Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bassus Metriker z. Zt. Neros
Band III,1 (1897) S. 13131316
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17) Ein Caesius Bassus wird als angesehener, gelehrter Metriker und Verfasser eines liber de metris mehrfach von den lateinischen Metrikern citiert. Mar. Vict. G. L. VI 209, 10 (vir doctus atque eruditus). Terent. Maur. G. L. VI 395 (v. 2358 u. v. 2369 auctore tanto credo me tutum fore). Diom. G. L. I 513. Dass derselbe Caesius Bassus gemeint ist bei Rufin. G. L. VI 555, 22 Bassius ad Neronem, kann einem Zweifel um so weniger unterliegen, als der von Victorinus als Eigentümlichkeit des C. angeführte Ausdruck trimetrus sich in dem Fragment bei Rufin vorfindet. Danach ist also C. Zeitgenosse des Nero, und es ist kein Grund vorhanden, die naheliegende Identificierung des auf die Neubildung von Metren abzielenden Metrikers (G. L. VI 271, 2ff.) mit dem gleichnamigen lyrischen Dichter und Freund des Persius (Nr. 16) abzuweisen. Trotz der Übereinstimmung seiner Lehre mit der Verstechnik des Seneca (Leo Senec. trag. I 120ff. 132ff.) lässt sich über das Verhältnis der beiden nichts Bestimmtes sagen. Leo Hermes XXIV 294, 2 vermutet, dass mit dem non ignobilis poeta Quint. IX 4, 90 C. gemeint sei.

Unter dem Namen des C. B. enthielt das berühmte im J. 1493 im Kloster Bobbio gefundene Corpus lateinischer Grammatiker und Metriker (G. L. I p. VIII. VI 245) einen ganz dürftigen Abschnitt über ein paar Horazmetra (G. L. VI 253. 305f.). Aber entweder gehört hier der Name des C. B. überhaupt nicht hin, oder der späte Grammatiker hat ihn nur hingesetzt, weil er eine Schrift des C. benützte, freilich nicht ohne allerhand Versehen und Entstellungen. Für die Erkenntnis der Lehre des C. ist das Stück völlig wertlos. Besser steht es mit dem Fragment G. L. VI 255–272. Durch einen Irrtum des Parrhasius galt seit der ed. princ. (vom J. 1504) als überlieferter Verfassername für dieses Stück wie für G. [1314] L. VI 278–304 Atilius Fortunatianus (s. Bd. II S. 2082). Als Keil G. L. VI 250 zeigte, dass der Name vielmehr allein für das letztere überliefert ist, sprach er zugleich, auf eine sorgfältige Vergleichung mit den namentlich überlieferten Fragmenten gestützt, die Vermutung aus, dass jenes, jetzt herrenlos gewordene Fragment der Schluss des von den Metrikern viel benutzten liber de metris des C. sei.

Als sicher darf gelten, dass wir hier caesianische Doctrin besitzen, aber ob nicht vielleicht nur einen Abschnitt einer kürzeren Schrift des C. oder einen kürzenden Auszug aus jenem liber lässt sich einstweilen nicht entscheiden.

Das Fragment enthält den Schluss des metrum Sotadeum, das Archebuleum, die Hipponactea, den hendecasyllabus Phalaecius mit einigen Ableitungen, das metrum Philicium, das Paeonicum und Proceleusmaticum, den Saturnius, die reliqua Horatii metra (carm. I 2. 5. 9. 8) und ein kurzes Schlusswort über Bildung neuer Metra. Ein System ist in der Anordnung nicht vorhanden; trotzdem ist sie sicher ursprünglich und die systematische Darstellung derselben Lehre bei Terentianus und Aphthonius erst das spätere (Westphal Metr. I² 154. Leo a. a. O. 282, 2; doch vgl. auch Usener S.-Ber. Akad. Münch. 1892, 613). Der verlorene Abschnitt der Schrift enthielt unter anderem eine pedum demonstratio (264, 28) und einen eignen Abschnitt über die metra des Archilochos (268, 29). Im übrigen kann die Schrift des Terentianus de metris zur Ergänzung dienen, wenn er auch den C. nicht direct benutzt hat (Leo a. a. O. 283 A.), und namentlich anstatt der Beispiele des C. sich hier solche aus den novelli poetae finden. Von den libri de melicis poetis et de tragicis choris, die C. 272, 6 in Aussicht stellt, wissen wir garnichts.

