RE:Montanus 17
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Begründer des Montanismus, Mitte 2. Jh. n. Chr. | |||
Band XVI,1 (1933) S. 206–210 | |||
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17) Um die Mitte des 2. Jhdts. soll M., der als die Inkarnation des heiligen Geistes angesehen wurde, in Ardabau, einem kleinen Orte an der Grenze Mysiens gegen Phrygien, seine Wirksamkeit begonnen haben. Die Zeit des Auftretens bestimmt der gegen die Montanisten polemisierende Anonymus bei Euseb. (hist. eccl. V 16, 7) durch die Amtszeit eines sonst unbekannten Gratus, der Proconsul in der Provinz Asia war. Epiphanius haer. 48, 1, 2 (II 219, 9 Holl) nennt das 19. Jahr des Antoninus Pius, also das J. 157. Gegen diesen Ansatz sind überzeugende Gründe nicht anzubringen (gegen Labriolle Crise 569ff.). M. soll ein Apollonpriester (so der Verf. der Disputatio Montanistae c. Orthod. Labriolle Sources 103, 4) oder ein Kybelepriester (Hieron. ep. 41, 4. CSEL 54, 314, 18 Hilb.) gewesen sein. Aber diese Angaben sind spätere, nicht auf ihre Richtigkeit nachzuprüfende Nachrichten. Unmittelbar nach seiner Bekehrung zum Christentum hat M. in Phrygien eine enthusiastische Bewegung ins Leben gerufen, die für die Entwicklung der christlichen Kirche von sehr bedeutendem Einfluß wurde. M. standen zwei Frauen, Maximilla und Priscilla (oder Prisca wie z. B. Tertull. de exhort. cast. 10) zur Seite. Diese beiden blieben den späteren kirchlichen Schriftstellern in lebendigerer Erinnerung als M. selbst. Das Zentrum der Bewegung waren die phrygischen Orte Pepuza und Tymion (Apollonios bei Euseb. hist. eccl. V 18, 2. Epiphan. haer. 48, 14. 49, 1. Cod. Theod. XVI 5, 59. 10, 24. Sozom. hist. eccl. VII 18, 12). Wo diese Orte gelegen haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Vgl. die Vermutungen von Ramsay Cities and Bishoprics II 573. 575. Nur so viel scheint sicher zu sein, daß Pepuza in der zweiten Hälfte des 4. Jhdts., zur Zeit des Epiphanius zerstört war (haer. 48, 14, I. II 239, 1 Holl). Die Nachricht (Euseb. hist. eccl. V 16, 13), daß M. wie Maximilla nach Art des Judas, also durch Erhängen gestorben seien, ist sicher Fabel. Einigermaßen genau ist nur der Tod der Maximilla festzulegen, wenn der Anonymus bei Euseb. (hist. eccl. V 16, 19) sagt, es seien 13 Jahre nach dem Tode der Maximilla vergangen, ohne daß die Kirche Verfolgungen, wie jene geweissagt habe, hätte erdulden müssen. Hiermit kann nur die Zeit des Commodus gemeint sein. Also dürfte Maximilla etwa 179 gestorben sein. Die Datierung der ersten Periode des Montanismus von ca. 157 bis ca. 179 ist allein befriedigend, wenn man versucht, sie mit den Zeiten der literarischen Polemiken in Verbindung zu setzen. Z. B. der Anonymus bei Eusebius gehört der zweiten Generation nach M. an, schreibt aber noch im 2. Jhdt. Die wichtigste phrygische Periode der durch M. veranlaßten Bewegung ist deshalb zwischen 160 und 180 anzusetzen.
