RE:Diokles 50
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
---|---|---|---|
| |||
Philosoph | |||
Band V,1 (1903) S. 798–801 | |||
Diokles von Magnesia in der Wikipedia | |||
GND: 102390703 | |||
Diokles von Magnesia in Wikidata | |||
Bildergalerie im Original | |||
Register V,1 | Alle Register | ||
|
50) Philosoph (Richtung unbestimmbar). Nach Diog. Laert. VII 48. 162 war D. aus Magnesia (aber welchem?) gebürtig. Seine Lebenszeit wird durch die Thatsache bestimmt, dass er ein jüngerer Freund des Kynikers und Epigrammatikers Meleagros von Gadara war, der, bereits hochbetagt (Anth. Pal. VII 417, 7ff. = II 1 p. 283 Stadtm.), ihm seinen Blütenkranz zueignete (Anth. Pal. IV 1, 3 = I p. 69 Stadtm.; vgl. Maass De biogr. graec. qu. sel. [= Philol. Unters. III] 18ff. Susemihl Alex. Litt. I 509ff.). Da nun Meleagros nach der wahrscheinlichsten Berechnung etwa von 120 bis 50 v. Chr. lebte (so Radinger Mel. v. Gad. [Innsbr. 1895] 75; nach Ouvré Mél. de Gad. [Paris 1894] [799] 19ff. wäre Meleager bereits zwischen 140 und 130 v. Chr. geboren), so wird das Geburtsjahr des D. zwischen 80 und 70 v. Chr. zu suchen sein (so richtig Radinger a. O. 7, 1; zu früh, nämlich um 100, wird dasselbe angesetzt von Maass a. O. 119 und seinen Nachtretern). Weiter folgt aus dem Freundschaftsverhältnis zwischen D. und dem schon bejahrten Meleagros, dass D. sich eine Zeit lang auf der Insel Kos aufgehalten haben muss; denn wir wissen, dass Meleagros den letzten Teil seines Lebens hier verbrachte (s. Radinger a O. 7. Ouvré a. O. 56). Näheres über das Leben des D. ist uns nicht bekannt. Diogenes Laertios – übrigens der einzige Schriftsteller, durch den wir von D. Kunde haben – nennt ihn VII 48 und X 11 als Verfasser einer Ἐπιδρομὴ τῶν φιλοσόφων, dagegen schreibt ihm derselbe Autor II 54 und 82 ein Werk βίοι τῶν φιλοσόφων bezw. βίοι φιλοσόφων zu. Einige Gelehrte (z. B. Ritschl und Bahnsch Quaest. de Diog. Laert. font. init. [Königsb. 1868] 49) schlossen hieraus, dass D. zwei Werke verfasst habe: eine Ἐπιδρομὴ τῶν φιλοσόφων und eine Schrift Βίοι τῶν φιλοσόφων. Den wahren Sachverhalt erkannte Nietzsche Rh. Mus. XXIII 642, der in überzeugender Weise dargelegt hat, dass es sich in Wirklichkeit lediglich um ein Werk handle, dessen echter Titel Ἐπιδρομὴ τῶν φιλοσόφων gewesen sei; βίοι τῶν φιλοσόφων sei nichts weiter als eine ungenaue Anführung eben dieses Titels. Was die Aufschrift Ἐπιδρομὴ τῶν φιλοσόφων betrifft, so ist sie zu vergleichen mit dem Titel, den Kornutos seinem Schriftchen vorangestellt hat: Ἐπιδρομὴ τῶν κατὰ τὴν Ἑλληνικὴν θεολογίαν παραδεδομένων. Hier wie dort steht das Wort ἐπιδρομή in der Bedeutung ,kurze Behandlung, kompendiöse Darstellung‘ (eigentlich Streifzug); s. Lang Ausg. des Korn. X. Die Schrift des D. bestand, da Diog. Laert. X 11 ἐν τῇ τρίτῃ τῆς Ἐπιδρομῆς citiert, aus mindestens drei Büchern und gab, wie aus dem Titel und Nebentitel gefolgert werden darf, eine kurzgefasste Übersicht über die Entwicklung der griechischen Philosophie im Rahmen einer biographischen Darstellung. D. wird recht häufig in der Compilation des Laertios namentlich angeführt: II 54 (über die Söhne des Xenophon); 82 (über Aristippos); VI 12. 13 (über Antisthenes); 20. 36 (über Diogenes); 87. 91 (über Krates); 99 (über Menippos); 103 (über Diogenes); VII 48ff. (Specialdarstellung der stoischen Logik); 162 (über Ariston); 166 (über Dionysios, den Schüler des Zenon); 179. 181 (über Chrysippos); IX 61. 66 (über Pyrrhon); X 11. 12 (über Epikuros). Für die Charakteristik des D. haben diese Stellen den Wert, dass wir aus ihnen ersehen, dass D. mit unverkennbarem Wohlwollen von Antisthenes und seiner Secte sprach, was bei seinem notorischen Verhältnis zum Kyniker Meleagros ja nicht weiter wundernehmen kann. Ferner hat v. Wilamowitz Philol. Unters. III 155ff. aus Diog. Laert. X 11ff. entnehmen zu dürfen geglaubt, dass D. auch ein eifriger Bewunderer Epikurs und seiner Schule war, und daraufhin den Schluss gewagt, dass D. ein Vertreter des im 1. Jhdt. v. Chr. auf allen Gebieten des Wissens mächtig um sich greifenden Eklektizismus bezw. Fusionismus gewesen sei, und das Bestreben gehabt habe, die kynisch-stoische Ethik mit der des Kepos zu [800] verschmelzen. Leider jedoch ist die so bestechende