Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Auguraler Kultakt
Band IX,2 (1916) S. 1220 (IA)–1229 (IA)
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Inauguratio. Das collegium augurum bildet mit dem Pontificalcollegium den Grundstock der ältesten römischen Sacerdotalverfassung. Die Überlieferung nämlich führt die Einsetzung dieser beiden Priestertümer auf Numa zurück, vgl. Liv. IV 4, 2: pontifices, augures Romulo regnante nulli erant; ab Numa Pompilio creati sunt. Ferner spricht für das hohe Alter dieser sakralen Institutionen der Umstand, daß man die römischen Bürgerkolonien bei ihrer Gründung lediglich mit diesen beiden Priestertümern ausstattete. Das Augurcollegium setzte sich ursprünglich aus drei (Liv. X 6, 7), später aus sechs und seit der Lex Ogulnia aus neun Mitgliedern zusammen. Diese Lex nämlich bestimmte, daß die größere Hälfte der Stellen (5 von 9) in jedem Collegium den Plebeiern reserviert blieb, die übrigen der Bewerbung beider Stände offen ständen, wenn sie auch tatsächlich bis zum Ende der Republik so gut wie regelmäßig mit Patriciern besetzt wurden. Sulla erhöhte dann die Zahl auf fünfzehn und Caesar schließlich auf sechzehn. Seitdem die Pontifices und Augurn auf fünfzehn vermehrt waren, scheinen acht Stellen den Plebeiern vorbehalten gewesen zu sein, in der Kaiserzeit aber verwischte [1221] sich dieser Unterschied. In gleicher Weise und zur gleichen Zeit ist dann für die Augurn und die Pontifices die Ersetzung der Selbstergänzung durch die Volkswahl aus einer vom Collegium aufgestellten Präsentationsliste eingetreten. Als mit der Begrenzung des Begriffes der quattuor amplissima collegia sich die Festsetzung einer bestimmten Rangordnung ergab, mußten die Pontifices mit Rücksicht auf die große Summe ihrer dienstlichen Verrichtungen und die magistratischen Befugnisse des Oberpontifex die erste Stelle erhalten, jedoch ist damit eine Subordination der Augurn unter die Aufsicht und Disziplinargewalt des Pontifex maximus nicht erfolgt. Eine solche ist auch nicht darin zu sehen, daß der Pontifex maximus für die I. eines Priesters seines Ressorts den Augur in Anspruch nimmt und diesem, falls er sich weigert, eine multa auferlegt; vielmehr resultiert dieses einfach aus der magistratischen Kompetenz des Pontifex maximus; und ebenso requiriert auch der Magistrat z. B. für die Dedikation den Pontifex zur Teilnahme (Cic. de domo 133). Die den Augurn obliegenden selbständigen Kulthandlungen werden auguria genannt. Die Handlung selbst heißt augurium agere (Varro de l. l. VI 42. Cic. de div. I 32) oder augurare, inaugurare. Ihre Tätigkeit trägt nicht den Charakter von Opfern, noch verfolgen sie den Zweck, den Schleier der Zukunft zu lüften, um über bevorstehende Ereignisse Aufschluß zu geben, vielmehr handelt es sich darum, unter Beobachtung genau vorgeschriebener Formen eine Fragestellung an die Gottheit zu richten (Varro de l. l. VI 42: augures augurium agere dicuntur, cum in eo plura dicant quam faciant. Serv. Aen. III 265: invocatio autem est precatio uti avertantur mala, cuius rei causa id sacrificium augurale peragitur. Bruchstücke solcher precationes augurum bei Cic. nat. deor. III 52) und ihre Zustimmung oder Bürgschaft für bestimmte Angelegenheiten auf dem Gebiete des öffentlichen Wohls einzuholen. Falls mit dem Augurium eine Opferhandlunp verbunden ist, so fällt deren Ausführung den Pontifices zu. Die Kultakte der Augurn aber wurden tief geheim gehalten (vgl. Paul. p. 16: arcani sermonis significatio trahitur .... a genere sacrificii, quod in arce fit ab auguribus adeo remotum a nolitia vulgari, ut ne litteris quidem mandetur, sed post memoriam successorum celebretur), so daß wir nur eine geringe Kunde von ihnen haben. Indessen können