RE:Κυρία ἐκκλησία

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Athenische Volksversammlung
Band XII,1 (1924) S. 171 (IA)–173 (IA)
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Κυρία ἐκκλησία.[WS 1] Die endgültige Aufklärung über die κ. ἐ. in Athen verdanken wir Arist. Ἀθ. πολ. 43, 6ff., obwohl die aus ihm schöpfende lexikographische Überlieferung (vereinigt bei Reusch 50. 62. Rose Aristot. Frgm.² 434–436. Kenyon Berl. akad. Ausg. 46) bereits vorlag und Reusch in seiner grundlegenden Abhandlung ‚De diebus contionum ordinariarum apud Athenienses‘ (Diss. Philolog. Argentoratenses III 1ff.) aus ihr und dem sie ergänzenden und berichtigenden inschriftlichen Material die notwendigen Folgerungen gezogen hatte. Die Erwähnungen der κ. ἐ. in den attischen Urkunden sind von ihm 1ff. und jetzt in IG Il² p. 4, Fasc. 1 S. 50 zusammengestellt; zuerst kommt sie in IG I 25 Β Ζ. 7 vor. Nach Aristoteles fanden in jeder Prytanie vier ordentliche Volksversammlungen statt, von welchen eine die Bezeichnung κ. führte. Daneben gibt es eine Nachrichtengruppe ausschließlich in der Scholienliteratur: Schol. ad Demosth. XVIII 73. XXIV 20; ad Aristoph. Acharn. 19; ad Aeschin. I 60. II 72. III 24, die meldet, daß in jedem Monat drei ständige Versammlungen abgehalten wurden, die sämtliche κύριαι hießen (dies ist evident falsch und durch die Urkunden widerlegt, vgl. Reusch 63ff. 67ff.) und auf bestimmte Tage fielen. Die Ausgleichung dieser auseinander laufenden Berichte ist, wie bereits Schömann erkannte, in der zeitlichen Verschiedenheit zu suchen: Aristoteles’ Bericht bezieht sich auf die Zeit der zehn Phylen, die Meldung der Scholiasten auf diejenige der zwölf Phylen, vgl. Reusch 53ff. Auch in andrer Beziehung hat die wiedergefundene Schrift des Aristoteles eine wichtige Entscheidung gebracht: während aus der Ausdrucksweise des Poll. VIII 95 zu folgern war, die κ. ἐ. sei die zeitlich erste in der Reihenfolge [172] der vier ordentlichen Volksversammlungen jeder Prytanie gewesen, anderseits die Inschriften zeigten (Reusch 68ff.), daß dies durchaus nicht der Fall war, vielmehr die κ. ἐ. keinen bestimmten Platz hatte, stimmt Aristoteles’ echter Text 43, 4 mit dem urkundlichen Tatbestand überein, so daß Pollux’ (oder vielmehr seiner Quelle) Nachricht auf einem Irrtum beruht (wie Reusch schon früher nachwies, bes. 70). Aus den Inschriften geht ferner hervor, daß keine bestimmten Tage für die κ. ἐ., sowie für die übrigen ordentlichen Versammlungen festgesetzt waren, sondern sie von Fall zu Fall von den Prytanen anberaumt wurden (Reusch 54ff. 62).

Wie die ordentlichen Volksversammlungen überhaupt, so hatte auch die κ. ἐ. ihre bestimmte Tagesordnung, vgl. Aristot. 13, 4 und die von ihm abhängige Überlieferung, dazu Reusch 71ff. v. Wilamowitz Aristoteles und Athen II 252. B. Keil Einleitg. in d. Altertumsw. III² 373; die Verhandlungsgegenstände waren folgende: Epicheirotonie der Beamten; Beratung über die Verpflegung und die Sicherheit des Landes; Annahme von eventuellen Eisangelien; Entgegennahme eines Berichts über die vom Staate eingezogenen Objekte und eines Verzeichnisses der Erbschaften und Erbtöchter. In der sechsten Prytanie traten dazu: Epicheirotonie, ob der Ostrakismos angewandt werden solle oder nicht, was im 4. Jhdt. nur mehr eine Formalität ohne Bedeutung war; Einbringung von προβολαί (dazu Lipsius Att. Recht I 211ff.) gegen Bürger und Metöken wegen Sykophantie und Täuschung des Volkes; doch konnten wegen Sykophantie höchstens drei Beschwerden in jeder der beiden Gruppen von Angeschuldigten erhoben werden. Daß in der κ. ἐ. der ersten Prytanie auch die Epicheirotonie der Gesetze vorgenommen wurde, wie Brandis o. Bd. V S. 2180 behauptet, ist falsch, vgl. R. Schoell S.-Ber. Akad. München 1886, 85. Wie ebenfalls die Inschriften gelehrt haben, ist die wiedergegebene Vorschrift nur dahin zu verstehen, daß die erwähnten Gegenstände in erster Linie auf die Tagesordnung der κ. ἐ. kamen und daneben nach Bedarf über jede andere Sache verhandelt werden konnte; dies schließt ein, daß die ihr vorbehaltenen Traktanden auch in den anderen Volksversammlungen vorgenommen werden durften, wenn dafür dringende Notwendigkeit vorlag (Reusch 71ff. 78ff.).

