Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Comes consistorianus, Mitglied des Kronrats
Band IV,1 (1900) S. 644646
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19) Comes consistorianus. Als Constantin um das J. 312 den Comestitel erneuerte, gehörten wahrscheinlich alle, die ihn führten, dem Consistorium des Kaisers an, so dass sich eine besondere Gruppe von C. consistoriani zunächst noch nicht bilden konnte. Doch trat bald eine Scheidung ein in militärische und civile C., in solche, die am Hofe selbst beschäftigt und die mit besonderen Aufträgen in die Provinzen gesandt waren, und gegen Ende seiner Regierung wurde der Kaiser mit dem Titel so freigiebig, dass er ihn sehr vielen auch ganz ohne Amt verlieh (s. oben S. 634). Da fühlten diejenigen, welche die Ehre hatten, den Kronrat zu bilden, das Bedürfnis, sich titular von den übrigen C. zu unterscheiden; doch dauerte es noch recht lange, bis sich eine feste technische Bezeichnung für sie ausbildete. Sie nennen sich bald comes intra palatium (Dessau 1225. 1232. 1240), bald comes domesticus (Dessau 1238. 1244), bald comes intra consistorium (Dessau 1237. 1243. 1255. 1283), bald comes consistorii (Dessau 1254. De Rossi Inscr. christ. urbis Romae 968. Cod. Theod. VI 12, 1. 30, 1) oder sacri consistorii (Dessau 1284. 2950. Nov. Theod. 1, 7. Cod. Iust. II 7, 23 § 1, griechisch κόμης τοῦ θείου ἡμῶν συνεδρίου Haenel Corpus legum 253), vielleicht auch [645] κόμης τοῦ ὑψηλοῦ βήματος (Cod. Iust. XII 33, 8 § 2), bis im J. 379 zuerst der Titel Comes consistorianus auftaucht (Cod. Theod. VI 30, 4) und dann zum herrschenden wird (Cod. Theod. I 1, 6 § 2. VI 12, 1. 22, 8 § 1. VII 8, 3. X 5, 1. XI 16, 15. 18, 1. Nov. Val. 6, 3 § 1. Cod. Iust. II 7, 8). Es sind anfangs nur Civilbeamte, die von den militares ausdrücklich geschieden werden (Ammian. XV 5, 12. 6, 1); erst seit der Mitte des 5. Jhdts. erscheinen vereinzelt auch hohe Officiere unter den C. consistoriani (Cod. Iust. XII 8, 2 § 3. De Rossi 968).

Die vornehmste Stelle unter ihnen nehmen die vier viri inlustres ein, die mit der Teilnahme an den Sitzungen des Consistoriums noch ein hohes Staatsamt vereinigen, der Quaestor, der Magister officiorum, der Comes sacrarum largitionum und der Comes rerum privatarum (Cod. Theod. VI 30, 1. 4. VII 8, 3. IX 14, 3. Dessau 1255). Über sie wird unter ihren besonderen Amtstiteln geredet werden. Vielleicht ist jedesmal einer von diesen vieren gemeint, wenn dem Titel comes domesticus, comes intra palatium oder intra consistorium auf Inschriften die Rangbezeichnung ordinis primi hinzugefügt ist. Einmal ist verbunden comiti ordinis primi intra consistorium et quaestori (Dessau 1255), einmal steht magistro officiorum omnium comiti domestico ordinis primi omnibusque palatinis dignitatibus functo (Dessau 1244), was vielleicht gleichfalls zu verbinden ist. Aber auch wo solche Zusätze sich nicht finden, geht diese Art von Comitiva entweder unmittelbar der Praefectur (Dessau 1232. 1284) oder dem Consulat voraus (Dessau 1238. 1240), oder sie ist von ihnen nur durch ein einziges hohes Amt getrennt (Dessau 1237. 1243). Sie nimmt also eine so hervorragende Stellung im Cursus honorum ein, wie sie jenen vier Ämtern zukommen würde.

