Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres/Am Mittwoch, den 28. Januar 1835
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Joh. 2, 1. Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, JEsum Christum, der gerecht ist.
Wie unglückselig ist die Welt, welche auf der breiten Straße sündigend und sündenerfreut fortwandelt! Jedes ihrer Kinder sucht nur das Seinige, keines das, was des andern ist; eines ist wider das andere, sie hassen, neiden und bekriegen einander offenbar – oder sie belügen einander auf eine schmeichlerische, betrügliche Weise. Daß eines für das andere, daß ihr König für alle bete, davon weiß man in diesem von aller wahren Liebe entleerten Reiche nichts. Wie sollte ihr König für sie beten: ihr König ist der Teufel! Wie sollte der für seine Reichsgenossen beten; er liebt sie nicht, er gönnt ihnen nichts Gutes, wünscht und giebt ihnen nichts als Fluch. Zu wem sollte er auch beten; er ist von dem Angesichte Gottes ewiglich verstoßen, haßt auch Gott und mag nicht zu Ihm beten. Und zu wem sollten seine Reichsgenossen füreinander beten? Ihr Gott ist ja der Teufel, zu dem sie im Grunde selber kein Vertrauen haben! O arme, arme Welt – du bist zu beklagen!
Wie selig hingegen ist die heilige Kirche! Wenn wir auch nicht rechnen wollen, daß ihre Kinder selbst füreinander liebevoll beten, einer dem andern gern gönnt, was er selbst am liebsten hätte, daß da kein Neid, noch Streit, noch Heuchelei ist, sondern allenthalben freundliche, aufrichtige Augen und Mienen und eines das andere mit dem Fittich seines Gebets, so viel an ihm liegt, vor Unfall deckt: wenn wir das alles nicht rechneten, so hat die heilige Kirche einen ewigen König| und Hohenpriester, einen Fürsprecher bei dem Vater, JEsum Christum, den Gerechten. ER ist gerecht, auch Gottes strenges, allerheiligstes Auge findet an Ihm keinen Tadel – ER ist der geliebte, der wohlgefällige Sohn, der nie eine Fehlbitte thut, der ebensowenig vergeblich betet, als ob ER selbst alles, was ER betet, vollbrächte, ja, der in des Vaters Namen wirklich alles selbst vollbringt.Wie sind wir selig zu preisen, liebe Brüder, daß wir einen solchen König und priesterlichen Fürsprecher haben. Lasset uns heute miteinander fröhlich sein und von der Fürbitte unseres Erlösers reden.
ER selbst erbitte uns aber für unsere Seelen einen Segen für diese Stunde! Amen.
Nun ja, lasset mich, liebe Seelen, dazu übergehen, daß ich euch einiges von dem Inhalt der Fürbitten JEsu vor Augen stelle. „Daß unser Glaube nicht aufhöre“ – das ist allerdings der Inhalt Seiner Fürbitte im allgemeinen, wie ich schon gesagt habe; aber was liegt darin alles? – Antwort, Brüder, Antwort! Alles liegt darin, was nur immer Seine Gläubigen bedürfen – ja, alles, was euch gut ist, liebe Seelen!
1. Wenn sich ein Mensch bekehrt, so vergiebt ihm der Vater im Himmel um Christi willen alle Sünden, und Sein Herz ist fröhlich. Aber noch ist der alte Mensch nicht völlig tot, noch ist das Fleisch grün, knospet und blüht und bringt seine elenden Sündenfrüchte, noch giebt’s zu streiten, und man fällt gar manchmal ermattet dem Versucher in die Arme. Das Herz wird täglich wieder befleckt, das Gewissen| klagt stündlich wieder, – ach! das Auge wird nicht trocken, und es giebt viele, viele Sünden zu beweinen, auch bei den Wiedergeborenen. Da bittet der ewige Hohepriester, daß der Vater um Seines vollgültigen Leidens und Sterbens willen uns täglich alle Sünden reichlich vergebe, täglich wieder, – täglich Vergebung für alle, die alten wie die neuen Sünden zusichere, und zwar nicht kärglich, sondern nach dem unerschöpflichen Reichtum Seiner Gnade und Langmut. Täglich bittet der ewige Hohepriester, täglich wird Sein Gebet erhört, täglich erfährt es unser Herz, und Sein Geist wäscht am Ende eines jeden Tages unsere Füße, welche vom Tageslauf staubig geworden sind, und wir steigen rein und heilig auf unser Lager.2. Aber nicht das allein – Seine Fürbitte hat weitere Arme und einen größeren Segen. Lasset uns aus dem hohenpriesterlichen Gebete (Joh. 17) selbst deren weiteren Inhalt lernen.
