Pioniere der deutschen Einheit

Textdaten
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Autor: W. K.
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Titel: Pioniere der deutschen Einheit
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pioniere der deutschen Einheit.


Den Tag der Eröffnung des Deutschen Reichstages, den 21. März 1871, feierte ich an der Stelle, wo vor neununddreißig Jahren die großartige Kundgebung des deutschen Volkes für die Einheit Deutschlands stattgefunden, auf dem Schlosse zu Hambach in der bairischen Rheinpfalz.

Meine Wanderung durch die Städte und Ortschaften des herrlichen Ländchens, durch Speyer, Dürkheim, Forst, Deidesheim und Neustadt war ganz geeignet, mich auf einen Festtag vorzubereiten, denn von Wimpeln und von Flaggen voll waren alle Straßen für den folgenden Kaisers-Geburtstag. Die kleinste Hütte demonstrirte. Kein Wunder! Welches Land hätte mehr Ursache gehabt, seiner Freude Ausdruck zu verleihen, als die seit zwei Jahrhunderten von den Franzosenkriegen heimgesuchte, vor hundertachtzig Jahren von Melac’s Händen mit Feuer und Schwert verwüstete Pfalz!

Wohl mochten die sauberen Heldenthaten der grande nation viel beigetragen haben zur Befestigung einer grunddeutschen Gesinnung in dem Lande, das, ehedem hart an der Grenze, allen Invasionen preisgegeben, jetzt durch das Vorland Elsaß vor den ersten Stürmen geschützt ist. Jedesmal, wenn ein Regierungswechsel in Frankreich die Hoffnung auf eine bessere politische Gestaltung Deutschlands neu belebte, nach der Juli-Revolution von 1830 und der Februar-Revolution von 1848, stand die Pfalz im Vordertreffen des Kampfes um die deutsche Einheit. Im Jahre 1832 feierte sie das Hambacher Fest, im Jahre 1849 erhob sie sich zu Gunsten der Idee, die mit der Ablehnung der Kaiserwürde Seitens des Königs von Preußen damals zu Grabe getragen wurde.

Jetzt stand ich auf der Tribüne, auf einem natürlichen Katheder, gebildet von einem Reste der Umfassungsmauer des durch Kaiser Heinrich den Zweiten erbauten Bergschlosses, „die Kesten- oder Kastanienburg“, auf welcher am 27. Mai 1832 die Redner zu dem aus allen Gauen Deutschlands, aus Frankreich und Polen etc. herangeströmten Volke gesprochen. Ein wetterharter Greis, der Förster von Hambach, der als Jüngling die erhebende Feier mitgemacht, zeigte mir das Plateau, auf welchem dichtgeschaart dreißigtausend Menschen den Worten der begeisterten Volkstribunen gelauscht. Von der ehemaligen Kanzel der deutschen Einheit sah ich über hundert Städte und Ortschaften und noch fast ebensoviele hätte ich sehen können, wäre mein Auge durch ein Fernrohr verschärft gewesen (berichtete mir der alte Jäger). „Der Festzug,“ fügte er hinzu, „war so lang, daß die ersten Fahnen schon hier am Fuße des Schlosses wehten, als die letzten Bannerträger noch nicht das eine halbe Stunde entfernte, unten im Thal gelegene Neustadt verlassen hatten.

An der Feier den Maifestes betheiligten sich eine Menge der besten deutschen Patrioten, welche nachher im ganzen Vaterlande mit Ruhm genannt wurden[1], unter Führung des Advocaten J. G. A. Wirth und Siebenpfeiffer’s.

Viel feurige Reden wurden gehalten; es sprachen deutsche, französische und polnische Theilnehmer. Letztere kamen als Flüchtlinge aus ihrem eben damals beendeten heldenmüthigen Revolutionskampfe. Die Polizei des Deutschen Bundes nahm sämmtliche Redner gefangen; Wirth und Siebenpfeiffer kamen vor die Assisen zu Landau, und hier war es, wo Wirth seine berühmte achtstündige Vertheidigungsrede hielt, die ein Nichtschuldig zur Folge hatte. In dieser Rede, welche in mehr als dreißigtausend Exemplaren durch ganz Deutschland kam, finden wir die Grundzüge der ganzen volkswirthschaftlichen Bewegung, der wir heute die Genossenschaften verdanken, vor vier Jahrzehnten schon vorgezeichnet. Die Geschworenen, aus einer halben Million von der Regierung ausgesucht, zerflossen in Thränen; ja, als der Opfer des Volkes in den Befreiungskriegen gedacht wurde, da rannen die Zähren der Richter und selbst des Festungscommandanten.

