Seite:Wilhelm Löhe - Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres.pdf/272

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sünden verklagten uns vor Gott, ein zahlloses Heer gewaltiger Kläger; sie verlangten, daß alle, die sie geboren, gerichtet würden, verdammt, den Sold der Sünde zu zahlen, und die Gerechtigkeit Gottes sprach samt dem Gesetze Ja und Amen zu den Klagen. Da machte sich Christus anheischig, die Klagen der Sünde zu stillen, den Sold für alle Menschen zu zahlen, die Gerechtigkeit zu versöhnen und das Gesetz zu erfüllen, und ER that es. Da muß nun die Sünde schweigen, ihre Pön ist gezahlt, die Gerechtigkeit selbst samt dem Gesetz haben keinen Anspruch mehr an uns, es ist als hätten wir nie gesündigt, die Sünde, die ganze Welt voll Sünde ist tot! Die Sünde ist für uns so gut wie nicht vorhanden, und wir werden ihretwegen die Seligkeit nicht verlieren. Das haben wir dem gekreuzigten Christus zu danken, Seiner rühmen wir uns! Wer Hölle, Tod, Sünde und Teufel für uns vernichtete, Gnade, Frieden, Leben wiederbrachte, dem sei Ruhm! Wir rühmen uns hinfort allein des Kreuzes Christi.

.

 2. Der zweite Grund, warum wir Christo alle Ehre geben, ist ausgesprochen in den Worten: „Ich bin der Welt gekreuzigt.“ Ich habe kein Anrecht mehr an die Welt, meine Verbindung mit ihr ist ab, sie war mir vorher nahe, ich war an sie gebunden mit hundert Banden, sie war mir vertraut wie ein Weib, meine tägliche Gefährtin; die Sünde führte mich am Band, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten, der Tod schreckte mich samt dem Teufel, ich vermochte ihm aber nicht zu entfliehen; ich war in ihrer grauenhaften Nähe wie in einem Kerker eingekerkert, wie sollte ich los kommen, wie sollte ich’s machen, daß sie mich nicht mehr bewachte, mich gehen ließe meinen Gang, sich nicht mehr um mich bekümmerte, wie man sich um den Leichnam nicht mehr bekümmert, der am Kreuze hängt oder im Grabe liegt? Christus hat’s gethan, ER ist für mich gestorben, ER hat mich geliebt, der ich nicht liebenswürdig war, mit einer Liebe, die mir unbegreiflich, obwohl selig ist; diese Liebe übt ER noch immer an mir, was ich bin und habe, ist die Gnade Seiner großen Liebe; da mir diese Liebe gepredigt ward, hat sie mich hingerissen, hingenommen, überwunden, ich stürzte vor ihr nieder und