Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Argimpaioi, Bezeichnung eines Stammes im O der pontischen Skolotoi
Band II,1 (1895) S. 719721
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Argippaioi oder Argimpaioi hiessen bei den pontischen Skolotoi, welche eine Art Tauschverkehr mit den östlichen Völkern unterhielten, die Bewohner eines weit gegen Osten entfernten und allmählich ansteigenden Durchzugsthales am Fusse hoher Gebirge, kahlköpfige Leute mit Stumpfnasen und hervorstehenden Backenknochen, ‚welche eine eigene Sprache reden; sie leben von den Früchten des Baumes ποντικόν, deren schwarzen und durch eine Seihe gepressten Saft sie ἄσχυ benennen und gemischt mit Milch trinken, und aus deren kernigen Rückständen sie platte Kuchen als Reisekost kneten; sie hausen unter Bäumen, die sie im Winter mit weissen Filzdecken belegen; die Steppen haben dort nur wenig Graswuchs fürs Vieh. Sie selbst gelten für unverletzlich und sie schlichten ohne Wehr und Waffen die Streitigkeiten der Nachbarstämme; in dieses äusserste den Skythen noch bekannte Land brauchen diese sieben Dolmetscher in sieben Zungen‘. So Herodot IV 23, welcher 25 hinzufügt, dass weiter gegen Süden das Volk der Issedones wohne, und dass nordwärts von den Kahlköpfen nach deren eigener Aussage auf unzugänglichen Bergen Menschen mit Ziegenfüssen und noch weiter hinauf Leute hausen, welche sechs Monate lang schlafen. Hekataios von Abdera hatte den Bericht Herodots über die Argimpaioi mit den Rhipai und mit der Hyperboreersage des Aristeas verquickt, und aus seinem Buche stammt die Schilderung der Arimphaei oder Aremphaei bei Mela I 117. Plinius VI 34; die herodoteische Variante Orgempaioi begegnet auch bei Zenobios V 25, welcher meint, dass die Kahlköpfigkeit von dem salzigen Wasser der Steppe herrühre. Der Name zeigt den skythischen Ausgang -paios, wie in Exam-paios; vgl. [720] zd. paya ,Weide, Trift‘ oder auch pada, neupersisch pay ,Grund, Landstrich‘; der erste Bestandteil, welcher das Element argim oder argin zeigt, hat vielleicht ,die Würdigen‘ bedeutet, mit Bezug auf die angesehene Stellung der Kahlköpfe. Diese Stellung, welche der Bericht dem ganzen Volke zuteilt, bezog sich wohl ursprünglich nur auf die Ordner und Richter, welche die Streitigkeiten der Stämme schlichteten und überdies die fremden Gäste in den Grenzposten empfingen. Diese schoren sich den Kopf kahl, was als Zeichen verfeinerter Lebensweise galt, im Gegensatze zu den Nomaden, welche das Haar in langen Flechten und Schöpfen herabwallen liessen. Die Schilderung des Typus zeigt, dass wir es mit einem mongoloïdischen oder alttürkischen Volke zu thun haben, etwa den Vorfahren der Utighuren oder Uïghuren, welche ihrerseits den Hunnen sehr nahe standen. Die Gesamtübersicht über den Verlauf des skythischen Handelsweges, sowie die Erwähnung der südlicher hausenden tibetischen Issedones (s. d.) weist den A. die Sitze nördlich vom Thiën-šan und südlich vom Altaï zu; durch das sog. ,dzungarische Völkerthor‘ muss unstreitig die Handelspassage geführt haben, auf der frühzeitig ostasiatische Erzeugnisse, z. B. Rhabarber, zum Pontus gelangten. Die Bäume, unter denen die Kahlköpfe hausten, bezeichnen das Pfahlwerk des Nomadenzeltes, das mit weissem Filz überdeckt wird. Der Name des Baumes ποντικόν war skythisch: panthika ,zum Wege gehörig‘ bezeichnet einfach den Strauch, der den Nomaden das viaticum spendete, d. i. die Traubenkirsche (prunus padus), deren Beerensaft noch jetzt von den Dzungaren mit Milch zu einem Mus verkocht wird, während die gepressten Trebern ebenfalls eine ziemlich gute Reisekost abgeben; ἄσχυ dagegen zeigt schon in der Form deutlich türkisches Gepräge und bedeutet einfach ,Speise, Nahrung‘, türkisch asugh, ältere Form asghu, von as- ,essen‘. So erklärt sich alles aufs einfachste; der ganze Bericht gewährt uns den ältesten Einblick in das Leben der Urtürken; wir finden da ziemlich geordnete sociale Zustände, die sich auch bei Nomadenvölkern frühzeitig entwickeln. Tausend Jahre später besuchte der Grieche Zemarchos dieselbe Gegend; heimgekehrt erzählte er ,viel Wunderbares von der Menge der türkischen Völker, von den Merkwürdigkeiten ihrer Gegenden und der Ordnung und Festigkeit ihrer Regierung‘ (Joannes v. Ephesus, Kirchengeschichte VI 23a. 573). Müllenhoff D. A. III 13 sucht die A. im Ural, wo doch nur Jägerstämme hausten (s. Thyssagetai, Iyrkai); die hohen Felsgebirge im Norden können nur auf den Altai bezogen werden (von türkisch altun ,Gold‘) , sin. kin.šan ,Goldgebirge‘, χρυσοῦν ὄρος des Zemarchos. Die Ziegenfüssler bezeichnen die samojedischen und burjätischen Bergbewohner der sajanischen Kette, so wie ähnlich die Finnen Skandias Hippopodes hiessen, weil sie auf Schneeschuhen einherjagten; die lange Dauer der Sommertage und der Winternächte im höchsten Norden hat endlich die Sage von den Langschläfern erzeugt – die Kahlköpfe brauchen deshalb nicht die pythagoreische Theorie von der Kugelgestalt der Erde gekannt zu haben. Vgl. ausser den Erklärern Herodots Bonnell Beitr. zur Altertumskunde von Russland, Petersb. [721] 1882, 117f. v. Baer Kleinere Aufsätze III 106f. Tomaschek S.-Ber. Akad. Wien CXVII 54–70.