Nach ihrem Ursprungsland wurde die Sekte immer οἱ Φρύγες, οἱ κατὰ Φρύγας genannt. Die Eigenart des Montanismus bezeichnet am besten wieder der Anonymus bei Eusebius, der über M. [207] selbst sagt: M. sei dämonischen Einflüssen erlegen, habe in Ekstase fremde Worte ausgestoßen und gegen alle kirchliche Überlieferung prophezeit. Neben diese ekstatischen Elemente der Bewegung, woher sie auch den Namen ,Neue Prophetie‘ führte, tritt eine strenge Askese, zweimaliges Fasten in der Woche, die Verwerfung der zweiten Ehe. Als eine höhere Forderung für die Geistbegabten galt die Ehelosigkeit. In der Bewegung machte sich ein gesteigertes Verlangen nach dem Martyrium geltend (Mart. Polycari 4), was wiederum eine besondere Hochschätzung der Märtyrer zur Folge hatte. Ein Spruch des ‚Geistes‘ lautet nach Tertullian (de fuga 9): Nolite in lectulis nec in aborsibus et febribus mollibus optare exire, sed in martyriis, uti glorificetur qui est passus pro nobis. In der eschatologischen Hochstimmung, verbunden mit moralischem Rigorismus, brechen die mit der Entwicklung des Katholizismus in den Gemeinden schon verschütteten Kräfte des Urchristentums auf, und die Bewegung wendet sich in dem Bewußtsein des Besitzes der alten Geistesgaben scharf gegen die Großkirche.
In Kleinasien treten die Kirche und ihre Leiter sofort in heftigsten Widerspruch zu der sich ausbreitenden Bewegung. Auf Synoden wurde die ,Neue Prophetie‘ verdammt (Anonymus bei Euseb. hist. eccl. V 16, 10). Die katholischen Märtyrer brechen den Verkehr mit ihren montanistischen Leidensgenossen ab. Es wurden Disputationen zwischen angesehenen Bischöfen und der Maximilla abgehalten. Sie verliefen aber ergebnislos. Man kämpfte auch auf prophetische Weise miteinander. So stopften Zotikos von Kumane und Iulianos von Apameia denen um Themison den Mund (Euseb. hist. eccl. V 16, 17). In der Folgezeit wurde der Kampf der Parteien in zahlreichen literarischen Fehden ausgetragen. Als Schriftsteller werden auf katholischer Seite Miltiades (s. o. Bd. XV S. 1705), Apollinarios von Hierapolis, Meliton von Sardes, und Apollonios (s. o. Bd. II S. 161, 27ff.) aus der ältesten Zeit genannt. Bei den Montanisten werden keine Schriftsteller namentlich angeführt. Es liefen jedoch Orakel des Montanns, der Priscilla und Maximilla um, von denen einige bei den kirchlichen Schriftstellern überliefert sind (Labriolle Crise 34-105 hat 19 Orakel zusammengestellt und kommentiert). Das Decretum Gelasianum V 7, 6 (Dobschütz in Texte u. Unters. 38, 4 S. 56) erwähnt opuscula Montani, Priscillae et Maximillae. Eine solche Sammlung von Orakeln wird vielleicht der Montanist Asterius Urbanus (Euseb. hist. eccl. V 16, 17) veranstaltet haben. Der Montanist Themison schrieb eine ἐπιστολὴ καθολική.
Im allgemeinen wurde die Lehre der Montanisten bei den Katholiken als orthodox beurteilt. Allerdings sagt Hippolyt, daß eine Gruppe der M. über die Trinität wie Noet dächte (Refut. VIII 19, 3). Hierher gehört das montanistische Orakel bei Didymus Alex. De Trinitate III 41 (Migne G. 39, 984 B): ἐγώ εἰμι ὁ πατὴρ καὶ ὁ υἱὸς καὶ ὁ παράκλητος. Hingegen scheint Tertullian seine Ausführungen über die trinitarische Frage in adv. Praxean 2 von dem ,Parakleten‘, also aus Gedankengängen, die bei den Montanisten üblich waren, herleiten zu wollen. Die prophetische [208] Bewegung hat sich jedoch sicher nicht viel mit theologischen Erörterungen abgegeben. Um so größere Differenzen zeigen sich gegenüber großkirchlichen Grundsätzen in Gedankengängen, die für die Praxis bestimmend waren. Die Eschatologie ist bestimmt durch die Prophezeiungen der Maximilla, daß nach ihr Krieg und Aufruhr hereinbrechen würden (Euseb. hist. eccl. V 16. 18). Maximilla behauptete, daß mit ihrem Wirken alle Prophetie abgeschlossen sei: Προφῆτις οὐκέτι ἔσται, ἀλλὰ συντέλεια (bei Epiphan. haer. 48, 2, 4. II 222, 1 Holl). Pepuza und Tymion wurden Jerusalem genannt (Apollonios bei Euseb. hist. eccl. V 18, 2). Tertullian jedoch bezeugt, daß er und die montanistische Gemeinde in Carthago der Meinung waren, das himmlische Jerusalem werde in Judäa herabkommen (Adv. Marc. III 24. CSEL 47, 419, 18ff.).
