Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres/Am Sonntag Estomihi 1836
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Gal. 6, 14. 15. Es sei ferne von mir rühmen, denn allein von dem Kreuz unsers HErrn JEsu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. Denn in Christo JEsu gilt weder Beschneidung, noch Vorhaut etwas, sondern eine neue Kreatur.
Es haben alle Menschen eine Neigung beides zum Loben und zum Tadeln, gleichwie zur Liebe und zum Haß. Diese Neigung aber soll durch das Christentum und durch den Geist JEsu Christi nicht ausgetilgt, sondern nur gereinigt und auf die rechten Gegenstände hin gerichtet und bei ihnen festgehalten werden; denn in einer Welt, wo es Böses und Gutes giebt, kann und darf ebensowenig alles geliebt und gelobt, als alles gehaßt und getadelt werden, sondern es kommt auf eine heilige Gerechtigkeit an, welche je nach dem wahren Wert der Dinge Lob und Tadel, Haß und Liebe austeilt. Wäre diese Gerechtigkeit bei allen Menschen, statt so vielfacher Heuchelei und Gleisnerei, so wäre die Erde schon zum Himmel umgewandelt. Sie ist aber ein seltener Gast bei den Menschenkindern, und es bleibt nichts übrig, als daß sie bei immer mehreren unter uns einkehren und bei uns bleiben möge, bis wir zu unsern Vätern versammelt werden. Bis das geschieht, wollen wir uns wenigstens die Sehnsucht nach ihr wachsen lassen, und ich will darum heute nach meinem Texte predigen
Der barmherzige Gott segne es! Amen.
Die Welt, d. i. die Menschen, welche nicht wiedergeboren sind aus Wasser und Geist, sind nicht einig über das, was des Rühmens und Lobens wert ist. Es rühmt eben ein jeder am liebsten das, was er hat oder was er hofft, zu bekommen; denn das rühmen, was andere haben und uns selber fremd ist, will deswegen keinem leicht sein, weil jeder in dem gerühmten und gelobten Gute nur sich selber rühmen möchte, wie man denn deshalb auch häufiger die Redensart braucht: „sich einer Sache rühmen,“ als „eine Sache rühmen“.
Am wenigsten des Ruhmes wert sind die äußeren Güter, welche so gar hinfällig sind, daß sie, bevor man sich ihrer noch ausgerühmt hat, ja, wenn man das Wort noch auf den Lippen hat, entronnen und nicht mehr unser sein können. Von ihnen heißt es mit Wahrheit: „Die Welt vergeht mit ihrer Lust“ und wie Salomo sagt: „Alles ist eitel.“ Der Reiche rühmt sich seines Geldes; aber über Nacht kann er dem Gelde durch den Tod, oder das Geld ihm durch Diebe entrissen sein. Wer viele Häuser hat, rühmt sich der Häuser, die in einer Nacht ein Raub der Flammen werden können. Ihr rühmt euch gern eurer Hopfengärten, was ist aber euer Ruhm, wenn Gott einmal den Gärten keinen Segen giebt, wenn der Hopfen nicht gerät, wenn eure Äcker öde stehn? Andere, die keinen Reichtum haben, rühmen sich leiblicher Vorzüge, der eine findet, daß er stark ist an Kräften; aber eine springende Ader, ein Schlagfluß kann in einem Augenblick die Kraft eines Riesen lähmen. Jungfrauen und Frauen rühmen sich gern, daß sie schön seien; das ist aber eben, als wollte ich mich des Schnees rühmen, der jetzt fällt und im Kot liegt, es ist eben, als wenn eine Zwetschge sich rühmen wollte, daß sie so schön bereift ist, da doch ein Kind, ja eines Vogels Schwingen im Vorüberfliegen den Reif, wie nichts, abwischen kann. Es ist doch der Mensch in seinem Leben wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume, die am Morgen steht und am Abend im Ofen liegt, oder von welchen doch so bald gesagt wird: „das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen.