RE:Collatio legum Mosaicarum et Romanarum
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Sammlung von Rechtsquellen | |||
Band IV,1 (1900) S. 367–370 | |||
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Collatio legum Mosaicarum et Romanarum ist der zuerst von L. Charondas in der Vorrede zu seiner Ausgabe der Digesten (1572) gebrauchte und seitdem allgemein übliche Titel einer Sammlung von Rechtsquellen, welche in den Hss. wenig zutreffend als Lex Dei quam praecepit Dominus ad Moysen bezeichnet wird (Mommsen 112. 118f. 128f.). Der Name des Verfassers ist nicht überliefert. Die im 16. Jhdt. (Nachweise bei Blume Vorr. z. s. Ausg. p. V ff. Mommsen 113) umlaufende Nachricht, dass das Werk von dem in Iustinians Digesten excerpierten Licinius Rufinus (Lenel Paling. I 559ff.) herrühre, ist durch die Zeitverhältnisse leicht widerlegt, da dieser Jurist ungefähr 200 Jahre älter ist als unser Werk. Wenn Huschke 24ff. (Iurispr. anteiust.⁵ 645f.) wenigstens den zweiten Namen zu retten sucht und die Schrift dem im J. 410 verstorbenen Presbyter Rufinus von Aquileia zuweist, so spricht dagegen, dass sie in dem Verzeichnis der litterarischen Arbeiten dieses Mannes von Gennadius (de vir. ill. 17) nicht genannt wird. Und wenn man in dieser Thatsache keinen vollgültigen Gegenbeweis sehen will, so ist doch wenigstens die Vermutung durch nichts glaubhaft gemacht. Als unbewiesen muss ferner auch die Ansicht von Rudorff (Abh. Akad. Berl. 1868, 276ff.) bezeichnet werden, wonach der bekannte Bischof Ambrosius von Mailand (gest. 397) der Verfasser gewesen sein soll (vgl. Mommsen 127f.). Wenn wir nun auch auf einen bestimmten Namen verzichten müssen, so kann doch kaum zweifelhaft sein, dass der Verfasser Christ und zwar wahrscheinlich Kleriker war. Aus seiner weitgehenden Kenntnis der Rechtsbücher (vgl. unten) möchte man schliessen, dass er selbst (vielleicht in früherem Lebensalter wie so mancher andere Kirchenvater) sich einmal berufsmässig mit dieser Wissenschaft befasst hat. Der Zweck seines Werkes ist, den Juristen nachzuweisen (7, 7, 1: scitote iuris consulti), dass ihr vielgepriesenes römisches Recht aus dem göttlichen Recht, als dessen ältester [368] Ausdruck ihm das mosaische Gesetz erscheint (lex divina 6, 7, 1), hergeleitet ist, ein Gedanke, den vor ihm schon Tertullian ausgesprochen hatte (Apol. 45: sciatis ipsas leges vestras, quae videntur ad innocentiam pergere, de divina lege ut antiquiore forma mutuatas esse; vgl. auch die Ausführungen von Karlowa I 967f.). Diesen Plan führt der Verfasser in der Weise durch, dass er zu Anfang jedes Titels zuerst die einschlägige Stelle aus dem Pentateuch anführt (Moyses dicit) und ihr dann die Excerpte aus dem römischen Recht anfügt. Eigene Bemerkungen des Verfassers sind äusserst spärlich und sie beziehen sich immer auf die mitgeteilten Texte.
Von den in der C. verarbeiteten Quellen kommen zunächst die Stellen aus dem Pentateuch in Betracht. Jedenfalls war dem Verfasser die Bibelübersetzung des Hieronymus (383–405) noch unbekannt; die betreffenden Citate erweisen sich vielmehr als eine Übersetzung aus der Septuaginta, deren Urtext in Mommsens Ausgabe an den betreffenden Stellen beigefügt ist. Doch ist nicht anzunehmen, dass der Verfasser die Übertragung selbst angefertigt hat, sondern er scheint, wie die Vergleichungen Mommsens ergeben haben, ein Exemplar der unter dem Namen Itala (Teuffel § 373, 9) bekannten lateinischen Übersetzung benutzt zu haben (so Mommsen 130ff.).
Seine Rechtsquellen erstrecken sich auf die Leges wie auf das Ius. Erstere sind vertreten durch den Cod. Gregorianus (B. IV: 1, 8–10; 10, 8. B. V: 6, 4. 6. B. VII: 15, 3. B. XIX: 3, 4), Cod. Hermogenianus (6, 5; 10, 3–6) und Novellae Constitutiones, d. h. Kaisergesetze, die nach dem Cod. Hermogenianus ergangen waren. Sie werden einmal im allgemeinen erwähnt (14, 3, 6), ausserdem begegnet (5, 3) ein zu ihnen gehöriges Gesetz aus dem J. 390 (vgl. unten). Von den Juristenschriften sind benutzt: von Gaius B. III (1ff.) der Institutionen: 16, 2; von Papinian: responsa B. XV: 4. 5, definitiones B. II: 2, 3, de adulteriis lib. sing.: 4. 7–11; 6, 6; von Paulus: sententiae B. I: 13, 2. B. II: 4, 12; 5, 2; 6, 3; 10, 7. B. IV: 16, 3. B. V: 1, 2. 4. 7. 13; 2, 7; 3, 2; 7, 2. 5; 8, 3–6; 9, 3: 11, 2–5; 12, 2–4; 14, 2, responsa B. V: 10, 9, de iniuriis l. s.: 2, 5. 6, de adulteriis l. s.: 4, 2–4. 6, de poenis omnium legum l. s.: 8, 2, de poenis paganorum l. s.: 11, 6; 12, 6; von Ulpian: institutiones (Buchzahl ausgefallen): 16, 5–9, ad edictum B. VIII: 7, 3. B. XVIII: 12, 7. B. XIX: 2, 4, regulae l. s. 2, 2; 6, 2; 16, 4, de officio proconsulis B. VII: 1, 3. 6. 11; 15, 2. B. VIII: 3, 3; 7, 4; 8, 8; 11, 7. 8; 12, 5: 13, 3. B. IX: 9, 2; 14, 9; von Modestin: differentiae B. II: 10, 2. B. VI: 1, 12. Dem Verfasser standen also gute und umfassende litterarische Hülfsmittel zu Gebote, die er, wie es scheint, wortgetreu und namentlich auch unter genauer Angabe von Buch und Titel wiedergiebt (die Stellen aus dem Pentateuch sind nicht näher bezeichnet).