Das Osterfest feierten die Montanisten nach dem Zeugnis des Pionius (Vita Polycarpi 2 Ligthfoot, The Apostolic fathers II 3 [1889], 434, 7ff.) abweichend von dem Datum der Juden und Christen. Ps.-Chrysostomus (7. Predigt über das Osterfest 1 Migne G. 59, 747) und Sozomenos (hist. eccl. VII 18, 12) geben das Tagdatum des montanistischen Osterfestes auf den 6. April oder den folgenden Sonntag an (E. Schwartz Jüd.- christ1. Ostertafeln 7, 3. Scheperlern 175. 193). Überhaupt zeigen sich im Kult erhebliche Abweichungen von den katholischen Gebräuchen. So erzählt Epiphanius (haer. 48, 14, 6. 15, 7. II 240, 2f. 241. 10f. Holl), daß die Montanisten an einem bestimmten Fest ein Kind am ganzen Körper mit Nadeln aus Erz tätowieren. Das Blut werde zum Opfer aufbewahrt. Dieser Ritus findet seine Analogie und Erklärung in der Brandmarkung der phrygischen Weihen, wie sie von Prudentius, Peristephanon X 1076ff. (CSEL 61, 409 Bergm.) beschrieben werden. Hier allein lassen sich, abgesehen von geringfügigen anderen Erscheinungen (vgl. Scheperlern 126f.), Verbindungslinien zwischen dem Montanismus und den phrygischen Kulten aufzeigen. Das für die phrygischen Mysterien so charakteristische Frühlingsfest fällt aber nicht mit dem montanistischen Osterfest zusammen. Und vollends gehören Buße und Fasten auch zur Disziplin der Großkirche.
Von den Grundsätzen der katholischen Kirche unterscheidet sich der Montanismus in der Buße und ihrer Auffassung. Wie in der Großkirche wurden Mord, Hurerei und Götzendienst als von der Kirche nicht vergebbare Sünden angesehen. Im ganzen spielte die Bußfrage in der ersten, von dem Enthusiasmus des M. und der Seinen beherrschten Zeit keine große Rolle. Die Buße ist ein Problem der zweiten Generation. Die rigorose Beurteilung der Sünde und der Buße ist bei Tertullian, der seinerseits sich gegen die Grundsätze der Großkirche wendet, in der Schrift de pudicitia zugunsten einer Unterscheidung von verschiedenen Graden der Sünde durchlöchert. Aber auch für Tertullian gilt der Grundsatz nach einem Orakel des Parakleten (de pudic. 21. CSEL 20, 269, 24f.): Potest ecclesia donare delictum, sed non faciam, ne et alii delinquant. Gott allein kann Sünde vergeben.