Ja, Wirth war ein Volkstribun im edelsten Sinne und ideal begeistert für die Idee der deutschen Einheit und Freiheit. Manch wackeren Kämpen rief die Revolution von 1848 nach ihm in die Arena, aber Keiner erreichte ihn und seine Heldengröße. Er hatte seiner einträglichen Stellung als Advocat entsagt, um in der Presse für seine Ideale zu wirken; er entsagte als Journalist einer reich dotirten Anstellung, als ihm die Aufnahme officiöser Artikel angesonnen wurde; er gründete ein unabhängigen Organ, die „Deutsche Tribüne“, und erwehrte sich in derselben aller Hemmnisse der Censur; er erlitt die unerhörtesten Verfolgungen und setzte bis zum letzten Athemzuge den harten Kampf fort, ohne jemals von der einmal betretenen Bahn zu weichen. Und wie wurde ihm mitgespielt!

Wirth redigirte seine „Tribüne“ auf Grund eines bairischen Gesetzes, das nur für auswärtige Angelegenheiten Censur vorschrieb; er druckte seine Aufsätze über innere Zustände, auch wenn der Censor sie gestrichen hatte. Da gebrauchte die Polizei Gewalt – sie schritt zur Versiegelung der Presse. Aber weder in Homburg (wo die „Tribüne“ erschien), noch in Kaiserslautern und Zweibrücken fand sich ein Schlosser, der gegen den beim ganzen Pfälzer Volke hochverehrten Redacteur einschreiten wollte. Die Polizei, in Verzweiflung, holte ein paar Verbrecher aus dem Gefängnisse und schenkte ihnen die Strafe, damit die Presse der „Tribüne“ unschädlich gemacht werden konnte. Wirth druckte dennoch weiter, bis man ihn selbst unschädlich machte und zu zweijähriger Zuchthausstrafe nach Kaiserslautern transportirte. Auf dem Wege dahin machten drei Studenten einen Befreiungsversuch. Wirth hätte mit ihrer Hülfe entfliehen können, aber er verschmähte die Flucht. Da schoß einer der jungen Leute thörichter Weise auf die Häscher, traf aber den Gefangenen und dieser mußte vier Wochen das Krankenlager hüten!

Mit der zweijährigen Verbrecherhaft begnügte sich die Polizei noch nicht; sie fügte auf Grund einer Revision des Processes noch Festungshaft in Passau und dann Polizei-Aufsicht in Hof, der Heimath des Verfolgten, hinzu – bis dieser sich der unerträglichen Quälerei entzog und auf französisches Gebiet, nach Weißenburg, übersiedelte. Hier edirte er zwei Jahre lang die Zeitschrift „Braga“; dann 1840 und 1841 in Eimshofen bei Constanz die „Deutsche Volkshalle“. In letzterem Orte schrieb Wirth auch seine „Reform der Criminalgesetzgebung“, sein Buch über die „reformatorische Richtung im sechszehnten und neunzehnten Jahrhundert“ und endlich sein bekanntestes Werk, die „Deutsche Geschichte“.

Das Hambacher Fest ist seiner Zeit und bis zum heutigen Tage falsch beurtheilt worden, man hat, nach dem äußern Eindruck vereinzelter Exaltationen, sowie nach Nebendingen (wir erinnern an die Hambacher Hüte und Hambacher Bärte) das Fest bald als eine republikanische Verschwörung, bald als eine lächerliche Demonstration bezeichnet. Es war aber in Wahrheit das Hambacher Fest die Grundsteinlegung zur Einheit Deutschlands, denn vor der ungeheuren Volksmenge aus allen Gauen des Vaterlandes und Angesichts einer aus Frankreich herübergekommenen Deputation erklärte Wirth gegen das damals stark hervortretende Rheingelüste der Franzosen und gegenüber den mannigfachen französischer Sympathien deutscher Theilnehmer, die Volkspartei werde gemeinsam mit den deutschen Fürsten das deutsche Gebiet vertheidigen, und selbst die Freiheit sei ihr zu theuer, wenn sie mit einer Schmälerung des deutschen Gebietes erkauft werden solle. Wirth hat also den Grundsatz, durch welchen im vorigen Jahre der ganze Süden unser und mit dem Siege die Einheit erstritten wurde, vor vierzig Jahren zuerst ausgesprochen.