wir uns im allgemeinen den Hergang an der Hand der einzigen näher bekannten Zeremonie dieser Art, der von Livius (I 18) geschilderten I. der Priester, klar machen. Der Name dafür war nach Analogie von augurium salutis wohl augurium sacerdotii, da Cic. de leg. II 21 die auguralen Kultakte mit den Worten charakterisiert: sacerdotesque et vineta virgetaque et salutem populi auguranto (über die Bedeutung dieser Worte s. Wissowa o. Bd. II S. 2328f.). Die Handlung fand auf der Burg statt, wo die Augurn ein eigenes Lokal für ihre Kultakte, des Auguraculum, besaßen (Paul. p. 18: auguraculum appellabant antiqui, quam nos arcem dicimus, quod ibi augures publice auspicarentur). Ein anderes auguraculum lag [1222] auf dem Quirinal, ein auguratorium auf dem Palatin, vgl. CIL VI 976, indessen ist über die Bedeutung dieser Örtlichkeit sonst nichts bekannt. Vollzogen wurde die Handlung durch den Augur, der mit verhülltem Haupte und ausgerüstet mit dem Kennzeichen seiner Würde, dem Krummstabe (lituus, vgl. baculum sine nodo aduncum Liv. I 18, 7), an der linken Seite des zu inaugurierenden Priesters stand und, mit der rechten Hand dessen Haupt berührend, in feierlichem Gebete an Iuppiter O. M. die Bitte richtete, wenn ihm die Person des Vorgeführten gefalle, seine Zustimmung durch deutliche Zeichen innerhalb bestimmter Grenzen zum Ausdruck zu bringen. Das Gebet bei Liv. I 18, 9 lautet folgendermaßen: Iuppiter pater, si est fas hunc Numam Pompilium, cuius ego caput teneo, regem Romae esse, uti tu signa nobis certa adclarassis inter eos fines, quos feci. Die bei diesen Akten erwünschten Zeichen waren stets auguria caelestia (Paul. 64) nämlich Blitze oder andere Himmelserscheinungen. Die Bedeutung dieser richtete sich nach dem Orte ihres Erscheinens im Verhältnisse zu der Stellung des Augurs. Als günstig wurden besonders die zur Linken des Beschauers eintretenden Himmelserscheinungen angesehen (Varro de l. l. VII 97) im Gegensatze zur griechischen Anschauung (Cic. de div. II 82). Der Augur selbst stellte sich mit einer festen Richtung seines Blickes auf und nahm mittels seines lituus eine ganz bestimmte Abgrenzung der regiones caeli in der Weise vor, daß er eine von ihnen als die pars antica und somit die übrigen als postica, dextra, sinistra bezeichnete (vgl. Serv. ecl. 9, 15: augures designant spatia lituo). Wir haben ein Beispiel einer Priester-I., bei welcher der Augur sein Gesicht nach Osten wendet, so daß Norden die pars sinistra, Süden die pars dextra bezeichnet (Liv. I 18, 7: inde ubi prospectu in urbem agrumque capto deos precatus regiones ab oriente ad occasum determinavit, dextras ad meridiem partes, laevas ad septentrionem esse dixit, signum contra, quoad longissime conspectum oculi ferebant, animo finivit. Aber wir haben auch sichere Zeugnisse für eine Südorientierung der auguralen Beobachtung, vgl. Varro de l. l. VII 7: caelum … dictum templum .. eius templi partes quattuor dicuntur, sinistra ab oriente, dextra ab occasu, antica ad meridiem, postica ad septentrionem. Man wird, wenn mit Rücksicht auf diese Stelle C. Thulin Etrusk. Discipl. I 20, 1 behauptet, es gäbe für die Südorientierung in der Praxis keinen Beleg und die termini antica, postica seien mit dextra, sinistra identisch, ohne Bedenken Wissowa zustimmen müssen, der an einer solchen Südorientierung festhält. Es ist wahrscheinlich, daß die Art der Aufstellung ganz in das Belieben des Augurs gestellt war, allerdings mußte er dann in seiner Spruchformel genau bezeichnen, was für ihn als vorn, hinten, links und rechts galt, so daß kein Zweifel über die Bedeutung der Zeichen entstehen konnte. Darin bestand denn auch die legum dictio, Serv. Aen. III 89: cum condicio ipsius augurii certa nuncupatione verborum dicitur.

