Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Griechisches Fest in Salamis und Athen dem Telamonier Aias zu Ehren
Band I,1 (1893) S. 926 (IA)–929 (IA)
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2) Der Schauplatz der dem Telamonier Aias zu Ehren begangenen Feier war sowohl die Insel Salamis als auch Athen, wenigstens in der Zeit, aus welcher die grosse Menge der Inschriften stammt, in denen dieses Fest erwähnt wird. Ursprünglich waren die dem Telamonier gefeierten Αἰάντεια ein salaminisches Fest, und erst im Laufe der Zeit, als die Athener in jeder Weise darauf ausgingen, den salaminischen Nationalheros zu annectieren, wurde die Feier seines Festes auch in der Landeshauptstadt eingeführt. Die gewöhnliche Ansicht geht dahin, dass die A. erst nach den Perserkriegen zur Erinnerung an die Schlacht bei Salamis gestiftet worden seien. A. Mommsen Heortol. 411. Dittenberger de ephebis atticis 68. Meinhold de rebus Salaminiis (Götting. Diss. 1879) 40. Doch diese Voraussetzung lässt sich durch nichts beweisen. Vgl. Toepffer Quaest. Pisistr. 23. Der Kult des Telamoniers reicht auf Salamis in sehr frühe Zeiten hinauf. Vgl. Hesiod. Th. 1005; fr. 100. [927] 101. 102. 225 Rz. Daher hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass auch die sein Andenken ehrende Feier alt, wenigstens erheblich älter als der bei Salamis erfochtene Sieg über die Perser ist. Dieser mag das Fest mit neuem Glanz umgeben haben. Die Einführung der Feier in Athen wird wohl auch noch in die Zeiten fallen, als die Athener nach der Eroberung der Insel diese durch möglichst enge Bande mit Athen zu verknüpfen suchten, d. h. in die Zeit des Peisistratos und Kleisthenes. Was in den Handbüchern über die Feier der A. gesagt wird, ist sehr ungenügend und veraltet. Rinck Relig. der Hellenen II 183. Hermann Gottesdienstl. Altert. § 62, 46. A. Mommsen Heortol. 411ff. P. Stengel (Griech. Kultusaltert. im Handb. d. Altertw. V) erwähnt das Fest nicht. Die salaminisch-attischen A. waren bis vor nicht langer Zeit nur durch eine Glosse des Hesychios (Αἰάντεια· ἑορτὴ ἐν Σαλαμῖνι) und eine Inschrift bekannt (CIG I 108 Z. 30 καὶ ἀνειπεῖν τοῦτον τὸν στέφανον Διονυσίων τῶν ἐν Σαλαμῖνι τραγῳδοῖς ὅταν πρῶτον γἐνηται καὶ Αἰαντείοις τῷ γυμνικῷ ἀγῶνι). Ferner berichtet der Scholiast zu Pindar Nem. II 19, dass dem Aias zu Ehren in Athen ein Lectisternium mit voller Rüstung veranstaltet worden sei (ὅτι διὰ τιμῆς ἦγον οἱ Ἀθηναῖοι τὸν Αἴαντα, ὡς μὴ μόνον Αἰαντίδα φυλὴν ἀποδεῖξαι, ἀλλὰ καὶ κλίνην αὐτῷ μετὰ πανοπλίας κατακοσμεῖν). Die Kenntnis dieses Festes wurde wesentlich erweitert, als die zahlreichen und umfassenden Ephebeninschriften ans Licht traten, deren Inhalt nach dieser Seite noch wenig ausgenützt ist. In der Mehrzahl dieser Inschriften geschieht der A. Erwähnung. Vgl. A. Dumont Essai sur l’éphébie attique, Paris 1877. Meinhold de rebus Salaminiis 39ff. U. Köhler CIA II 467–471. Es scheint, dass die A. sich an die Feier der Munichien angeschlossen haben, die am 16. Munichion (April) der Artemis zu Ehren begangen wurden. Suid. s. ἀνάστατοι. Hermann Gottesd. Altert. § 60, 3. Meinhold de rebus Salaminiis 40. Preller-Robert Griech. Mythol. I 312, 2. Plut. de glor. Athen. 