Ἀγαμίου δίκη.[WS 1] Die von den Griechen häufig aus philosophischem wie aus rein menschlichem Gesichtspunkte geführte Erörterung über die Frage, ob es ratsam und erwünscht sei, ein eheliches Verhältnis einzugehen (s. besonders die Sammlung bei Stobaeus florileg. LXVIIf.), zeigt, so wenig Licht sie auch sonst auf die rechtliche und politische Seite des Instituts der Ehe wirft, doch, dass man das Eingehen eines solchen Verhältnisses allgemein nicht als obligatorisch, sondern als facultativ betrachtete. Eigentlicher Ehezwang, wie ihn auch Platon für seinen Musterstaat verlangt (s. Leg. IV 721. VI 772 d. 774), bestand nur bei so vollständiger Unterordnung des persönlichen Willens unter den allgemeinen Staatszweck, wie sie in Sparta zu finden war, und in dem verwandten Kreta (Strab. X 482); aber eben deshalb blieb dort auch die sittliche Seite der Ehe unentwickelt. In Sparta galten die Hagestolzen für ehrlos: sie waren von den Gymnopaedien ausgeschlossen und mussten zur Winterszeit auf Befehl der Obrigkeit sich unbekleidet auf [730] dem Markte einfinden und Spottlieder auf sich selbst singen, und kein Jüngerer erwies ihnen die sonst dem Alter gebührende Ehre. Plut. Lycurg. 15; vgl. Apophthegm. 227f. Nach Klearch. bei Athen. XIII 555 c wurden sie gar an einem gewissen Feste von den Frauen am Altare ausgepeitscht. Das spartanische Gesetz ging aber noch weiter, indem es nicht nur wegen Ehelosigkeit eine δίκη ἀγαμίου, sondern auch wegen spät oder nicht in geeigneter Weise geschlossener Ehe eine δίκη ὀψιγαμίου oder κακογαμίου gestattete, von denen nach Plut. Lysand. 30 die letztere namentlich gegen solche gerichtet war, die beim Eingehen der Ehe mehr auf Reichtum als auf sittliche Vorzüge sahen; vgl. Pollux III 48. VIII 40. Stob. floril. LXVII 16. Berichtet doch gar Theophrast bei Plut. Ages. 2, der König Archidamos sei von den Ephoren deshalb gestraft worden, weil er sich eine zu kleine Frau genommen. Wenig verbürgt dagegen sind Äusserungen, wie die des Pollux III 48, es habe eine δίκη ἀγαμίου auch in vielen anderen Staaten gegeben, und die des Plut. de amore prolis 2, welcher νόμους ἀγαμίου und ὀψιγαμίου des Solon neben denen des Lykurg anführt. Haben solche in Athen überhaupt jemals bestanden, so müssen sie schon frühzeitig der Vergessenheit anheim gefallen sein. Die Schriftsteller aus der Blütezeit Athens wissen nichts davon, die Erzählung bei Stob. florileg. LXVIII 33 spricht dagegen, auch wenn sie nur Anekdote ist. Auch sind sie mit der zur Zeit der Demokratie wenigstens so stark entwickelten Ansicht der Athener von der Notwendigkeit der persönlichen Freiheit völlig unvereinbar. Vgl. Meier-Lipsius Att. Proc. 352. Becker Charikles III³ 342f. gegen Hermann-Blümner Privataltert. 252, 2.