a) „Ich bitte nicht,“ betet ER zum Vater, „daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Übel!“ (V. 15). Es ist für Ihn und Seine Kirche ein kleiner Triumph, wenn die Christen den Anfechtungen der Welt durch den Tod entnommen werden. Einen größeren Sieg will ER den Seinigen geben: sie sollen mitten in der Welt, die Schafe mitten unter den Wölfen, die Schifflein mitten im Sturm, die Blumen mitten in der Kälte bleiben – und vor dem Übel, vor neuer Sünde, vor Fall und Abfall gnädiglich bewahrt werden. Seine Kraft soll in den Schwachen mächtig sein, zu überwinden. – Der Löwen Mund soll zugehalten werden, daß sie die Seinigen nicht beschädigen dürfen! Fürchte dich also nicht, liebes Herz, vor der Anfechtung; dein Fürbitter betet sie zu schanden. Eins laß dir gesagt sein: „Kindlein, bleibe bei Ihm!“ Dann wird Seine Fürbitte herabtriefen in dein Herz mit Segen und Kräften, wie der Tau von dem Gebirge Hermon auf die Berge Zion! Fürchte dich nicht, überlaß dich Seiner Fürbitte – sie wird dir mächtiger in deinem Lebenslauf dienen, als der Engel Raphael dem reisenden Tobias gedient hat.
| b) „Heilige sie in Deiner Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit!“ betet V. 17 der ewige Vertreter. Sie sind geheiligt, sie sind abgesondert von der Welt, sie sind Gott geweiht, Seine Jünger. Sie glauben ja, – und der Glaube reinigt ja das Herz. Aber es sind noch Stücke Finsternis im Herzen, noch mancher Raum des Herzens ist ungeheiligt, der Grund des Herzens birgt noch manche Falschheit, manch wildes Tier, manche schlummernde Leidenschaft verbirgt sich dort. Spürt ihr’s nicht also, Seelen, zieht nicht ein leiser Schauer über euch hin, wenn ihr’s bedenket? Fürchtet euch nicht, glaubet nur! Der ewige Hohepriester hat für euch zum Vater gebetet: „Heilige sie in Deiner Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit!“ Seine Wahrheit wird aufgehen wie eine Sonne und euch erleuchten. – Sie wird kommen wie eine Flamme vom ewigen Altar und alle Winkel eures Herzens weihen, ihre Lauterkeit wird euch lauter machen, ihre reine, unüberwindlich starke Hand jede Pflanze ausrotten, die nicht der himmlische Vater gepflanzt hat, und eure wilden Tiere erwürgen! Seine Fürbitte wird erfüllt werden! Ihr werdet in Gottes Wahrheit geheiligt werden! Sein Wort ist Seine Wahrheit! Ihr werdet in Seinem Wort geheiligt werden!d) Ist das nicht ein herrlicher Gewinn der Fürbitte unseres HErrn JEsu? Freut ihr euch, geliebte Seelen, nicht, daß ihr einen solchen Heiland habt, der solches für euch erbittet? – Wenn ihr euch freuet, so werde eure Freude vollkommen, wenn ihr am Ende des hohenpriesterlichen Gebetes JEsu höret, wie ER, gestützt auf Sein Verdienst, welches vollgültig zu machen ER in den Tod ging, wie ER mit Worten, eines majestätischen Fürbitters würdig, betet: „Vater, Ich will, daß, wo Ich bin, auch die bei Mir seien, die Du Mir gegeben hast, daß sie Meine Herrlichkeit sehen, die Du Mir gegeben hast!“ Hört ihr den Beter beten, von dessen Gebeten kein Wort auf die Erde fällt? Seine Auserwählten sollen ewig sein, wo ER ist, – daheim sein bei Ihm! Im Frieden ist ER, kein Unfrieden reicht zu Seinem Frieden, – auch die Seinen sollen bei Ihm sein! In der Freuden Fülle wohnt ER, Gehölz des Lebens wächst auf Seinen Fluren und Wasser der Beruhigung, Lebenswasserbrunnen, bewässern Seine grünen Auen, – dort wohnt ER, dort sollen wir auch wohnen und Ihn selber schauen! Aus Glauben in Schauen, aus Hoffen in Haben sollen wir gehen!
Seine Augen, Seinen Mund,
Den Leib, für uns verwundt,
Das sollen wir alles schauen
Und innig herzlich grüßen
Die Mal’ an Händen und Füßen.
JEsus, mein Erlöser lebt;
Ich werd auch das Leben schauen,
Sein, wo mein Erlöser schwebt,
Warum sollte mir denn grauen?
