Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aufenthalt einer Person an einem Ort, an dem sie nicht ihre Origo hat
Band IV,1 (1900) S. 922926
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Consistere ist, ausgehend von der Bedeutung ,Halt machen, sich aufhalten‘ (Cic. in Verr. V 28 ex iis oppidis in quibus consistere praetores et conventum agere soleant; pro Flacco 50), in der Rechtssprache der Terminus technicus zur Bezeichnung des factischen Aufenthalts einer einzelnen Person (CIL XIII 1972, centonarius Lug(uduni) consistens 1978. 2669 civis Trever... in Aeduis consistens) oder einer Gruppe von Personen (corporativ vereinigt in conventus oder collegia, darüber unten), die an dem betreffenden Orte nicht rechtlich zu Hause sind, daselbst nicht ihre origo haben. 1) Auf eine Stadtgemeinde (oder die dieser gleichgestellte gallische Volksgemeinde) bezogen, umfasst das Wort also alle nach dem ius domicilii irgendwo sesshaften, d. h. alle incolae der Gemeinde, welche gerade so wie die cives zur Übernahme der städtischen honores und munera verpflichtet waren (E. Kuhn Die städtische u. bürgerl. Verf. d. röm. Reichs I 9), und darüber hinaus auch alle die, welche ohne an dem betreffenden Ort das ius domicilii zu besitzen, nur eine Geschäftsstelle haben, wo sie Handel treiben, ein Verhältnis, das nur den örtlichen Gerichtsstand bedingt, Ulp. Dig. V 1, 19 § 2: at si quo constitit, non dico iure domicilii, [923] sed tabernulam, pergulam, horreum, armarium, officinam conduxit ibique distraxit, egit, defendere se eo loco debebit; vgl. CIL VIII 9250 Rusgunienses et Rusguniis consistentes. Der Kreis der consistentes ist also streng genommen etwas grösser als der der incolae, da zur Begründung des Incolats das domicilium erforderlich ist, während die als c. bezeichnete factische Ortsangehörigkeit auch sine iure domicilii stattfinden kann, etwa so, dass die betreffenden Geschäftsinhaber ihr Geschäft in der Weise betreiben, dass sie ihre Beauftragten ab- und zugehend beaufsichtigen (Mommsen Herm. VII 310, 4). Mit consistentes oder qui consistunt werden daher gleichbedeutend gebraucht Ausdrücke wie negotiantes oder qui negotiantur, vgl. CIL II 1183 scapharii (nämlich Hispalenses ebd. 1180) qui Romul(ae) consist(unt) mit ebd. 1168 und 1169 scaphari qui Romulae negotiantur, ebenso wie mit dem entsprechenden griechischen Terminus κατοικοῦντες Ausdrücke wie πραγματευόμενοι, συμπραγματευόμενοι, ἐργαζόμενοι (Kornemann De civibus Romanis in prov. imp. consistentibus 98ff.). Der weniger strenge, offenbar spätere Sprachgebrauch setzt incolae und consistentes auch manchmal gleich (Fragm. Vatic. 232. 247. Cod. Theod. XIII 4, 4 [374], wo es von den picturae professores heisst: arbitrium habeant consistendi in civitate, quam, elegerint; vgl. die Glosse consistit: incolit, Götz, Corp. gloss. lat. IV 323), etwas, was Schulten (De conventibus civium Romanorum 102ff.) fälschlich zur Regel macht. Wie von den incolae sind auch von den consistentes alle nur vorübergehend in einer Stadt anwesenden, alle in Herbergen ab- und zugehenden Personen (advenae, adventores, hospites, vgl. Cic. in Verr. IV 130. CIL IX 2652. 5074. 5075. Orelli 2287. CIL XIV 2978. 2979, auch peregrini [griech. ξένοι] genannt, CIL V 376) ausgeschlossen. 2) Es kann aber c. auch auf eine Örtlichkeit bezogen werden, mit welcher die Gemeindeangehörigkeit überhaupt nicht verbunden sein kann, wie auf den Versammlungsplatz, welcher in der späteren Latinität selbst consistorium genannt wird, oder auf einen vicus oder sonst eine nichtstädtische Gemeinde. In letzteren kann man wohl incola sein oder consistieren, aber man kann nicht civis sein, so z. B. in den einzelnen Ortschaften der nicht rechtlich an eine einzelne Stadt geknüpften gallischen civitas oder Volksgemeinde, wie Mommsen (Herm. XVI 479ff.) an dem Gegensatz der incolae Aventicenses zu den cives Helvetii vorzüglich nachgewiesen hat.

