RE:Atilius 51
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Regulus, M. cos. II 256 v. Chr. | |||
Band II,2 (1896) S. 2086–2092 | |||
Marcus Atilius Regulus (Konsul 267 v. Chr.) in der Wikipedia | |||
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51) M. Atilius Regulus M. f. L. n. Fasti Cap. 498 Acta triumph. Cap. 487. Consul I im J. 487 = 267 mit L. Iulius Libo: M. Atilius Regulus Eutrop. II 17; M. Atilius Cassiod.; Regulus Chronogr. f. Hydat. Chron. Pasch. Er kämpfte gegen die Sallentiner, eroberte Brundisium und triumphierte zugleich mit Libo: cos. de Sallentineis VIII [k. Febr.] Acta triumph. Flor. I 15. Eutrop. II 17. de vir. ill. 40, 1, vgl. Cic. de fin. II 65. Schol. Bern. Verg. Georg. III 1.
Consul II suffectus im J. 498 = 256: L. Manlius A. f. P. n. Vulso Longus, Q. Caedicius Q. f. Q. n. in mag(istratu) mort(uus) est, in eius locum factus est M. Atilius M. f. L. n. Regulus II Fasti Cap.; Vulsone et Decio his conss. cui (wohl uni) suffectus est Regulus f. Hydat.; M. Manlio Vulsone M. Atilio Regulo Eutrop. II 21; Longo et Rugulo (so) Chronogr.; post M. Atilium Regulum et L. Manlium consules Liv. XXIX 28, 5; L. Manlio Vulsone M. Atilio Regulo consulibus Iustin. XLI 4, 3; Ῥήγουλος καὶ Λούκιος Dio frg. 43, 20 = Zonar. VIII 12 Ῥηγοῦλος ὁ Μάρκος καὶ Λούκιος Μάλλιος; consul iterum Cic. de off. III 99; bis consul Plin. n. h. XVIII 27.
Die Römer hatten für das J. 256 ausserordentliche Rüstungen gemacht, eine Flotte von 330 Schiffen ausgerüstet und beide Consuln mit einem Heer von vier Legionen ausgesandt mit dem Befehl, den Krieg nach Africa hinüberzutragen. Sie [2087] waren von Messana aus die Küste entlang um das Vorgebirge Pachynum herumgefahren, als sie auf der Höhe von Ecnomus auf die karthagische Flotte stiessen, welche von Hanno und Hamilcar befehligt wurde. Nach einem hartnäckigen Kampf, der lange unentschieden blieb, siegten die Römer, Polyb. I 25, 5–28. Zonar. VIII 9 p. 208 Dind. Oros. IV 8. Doch scheinen die Sieger selbst nicht unerheblichen Schaden gelitten zu haben, denn die Consuln verweilten noch einige Zeit in den sicilischen Gewässern, bevor sie die Überfahrt nach Africa unternahmen, Polyb. I 29, 1. Zonar. a. a. O. Sie steuerten nicht auf Karthago, wie die Karthager erwartet hatten, sondern landeten bei Clupea, nahmen die Stadt nach kurzer Belagerung und veranstalteten von diesem festen Stützpunkt Plünderungszüge weit und breit durch die reich angebaute Halbinsel, ohne dass die Feinde sie zu hindern vermochten. Als der Winter herannahte, erhielt Manlius vom Senat den Befehl zur Heimkehr (er hat noch vor Ablauf seines Amtsjahres als Consul triumphiert, Acta triumph. Cap.); Regulus blieb mit 40 Schiffen, 15 000 Mann Fussvolk und 500 Reitern in Africa zurück, Polyb. I 29, 2–10. Zonar. Oros. a. a. O. Flor. I 18 p. 31 J. Eutrop. II 21. Regulus rückte darauf südwärts vor; dabei soll er, als er am Flusse Bagradas sein Lager aufschlug, mit einer riesenhaften Schlange von fabelhafter Grösse einen förmlichen Kampf bestanden haben, Tubero bei Gell. VII 3. Liv. per. XVIII. Flor. Oros. a. a. O.; aus Livius, der ausdrücklich angeführt wird, Val. Max. I 8 ext. 19. Plin. n. h. VIII 37. Zon. VIII 13. Die Karthager traten ihm bei Adys entgegen, wurden aber geschlagen, und Regulus konnte bis Tunes vordringen