7 bringt die Kalenderzeit des Festes mit dem Siege bei Salamis in Verbindung (τὴν δὲ ἕκτην ἐπὶ δέκα τοῦ Μουνιχιῶνος Ἀρτέμιδι καθιέρωσαν, ἐν ᾗ τοῖς Ἕλλησι περὶ Σαλαμῖνα νικῶσιν ἐπέλαμψεν ἡ θεὸς πανσέληνος; vgl. Plut. Lys. 15). Doch beruht diese Angabe auf einer fälschlichen Identificierung des Schlachttages mit dem Tage der Erinnerungsfeier für den Persersieg. Vgl. Boeckh Zur Gesch. der Mondcyclen der Hellenen 68. Busolt Griech. Gesch. II 175. Die alten Kulttage der Götter- und Heroenfeste standen unverrückbar fest, so dass sich die Erinnerungsfeierlichkeiten für historische Ereignisse häufig nach dem Datum der ersteren richteten. Derselbe Vorgang spielt sich bei der Marathonfeier ab: auch hier schliesst sich die Erinnerungsfeier an einen alten Kulttag an. Die Verbindung der A. mit dem salaminischen Siege lag nahe, da Aias der schützende Heros der Insel war. Er und sein Vater Telamon sollen von den Hellenen vor Beginn der Schlacht um ihre Hülfe angerufen worden sein (Herod. VIII 64 ἔδοξε δέ σφι εὔξασθαι τοῖσι θεοῖσι καὶ ἐπικαλέσασθαι τοὺς Αἰακίδας συμμάχους· ὡς δέ σφι ἔδοξε, καὶ ἐποίεον ταῦτα· εὐξάμενοι [928] γὰρ πᾶσι τοῖσι θεοῖσι αὐτόθεν μὲν ἐκ Σαλαμῖνος Αἴαντά τε καὶ Τελαμῶνα ἐπεκαλέοντο, ἐπὶ δὲ Αἰακὸν καὶ τοὺς ἄλλους Αἰακίδας νέα ἀπέστελλον ἐς Αἴγιναν; vgl. Plut. Them. 15). Wie aus den Ephebeninschriften hervorgeht, zerfiel die Feier der A. einerseits in Opfer-, andererseits in agonistische Feierlichkeiten. Ausser dem Opfer für Aias wird in den Inschriften (vgl. CIA II 470) auch ein für Asklepios bestimmtes Opfer erwähnt, über welches A. Mommsen (Heortol. 411) bemerkt: ‚Durch Asklepios Hülfe sollte wohl Aias seinem Heroengrabe entsteigen und in die lebendige Gegenwart hinaufgerufen werden‘. Vgl. Dumont Essai sur l’éphébie attique I 276. Mit Recht hat sich Meinhold de reb. Salaminiis 42 gegen diese geschraubte und phantastische Auffassung gewandt und darauf hingewiesen, dass beide Opfer schwerlich in einem Ideenzusammenhang stehen, sondern dass die Epheben dem Asklepios, der wohl auch auf Salamis einen Tempel besass, einfach für ihres Leibes Wohlfahrt geopfert hätten, wie denn die Kosmeten in einer andern Ephebeninschrift dafür belobt werden, dass sie in ihrem Jahre die Epheben σωξομένους καὶ ὑγιαίνοντας διετήρησαν. Ferner wird auf den Steinen der Festzug (πομπή) zu Ehren des Aias erwähnt, bei dem möglicherweise die Bildsäule desselben aus Ebenholz, die sich im Tempel des Aias auf Salamis befand (Paus. I 35, 2), eine Rolle spielte. Meinhold de reb. Salaminis 42. An den feierlichen Umzug scheint sich ein Fackelwettlauf angeschlossen zu haben (τήν τε πομπὴν συνέπεμψαν τῷ Αἴαντι, ἔδραμον δὲ καὶ λαμπάδα). Einen wichtigen Bestandteil der agonistischen Festlichkeiten bildete die grosse Ruderregatta der athenischen Epheben, die in den Gewässern von Salamis stattfand (ἅμιλλα τῶν πλοίων). Dieser Regatta geschieht