Ebenfalls auf der Burg fand alljährlich ein wohl in ähnlichen Formen vor sich gehender [1223] auguraler Festakt statt, an den sich eine feierliche, über die Sacra via ziehende Prozession schloß (Varro de l. l. V 47). Er ist vielleicht identisch mit dem seiner ganzen Bedeutung nach wenig klaren augurium salutis (Cass. Dio XXXVII 24, 1), das zwar als Jahresakt eingesetzt war, in späterer Zeit aber häufig eine lange Reihe von Jahren hindurch ausfallen mußte, weil man es nur begehen durfte, wenn an dem Tage der Fälligkeit kein römisches Heer im Felde stand. Nach einem kürzlich gefundenen inschriftlichen Verzeichnisse der Auguria, die in den J. 1 n. Chr. bis 17 n. Chr. gefeiert wurden (Not. de scavi 1910, 133, vgl. Costa Bull. com. XXXVIII 1910, 118ff.), ist das augurium maximum quo salus p. R. petitur in dieser Zeit zweimal nämlich 3 und 17 n. Chr. begangen worden, andere Auguria, deren Bedeutung nicht sicher steht, in den J. 1, 2, 8, 12 und 17 n. Chr. Sonstige augurale Zeremonien bezogen sich auf das Gedeihen der Felder und Fluren und man feierte sie teils im Frühjahr (vernisera auguria Paul. p. 379) teils zur Zeit der größten Sommersglut (augurium canarium).

Aber die wesentliche Bedeutung des Auguralcollegiums beruht nicht auf den bisher erörterten selbständigen Kulthandlungen, sondern darauf, daß die durch sie vertretene Kunst, den Willen der Götter mit Beziehung auf einen bevorstehenden oder eben sich vollziehenden Vorgang zu erkunden und die Deutung der eintretenden Zeichen vorzunehmen, in ihrer Anwendung weit über das rein Sakralhafte hinausgeht. Das Gefühl der Abhängigkeit von der Gottheit findet also darin seinen Ausdruck, daß man weder im privaten noch öffentlichen Leben eine wichtigere Handlung anders als in Übereinstimmung mit dem Willen der Gottheit vornehmen zu müssen glaubt. Man holte daher vor einer jeden solchen Handlung in ganz bestimmter, durch die alte disciplina auguralis bis ins einzelnste geregelter Form die Zeichen der göttlichen Zustimmung ein (auguria impetrativa), vgl. Serv. Aen. III 89: augurium est exquisita deorum voluntas per consultationem avium aut signorum, quod tunc peti debet, cum id quod animo agitamus per augurium a diis volumus impetratum. VI 190: auguria aut oblativa sunt, quae non poscuntur, aut impetrativa, quae optata veniunt.