und die Stadt besetzen, Polyb. I 30. Die Karthager wurden jetzt zum Friedensschluss geneigt, aber Regulus, der nach Rom geschrieben haben soll, er habe die Thore Karthagos mit dem Schrecken versiegelt (Zonar. VIII 13 p. 210), stellte so harte Bedingungen, dass der Rat und das Volk von Karthago durch den Übermut des Siegers zum äussersten Widerstande angefeuert wurden. Unter den neuangeworbenen griechischen Söldnern befand sich der kriegserfahrene Hauptmann Xanthippos aus Lakedaimon; seinem Einfluss auf die Ausbildung der Truppen und auf die Führer wird die Wendung, die jetzt eintrat, zugeschrieben. Die Karthager gewannen wieder Mut, den Römern im offenen Felde entgegenzutreten, und in einer Schlacht, die von Xanthippos geschickt geleitet wurde, vernichteten sie fast das gesamte römische Heer. Nur 2000 Mann entkamen nach Clupea, Regulus selbst ward gefangen genommen, Polyb. I 31–34. Diod. XXIII 12–15. Liv. per. XVIII. Front, strat. II 3, 10. Flor. Eutrop. Oros. Zonar. a. a. O. de vir. ill. 40, 3. Von vereinzelten Notizen über Regulus ist noch anzuführen: als ihm das Imperium für das J. 255 verlängert wurde, bat er um Abberufung, weil sein kleines Gütchen unbestellt läge und er für Frau und Kinder sonst nicht sorgen könnte; der Senat beschloss, seine Familie auf Staatskosten zu unterhalten, Val. Max. III 4, 6. Front. strat. IV 3, 3. Sen. dial. XII 12, 6. 7; vgl. de vir. ill. 40, 2. Ein Ausspruch über Ackerbau wird von ihm angeführt Colum. I 4, 2, daraus Plin. n. h. XVIII 27.
[2088] Über die späteren Schicksale des Regulus lautet die bekannte römische Überlieferung, wie sie den Römern zur Zeit Ciceros vollkommen feststand, in den Grundzügen folgendermassen: Im J. 503/4 = 251/250 (abweichend Appian. Sicil. 2, vgl. u.) sei Regulus von den Karthagern nach Rom entsandt, um über die Auswechselung von Gefangenen oder, wie es später heisst, über den Abschluss des Friedens zu verhandeln; im Falle die Römer beides verweigerten, sollte Regulus nach Karthago zurückkehren. Dazu habe er sich eidlich verpflichtet. In Rom habe er im Senat gegen die Vorschläge der Karthager gesprochen und einen ablehnenden Beschluss durchgesetzt; dann sei er, dem Eide getreu, nach Karthago zurückgekehrt und sei von den Karthagern aus Rache grausam hingemartert worden.
Schon im 17. Jhdt. hat Le Paulmier (Iacobi Palmerii exercitationes in optimos fere auctores Graecos, Lugd. Bat. 1668 p. 151–153, daraus unverändert [wie mir die Vergleichung mit dem seltenen Original ergab] abgedruckt im Appian ed. Schweighaeuser III 392) unter Berufung auf Polybios Schweigen und den abweichenden Bericht Diodors diese Erzählung für eine Erdichtung erklärt. Seitdem ist die Frage häufig, ohne dass wesentlich neue Gesichtspunkte aufgestellt wären, behandelt worden (die ältere wertlose Litteratur bei Wolff M. Atilii Reguli vita 1846, 18f. [eine im übrigen gleichfalls wertlose Schrift], eine neuere Sonderuntersuchung O. Jäger M. Atilius Regulus 1878), und über den fabelhaften Charakter der Erzählung von Regulus Martertod herrscht heute allgemeine Übereinstimmung. Ebenso wird von den meisten Forschern die angebliche Gesandtschaft des Regulus als unhistorische Erfindung verworfen; doch hat neben Jäger auch Ranke Weltgeschichte II 185 an dieser Überlieferung festgehalten.