Die Benennung κυρία (‚Hauptversammlung‘) kann erst aufgekommen sein, seitdem in jeder Prytanie mehrere Volksversammlungen stattfanden, während ursprünglich nur eine Versammlung in diesem Zeitraum abgehalten wurde, vgl. Reusch 68. v. Wilamowitz II 252ff. Wann die Vermehrung der Versammlungen erfolgte, ist ungewiß, jedenfalls, mit Rücksicht auf IG I 25, vor der zweiten Hälfte des 5. Jhdts. B. Keil (Herm. XXXIV 199) nimmt an, daß ursprünglich drei Versammlungen für die Prytanie vorgesehen waren und die vierte erst später dazutrat.

Außerhalb Athens findet sich die Bezeichnung κ. ἐ. oder ähnlich mehrfach, ohne daß man dafür, die Kleruchien abgerechnet, einen Einfluß Athens annehmen dürfte. Da die bisherigen Zusammenstellungen (Swoboda Griech. Volksbeschlüsse 45. Larfeld Handb. d. griech. Epigraphik I 274; [173] Griech. Epigraphik³ (Iw. Müllers Handb. d. klass. Altertumsw. I 5) 341. Brandis o. Bd. V S. 2165. Busolt Griech. Staatskde. I 447, 1) dafür nicht ausreichend sind, gebe ich eine neue Liste, für deren Vollständigkeit ich allerdings nicht einstehen kann. Zunächst kommt in Betracht Delos als attische Kleruchie (Zusammenstellung der betr. Inschriften m. Volksbeschl. 40. v. Schoeffer De Deli insulae rebus 198 und o. Bd. IV S. 2496ff.; ein Beispiel dafür Syll.³ 662); dann Thaumakoi (Phthiotis) IG IX 2, 218 Z. 2; Minoa auf Amorgos, Syll.³ 1047 Z. 36; Praisos auf Kreta, Michel Rec. 441. 442; Nasos, Or. gr. 4 Z. 75; Byzantion, Milet III nr. 153 Z. 1. 2; Milet, Syll.³ 683 Z. 45; Magnesia a. Μ. (ἐκκλησία κ. ὑπὲρ ἑξακοσίων), Inschr. v. Μ. nr. 4 Ζ. 10ff. nr. 9 Ζ. 6ff. nr. 10 Ζ. 8ff. nr. 11 Z. 4ff.; ἐκκλησία νομαία κυρία ὑπὲρ ἑξακοσίων ebd. nr. 5 Ζ. 8ff.; Priene (κύριος σύλλογος), Inschr. v. Pr. 2 Ζ. 3; 3 Ζ. 3. 4; 4 Ζ. 3. 4; 6 Ζ. 3. 4; 7 Ζ. 3; Telmessos, Or. gr. 55 Ζ. 5ff.; Lissai ebd. 57 Z. 3ff.; 58 Z. 2; 727 Z. 3ff. (die drei Inschriften jetzt ΤΑΜ. II 1, 158–160); Hippokome ΤΑΜ. II 1, 168; Mylasa, Syll.³ 167 Z. 3. 19. Athen. Mitt. XV 263 nr. 17 Z. 1. 2, und in dem Beschluß der Phyle der Otorkondeer, Le Bas-Waddington Asie min. 404; endlich in dem ψήφισμα des κοινὸν τῶν Παναμαρέων in Karien, Bull. hell. XXVIII 46 nr. 2. Unsicher sind Lindos auf Rhodos IG XII 1, 762, wo der fehlende Eingang von Schumacher Rh. Mus. XL1 233 mit ἐκκλησίας (ἀγορᾶς) κυρίας oder συλλόγου κυρίου ergänzt wird (anders Hiller v. Gaertringen in IG), und Kius in Bithynien, CIG 3723 und Le Bas-Waddington 1140 (= Michel 539), wo die Formel ebenfalls auf Ergänzung beruht. Da es sich um örtlich und zeitlich auseinanderliegende Beispiele handelt (die zitierten Inschriften erstrecken sich vom 4. bis zum 1. Jhdt. v. Chr.), so ist natürlich nicht herauszubringen, welche Bedeutung im einzelnen Falle der Terminus hatte; nur für Delos wird man an eine genaue Nachahmung der attischen Ordnung denken und für Priene mit Asböck Das Staatswesen von Priene in hellenistischer Zeit (Diss. Münch. 1913) 72 annehmen dürfen, daß der im Monat Metageitnion abgehaltene κύριος σύλλογος, in dem auch die Wahlen stattfanden, im 4. Jhdt. v. Chr. die einzige reguläre Versammlung für eine längere Periode war, in der das politische Leben der Stadt gipfelte.

Literatur. Busolt Griech. Staats- u. Rechtsaltertümer (Iw. Müllers Handb. IV 1, 1)² 257ff. Thumser Hermanns Lehrb. d. griech. Antiq. I⁶ 2, 504ff. Gilbert Handb. d. griech. Staatsaltert. I² 318ff. Schömann-Lipsius Griech. Altertümer I 406ff. Brandis o. Bd. V S. 2165. 2186.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. transkribiert: Kyria ekklesia.