Die fünf Hauptgattungen solcher Zeichen zählt Fest. p. 261 auf: quinque genera signorum observant augures publici: ex caelo, ex avibus, ex tripudiis, ex quadripedibus, ex diris; als auguria oblativa können alle diese Zeichen auftreten, als impetrativa dagegen gelten von Haus aus nur die signa ex caelo und ex avibus und zwar die ersteren nur für die auguralen Kultakte, die letzteren nur für die magistratische Auspikation. Die Grundregeln der Disciplina auguralis nun waren in dem reichen Archiv der Augurn enthalten, woselbst auch die im Laufe der Zeit bei ihren allmonatlichen Zusammenkünften oder aus Anlaß von Anfragen festgestellten Entscheidungen und Gutachten (decreta responsa) niedergelegt waren. Das Archiv barg nicht nur die Vorschriften über die Ausführung der auguralen Kultakte, sondern die gesamte Lehre von den Auspicia populi Romani. Da [1224] aber diese letztere das ganze öffentliche Leben der Römer durchzog, so war der Tätigkeit der Augurn um so größere Wichtigkeit beizumessen, da sie als Bewahrer und Ausdeuter dieser Lehre in vorbereitender, begutachtender und unterstützender Weise neben den Magistraten fungierten. Und so wurde hierin geradezu ihre Haupttätigkeit gesehen; vgl. Cic. nat. deor. I 122: sacris pontifices … auspiciis augures praesunt. Und ebenso wird in der Lex col. Genet. c. 66 als Betätigungsfeld der Augurn einzig und allein angegeben: de auspiciis quaeque ad eas res pertinebunt, augurum iuris dictio iudicatio esto.

Die magistratische Auspikation nun mußte in einer gewissen Weise vorbereitet werden, da die Einholung der auspicia impetrativa wie der Vollzug der auspicato vorzunehmenden Staatshandlungen nur erfolgen kann, wenn eine nach den Vorschriften der Auguralwissenschaft abgegrenzte und hergerichtete Örtlichkeit vorgesehen ist, welche mit dem technischen Namen templum bezeichnet wird; vgl. Gell. XIV 7, 7: in loco per augurem constiluto, quod templum appellaretur, vgl. Varro de l. l. VII 8. Man bezeichnete den Raum auch als templum minus (Fest. p. 157), wo im weiteren Sinne auch das Himmelsgewölbe, an dem die Augurn die signa caelestia beobachten, templum genannt wird (Varro de l. l. VII 7). Für solche templa nun war eine bestimmte Grundrißform vorgeschrieben. Es waren Vierecke, deren Eckpunkte bestimmt und deren Seitenlinien so gezogen waren, daß die Umgrenzung nur an jener Stelle unter brochen war, welche den Eingang bildete, vgl. Fest. p. 157. Es war nicht nötig, daß die Begrenzung durch Mauern oder Wände sichtbar war, wiewohl dies natürlich der Fall war, sondern es genügte, wenn durch die Spruchformel des Augur (vgl. Varro de l. l. VII 8: quibusdam conceptis verbis) die Grenzlinien und Eckpunkte klar bezeichnet waren. Daher lautete der terminus für die Herstellung eines solchen templum durch den Augur effare locum, im Sinne von fando eximere; man wollte also durch Anwendung bestimmter Worte die Örtlichkeit von ihrer Umgebung loslösen und gegen diese abgrenzen vgl. Varro de l. l. VI 53; effari templa dicuntur ab auguribus; effantur, qui in his fines sunt, vgl. Cic. ad Att. XIII 42, 3. Die Wendung augurare (Liv. VIII 5. 8) oder inaugurare locum (Cic. Vatin. 24: de domo 137) ist nicht Spezialterminus für die Herstellung eines templum, sondern bezieht sich nur im allgemeinen auf die Tätigkeit der Augurn. Eine Folge der genannten Loslösung war die liberatio der Örtlichkeit, indem nämlich alle auf ihr ruhenden älteren Verpflichtungen sakraler Art, die im Sinne der Disciplina auguralis im Wege standen, fortgenommen wurden; vgl. Serv. Aen. I 446: ita templa faciebant ut … per augures locus liberaretur effareturque; vgl. Liv. V 54, 7. In Anbetracht dieser älteren Bindungen und Verpflichtungen des Ortes stellte der Akt eine exauguratio dar, d. h. eine Lösung durch augurale Spruchformel. Solche exauguratio älterer Heiligtümer pflegte vorgenommen zu werden, z. B. erfolgte sie beim Bau des Kapitols (Cato orig. frg. I 23. Liv. I 55, 2f.). Zum Zeichen des vollzogenen [1225] auguralen Aktes wurde dann an dem Templum ein Stern aus Metallblech angebracht (Fest. p. 351).