fast in allen umfangreicheren Ephebenurkunden Erwähnung. A. Dumonts (Essai sur l’éphébie I 275) Ansicht, dass bei dem Wettrudern athenische Epheben gegen salaminische gefochten hätten, findet durch die Inschriften keine Stütze, ist aber immerhin möglich. Ausser den genannten Festgebräuchen ist noch der μακρὸς δρόμος zu erwähnen, den einer Inschrift zufolge die Epheben auf Salamis ausführten: CIA II 470 ἔπλευσαν καὶ εἰς Σα[λαμῖν]α καὶ ἐποιήσαντο ἅμιλλαν τῶν πλοίων, ἔδραμον δὲ καὶ μακρὸν δ[ρ]όμον ἐξ ἑαυτῶν πρὸς τοὺς ἐν Σαλαμῖνι καὶ ἐνίκησαν. Meinhold (de rebus Salaminiis 44) stellt die Behauptung auf, dass dieser δρόμος mit der programmässigen Aianteiafeier nichts zu schaffen habe, sondern ein Autoschediasma der Epheben gewesen sei, die denselben ἐξ ἑαυτῶν = sponte, ultro veranstaltet hätten. Diese ebenso gewagte wie naive Ansicht wird durch die blosse Thatsache widerlegt, dass des δρόμος in einer officiellen Urkunde Erwähnung geschieht, was nimmermehr der Fall wäre, wenn es sich hier, wie Meinhold will, um einen zufälligen Turnerscherz der Epheben handeln würde. Wie die Thatsache des δρόμος, so wurde auch der Sieg der einen Partei im officiellen Ephebenprogramm verzeichnet. Die Worte ἐξ ἑαυτῶν bedeuten, dass niemand zu dem Lauf gezwungen wurde. Wir haben bei Plutarch im Leben des Solon (9) eine Erzählung erhalten, die vielleicht mit dem hier erwähnten Festgebrauch im Zusammenhang [929] steht. Nachdem Plutarch den Hergang der Eroberung der Insel Salamis durch Solon geschildert hat, fährt er a. a. O. fort: ἔοικε δὲ τῷ λόγῳ τούτῳ καὶ τὰ δρώμενα μαρτυρεῖν. Ναῦς γάρ τις Ἀττικὴ προσέπλει σιωπῇ τὸ πρῶτον, εἶτα κραυγῇ καὶ ἀλαλαγμῷ προσφερομένων εἷς ἀνὴρ ἔνοπλος ἐξαλλόμενος μετὰ βοῆς ἔθει πρὸς ἄκρον τὸ Σκιράδιον … ἐκ γῆς προσφερομένοις. Auf die Localitäten, an denen sich diese Vorgänge abspielten, scheint auch in der Inschrift Ἐφ. ἀρχ. 1884, 169f. Bezug genommen zu werden, in welcher ἡ ἀρχαία πόλις [ἡ προ]σον[ομ]ασθεῖ[σ]α Κυ[χρεία, ein τέμεν]ος Αἴαντος, ὃ καθιέρωσε …, τὸ Θ[εμισ]τ[οκ]λέους τ[ρόπαι]ον und das πολυανδρεῖον erwähnt werden. Hiermit sind Stellen aus den Ephebeninschriften zu vergleichen wie z. B. CIA II 471 εἰς τὰς θυσίας παρεγένοντο καὶ τὰ ἱερὰ τὰ κατὰ τὴν χώραν, ἐν οἷς διετέλουν, θύοντες καὶ καλλιεροῦντες ὑπὲρ τοῦ δήμου· παραγενόμενοι δὲ ἐπὶ τὸ … πολυανδρεῖον ἐστεφάνωσάν τε καὶ ἐνήγισαν τοῖς κατὰ πόλεμον τελευτήσασιν ὑπὲρ τῆς ἐλευθερίας … ἀνέπλευσαν δὲ καὶ ἐπὶ τρόπαιον καὶ ἔθυσαν τῷ Διΐ τῷ Τροπαίῳ. CIA II 467 ἔπλευσαν δὲ καὶ εἰς Σαλαμῖνα τοῖς Αἰαντείοις καὶ ἔθυσαν τῷ Αἴαντι καὶ τἆλλα καθήκοντα ποιήσαντες ἀνεστράφησαν εὐτάκτως, ἐφ’ οἷς καὶ ἐτιμήθησαν ὑπὸ τοῦ δήμου τοῦ Σαλαμινίων· προαναπλεύσαντες δὲ καὶ ἐπὶ τρόπαιον δυσὶ πλοίοις ἔθυσαν τῷ Διΐ τῷ Τροπαίῳ. Wir erfahren aus diesen Inschriften ausserdem, dass mit der Feier der A. ein Opfer für Zeus Tropaios verbunden war, und dass die Epheben, wenn alles gut von statten gegangen war, von den Salaminiern belobt wurden. Die Feier der salaminisch-attischen A. scheint bis in die römische Kaiserzeit hineingedauert zu haben.