Wir geben zunächst eine Übersicht der älteren Überlieferung bis auf Livius und beginnen mit den beiden Schriftstellern, denen wir die ältesten, reinsten und zuverlässigsten Nachrichten über den ersten punischen Krieg verdanken, Polybios und Diodor. Beide haben sowohl die im karthagischen Sinne geschriebene Geschichte des Agrigentiners Philinos als gute römische Quellen benutzt.
I. Polybios I 35 schliesst an die Nachricht von Regulus Gefangenschaft eine lange lehrhafte Betrachtung: ἐν ᾧ καιρῷ πολλά τις ἂν ὀρθῶς ἐπισημαινόμενος εὕροι πρὸς ἐπανόρθωσιν τοῦ τῶν ἀνθρώπων βίου συντελέσοντα· καὶ γὰρ τὸ διαπιστεῖν τῇ τύχῃ καὶ μάλιστα κατὰ τὰς εὐπραγίας ἐναργέστατον ἐφάνη πᾶσι τότε διὰ τῶν Μάρκου συμπτωμάτων. Das oft missbrauchte Argumentum ex silentio hat im allgemeinen herzlich wenig Beweiskraft. Aus der Thatsache, dass überhaupt Polybios Regulus Gesandschaft und Martertod in seiner Einleitung (προπαγασκευή Buch I u. II) nicht erwähnt, dürfte man gar keinen kritischen Schluss ziehen. Aber wenn Polybios in seiner breiten Lehrhaftigkeit eine Ecke ins Feld hinein moralisiert über die Unbeständigkeit menschlichen Glückes, so wäre es in der That nicht zu begreifen, warum er den stärksten Gegensatz zum Glück des hochmütigen Siegers, seinen jammervollen Tod, hier nicht erwähnte, falls dieser wirklich ein geschichtliches Ereignis war.
[2089] II. Das Excerpt aus der Erzählung Diodors XXIV 12 berichtet: Zwei vornehme Karthager, Bodostor und Hamilcar, waren der Familie des Regulus in Rom als Unterpfand für eine gute Behandlung des Gefangenen übergeben worden. Regulus Gattin erfuhr, dass ihr Gemahl in der Gefangenschaft verstorben war, und sie schrieb seinen Tod einem mangelhaften Unterhalte zu (νομίσασα δι’ ἀμέλειαν αὐτὸν ἐκλελοιπέναι τοῦ ζῆν). Um sich zu rächen, sperrte sie die beiden Karthager in einen engen Raum und enthielt ihnen jede Nahrung vor. Der eine, Bodostor, starb, der andere berief sich umsonst dem argen Weibe gegenüber auf das, was er einst für den gefangenen Regulus gethan hatte (πολλάκις δὲ αὐτοῦ δεομένου τῆς γυναικὸς καὶ μετὰ δακρύων τὴν ἐπιμέλειαν τὴν εἰς τὸν ἄνδρα διεξιόντος – – – ἐπιμαρτυρόμενος Δία ξένιον καὶ τοὺς θεοὺς τοῦς ἐποπτεύοντας τὰ κατ’ ἀνθρώπους ὡς ἀντὶ καλῆς χάριτος τῆς ὀφειλομένης ἀπολαμβάνει τιμωρίας ὑπὲρ ἄνθρωπον). Da jammerte die Sclaven des Greuels, sie machten den Tribunen Anzeige, der Senat schritt ein, forderte die Atilier vor und machte dem Treiben der rachsüchtigen Megäre ein Ende. Hamilcar wurde befreit. Ob dieser Bericht, wie behauptet ist, aus Philinos stammt, lässt sich nicht entscheiden. Denn es ist eine unbewiesene Behauptung, dass Diodor für den ersten punischen Krieg ausschliesslich Philinos benutzt habe. Die genaue Kenntnis der römischen Verhältnisse, welche sich in der Erwähnung der Tribunen zeigt, spricht eher für einen römischen Gewährsmann. Es ist aber die Unsicherheit über den Ursprung insofern ganz gleichgültig, als der Inhalt des Berichtes eine alte und reine Überlieferung beweist.
