρωός, ὡς ἱστορεῖ Δίδυμος ἐν Ἱστορίᾳ Ξένῃ καὶ Φανοκλῆς (aus Eus.). (Athen. XIII 601 e bringt aus Echemenes eine ähnlich rationalistische Fassung mit Minοs als Räuber, offenbar als Aition für die kretische Sitte des Knabenraubes, Strab. X 483). – Für Steph. Byz. Ἀργύννιον kennen wir den Vermittler nicht; es könnte Alexander Polyhistor gewesen sein, der einen Kommentar zu Korinna geschrieben hat (v. Wilamowitz BKT V 2, 38), aus der die von Steph. zitierte Form Ἀργουνίς sein wird. – Endlich haben P. die Florilegien berücksichtigt: frg. 1 ist aus Stob. und frg. 2 P. steht bei Clemens in einer gnomischen Partie.

Ausgaben. J. U. Powell Collectanea Alexandrina (Oxford 1925) 106ff. Diehl Anthol. lyr. II 6, 225f. Kern F. Orph. S. 22f., beide mit Literaturangaben. – Ältere: Ruhnken Opusc. II 635ff. N. Bach Philetae Hermesianactis atque Phanoclis reliquiae (1829) 187ff.

Literatur. Preller Rh. Mus. IV 399ff. = Ausg. Aufs. 370. Couat La poésie Alexandrine 99ff. Susemihl I 190. Christ-Schmid II⁶ 1, 123. v. Wilamowitz Hellenist. Lit. I 108. Ältere Literatur Pauly R. E. V 1429.

Übersetzung. A. W. v. Schlegel bei Fr. Schlegel Ges. W. IV 52.