“ Wieder andere rühmen sich ihrer| Ahnen, die doch in den Gräbern liegen und hier auf Erden unvermögend geworden sind, deren Gedächtnis, je edler sie waren, die Nachkommen, die jetzt leben und sich rühmen, so gar ruhmlos in den Schatten stellt. Wieder andere rühmen sich nicht der Hingeschiedenen Verwandten, sondern der noch lebenden, daß sie edle Frauen, wohlbegabte oder fromme Kinder, Geschwister etc. haben; was ist’s aber? Sie rühmen sich derer, die heute rot und morgen tot sind, und was hilft’s, edle Verwandte haben, wenn man selbst unedel ist? Endlich giebt es viele, die gern erzählen, daß sie angesehene Leute zu Freunden haben oder daß sie viele Freunde haben; aber davon schweige nur; wenn im Frühling eine einzige Frostnacht kommt, so sterben zahllose, schöne Blüten, so sind die Freunde, wenn einmal nur eine Nacht lang der Wind der Verleumdung weht, wenn du deiner Güter, deiner Gaben beraubt wirst. Menschengunst, auch frommer Menschen Gunst ist Rauch im Wind und eitler Dunst!Endlich giebt es auch solche Ruhmredige, welche sich der Trübsal rühmen, aber nicht, weil sie Gnade ist und in Demut getragen eine süße Frucht der Läuterung wirkt, sondern weil sie glauben, mehr Trübsal zu überwinden, stärker zu sein als andere Leute, und, es ist thöricht, vergessen, daß die Kraft auch zum Leiden von oben her kommt. Sie gehen unter ihrem Kreuz einher, immer herumblickend, ob sie erkannt werden als Kreuzträger, sie tragen ihr Kreuz zur Schau, sie tragen Christi Kreuz mit Christi Kraft, sie rühmen sich, als wäre es ihre Kraft, da entschwindet Christi Kraft und die Kraft des Satans hilft ihn überwinden. Ihre himmlische Erstgeburt ist entflohen und nur der Wahn, der eitle Stolz, das eitle Rühmen ist übrig geblieben. Ach, wie oft erleben das Seelsorger, daß die Kranken, die Sterbenden, die dem Tode nahenden Menschen, die, welche nun bald vor Gottes Richterstuhl treten, daß sie sich in Betracht ihrer guten Tage ihrer Tugend und Tugendarbeit, und in Betracht ihrer Krankheit ihrer Geduld und ihres stillen Sinnes rühmen; großer Gott, am Rande des Verderbens, am schwindelnden, gehen sie noch hin, als eitler Ehre Begierige, als Hochmütige, die sich etwas zuschreiben, Gott lästernd, dem alle Ehre gebührt, und dem Menschen allein die Sünde!
Alles dies nun genannte Rühmen ist Stolz und weiter nichts, wo aber Stolz herrscht, da ist man entweder nie ein| Christ gewesen oder man hat aufgehört, es zu sein! Wehe, dies Rühmen ist verderblich und hat im Reich des HErrn nur einen Fluch.
Von allem diesen Rühmen ist die heilige Kirche fern, welche vielmehr mit dem heiligen Apostel Paulus spricht: „Es sei ferne von mir rühmen, denn allein von dem Kreuze unsers HErrn JEsu.“ Wenn man vom Kreuze Jesu spricht, so meint man natürlich nicht, daß man jenen Pfahl ehren will, an welchem der HErr gestorben ist, sondern Ihn selbst, den HErrn, den man aber deswegen insbesondere rühmt, weil ER sich nicht geschämt, weil Ihn die Liebe zu uns gedrungen hat, für uns den schmachvollen Tod des Kreuzes zu sterben, weil ER durch Seinen Tod am Kreuze für uns alle Strafen unserer Sünden gebüßt und uns allen ewige Belohnung des himmlischen Reichs erworben hat, ja nicht des himmlischen Reichs allein, sondern auch des irdischen, der Erde. Weil nun Christus alles gethan, was wir, so nötig es zu unserm Heile war, dennoch nicht haben thun können, so nehmen wir alle Ehre, allen Ruhm, welchen die Welt sich selbst und ihren Nichtigkeiten beilegt, und flechten dem Gekreuzigten daraus einen Ehrenkranz, ja, wir werfen uns selbst zu Seinen Füßen, höchst begierig, selbst etwas zu werden zur Ehre und zum Lobe Seiner herrlichen Gnade. Ja, wir erkennen es, daß die ganze Welt nur etwas ist, Seine Ehre zu mehren, und ein Loblied des Lammes zu singen, welches am Kreuze sich in heißer Liebe für uns geopfert hat. Die heilige Kirche, die hier streitet, ist zwar noch ferne von der Heiligkeit jener triumphierenden Kirche, die aus Engeln und verklärten Menschen im Reich der Ewigkeit zu Gottes und Seines Lammes Ehren dient; aber, so weit wir von ihr entfernt sind, ist doch der Kirche Meinung, der streitenden, eine und dieselbe mit der der triumphierenden, und spricht sich aus in einem Liede: „Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob! Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Offb. 5, 12. 13.