III. Sempronius Tuditanus (Consul im J. 625 = 129) berichtet nach Gell. VII 4, 1: Regulum captum ad ea quae in senatu Romae dixit, suadens ne captivi cum Carthaginiensibus permutarentur, id quoque addidisse, venenum sibi Carthaginienses dedisse, non praesentarium sed eius modi quod mortem in diem proferret, eo consilio, ut viveret tantisper quoad fieret permutatio, post autem grassante sensim veneno contabesceret. Dann führt Gellius einige Worte Tuberos an (unten unter V) und setzt hinzu: Tuditanus autem somno diu prohibitum atque ita vita privatum refert, idque ubi Romae cognitum est, nobilissimos Poenorum captivos liberis Reguli a senatu deditos et ab his in armario muricibus praefixo destitutos eademque insomnia cruciatos interisse.
IV. Cicero erwähnt Regulus Tod häufig, ausführlicher de off. I 39. III 99–100, kürzer de sen. 74; de fin. II 65. V 82. 88; Tusc. V 14; deor. nat. III 80; Parad. 16; p. Sest. 127; in Pis. 43; Phil. XI 9. Nach ihm wurde Regulus zur Auswechselung vornehmer Gefangener nach Rom geschickt, kehrte, nachdem er davon abgeraten hatte, nach Karthago zurück und wurde dort getötet a) vigilando off. III 100; b) vigiliis et fame fin. II 65, vigiliis et inedia fin. V 82; c) quem Karthaginienses resectis palpebris in machina vigilando necaverunt in Pis. 43.
V. Aelius Tubero, ein jüngerer Zeitgenosse Ciceros (vgl. Aelius Nr. 156), berichtete nach Gell. VII 4, 3 in atras et profundas tenebras eum claudebant ac diu post, ubi erat visus sol ardentissimus, [2090] repente educebant et adversus ictus solis oppositum continebant atque intendere in caelum oculos cogebant. Palpebras quoque eius, ne conivere posset, sursum ac deorsum diductas insuebant.
VI. Die Reste der livianischen Überlieferung: a) per. XVIII Regulus missus a Carthaginiensibus ad senatum ut de pace et si eam non posset impetrare de commutandis captivis ageret, sed iure iurando adstrictus, rediturum se Carthaginem, si commutari captivos non placuisset, utrumque negandi auctor senatui fuit, et cum fide custodita reversus esset, supplicio a Carthaginiensibus de eo sumpto periit (nur allgemeine Erwähnungen seines Schicksals sind Liv. XXVIII 43, 1. XXX 30, 23). b) Wesentlich dasselbe bei Flor. I 18 und c) Eutrop. II 25 und d) Oros. IV 10, der über die Todesart hinzufügt quem – – resectis palpebris illigatum in machina vigilando necaverunt. Diese Worte sind fast wörtlich gleich der oben (IV) mitgeteilten Stelle aus Cic. in Pis. 43, doch sind sie schwerlich ein eigener Zusatz des Orosius.
VII. Von den späteren Berichten geben Val. Max. I 1, 14. IX 2 ext. 1 und de vir. ill. 40, 4 im wesentlichen das Gleiche wie Livius. Der Bericht Dios (Dio frg. 43, 26ff. Zonar. VIII 15) ist darin bemerkenswert, dass er Tuditanus Angabe wiederholt, Regulus habe vorgegeben, von den Karthagern ein schleichendes Gift bekommen zu haben; die Martern dagegen werden in der späteren, gehäuften Weise geschildert τὰ γὰρ βλέφαρα αὐτοῦ περιτεμόντες καὶ χρόνον τινὰ ἐν σκότει καθείρξαντες εἶτα εἰς σλεῦός τι σύμπηκτον κέντρα πανταχόθεν ἔχον ἐμβαλόντες αὐτὸν καὶ τρέψαντες πρὸς τὸν ἥλιον (vgl. Tubero V) οὕτως ὑπὸ κακοπαθείας καὶ ἀγρυπνίας μὴ δυνάμενόν πῃ κλιθῆναι διὰ τὰ κέντρα διέφθειραν· ἃ πυθόμενοι οἱ Ῥωμαῖοι τοὺς πρώτους τῶν παρ’ αὐτοῖς αἰχμαλώντων παρέδοσαν τοῖς ἐκείνου παισὶ καὶ ἀνταικίσασθαι καὶ ἀνταποκτεῖναι. Das letzte stimmt wieder mit Tuditanus überein, so dass Dios Bericht sich als eine Contamination aus diesem und dem Tuberos darstellt. Appian berichtet Libyc. 3 im wesentlichen wie Livius und lässt die Gesandtschaft nicht lange (μετ’ οὐ πολύ) nach Regulus Gefangennahme erfolgen; dagegen setzt er Sicil. 2 die Gesandtschaft an das Ende des Krieges ins J. 242 oder 241. Diese Abweichung beruht wahrscheinlich nur auf einer Flüchtigkeit Appians, wie sich deren überall bei ihm finden; und diese Ansetzung ist leicht erklärlich aus der späteren Gestalt der Erzählung, wonach Regulus Hauptaufgabe sein sollte, den Frieden zu vermitteln. Andere Erwähnungen der Geschichte noch bei Senec. dial. I 3, 4. 9–11. IX 16, 4; de ben. V 3, 2; ep. 67, 7. 12. 70, 17. 98, 12. Polyaen. VIII 12. Suid. s. Ῥήγουλος.