Die I. konnte in gleicher Weise an loca sacra wie profana vorgenommen werden; ebenso blieb das Eigentumsrecht der Götter oder der Menschen an der betreffenden Örtlichkeit völlig unberührt. Mag auch unter der großen Zahl der templa, die es in Rom gab, die Mehrzahl zu den aedes sacrae gehört haben, so gehörten dieser Kategorie doch auch viele für Staatsakte bestimmte Örtlichkeiten, wie z. Β. die Curia, das Comitium usw. an, d. h. also solche, die einen profanen Charakter hatten. Man dürfte daher auch von dem auguraculum der Augurn kaum behaupten können, daß es den Charakter der Konsekration an sich trug.

Indessen der Begriff des locus liberatus et effatus ist größer als der des templum. Der Augur konnte denselben Akt der Grenzbestimmung und Lösung, durch den er bestimmte Örtlichkeiten für die Einholung der Auspizien geeignet machte, auch an größeren Bezirken vollziehen; es sollten so die Grenzen festgelegt werden, innerhalb derer die verschiedenen Arten von auspicia angewandt wurden. So wurde das Terrain der auspicia urbana enger begrenzt durch die Grenzlinie des Pomerium, welche die Urbs Roma umzog, vgl. Gell. XIII 14, 1: pomerium est locus intra agrum effatum per totius urbis circuitum pone muros regionibus certis determinatus, qui facit finem urbani auspidicii; vgl. Varro de l. l. V 143. Außerhalb derselben lag eine Zone, die nach außen ebenfalls fest abgegrenzt war, der sog. ager effatus (vgl. Serv. Aen. VI 197: ager post pomeria, tibi captabantur auguria, dicebatur effatus; vgl. Varro de l. l. VI 53. Innerhalb dieses ager effatus wurden zwar noch zum städtischen Amtskreise gehörende, aber verfassungsmäßig von der inneren Stadt ausgeschlossene Staatsakte (wie z. B. die Centuriatkomitien) vorgenommen und für sie die Auspizien eingeholt. Diese sämtlichen Grenzlinien wurden von den Augurn nach dem Reglement ihrer Wissenschaft abgesteckt und durch Grenzsteine gekennzeichnet (vgl. Varro de l. l. V 143: cippi pomeri stant et circa Ariciam et circa Romam). Ebenso wurden sie ständig beaufsichtigt, damit nicht etwa durch eine Verschiebung der Grenzlinien oder andere Störungen das liberare et effare außer Kraft gesetzt und somit die Auspikation nicht eingeholt werden konnte. Auch in den Landstrichen, die um Rom lagen, unterschied die Auguraldisziplin noch mehrere Zonen, von denen jede hinsichtlich der Auspizien verschieden rechtlich beurteilt wurde.

