Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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im Strafprozess wurde die Abwesenheit des Angeklagten verschieden beurteilt
Band I,1 (1893) S. 118 (IA)–119 (IA)
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3) Im Strafprocesse wurde die Abwesenheit des Angeklagten zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise beurteilt. Die älteste Zeit liess es im Volksgerichte bei Abwesenheit des Angeklagten von dem Beschlüsse der Comitien abhängen, ob das Verfahren vertagt oder der Angeklagte ungehört verurteilt wurde (Liv. II 35. XXV 4. XXXIX 17. Ascon. in Mil. 48. 49. K.-S. Α. Μ. v. Τhur in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung XI 312). Hatte der Angeklagte freiwillig das Exil gewählt, so wurde dieser Entschluss durch Comitialbeschluss unwiderruflich gemacht (Liv. XXVI 3 id ei iustum exilium esse scivit plebs. Mommsen St.-R. III 49–52). Mit dem Verluste des Bürgerrechts verband man Einziehung des Vermögens (Dion. ant. [119] V 5. Liv. III 58. XXV 4, 9). In den Provinzen nahm man bei Capitalsachen von einer Verurteilung Abstand (vgl. den Antrag auf ein Senatusconsultum bei Cicero Verr. II 95 ne absentes homines in provinciis rei fierent rerum capitalium; vgl. auch Cicero Verr. II 41. IV 41. V 109). Geldstrafen kommen auch in Rom Abwesenden gegenüber vor. Liv. V 32, 9. Mit der Umwandlung Roms in ein Weltreich veraltete die aqua et igni interdictio und es entwickelte sich der Grundsatz, dass man des abwesenden Angeklagten durch Auslieferungsgesuche an die Behörden habhaft zu werden suchte. Dig. XLVIII 17. Cod. IX 40 de requirendis reis vel absentibus. Dagegen kommt die Verurteilung Abwesender ab. Schon Augustus duldete sie nur nach öffentlicher Beratung und bei einstimmigem Richterspruche (Cass. Dio LIV 3), Traian, Severus und Antoninus untersagen sie gänzlich. Dig. XLVIII 19, 5. XLVIII 17, 1 pr. Paul. V 5, 9. Dies Verbot galt jedoch unbedingt nur bei Capitalstrafen, und zwar sicherlich nicht blos aus Rücksicht auf den Angeklagten (so erklärt es z. Β. Rudorff röm. R.-G. II 450 § 134 Anm. 9), sondern auch aus der Scheu, Urteile auszusprechen, deren Ausführung sehr, unwahrscheinlich war. Bei geringeren Strafen (usque ad relegationem) wird der blosse absens vom contumax unterschieden , d. i. demjenigen, der auf dreimalige Ladung hin oder bei dreimaligem Aufrufe im Termine nicht erscheint (Dig. IV 1, 7 pr. XLVIII 1, 10. XLII 1, 53, 1), und ein Verfahren wider diesen contumax gestattet. In allen Fällen konnte das Vermögen eines angeschuldigten Abwesenden mit Beschlag belegt und, sofern er binnen Jahresfrist, ohne entschuldigt zu sein, nicht erschien, eingezogen werden. Dig. XLVIII 17, 5 pr. 1. 2. Cod. IX 40, 2.

War der Ankläger im Termine abwesend, so wurde sein Gegner aus der Liste der Angeklagten gestrichen (Cic. Verr. II 99. Dig. XLVIII 2, 3, 4. Cod. IX 2, 4), auch konnte Bestrafung und die Pflicht, die entstandenen Unkosten zu ersetzen, den Säumigen treffen.

Die Vertretung abwesender Ankläger oder Angeklagten war nur ausnahmsweise erlaubt. Dig. XLVIII 1, 13, 1. III 3, 33, 2. III 3, 35, 1. Cod. IX 35, 11. IX 2, 3. Litteratur: Geib Gesch. des röm. Kriminal-Proz. 303ff. 595—597. Rudorff röm. Rechtsgeschichte II 449ff. § 134. Schulin Lehrbuch der Geschichte des röm. Rechts 556 Anm. 6.