Aus dieser Übersicht über den Bestand der Überlieferung ergiebt sich: die beiden ältesten und besten Berichte über den ersten punischen Krieg wissen von der ganzen Geschichte überhaupt nichts, Polybios widerspricht ihr mittelbar durch sein Schweigen, Diodor unmittelbar durch seinen eigenen Bericht. Dieser ist nicht nur in sich verständlich und glaubwürdig, sondern wird in einem wichtigen Punkte durch den für uns ältesten Vertreter der späteren Legende, Tuditanus, bestätigt: auch dieser kannte noch die [2091] Thatsache, dass zwei vornehme karthagische Gefangene von Regulus Familie scheusslich gemartert waren. Diese unrühmliche Thatsache ist von den Späteren beseitigt worden; Dio ist der einzige unter ihnen, der hierin wie in einem anderen Zuge Tuditanus folgt. Die Misshandlung der Gefangenen erfolgte nach Diodor, weil Regulus Gattin fälschlich annahm, ihr Mann sei von den Karthagern in der Gefangenschaft schlecht behandelt worden und infolge dessen gestorben. Hier setzte die Fälschung ein und verwandelte die subjective, unbegründete Annahme in eine objective Thatsache. Diese bedurfte nun freilich einer Motivierung. Dazu diente die angebliche Gesandtschaft. Nach der älteren Überlieferung, wie sie noch Cicero ausschliesslich kennt, handelte es sich dabei nur um Auswechselung von Gefangenen. Solche sind zwischen Römern und Karthagern im ersten wie im zweiten punischen Kriege öfter vorgekommen, ohne dass irgend jemand darin etwas Entehrendes gefunden hätte. Warum widerriet sie Regulus, und warum lehnte der Senat sie ab? Nach Tuditanus erklärte Regulus ein schleichendes Gift einbekommen zu haben (es ist aus Gellius Auszug nicht zu ersehen, ob dies nur ein Vorgeben des Regulus oder eine Thatsache sein sollte). Diese Begründung erschien den Späteren denn doch zu albern. Sie haben sie fallen gelassen und nur Dio hat sie noch erwähnt, jedoch nur als Nebenmotiv.
Einen zweiten Versuch der Motivierung finden wir bei Cicero (namentlich de off. III 99f.). Regulus widerriet die Auswechselung als schädlich für den römischen Staat: reddi captivos negavit esse utile, illos enim adulescentis esse et bonos duces, se iam confectum senectute. Aber es klang weder sehr rühmlich, noch sehr überzeugend, dass der römische Staat vor ein paar namenlosen jungen Karthagern dermassen gezittert hatte, dass er lieber einen Consular dem Martertode überlieferte (denn Regulus wusste, wie Cicero wiederholt betont, genau, was ihm bevorstand).