Beide Anwendungsarten des Wortes c. finden sich häufig bei den Verbänden römischer Bürger in den Provinzen (vgl. Art. Conventus), sowie bei den Vereinen überhaupt (vgl. Art. Collegium). Die unter 1) aufgeführte Verwendung begegnet bei all den Bürgerconventen, deren Mitglieder in einer latinischen oder peregrinischon Stadtgemeinde wohnten; als Beispiele aus dem im Artikel Conventus vollständig zusammengestellten Material seien angeführt: Ephem. epigr. VII p. 425 nr. 5 c(ives) R(omani) q(ui) G(ortynae) c(onsistunt). CIL III Suppl. 7061 c(ives) R(omani) qui Cyzici [consistunt] et Cyzi[ceni]; die andere Anwendung bei Örtlichkeiten ohne Stadtrecht bedingt die sog. dörflichen oder vicanen [924] Convente, vgl. CIL III Suppl. 10305 (aus Vetussalinae). 7533 (Anadolkiöi bei Tomi, vgl. 7536). Caes. bell. gall. VII 3, 1 cives Romani, qui negotiandi causa ibi (in Cenabum) constiterant, gerade so von Cabillonum ebd. VII 42, vgl. CIL III 5212 cives Romani in Raetia consistentes; hieher gehören auch alle canabensischen Convente, deren Mitglieder sich bezeichnen als cives Romani (auch veterani et c. R.) consistentes ad leg(ionem) u. s. w. oder mit Angabe des vicus zum Beispiel Troesmi consistentes (vgl. Artikel Canabae). Synonym damit werden gebraucht habitare (CIL VIII Suppl. 15775 conventus civium Romanorum et Numidarum, qui Mascululae habitant) und incolere: Sall. Iug. 47, 1. Hirtius bell. Alex. 43, 2.

Ebenso steht c. bei Vereinen in zwiefacher Anwendung:

1) von städtischen Collegien, und zwar a) wenn der Versammlungsplatz bezeichnet wird, wo die Gesamtheit zeitweise sich aufhält, so in stadtrömischen Inschriften: CIL VI 7458 collegium cocorum Aug(usti) n(ostri) quod consistit in Palatio (vgl. aber ebd. Z. 11f.: corpori, qui sunt in hac stationem). Ebd. 404 collegium sanctissimum, quod consistit in praedi(i)s Larci Macedonis in curia. Ebd. 9404 coll. fabrum ..., qui consistunt in scola sub theatro Aug. Pompeiano. Festus p. 333 M. in Aventino aedis Minervae, in qua liceret scribis histrionibusque consistere ac dona ponere, abwechselnd mit esse: CIL VI 10251 a collegium numinis dominorum quod est sup templo Divi Claudi. Ebd. 9148. 9149. 10261. 10262. 10264: collegium quod est in domu Sergiae Paullinae, vgl. CIL XII 4449 aus Narbo, oder in Inschriften von Lyon: negotiatores vinarii Luguduni in kanab(is) consist(entes) CIL XIII 1954. VI 29722, wofür allerdings auch abgekürzt steht negotiatores vinari Lugud(uni) consistentes CIL XIII 1911, vgl. 2033. Ähnlich wie hier steht c. in der Inschrift Westd. Ztschr. X (1891) Korr. Bl. 102ff. aus Bitburg: In h. d. d. num. Augg. fara[va]rem exaedificaverunt suo impendio iuniores vici hic cos[i]stentes loco sibi c[on]cesso u. s. w.; b) wenn die Angehörigen des betreffenden Collegium nicht cives, sondern nur incolae der Stadt oder Volksgemeinde, und zwar alle oder zum grössten Teil sind, so bei einer Anzahl von Gilden in Lyon: CIL XIII 1688. 1709 patronus Cond[eat]ium i[tem A]r[ec]ariorum Lugud(uni) consistentium. 1954 ein VI vir utr[i]clar(iorum) fabror(um) Lugud(uni) consistentium. 1985 corpus utriclariorum Luguduni cosistentium, dieselben sind erwähnt 1998. 2009. 2023. 2039 (hier ein civis Lugud. incorporatus inter utriclarios Lug. consistentes). 1960. CIL XII 1742; weiter CIL XIII 1961. 1972: centonarii Lug(uduni) consistentes. 1752: dendrophori Luguduni consistentes, vgl. auch 1978: D. M. et memoriae aeternae Apricli Prisciani consistentis Lug(uduni) pertinentis ad collegium fabror(um). 1939 ein corporatus inter fabros tign(uarios) Lug(uduni) consist(entes), ebenso 1966. 1967; dagegen fabri tignuarii Lugud(uni) 2029 und 2036; also neben den Collegien der fabri, centonarii, dendrophori, welche im Dienste des städtischen Feuerlöschwesens herangezogen wurden (vgl. o. S. 398ff.), vor allem Schiffergilden, deren vielleicht [925] vom concilium trium Galliarum verliehene Concessionen wohl nicht allein auf das Territorium von Lyon sich erstreckten (O. Hirschfeld CIL XIII p. 230, s. o. S. 815), so dass infolge davon Leute aus ganz Gallien in ihnen vereinigt waren. Weiter gehören hierher CIL X 1634: cultores Iovis Heliopolitani Berytenses, qui Puteolis consistunt. CIL III 860 Galatae consistentes municipio (Napoca), welche gleichwie das collegium Galatarum (ebd. 1394 aus Germisara) und die Asiani (870 ebenfalls aus Napoca) zu den von Traian ins Land gebrachten Colonisten (Eutrop. VIII 6) gehörten (Henzen Bull. d. Inst. 1848, 129. Mommsen CIL III p. 169), endlich auch die scapharii Romul(ae) consist(entes) CIL II 1183 (vgl. 1168. 1169 scaphari, qui Romulae negotiantur), die, wie die Inschrift ebd. 1180 (scapharii Hispalenses) zeigt, cives von Hispalis waren, falls die im Artikel Coloniae o. S. 527 nr. 83 gegebene Erklärung richtig ist (anders in Art. Collegium o. S. 414). Ein Beispiel eines Collegiums dieser Art aus einer Volksgemeinde sind die opifices loricari qui in Aeduis consist(unt) et vico Brivae Sugnutiae respondent (CIL XIII 2828, darüber s. u.).