Lasset auch ein Haupt sein Glied,
Welches es nicht nach sich zieht?
Seelen, was nützt uns doch die Fürbitte unseres HErrn JEsu Christi! Wie reich erscheinen uns schon hier, ehe wir Ihn schauen können, Seine Erhörungen – und wie wird’s uns erst dann sein, wenn wir die Erhörung im Himmel erfahren, nachdem wir Glauben gehalten, den Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, das Ziel errungen haben! So wunderbar und prächtig kann keinem auf dem Lande erzogenen Kinde ein Kaiserpalast, keinem in der Ebene wohnenden die Aussicht von dem schönsten Berge der Welt sein, – so erstaunt sein, so freuen kann sich kein Armer, dem auf einmal der größte Kaiser seines Reiches Freude und Herrlichkeit ohne alle seine Lasten schenkt, – als die Auserwählten Christi sich wundern, freuen, staunen werden, wenn sie hinkommen, wo ER ist, von allem Übel erlöst und auf ewig bewahrt, in der Wahrheit geheiligt, im Namen des Vaters erhalten, in jener Herrlichkeit sich finden, welche der ewige Fürbitter hatte von Anbeginn der Welt!
ER vergißt ja auch der Armen,
Die der Welt noch dienen, nicht,
Weil Sein Herz Ihm vor Erbarmen
Über ihrem Elend bricht.
Daß Sein Vater ihrer schone,
Daß ER nicht nach Werken lohne,
Daß ER andre ihren Sinn –
Ach, da zielt Sein Bitten hin!
An euch zuletzt wend’ ich mich fröhlich, die ihr die Gnade des ewigen Fürbitters geglaubt habt. ER hat uns nicht allein Vergebung und Leben erbeten, sondern Seiner Fürbitte verdanken wir es, daß wir selbst Bitte, Gebet und Fürbitte vor des Vaters Thron bringen dürfen. Durch Seine Fürbitte sind alle unsere Gebete angenehm vor Gott, und durch Ihn sind wir selbst ein priesterliches Volk geworden.
Oben im Himmel steht jener Tempel, von welchem Moses auf göttliche Anweisung ein Abbild gebaut hat. In jenem Tempel – so wahr der HErr lebt, es ist kein Märlein! – dort steht im heiligen Schmuck, in der Majestät eines gerechten Priesters, welcher zugleich ewiger König ist, der gebenedeite Heiland. Sein Herz ist voll Liebe zu den Menschen, und Seine Fürbitte erschallt in der Kraft Seines für uns vergossenen Blutes mächtig im Heiligtum, auf daß des Vaters| Herz unserm Herzen zugeneigt und freundlich werde und gegen uns eines Sinnes mit dem Herzen des Sohnes sei. Dort betet der ewige Hohepriester. – Hier auf Erden, wie im Priestervorhof, mit zum Heiligtum gerichteten Augen, um den Altar Golgatha, auf dem das ewige Opfer in heißer Liebesglut zu Gott aufstieg, steht zuhauf das priesterliche Volk erlöster Christen, rein gewaschen durch Sein Blut, im priesterlichen Kleide der Unschuld JEsu, mit dem lautern, goldnen Gürtel des Glaubens. Erst einen Augenblick schweigt Sein Volk; der ewige Hohepriester betet für Sein priesterliches Volk auf Erden, Sein Volk spürt Erhörung Seines Gebets, Gottes Segen kommt. Nun fängt der ewige Hohepriester an, für die Abtrünnigen und für die Irrenden zu beten; mit Ihm betet die erlöste Schar! Brüder! wenn wir für die Welt beten, so betet ER mit, wir beten mit Ihm! Mit Ihm beten, zu dem wir so gern beten; welche Freude, wenn es wahr ist, und es ist wahr nach Gottes Wort! Welche Freude, welche Seligkeit!O daß wir nie ermüdeten, mit Ihm zu beten für uns und für die Welt! Lasset uns doch mit Ihm beten für unsere und Seine Feinde, daß ihnen ihr Werk nicht, aber Ihm Seines an ihren Herzen gelinge! Lasset uns mit Ihm ohne Unterlaß um Seines Reiches Zukunft zu den Menschen beten und heilige Hände aufheben ohne Furcht und Zweifel, damit wir auch Seiner Erlösung uns mitfreuen, damit wir einmal, wenn alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße liegen, mit unserm ewigen Hohenpriester, unserm ewigen versöhnten Vater selig werden und ewige Lobgesänge bringen und die Wonne genießen, wie wir hier mit Ihm gebetet haben, so dort mit Ihm zu danken und zu loben! Amen.
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