35) (C.) Clodius Licinus, römischer Historiker, über dessen Person und Werk nur wenig Sicheres bekannt ist. Sueton. de gramm. 20 p. 115 Rff. erzählt von Hygin, dieser sei eng befreundet gewesen mit Ovid und mit Clodius Licinus consulari, historico, qui eum admodum pauperem decessisse tradit et liberalitate sua, quoad vixerit, sustentatum. Da Hygin wahrscheinlich ebenso wie Ovid in den ersten Jahren des Tiberius gestorben ist, muss dieser Clodius Licinus in die
[78]
spätere Zeit des Augustus und in die des Tiberius angesetzt werden, und dann kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dass er mit dem Consul suffectus des J. 4 n. Chr., C. Clodius C. f. C. n. Licinus (so die Fasti Cap. CIL VI 1263. 1264; C. Clodius Licin[us] Fast. Arval. CIL I² p. 70, C. Clodius Fast. min. ebd. p. 68) identisch ist, umsoweniger, als dies der einzige bekannte Consul des Namens ist und der Name Licinus sonst überhaupt bei keinem anderen Clodius wiederkehrt. Aus demselben Grunde werden wir auch bei Liv. XXIX 22, 10, wo ein Historiker Clodius Licinus in libro tertio rerum Romanarum citiert wird, den von Sueton erwähnten consularis historicus des Namens wiederzuerkennen haben. Eine Schwierigkeit liegt scheinbar darin, dass Livius sein 29. Buch sicher schon mehrere Jahrzehnte vor der Zeit verfasst hat, in der jener Consular geschrieben haben muss. Allein die schon durch ihre bei Livius ganz ungewöhnlich genaue Citierung auffallende Stelle, in der zudem Scipio ganz gegen die Gewohnheit des Livius (vgl. Wodrig Jahrb. f. Philol. 1881, 197. Holzapfel 62) bereits vor 201 Africanus heisst und die einen Bericht vorweg giebt, den Livius selbst dann unter dem betreffenden Jahre gar nicht kennt, steht in einer Anzahl guter Hss. des Livius (vgl. Holzapfel 61) überhaupt nicht und ist deshalb zweifellos einfach die Randbemerkung eines späteren Lesers, der sich zu dem Namen des bei Livius erwähnten Pleminius die auf diesen bezügliche Stelle aus Licinus notierte. Ihr Wert wird durch diese Feststellung aber in nichts gemindert. Danach trug das Werk des Clodius Licinus also den Titel rerum Romanarum libri, und mit vollem Rechte hat dann Hertz De hist. Rom. rel. 3f. diesem Werke zwei bei Nonius erhaltene Fragmente einer gleichbetitelten Schrift zugewiesen. Zwar citiert Nonius das einemal p. 221 Licinius rerum Romanarum libro XXI und das anderemal p. 535 Claudius rerum Romanarum libro XII, allein die leichte Änderung zu Licinus und Clodius ist bei der Übereinstimmung des Titels ganz unbedenklich. Aus dem ersten der beiden Fragmente lernen wir, dass das Werk zum mindesten 21 Bücher umfasste. Über seinen Ausgangspunkt herrscht wohl allgemein Einigkeit. Da nämlich die ins J. 194 fallende Geschichte des Pleminius im 3. Buche behandelt war (s. Liv. a. a. O.), wird C. seine Darstellung mit den Ende des 2. punischen Krieges begonnen haben; wie weit er sie dagegen herabgeführt hat, ist umstritten. Meist glaubt man wegen der von Sueton erwähnten Stelle über Hygins Tod annehmen zu müssen, dass es bis in die späte Zeit des Augustus gereicht habe. Allein bei seiner grossen Ausführlichkeit, die drei Bücher für die sieben Jahre 201–194 gebraucht hatte, würde das Werk dann einen ganz riesigen Umfang gehabt und notwendig mehr Spuren hinterlassen haben. Deshalb haben einzelne die Notiz auf ein anderes neben den libri rerum Romanarum anzunehmendes Werk des Licinus beziehen wollen. Dies ist jedoch gar nicht nötig. Jene Angabe konnte nämlich meiner Ansicht nach z. B. auch in der Praefatio oder der Widmung des Geschichtswerkes gestanden haben, falls diese etwa an einen gemeinsamen Freund des Licinus und Hygin gerichtet
[79]
war und ersterer etwa darin erwähnte, dass er von Hygin in die historischen Studien eingeführt oder zu ihnen angeregt war. Die Wahl des ganz singulären Titels rerum Romanarum libri, der an Hygins de vita rebusque illustrium virorum libri anklingt, würde dazu gut stimmen. Eine Herabführung des Werkes bis auf die eigene Zeit des Verfassers brauchen wir also nicht anzunehmen, aber zu einer Bestimmung seiner Ausdehnung dürfte es doch wohl an genügenden Anhaltspunkten fehlen. Holzapfel (s. u.) hat zwar in sehr scharfsinniger und auf den ersten Blick bestechender Weise eine solche Bestimmung zu unternehmen versucht. Er bezieht das Fragment aus Buch XII quinque pristis auf das J. 168, unter welchem Livius XLIV 28 von quinque pristis des Perseus spricht. Es ist zuzugeben, dass nach der Buchzahl das Fragment sich sehr wohl auf das von Livius erwähnte Ereignis beziehen kann, um so mehr, als die Übereinstimmung gerade der Zahl V bei dem seltenen Worte pristis sonst sehr auffällig wäre. Dagegen erscheint mir die Beziehung des Fragments aus Buch XXI deligata ad patibulum auf den Sclavenkrieg von 133, aus dem Orosius V 9 Ähnliches erzählt, ganz unsicher. Denn von einer solchen Bestrafung der Sclaven konnte auch an vielen anderen Stellen die Rede gewesen sein. Dass übrigens das Werk des Licinus auf die spätere historische Tradition irgend welchen Einfluss geübt hat, ist kaum anzunehmen.
Litteratur: Peter Hist. Rom. frg. p. 271. Teuffel-Schwabe R. Litt.-Gesch. § 259, 6. Hertz De histor. Rom. rel., Breslau 1871. Holzapfel Rivista di Storia antica 1895, 61f.