Danach ergiebt sich, dass C. der älteste und wichtigste erhaltene Vertreter derjenigen metrischen Schule ist, die Westphal in seiner grundlegenden Arbeit Metr. I² 139ff. charakterisiert, und als deren Eigentümlichkeit er, mit nicht glücklichem Ausdruck, die metra derivata bezeichnet. Diese Schule ist für uns allein durch lateinische Metriker vertreten und knüpft auf römischem Boden an die Autorität Varros an. Ihre Regeln bilden auch die Grundlage für die Verstechnik des Horaz (Christ S.-Ber. Akad. Münch. 1868, 1ff. Kiessling Philol. Untersuch. II 65 und Ausgabe der Oden 1884), dann des Seneca (Leo Sen. trag. I 98ff.) und der sich an ihn anschliessenden novelli poetae, wie Pomponius, Ammianus, Serenus. Die Haupteigentümlichkeit der Schule besteht darin, dass sie als das eigentlich constituierende Element des Verses nicht sowohl den Versfuss ansieht als das comma. Ausgehend von der Behauptung, dass die beiden ältesten Metren der herous (d. h. der daktylische Hexameter) und der iambus (d. h. der iambische Trimeter) seien, ursprünglich selbst von einander nicht verschieden, glaubt man dem historischen Gang der Entwicklung zu folgen, wenn man aus den Abschnitten (commata) dieser Verse durch neue Zusammenstellungen, unter Weglassung oder Hinzufügung einzelner Silben, die Formenfülle der griechischen Metra ableitet. Damit hängt es zusammen, dass zur Bezeichnung der einzelnen [1315] Verse nicht ihre genaue metrische Gestalt angegeben wird, sondern der Name des εὑρετής, d. h. desjenigen, der diese Versart zuerst in grösserem Umfange gebraucht hat, gelegentlich unter Hinzufügung der Rhythmenart oder der Silbenzahl. Dabei kann auch nicht von vollständigen und unvollständigen Versen die Rede sein, sondern es heisst etwa versus cluditur antibaccheo (256, 24) oder cluditur semipede (262, 25). Diese conclusio oder clausula wurde bei den Griechen κατάληξις genannt. Auch die von der hephaestioneischen Tradition ganz abweichende Sitte dieser Schule, Musterbeispiele für die einzelnen Verse selbst zu bilden, die bei den Lateinern durch Varro eingeführt ist (vgl. auch Dion. Hal. de comp. I 25, dazu Leo a. a. O.), erklärt sich leicht aus ihrem Princip, von bekannten Versabschnitten ausgehend durch Zusatz oder Veränderung einzelner Silben das neue Metrum vor unseren Augen entstehen zu lassen. Bei der Analyse der commata wurden nur zwei- und dreisilbige Füsse verwendet, wie auch Horaz nur solche Füsse zu kennen scheint (G. Schultz Herm. XXII 266. 274). Dagegen enthielten die Fusslisten wohl auch alle viersilbigen und darunter auch den Antispast (Schultz a. a. O. 265).

Dass der Ursprung dieser Lehre bei den Griechen zu suchen ist, liegt auf der Hand. Varro hat sie wahrscheinlich aus Tyrannio übernommen (Usener a. a. O. 613ff. 640ff.). Weiter hat Leo in seinem wertvollen Aufsatz Herm. XXIV 280ff. darauf hingewiesen, dass sie in den pergamenischen Rhetorenschulen die Grundlage der metrischen Betrachtungen gebildet hat. Leo und Usener stimmen darin überein, dass die Ableitungstheorie im Gegensatz zu dem schon entwickelten complicierten System der Alexandriner (für uns namentlich durch Hephaestio vertreten) erfunden sei, nach Leo in den Kreisen der Rhetoren, nach Usener in denen der jüngeren Peripatetiker. Doch scheint die Einfachheit der Lehre, die Art der Namengebung wie manches andere auf weit ältere Zeit zu führen; vgl. Schultz Herm. XXII 280; Aus der Anomia (Berl. 1890) 57ff. Consbruch De vet. περὶ ποιήματος doctr. (Bresl. philolog. Abh. I 3) 91ff. C. behauptet prahlerisch, aber sicher mit Unrecht, er habe geschrieben memoria tantummodo adiuvante (271, 3); vielleicht ‚benutzte er Excerpte, deren Quellen er nicht wieder einsah‘ (Leo). Benutzt hat C. sicher den Varro, namentlich für den Saturnius, dann einen auch von Diomedes ausgeschriebenen Horazmetriker (Remmius Palaemon? Leo 293, 1), ausserdem wohl einen nicht viel älteren griechischen Metriker, der auch aus dem alexandrinischen System einiges verwandte (Leo 281, 2).

C. selbst ist wieder, wenn auch nicht direct, Hauptquelle in des Terentianus liber de metris und für die Darstellung der derivata bei Aphthonius (Victorinus). Diomedes benutzt wohl nur einzelne Stellen aus C. Benutzung des C. durch Iuba, die Hense Act. soc. phil. Lips. IV 64. 118 annahm, ist mit Recht zurückgewiesen von Gerh. Schultz Quibus auctor. Ael. Fest. Aphthon. usus sit, Diss. Bresl. 1885.

Die beste Handschrift ist der cod. Neap. IV A 11, danach die Ausgabe Caesii Bassi, Atil. Fortun. de metris libri ed. H. Keil, Halis 1885. Eine [1316] Untersuchung über den Stil des Caesius Bassus und Atilius Fortunatianus bei Ziwsa Serta Harteliana (Wien 1896) 251ff.