So entstand denn eine dritte Version, die wir zuerst bei Livius und nach seinem Vorgange bei allen Späteren finden. Die Auswechselung der Gefangenen wurde zwar nicht ganz beseitigt, aber bei Seite geschoben; der Hauptzweck der Entsendung des Regulus war die Herbeiführung eines Friedensschlusses zwischen Rom und Karthago. Jetzt erst konnte Regulus seinen Patriotismus voll bethätigen, und die Geschichtschreiber konnten ihn mit der schönen Sicherheit, die einem Propheten post eventum so wohl ansteht, von der Standhaftigkeit der Römer und der endlichen Krönung ihrer Beharrlichkeit reden lassen. Das hat Dio nach den Auszügen gethan, und auch ohne Zeugnis wird niemand bezweifeln, dass Livius diese herrliche Gelegenheit, ein grosses oratorisch-patriotisches Brillantfeuerwerk abzubrennen, nicht versäumt hat. Man hatte ferner bei dieser Version den Vorzug, dass die Erbitterung der Karthager jetzt verständlicher wurde. Und endlich ward die Verweigerung der Auslieferung einigermassen begreiflich: wenn der Senat nicht einmal in diesem Nebenpunkt nachgab, so trat seine unerbittlich schroffe Haltung gegen alle Friedensvorschläge Karthagos um so schärfer hervor. So fehlte denn zur künstlerischen Abrundung [2092] des Ganzen nur noch eins, eine angemessene breite Ausmalung des Martyriums, und auch dies ward eifrig besorgt. Der älteste römische Bericht liess es bei der Entziehung des Schlafes bewenden: Cicero fügt zweimal schon die jeder Nahrung hinzu, jedoch nur einmal rollte er den Marterkasten herbei und wohlgemerkt, in einer seiner Reden, in denen er allezeit ohne Scrupel die geschichtliche Wahrheit dem rednerischen Effect geopfert hat. Die Späteren haben diese ,Maschine‘ und die ganze Procedur so reichlich ausgestattet, wie es der Phantasie eines Folterknechtes alle Ehre machen würde. Dann haben die Dichter, wie Horat. carm. III 5, als Helden römischer Standhaftigkeit einen Mann gefeiert, dessen thörichten Hochmut das Schicksal mit ernster, doch nicht grausamer Sühne strafte.
Zufällige Umstände, wie die Erhaltung einiger Nachrichten aus älteren Geschichtschreibern, gaben uns hier die Möglichkeit, genauer als in verwandten Fällen aus der römischen Geschichte die allmähliche Entstehung des ganzen Lügengewebes zu verfolgen. Es versteht sich von selbst, dass man nicht einen einzelnen Faden herausnehmen darf, der mit den übrigen untrennbar verwebt ist. Es ist unkritisch, die Gesandtschaft des Regulus als eine geschichtliche Thatsache festhalten zu wollen, zumal die Berichte auch über diese auseinander gehen. Im übrigen bietet vom Standpunkt einer kritischen Betrachtung der römischen Geschichtschreibung die Reguluslegende durchaus nichts Eigenartiges oder gar Absonderliches. Sie gehört zu einer nur zu zahlreich vertretenen Gattung. In ihrer älteren Gestalt nur eine der gewöhnlichen patriotischen Entstellungen und bestimmt, einen Flecken von einem vornehmen Geschlecht zu tilgen, wird sie später in ähnlicher Weise moralisierend behandelt und rhetorisch aufgeputzt wie die Geschichten vom Verhalten der Römer gegen König Pyrrhos. Wie hier die Ablehnung eines Meuchelmordes, so wird dort die angebliche Bewahrung des Schwures zur sittlichen Heldenthat gestempelt. Die Rhetorik, welche die römische Geschichtschreibung seit der sullanischen Zeit so unheilvoll beherrscht hat, und die seichte, ihrer eigenen Unsittlichkeit sich selber nicht bewusste, moralische Popularphilosophie, wie wir sie aus Ciceros Schriften kennen, haben diese widerwärtigen, geschichtlich unwahren Tugendhelden geschaffen, die dann in gereimten und ungereimten Declamationen die Jahrhunderte hindurch gefeiert sind. Die neuere Kritik hat auch das Gespenst des tugendreichen Regulus mitsamt seinem patriotischen Heiligenschein endlich ins Reich der Schatten zurückgescheucht.