Über die Verfassung der Montanisten sind nur spärliche Nachrichten überliefert. Aus der ersten [209] Zeit wird ein ἐπίτροπος (Geschäftsführer) Theodotos erwähnt (Anonymus, bei Euseb. hist. eccl. V 16, 14). Entsprechend dem ekstatischen Charakter der Sekte sind die Märtyrer und die Propheten, vor allem die beiden Frauen, die Leiter der Gemeinden. M., der Prophet katexochen, hat scheinbar in einem Miltiades oder Alkibiades einen Nachfolger gehabt (vgl. Euseb. hist. eccl. V 16, 3). Es ist möglich, daß Eusebius (hist. eccl. V 3, 4), wenn er von οἱ ἀμφὶ Μοντανὸν καὶ Ἀλκιβιάδην καὶ Θεόδοτον spricht, die Reihe der ersten drei Führer des Montanismus nennt. Hieronymus (ep. 41, 3 CSEL 54, 313, 17 Hilb.) kennt noch einen festen Klerus. Erstens die Patriarchen von Pepuza, zweitens κοινωνοί (so auch im Cod. Inst. I 5, 20, 3) und ihnen untergeordnet die Bischöfe. Welche Funktionen die κοινωνοί ausgeübt haben, ist unbekannt (vgl. zuletzt Scheperlern 34K). Frauen wurden zum Presbyter- und Bischofsamt zugelassen (Epiphan. haer. 49, 3, 2 II 243, 19 Holl).
Im Abendland hat sich der Montanismus ebenfalls stark ausgebreitet. Nach 170 stritt man in Rom gegen die Montanisten. Gegen 200 muß sogar ein römischer Bischof (Zephyrin? Vgl. Labriolle Crise 257ff.) mit den Montanisten stark sympathisiert haben (Tertull. adv. Prax. 1). Führer des Montanismus waren in Rom Proclus (Euseb. hist. eccl. II 25, 6. VI 20, 3. Ps.-Tertull. adv. haer. 7. Tertull. adv. Valent. 5) und Aeschines (Ps.-Tertull. adv. haer. 7). Zur Zeit Zephyrins (um 200) schrieb gegen Proclus der Presbyter Gaius (s. o. Bd. VII S. 509). In Afrika bzw. in Carthago ist Tertullian für den Montanismus eingetreten. Allein sein und seiner Gemeinde Interesse an dem Montanismus richtet sich auf dessen moralischen Rigorismus, wenn auch Montanus als die Verkörperung des Parakleten galt. Tertullian sah in dem Montanismus die einzige Möglichkeit, die urchristlichen Forderungen in den Gemeinden zu verwirklichen. Tertullians Eintreten für den Montanismus blieb für die Großkirche ohne Folgen. Aus Carthago stammt eine kirchenrechtliche Inschrift (CIL VIII 25045), die vermutlich ein Edikt eines montanistischen Bischofs oder einer Synode ist. In ihr wird den Gläubigen verboten, mit denen, die nach der Taufe eine zweite Ehe eingegangen sind, zu verkehren. Seckel, der die Inschrift S.-Ber. Akad. Berl. 1921, 989-1017 rekonstruiert und erklärt hat, setzt das Dokument in die zweite Hälfte des 3. Jhdts an.
Seit etwa 300 verliert der Montanismus an Bedeutung. Allerdings schritten Konstantin (Euseb. vit. Const. III 64) und die Kaiser im Anfang des 5. Jhdts. (Cod. Theod. XVI 5, 34. 40. 48. 57. 59. 65. 10, 24) und Iustinian (s. o. Z. 16) gegen die Montanisten ebenso wie gegen die anderen Häretiker ein. Um 400 müssen noch feste Gemeinden bestanden haben, wie die Erwähnung der Montanisten bei Hieronymus beweist.
Literatur. Das ganze Quellenmaterial hat gesammelt: P. de Labriolle Les sources de l’histoire du Montanisme. Collectanea, Friburgensia 24 N. S. fasc. XV, Freibourg-Paris 1913. N. Bonwetsch Texte z. Gesch. des Montanismus. Kleine Texte hrsg. v. Lietzmann nr. 129. Gesamdarstellungen des Montanismus geben: [210] N. Bonwetsch Gesch. d. Montanismus 1881. P. de Labriolle La crise Montaniste, Paris 1913, die umfassendste Arbeit. Sehr wertvoll ist: W. Scheperlern Der Montanismus und die phrygischen Kulte 1929.