Ist dies richtig, so würde daraus folgen, dass der gewöhnliche Comes consistorianus, der ausser der Beratung des Kaisers keine andere Amtsbefugnis hatte, nur die Comitiva secundi oder tertii ordinis besessen haben kann, und dazu passen die wenigen bekannten Beispiele. Proculus und Orfitus werden comites ordinis secundi, nachdem sie vorher Consulares Siciliae gewesen waren (Dessau 1240. 1243), Symmachus comes ordinis tertii nach der Correctura Lucaniae et Brittiorum (Dessau 2946), also sämtliche schon in einer recht hohen Rangstellung. Der letzte dieser drei wird als Gesandter des Senats an den Hof Valentinians geschickt, dort festgehalten und begleitet dann den Kaiser bei einem Feldzuge (Seeck Symmach. p. XLVI), wie dies den Consistoriani zukommt (Ammian. XXXI 12, 10). Und dieser Aufenthalt im kaiserlichen Lager scheint zeitlich mit seiner Comitiva tertii ordinis zusammenzufallen. Auch bei Orfitus erscheint die Comitiva secundi ordinis in engster Verbindung mit einer Gesandtschaft des Senats. Allerdings gehen diese Beispiele nicht sehr weit über die Mitte des 4. Jhdts. hinaus; später, wo der Wert aller Titel noch weiter gesunken war, gehörten auch die gewöhnlichen C. consistoriani dem primus ordo an (Nov. Val. VI 3, 1. Cassiod. var. VI 12).

Sie führen den Titel vir spectabilis (Cod. Theod. I 1, 6 § 2. VI 12. Nov. Theod. I 7. Cod. [646] Iust. II 7, 23 § 1. XII 10, 2. Cassiod. var. VI 12, 3. Haenel Corpus legum 253. Nov. Iust. 13, 3) und wurden durch die Rangordnung Valentinians I. vielleicht den Vicaren, im J. 399 den Proconsuln an Würde gleichgestellt (Cod. Theod. VI 12). Wo sie in einer längeren Reihe von Ämtern erscheinen, stehen sie nach den dignitates inlustres (Cod. Theod. XI 16, 15. 18. Nov. Iust. 13, 3. Nov. Val. VI 3, 1) und dem Primicerius notariorum (Cod. Theod. XI 18, 1), den Magistri scriniorum sind sie bald vorangestellt (Cod. Theod. I 1, 6 § 2. XI 18, 1. Nov. Theod. I 7. Cassiod. var. VI 12. Gesta de recip. Cod. Theod. p. 85 Haenel), bald folgen sie ihnen nach, wie das namentlich in der Reihenfolge der Titel sowohl im Codex Theodosianus (VI 12), als auch im Iustinianus (XII 10) zum Ausdruck kommt. Beide Ämter standen also an Rang ganz gleich, so dass ihre Folge willkürlich war.

Durch ihren nahen Verkehr mit dem Kaiser gelang es den C. consistoriani, sich nach und nach mannigfache Privilegien zu verschaffen. So waren sie, falls sie in den Senat eintraten, von der Leistung der Praetur befreit (Cod. Theod. VI 4, 28), als Pächter von Domänen brauchten sie keine Bürgschaft zu stellen (Cod. Theod. X 5), alle ausserordentlichen Lasten und Dienste wurden ihren Gütern erlassen (Cod. Theod. XI 16, 15. 18), auch die Stellung von Recruten und Pferden (Cod. Theod. XI 18), obgleich hiervon in dringender Not auch Ausnahmen vorkamen (Nov. Val. VI 3, 1); in ihren Processen wurden ihnen für sich selbst, ihre Familie, ihre Sclaven und Colonen manche Begünstigungen, namentlich geringere Sporteln gewährt (Cod. Iust. XII 10, 2).

Ihre Zahl dürfte kaum eine fest bestimmte gewesen sein. Am Hofe Valentinians III. gab es beträchtlich mehr als 20 (Nov. Val. VI 3, 1), bei Theodosius II. werden ausser den 4 illustres 7 genannt, die bei der Zusammenstellung des Codex Theodosianus mitwirkten (Cod. Theod. I 1, 6 § 2); doch ist dies nur eine kleine Auslese. Noch viel zahlreicher werden diejenigen gewesen sein, denen die Comitiva consistoriana als blosser Titel, ohne das Recht an den Sitzungen des Kronrats teilzunehmen, verliehen wurde (Cod. Theod. VI 22, 8 § 1). In dieser Weise erhielten ihn regelmässig im 5. Jhdt. nach vollendeter Dienstzeit die proximi scriniorum, die comites dispositionum (Cod. Iust. XII 19, 8) und die advocati fisci, die bei dem Gericht des Praefectus praetorio angestellt waren (Cod. Iust. II 7, 8). Über die Thätigkeit der C. consistoriani s. Consistorium. C. G. Haubold Opuscula academica I 262. Mommsen Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde XIV 481. Grossi-Gondi bei Ruggiero Dizionario epigrafico II 482.

[Seeck. ]