| Und warum denn wird dem Lamme alle Ehre, aller Ruhm übergeben, warum rühmt sich denn die heilige Kirche des Lammes als ihres einzigen Gutes? Darauf antwortet unser Text mit folgenden drei Sätzen.1. „Durch Christum ist mir die Welt gekreuzigt,“ darum rühme ich mich allein meines HErrn Christi, als meines höchsten Gutes. Die Welt, d. i. fürs erste der Teufel, sodann der Tod, sodann die Sünde, denn was ist in der Welt als Sünde? Wenn ich nun sage, die Welt ist mir gekreuzigt, so ist das ebenso viel, als: der Teufel, der Tod, die Sünde ist gekreuzigt durch Christum, und es ist mir geschehen, d. i. ich habe davon großen Nutzen. Es ist ein Geheimnis, aber ein seliges, wohl dem, der es versteht. Der Teufel gab Juda ein, daß er Christum verrate, und den Juden, daß sie Ihn kreuzigten, und da er’s hinausbrachte, so meinte er, den König des Himmelreichs überwunden zu haben. Aber nein, er hatte ihn bloß in die Ferse gestochen, und Christus hatte ihm dagegen den Kopf zertreten; nicht Christus war gekreuzigt, sondern der Satan war entkräftet durch Christi Kreuz, durch Sein Leiden hat Christus Macht über den Satan bekommen, und wir sind durch Christi Macht des Satans Macht entnommen und achten ihn nun weiter nicht, als man einen Leichnam eines am Kreuze gerichteten Mörders achtet, wir verachten den Satan unter dem Schirme Christi. So ist uns auch der Tod gekreuzigt, vernichtet und getötet durch das Kreuz unseres HErrn JEsu, denn ER hat für uns den zeitlichen und ewigen Tod geschmeckt an Seinem Kreuze, und hat, weil ER dem Tode sich preis gab an unserer Statt, ihm die Macht über uns genommen, so daß, wer unter JEsu Schirm sitzt, die Verheißung hat: „Wer an Mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; wer an mich glaubt, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich!“ Christus ist gekreuzigt und getötet, mit ihm unser Tod; Christus stand auf, er ließ im Grabe den Tod und hat uns Unsterblichkeit und ewiges Leben hervorgebracht. Der Tod ist tot, und die heilige Kirche ist unsterblich in Christo Jesu!
So sind auch alle Sünden in Christo gekreuzigt. Die| Sünden verklagten uns vor Gott, ein zahlloses Heer gewaltiger Kläger; sie verlangten, daß alle, die sie geboren, gerichtet würden, verdammt, den Sold der Sünde zu zahlen, und die Gerechtigkeit Gottes sprach samt dem Gesetze Ja und Amen zu den Klagen. Da machte sich Christus anheischig, die Klagen der Sünde zu stillen, den Sold für alle Menschen zu zahlen, die Gerechtigkeit zu versöhnen und das Gesetz zu erfüllen, und ER that es. Da muß nun die Sünde schweigen, ihre Pön ist gezahlt, die Gerechtigkeit selbst samt dem Gesetz haben keinen Anspruch mehr an uns, es ist als hätten wir nie gesündigt, die Sünde, die ganze Welt voll Sünde ist tot! Die Sünde ist für uns so gut wie nicht vorhanden, und wir werden ihretwegen die Seligkeit nicht verlieren. Das haben wir dem gekreuzigten Christus zu danken, Seiner rühmen wir uns! Wer Hölle, Tod, Sünde und Teufel für uns vernichtete, Gnade, Frieden, Leben wiederbrachte, dem sei Ruhm! Wir rühmen uns hinfort allein des Kreuzes Christi.
Zu Christo also, wer gern rühmen möchte ohne Hochmut, in heiliger Demut! Zu dem Gekreuzigten, von der Welt Vergessenen und Verachteten; in Ihm sind heimliche Wunder und Schätze. Wes Ruhm Christus geworden ist, dem gefällt freilich nichts mehr in der Welt; aber er hat in Christo Fülle der Freude und liebliches Wesen; er lobt und bewundert freilich nichts mehr, was weltlich heißt, er tadelt es, er macht ihm kein freundliches Gesicht, aber er ist desto freundlicher gegen den liebenswürdigen JEsus, für den findet er nicht Worte, nicht Lob, nicht Liebe genug. Sein Leben wird ein Sinnen, wie er Ihm gefalle, ein Forschen, wie er Seinen Willen thue, sein Leben wird dem Leben der Engel gleichen, die auch ihre ewigen Tage hinbringen in JEsu Dienst und Lob, in Demut und Andenken Seiner! Sein Leben wird engelisch, und das ist zu gut! das ist zu selig, wer wollte, das nicht wünschen, wer nicht sagen: „Selig das Volk, das rühmen kann!“ Amen.
O JEsu! Amen! Amen.
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