Schon allein diese vom Hambacher Feste in’s ganze Volk verbreitete Parole des Patriotismus hätte die Theilnehmer vor allen Verfolgungen schützen müssen, aber weder diese Anregung, noch die ebenfalls auf das Hambacher Fest zurückzuführende der Creirung des deutschen Zollvereins hinderte die Polizei, die Blüthe der edelbegeisterten Jugend durch langjährige Festungshaft zu knicken. In Preußen mußten die „Hambacher“ meistens acht Jahre lang, bis zur Amnestie bei der Thronbesteigung von 1840, in den Festungscasematten schmachten.

Geraume zwei Monate nach meinem ersten Besuche, und zwar diesmal am neununddreißigsten Jahrestage des Festes, am 27. Mai, wiederholte ich denselben in Begleitung einer Anzahl junger Männer, die der Zufall mir in Neustadt beigesellte. Mehrere unter ihnen hatten in Frankreich mitgekämpft, aber kaum Einer wußte von dem nahen Zusammenhange der alten Pfälzer Bergveste mit den großen Ereignissen der neuen Zeit. Was [419] Bädeker über die Kestenburg berichtet, hatte uns ein geschichtskundiger Gast in der Weinstube vervollständigt durch die historische Notiz, daß es das Hambacher Schloß gewesen, von welchem aus Heinrich der Vierte seine Bußwanderung nach Canossa angetreten. Daß König Max der Zweite von Baiern, dem die Pfälzer einst die Ruine geschenkt, sie aufzubauen begonnen, bis er inne wurde, daß die Stelle gar sehr dem scharfen Winde ausgesetzt ist, hörten wir ebenfalls hervorheben.

Die Jugend vor neununddreißig Jahren hat den scharfen Zug nicht gefürchtet, der um die erste Tribüne der deutschen Einheit wehte. Meine jungen Begleiter erkannten gern an, daß heut zu Tage die Ideale lange nicht mehr so mächtig wirken. Als ich ihnen die Leiden Wirth’s erzählte, als ich seines wackeren Mitkämpfers Siebenpfeiffer, des nicht minder hart verfolgten und in der Verbannung gestorbenen Patrioten, gedachte, bemächtigte sich ihrer Aller eine nachhaltige Rührung. Wenn die wackeren Leute unsere Erfolge erlebt hätten! hieß es. Wirth hat nur das erste Wiederaufflackern seiner Ideen erlebt, er starb im Juli 1848 als Parlamentsmitglied zu Frankfurt – Siebenpfeiffer starb als Professor zu Bern schon im Jahre 1845.

Wir ließen uns auf den Mauerresten nieder, wir lagen im Schatten – hell von der warmen Maiensonne bestrahlt lag zu unseren Füßen die Perle in der deutschen Kaiserkrone, die alte herrliche Pfalz. Einer von den jungen Kriegern, ein Heidelberger Student, erzählte von den Siegen in Frankreich; er war bescheiden genug, mit keiner Silbe seiner selbst zu erwähnen, und ich mußte von den Anderen erfahren daß er das eiserne Kreuz habe. Wir priesen die deutsche Tapferkeit.

„Und nun lassen Sie uns“, nahm ich das Wort, „auch der Kämpfer gedenken, die den großen und gewaltigen Sieg vorbereiten halfen. Der Staatsmann benutzte das deutsche Ideal, die Einheit, als Grundlage seiner Politik, mit dieser Parole und durch dieses Ideal hat das Volk die Siege errungen, auf dem Ideal beruhte die Tapferkeit. Und die Tapferkeit war in gleich hohem Grade bei den Vorkämpfern. Die Männer, die vor vier Jahrzehnten hier zum Volke gesprochen, wußten, was ihrer harrte, ein vorgängiges Verbot des Festes ließ darüber keinen Zweifel. Trotz alledem trugen sie das Ideal in’s Volk hinein frei und begeistert, so daß es zünden mußte, und dann trugen sie, wie wir es an Wirth gesehen, Kerker und Exil standhaft, jede Flucht verschmähend. Das ist auch Heldenthum! Und wenn das deutsche Volk dankbar seiner kriegerischen Führer gedenkt, darf es auch nicht der Vorkämpfer vergessen, der Pioniere seiner Einheit. – Darauf lassen Sie uns einen vollen Becher deutschen Weines leeren!“

Und so geschah es zu Ehren unserer Volkshelden, unserer edelsten Ritter vom Geist!
W. K.
  1. Die Gartenlaube hat noch jüngst Jacob Venedey als einen hervorragenden Theilnehmer am Hambacher Feste bezeichnet.