Erhalten sind uns 16 Titel grösstenteils strafrechtlichen Inhalts. Auch Titel VIII: de furibus. IX: de familiaris testimonio non admittendo, X: de deposito gehören, wie die vorausgeschickten Stellen des mosaischen Rechts und die Auswahl [369] der Excerpte aus den Rechtsbüchern zeigen, im Sinne des Verfassers hierher. Erst der letzte Titel (16) de legitima successione ist rein privatrechtlichen Inhalts. Da wir nun in einer im J. 860 geschriebenen Abhandlung des Bischofs Hinkmar von Rheims de divortio Lotharii et Tetbergae (die früheste nachweisbare Erwähnung der C.) unser Werk folgendermassen citiert finden: sicut in primo libro legis Romanae capitulo sexto (heute 5) de stupratoribus et in capitulo septimo (heute 6) de incestis et turpibus nuptiis praecipitur (Savigny Gesch. d. R. R. im Mittelalter II² 282, der allerdings das erste Buch bei Hinkmar anders auffasst. Dirksen 105. 130ff. Mommsen 112), so ergiebt sich daraus, dass uns nur ein Teil der C. (Buch I und auch dieses vielleicht nicht vollständig) vorliegt, sowie ferner, dass der Verfasser seine Vergleichung des mosaischen und römischen Rechts mit dem Strafrecht begonnen und wahrscheinlich auf das ganze Gebiet des Rechts ausgedehnt hat.
Entstanden ist die C. wahrscheinlich in Italien, vielleicht in Rom selbst (Mommsen 128). Für die Abfassungszeit ist die oben erwähnte Constitution 5, 3 massgebend. Sie ist ein von den Kaisern Valentinian II., Theodosius I. und Arcadius an den Vicarius urbis Romae Orientius gerichteter Erlass, welcher hier die Subscriptio prop(osita) pr. id. Maias Romae in atrio Minervae trägt, während sie im Cod. Theod. IX 7, 6 als p(ro)p(osita) in foro Traiani VIII id. Aug. Valentiniano A(ugusto) IIII et Nestorio co(n)s(ulibus) [= 390] wiederkehrt. Die Abweichungen hinsichtlich Ort und Datum, sowie die Thatsache, dass der Text hier vollständiger wiedergegeben wird als im Cod. Theod., zeigen, dass der Verfasser die Constitution nicht aus dem letzteren entnommen hat, und dass die in der Einleitung der Stelle beigefügten Worte der Berliner Hs. item Theodosianus, die auch sprachlich aus dem Satz herausfallen, ein späteres Glossem sind. Da dem Verfasser auch sonst der Cod. Theod. unbekannt ist, so ist sicher, dass die C. vor dessen Erlass, also zwischen 390 und 438, entstanden ist. Mommsen 127 will deswegen, weil das fragliche Gesetz in der vom Verfasser herrschenden Einfassung speciell als durch Kaiser Theodosius veranlasst bezeichnet wird, die Grenze auf die Zeit nach dem Wegfall seiner weströmischen Mitkaiser (6. Sept. 394) verengern. Die Ansicht, dass die C., weil die im Citiergesetz (s. d. Art.) an erster Stelle als massgebend hingestellten Juristen hier allein Berücksichtigung gefunden haben, später sei als jenes (Haenel zu Cod. Theod. IX 7, 6. Heimbach Jen. Litt. Zeitg. 1843, 719), hat Huschke 9ff. zutreffend durch die Bemerkung zurückgewiesen, dass die fünf ,Koryphaeen‘ auch schon vorher in der Praxis vorzugsweise benutzt wurden und dieses Gesetz nur die schon bestehenden Verhältnisse legalisierte.
Über die Überlieferung s. Blume Vorr. z. s. Ausgabe p. XIV ff. Karlowa 969. Krüger 305. Mommsen 109ff. Lenel Ztschr. d. Savignv-Stiftung VIII 195ff. Vgl. auch Conrat Gesch. d. Quell. u. Litt. des R. R. im früheren Mittelalter I 87f. 312f. Von den Ausgaben kommt heute nur die von Mommsen in der Collectio libr. iuris anteiust. III 109ff. in Betracht; über [370] die älteren s. Blume a. a. O. p. XLI ff. Krüger 305. Mommsen 135.
Neuere Litteratur: Puchta Inst. I10 § 104. Heimbach Leipz. Repertorium III 148ff. (1843. 1). Rudorff R. R.-G. I 284ff.; Abh. Akad. Berl. 1868, 265ff. Huschke Ztschr. f. gesch. R.-W. XIII 1ff. Dirksen Hinterl. Schr. II 100ff. Teuffel R. Litt.-Gesch. § 438. Mommsen Vorr. z. s. Ausgabe (s. o.). Karlowa R. R.-G. I 967ff. (Krüger Quell. u. Litt. d. R. R. 302ff. Landucci Stor. d. dir. R. I² 268f. Kipp Quellenkunde 98.