Umfang und Bedeutung nun fiel der Tätigkeit der Augurn zu, indem alle Schwierigkeiten und Zweifel, die sich bei der Auspikation ergaben, ihrer Beurteilung überlassen wurden. Der Magistrat als der einzige Rechtsvertreter des Staates im Umgang mit den Göttern hat die Einholung der göttlichen Zustimmung so einer auszuführenden Staatshandlung selbst vorzunehmen, während die Teilnahme des Augur dabei gänzlich in Wegfall kommt. Wenn Cic. de div. II 72 die Wendung in auspicium adhibere als vom Magistrate herangezogenen Gehilfen gebraucht, [1226] so dürften hiermit die Augurn nicht gemeint sein (vgl. Valeton Mnemos. XVIII 406ff.). Ebenso weicht diese magistratische Einholung der auspicia impetrativa von den Sakralakten der Augurn gänzlich ab; während nämlich bei diesen ausschließlich die Auguria caelestia, so kamen hier nur ursprünglich die signa ex avibus in Betracht. Als Beweis dafür könnte das Wort auspicium = avispicium angeführt werden, welches im technischen Sinne ebenso ausschließlich vom Magistrate gebraucht wird, wie augurare und inaugurare nur vom Augur. Daher wurde das Himmelstemplum nicht in Regionen eingeteilt, wie auch Cic. de leg. II 21 sagt, daß diese Einteilung nur für die auguria caelestia angewandt wurde: caelique fulgora regionibus vatis temperanto. Freilich war die Lehre von der Bedeutung des Vogelfluges und der Vogelstimmen recht umfangreich und kompliziert. Nur eine beschränkte Anzahl von Vögeln kam für die signa ex avibus in Betracht (Cic. de div. II 76. Sen. nat. qu. II 32, 5); daher enthielten die Auguralbücher Verzeichnisse der aves augurales, welche in alites und oscines zerfallen, je nachdem sie durch den Flug oder durch die Stimme Zeichen geben (Fest. p. 197. Varro de l. l. VI 76). Die ersteren werden, je nachdem ihr Flug Gutes oder Böses bedeutet, praepetes oder inferae genannt (Gell. VII 6, 3. 10); es kam darauf an, zu welcher Seite des Auspizierenden die Vögel sich zeigten oder vernehmen ließen (Plaut. Asin. 259f.). Diejenigen Vögel, die als alites günstige Zeichen gaben, waren als oscines ungünstig und umgekehrt. Der Schlüssel zu dieser Rätselsprache, der sich die Götter zur Kundgebung ihrer Einwilligung bedienten, war bei den Augurn. Und so waren denn bei der Einholung der Auspizien eine Menge von Formalitäten zu beachten, bei deren Verletzung leicht Bedenken entstehen konnten. Es machte z. Β. jede Störung der Stille während der Auspikation die Handlung unwirksam, schon das Fallen eines Gegenstandes oder das Knarren des Sessels (Fest. p. 348. Plin. n. h. VIII 223). Schwere Verwicklungen konnten ferner entstehen durch gleichzeitigen Eintritt verschiedenartiger oder sich widersprechender Zeichen. Darum enthielt die Auguralliteratur Angaben über die Rangordnung der verschiedenen Vogelzeichen, vgl. Serv. Aen. II 374: si parra vel picus auspicium dederit et deinde contrarium aquila dederit, auspicium aquilae praevalet ..... notum est esse apud augures auspiciorum gradus plures. Ebenso konnten Kollisionen stattfinden, wenn von mehreren Magistraten zu verschiedenen Zwecken auspicia eingeholt wurden; in einem solchen Falle entschied die Rangstellung des beobachtenden Magistrates, die Beobachtung des höheren turbat ac retinet auspicia des niederen. Schließlich führte die zeitliche und räumliche Beschränkung, welcher die Geltung erhaltener Impetrativauspizien unterlag, zu mannigfachen Bedenken. Sie galten nämlich nur für den Tag der Einholung vom Mitternacht bis Mitternacht gerechnet und nur für einen bestimmten räumlichen Bezirk, so daß z. B. extra pomerium eingeholte Auspizien ihre Kraft einbüßten, wenn der einholende Magistrat vor Vollziehung der Handlung die Innenstadt [1227] betrat (Cic. de nat. deor. II 11); ebenso hob die Überschreitung eines Flusses die Wirkung der auspicia auf und machte die Einholung neuer auspicia perennia nötig (Fest. p. 245). In allen angeführten Fällen wurde dem Augurncollegium vom Senate die Sache zur Begutachtung unterbreitet (vgl. Liv. XLV 12, 10: ad augures relatum est), und falls es ein vitium konstatierte, erfolgte die Annullierung der betreffenden Staatsaktion. Die Formel bei Feststellung eines vitium lautete: vitio tabernaculum captum esse (Cic. de nat. deor. I 11) oder je nach dem Gegenstande der Verhandlung: vitio creatum videri (Liv. VIII 15, 6), vitio diem dictam esse (Liv. XLV 12, 10).