Combination von Wilamowitz nicht mehr aufrecht zu erhalten, nachdem es sich herausgestellt hat, dass der Cobetsche Text, auf dem sie fusst, an der Stelle X 10ff. willkürlich zurechtgemacht ist. Die Stelle ist, wie sie uns in den massgebenden Hss. überliefert wird (vgl. Usener Epicurea 364), zweifellos corrupt, doch sicher zu heilen. Es ist nämlich mit teilweiser Benutzung der Usenerschen Erkenntnis (s. a. O. XXVI) zu schreiben; οἳ καὶ πανταχόθεν πρὸς αὐτὸν ἀφικνοῦντο καὶ συνεβίουν αὐτῷ ἐν τῷ κήπῳ, καθά φησι καὶ Ἀπολλόδωρος – ὃν καὶ ὀγδοήκοντα μνῶν πριάσθαι Διοκλῆς [δὲ] ἐν τῇ τρίτῃ τῆς Ἐπιδρομῆς φησιν – εὐτελέστατα καὶ λιτότατα διαιτώμενοι. Die Worte ὃν – φησιν stellen sich als eine Marginalnotiz des Diogenes Laertios (zu κήπῳ) dar, die von seinen Schreibern am unrechten Orte eingefügt wurde. Das δὲ nach Διοκλῆς verdankt, wie auch schon Roeper Philol. I 660 erkannte, seine Entstehung der Thorheit eines mittelalterlichen Copisten, der die Structur des Satzgefüges nicht überschaute. In der genuinen Fassung der Stelle gehören nun die Worte εὐτελέστατα – διαιτώμενοι zum Zeugnis des Epikureers Apollodoros, der auch Subject des folgenden (S. 364, 22 Us.) φησίν ist. So bleibt für D. blos die wenig interessante Notiz über den Preis des Gartens, die ebensowenig für das Verhältnis des D. zu den Epikureern ausgiebt wie die Stelle X 12. Nach alledem muss dahingestellt bleiben, welcher philosophischen Richtung D. sich angeschlossen hatte. Ihn für einen Kyniker zu erklären, weil er mit sichtlichem Wohlwollen Antisthenes und seine Nachfolger behandelte, dürfte zum mindesten gewagt erscheinen.
Von grosser Wichtigkeit ist die Frage, die hier nur in aller Kürze berührt werden kann, wie und in welchem Umfang Diogenes Laertios die Schrift des D. benutzt hat. Die meisten neueren Gelehrten (z. B. Maass, v. Wilamowitz, Susemihl) vertreten die Ansicht, dass D. den wenigen Schriftstellern beizuzählen sei, die Diogenes Laertios unmittelbar benutzt hat. Dagegen hat neuerdings Gercke Dequibusd. Laertii Diog. auctoribus (Gfswd. 1899) 27ff. Einspruch erhoben und den Beweis dafür zu erbringen gesucht, dass Diogenes Laertios alle Citate aus D. aus seiner Vorlage herübergenommen habe. Allein die Beweisführung Gerckes ist wenig überzeugend (ähnlich urteilt Leo Griech.-röm. Biogr. [Leipz. 1901] 37, 1). In Wirklichkeit verhält sich die Sache so: einen Teil der Dioclea hat sicher Diogenes Laertios selbst hinzugefügt; es sind dies diejenigen Anführungen, die, nur lose angeflickt, sich ohne weiteres aus dem Text herausheben lassen; dahin gehört z. B. die Notiz X 11 (s. o.) und besonders die grosse Einlage aus D. VII 48–83 (die Specialdarstellung der stoischen Logik), die Gercke der Vorlage des Diogenes Laertios zuweist, indem er die Übergangsformel VII 48 dem Laertios abspricht und dem Urheber seiner Unterlage zuteilt (vgl. a. O. 33): eine Aufstellung, für die er leider den zwingenden Beweis schuldig geblieben ist. Andere Stücke des D. sind dagegen so fest in die Darstellung hineingewoben (z. B. VI 13. 20. VII 161. 166 u. a. St.), dass der Schluss unabweisbar ist, dass sie thatsächlich bereits in der Vorlage des Laertios enthalten waren.
[801] Was die weitere Frage nach dem Umfang der Benutzung des D. durch Diogenes Laertios anbelangt, so ist es für jeden, der sich etwas eingehender mit der laertianischen Compilation beschäftigt hat, klar, dass D. an bedeutend mehr Stellen ausgeschrieben ist, als blos an denjenigen, wo er ausdrücklich als Gewährsmann genannt wird (besonders reich an diokleischem Gut ist das 6. Buch). Indessen schiesst weit über das Ziel hinaus Nietzsche (Rh. Mus. XXIII 632ff. und Beitr. z. Quellenk. und Krit. des Diog. Laert. [Basel 1870] 7ff.) mit seiner Vermutung, dass der ganze Laertios, von kleineren Zuthaten und Ausschmückungen abgesehen, nichts weiter sei als eine Epitome der Ἐπιδρωμὴ τῶν φιλοσόφων des D. Diese auf unsicheren Combinationen und unbewiesenen Behauptungen aufgebaute Hypothese wurde auf das gründlichste widerlegt durch Freudenthal Hell. Stud. III (1879) 305ff. Diels Doxogr. 161ff. Maass a. O. 8ff., und darf heutzutage als vollständig beseitigt gelten. Über die Διόκλειοι ἔλεγχοι des Sotion, die Diog. Laert. X 4 erwähnt, s. Art. Sotion (aus Alexandreia).