Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Fluß in Babylonien mit Abzugskanälen
Band VII,2 (1912) S. 20912092
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Gyndes (Γύνδης), Fluß in Babylonien; vgl. Herod. I 189. 202. V 52. Ps.-Tibull. IV 1, 142. Sen. de ira III 21. Ammian. Marc. XXIII 6. Oros. II 6. Nach Herodotos (I 189ff.) eröffnete Kyros seine Operationen gegen Babylon mit der Bändigung des wilden G. durch Ableitung desselben in 360 (runde Zahl!) Kanäle, eine Arbeit, welche das ganze Heer einen vollen Sommer über beschäftigt haben soll. Begründet wird dieses Vorgehen vom griechischen Historiker anekdotenhaft mit der Erzählung, daß eines der heiligen Rosse des Kyros ertrank, als man sich anschickte, den Fluß mit Fahrzeugen zu überschreiten, worauf der Perserkönig den Schwur tat, den Fluß so seicht zu machen, daß ihn künftig Weiber durchwaten könnten, ohne sich die Kniee zu benetzen. Eine belagerungstechnische Erklärung dieser Ableitung des G. gab Billerbeck in den Mitteil. der Vorderasiat. Gesellsch. III (1898) 72f. 75. Winckler meint (Altoriental. Forsch. I 508ff. II 254), daß der Erzählung Herodots ein glaubwürdiges, historisches Faktum zugrunde liege, nämlich, daß Kyros sich genötigt sah, behufs weiteren Vordringens gegen Süden das oberhalb der medischen Mauer (zwischen Opis und Sippar) liegende Land, das zum Schutze gegen den von Norden kommenden Feind unter Wasser gesetzt war, durch Anlegung von Abzugskanälen trocken zu legen. Unter dem G. ist, wie der ganze Verlauf der Expedition des Kyros nahe legt, kaum ein anderer Fluß als die unterhalb Baghdāds in den Tigris fallende Dijālā zu verstehen, die über ein kompliziertes Kanalsystem verfügt. Der nördlichere Ἁḍhaim kommt viel weniger in Betracht. Der obere Zāb, an den Šanda (Mitteil. der Vorderasiat. Ges. VII 49f. 78f.) denkt, ist wohl, wegen der großen Entfernung von Babylon, ganz ausgeschlossen. Der Umstand, daß Herodot, etwas ungenau, die Quellen des G., gleich denen des unteren Zāb und des armenischen Araxes, ins Land der Matiener, der südlichen Anwohner des heutigen Urmiasees, verlegt, kann für eine derartige nördliche Lokalisierung des G. nicht ernsthaft in die Wagschale fallen. Auch die Kerkhā (Eulaios), der erste bedeutende Nebenfluß des vereinigten Euphrat und Tigris, dürfte – gegen Forbiger Handb. d. alt. Geogr. II 68 – schwerlich in Frage kommen. Die Identifizierung des G. mit der heutigen Dijālā vertreten: Mannert Geogr. der Griechen und Römer V 2, 430–432. Ritter Erdkunde IX 419–421. Billerbeck a. a. O. Winckler a. a. O. Hommel Grundr. der alt Geogr. u. Gesch. (1904) 293. 295. Herzfeld in Memnon I (1907) 120, 2. 126. Letzterer meint (a. a. O. I 125, 1) auch, daß sich der alte Name G. in Abū’l-ģund erhalten habe, der durch [2092] arabische Autoren des Mittelalters bezeugten Benennung eines der Kanäle des Ḳāṭūl-Nahrawān-Systems, welches das Dijālā-System kreuzt. Noch unsicherer ist Herzfelds weitere Vermutung eines Zusammenhanges des Ortsnamens Iskāf banī ’l-ģunaid (am Nahrawān, südlich der Dijālā) mit G. Nach Ps.-Tibull hieß die vom G. durchflossene Gegend Babyloniens Arectaei campi (s. schon o. Bd. II S. 619); die Lesung Arectaei ist unsicher.

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