Besonders groß war der Anlaß zur Anzweiflung der Rechtsgültigkeit staatlicher Akte, wenn innerhalb einer auspicato angefangenen Handlung auguria oblativa sich zeigten. Es schienen dann unerbetene Zeichen der Gottheit darauf hinzuweisen, daß sie ihre bereits erteilte Zustimmung zurücknahm und vor der Ausführung der betreffenden Handlung warnte. Es war nun Sache des leitenden Magistrates, ob er den Eintritt eines solchen Zeichens stark beachtete oder nicht (Serv. Aen. XII 259); jedenfalls aber war damit nicht ausgeschlossen, daß beabsichtigte Nichtbeachtung eines solchen in ungünstiger Weise eingetretenen Zeichens hinterher zur Folge hatte, daß die Gültigkeit des Aktes in Frage gestellt wurde. Es mußte alsdann wiederum das Gutachten der Augurn eingeholt werden. Diesen mißlichen Verhältnissen suchte man vorzubeugen, indem man mindestens im letzten Jahrhundert der Republik für die wichtigste und oft angefochtene Staatshandlung, die Abhaltung der Comitien, das Gutachten der Augurn antizipierte, dadurch daß man dem leitenden Magistrat einen oder mehrere Augurn zur Kontrolle beigab. Diese sollten ihn, falls ein Zweifel vorlag, über Eintritt und Bedeutung eines Zeichens beraten (der technische Ausdruck für die Funktion dieser diensttuenden Augurn ist in auspicio esse consuli, vgl. Cic. ad Att. II 12, 1) oder aber mit dem Rechte der nuntiatio versehen die Befugnis haben, nach eigener oder fremder Beobachtung zu konstatieren, daß der Eintritt ungünstiger Oblativauspizien unanfechtbar sei, und alsdann Abbruch oder Aufschub der Verhandlung herbeiführen. Der Augur löste die Versammlung auf (dimittit comitia) mit den Worten: alio die (Cic. de leg. II 31). Damit hatten die Augurn ein Recht erhalten, welches der magistratischen obnuntiatio ähnlich und in politischer Beziehung für das Priestertum von großer Bedeutung war. Hingegen sollte ihre Wirksamkeit abgeschwächt werden durch die Abnahme der Auspikation; denn diese war für einfache Verhältnisse zugeschnitten, nicht für ein ausgedehntes Staatswesen. Zunächst gab man im militärischen Amtskreise mit Rücksicht auf die Schwere der Durchführbarkeit die Beobachtung des Vogelfluges auf und nahm als Ersatz dafür die signa ex tripudiis. Man beobachtete nämlich das Fressen mitgenommener Hühner und sah es als günstiges Vorzeichen an, wenn den Hühnern dabei ein Teil der aufgenommenen Nahrung wieder aus dem Schnabel fiel. Hieraus geht [1228] also hervor, daß nicht das bloße Fressen, welches oft allein genannt wird (vgl. Liv. VI 41, 8. X 40, 4), das Wesentliche ist, wie auch bei Cic. de div. II 72 ausdrücklich hervorgehoben wird: quae pascantur necne, nihil ad auspicia sed … cum offa cecidit ex ore pulli, tum auspicanti tripudium solistimum nuntiatur. Cicero setzt die Etymologie tripudium gleich terripuvium, puvire enim ferire est (Paul. p. 244). Dieses war ursprünglich ein günstiges augurium oblativum gewesen, das sowohl von Hühnern als auch von andern Vögeln und vierfüßigen Tieren ausgehen konnte (vgl. Cic. de div. II 73). So sagt Plin. n. h. VIII 83 vom Wolfe: eundem in fame vesci terra inter auguria. ad dexteram commeantium praeciso itinere si pleno id ore fecerit, nullum omnium praestantius. Zum augurium impetrativum machte man es erst später aus Bequemlichkeit[WS 1], weil es leicht war, ein günstiges Zeichen zu erlangen, indem man die Hühner eine Zeit lang hungern ließ und ihnen dann das Futter in Breiform reichte, so daß sie beim Fressen unbedingt etwas wieder fallen ließen (Cic. de div. II 73). Höchstens ausnahmsweise kamen im städtischen Amtskreise diese pullaria auguria zur Anwendung (vgl. Mommsen St.