2) Von Collegien, die sich in einer nicht mit Stadtrecht ausgestatteten Ortschaft befinden, wo rechtlich ein Collegium für sich nicht bestehen kann; das kann geschehen: a) wenn ein städtisches Collegium ausserhalb der eigentlichen Stadt in einem Dorf oder Flecken des Stadtterritoriums eine Filiale hat, CIL V 4017 coll(egium) n(autarum) V(eronensium) A(reliciae) (an der Südspitze des Gardasees) consist(entium). Ebd. 7357 collegi(um) centonar(iorum) Placent(inorum) consistent(ium) Clastidi, CIL III 4779 iuventutis Manliensium gentiles qui consistunt in Manlia (auf dem Gebiet von Virunum); b) in allen gallischen und germanischen civitates, wo die Collegien rechtlich der gesamten Volksgemeinde angehören, thatsächlich aber sowohl im Vorort, wie auch in anderen vici der civitas consistieren. Am deutlichsten lässt sich dies Verhältnis klar machen an den hastiferi der civitas Mattiacorum: das collegium heisst hastiferi civitatis Mattiacorum (Brambach CIRh 1336; damit vergleiche man die salinatores civitatis Menapiorum CIL XI 390, ebenso civitatis Morinorum ebd. 391, die nautae Parisiaci CIL XIII 3026), ein in Castel vorhandenes Corps dieser Körperschaften heisst hastiferi sive pastores consistentes kastello Mattiacorum (Mommsen Westd. Ztschr. VIII Korr.-Bl. 24ff., vgl. 50ff.). Wie es in der Volksgemeinde der Helvetier keine cives Aventicenses, sondern nur incolae Arenticenses giebt (s. o.), so auch in der civitas Segusiarorum nur fabri tignuar(ii) qui Foro Segus(iavorum) consistunt (CIL XIII 1640) oder in der cititas Haeduorum ein collegium fab]r[u]m Au[gus]todu[ni c]onsis[tent]ium (ebd. 2678), in der civitas Lingonum fabri ferrari Dibione consistentes (Orelli 4083) oder lapidari pag(o) Andomo co(n)sistentes (P. Lejay Inscr. de Côte d’Or 239 nr. 294), in der civitas Treverorum arenari(i) consistent(es) col(onia) Aug(usta) Tre(verorum) (Brambach CIRh. 770, über diese ,Colonie‘ vgl. Art. Coloniae, o. S. 543f.), in der civitas Tungrorum [cive]s Tungri nautae, qui Fectone consistunt (Hettner Westd. Ztschr. II 1883, 430f.). Etwas anders [926] steht es mit den oben schon angeführten opifices loricari qui in Aeduis consistunt et vico Brivae Sugnutiae respondent (CIL XIII 2828); diese werden als in der civitas consistierend bezeichnet, weil die Mitglieder der Gilde nicht cives Aedui sind; innerhalb der civitas Aeduorum aber hatte der Verein dieser Nicht-Aeduer seinen Sitz in dem vicus Briva Sugnutia (Brèves), was auch durch consistunt hätte ausgedrückt werden können (für das angewandte respondent sei verwiesen auf Ulp. Dig. L 1, 30 cui reipublicae vicus ille respondet). Vgl. im übrigen Th. Mommsen Herm. VII (1873) 309ff. und Westd. Ztschr. VIII (1889) Korr.-Bl. 19ff.; an letzterer Stelle gegen die vollkommen verfehlten Ausführungen von Maué Philol. XLVII (1888) 487ff.; vgl. Westd. Ztschr. a. a. O. 103f.