-R. I 82, 2); jedoch der pullarius, welcher als Subalternbeamter mitbetraut war, gehörte wenigstens im letzten Jahrhundert der Republik zum regelmäßigen Gefolge der Magistrate und trat auch bei der städtischen Auspikation in Tätigkeit (vgl. Cic. de lege agr. II 32). Wir haben auch Inschriften solcher pullarii, die eine decuria pullaria bildeten (vgl. CIL VI 1008. 1897. 2198–2200). An die Stelle der Vogelschau trat bei letztgenannter Auspikation die Blitzbeobachtung, so daß auch hier ein ursprüngliches augurium oblativum in ein Impetrativzeichen umgewandelt wurde. Denn bei einer so seltenen Himmelserscheinung wie dem Blitze ergibt sich von selbst, daß er ursprünglich nur ein Oblativzeichen gewesen ist, und wahrscheinlich wurde er durchweg als ein ungünstiges Zeichen angesehen, wie er es für die Comitien zu allen Zeiten blieb, vgl. Cic. de div. II 74. Wenn man also daraus für jede auspicatio stattfindende Staatshandlung ein notwendiges augurium impetrativum machte, so konnte dieses nur in fiktiver Weise geschehen. Und so kam es dann, daß in der Zeit des ausgehenden Freistaates de caelo servare gänzlich gleichbedeutend mit der Feststellung eines Blitzes war. Die Magistrate gingen sogar soweit, daß sie für die auguria impetrativa nicht einmal eine scheinbare Himmelsbeobachtung mehr vornahmen, sondern ließen dies den pullarius besorgen, welcher dann das angeblich von ihm festgestellte Blitzzeichen meldete, vgl. Cic. de div. II 74. So sank also die alte Wissenschaft der Auguraldisziplin zu einer inhaltlosen Form herab, und bot nur noch den politischen Parteien ein gutes Kampfmittel, vgl. Cic. de div. II 70. Ferner kam der Umstand hinzu, daß besonders im militärischen Amtskreise die Kunst der Eingeweideschau, welche die Haruspices ausübten, mehr und mehr an die Stelle der Auspikation trat, vgl. Cic. de div. I 95.

Es ist daher zu verstehen, daß zu den Zeiten [1229] Ciceros die Augurn selbst von ihrer Kunst nichts Rechtes mehr wußten, vgl. Cic. de div. I 25; de leg. II 33. Und so dürfte auch hier Augustus manches Alte restauriert haben, da sonst das Priestertum ein so hohes Ansehen bis zum Ende des Heidentums kaum genossen haben würde. Wir finden nämlich als die letzten bekannten Träger dieser Würde den Vettius Agorius Praetextatus († 384, CIL VI 1778f.) und den L. Ragonius Venustus (CIL VI 503 vom J. 390). Listen der bekannten Augurn aus republikanischer Zeit sind zu finden bei Bardt Priester der vier großen Collegien 17ff., aus der Kaiserzeit bei Howe Fasti sacerdotum 27ff. Freilich ermangelt uns eine klare Vorstellung davon, wie die Tätigkeit der Augurn in Rom und der ihnen nachgebildeten Augurncollegien in den Kolonien und Munizipien praktisch ausgeübt wurde, da hierfür keine Zeugnisse auf uns gekommen sind.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert: Bequemlichlichkeit.