Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Hermann Paulcke
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Noch einmal in der Falle
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 355–357
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[355]

Noch einmal in der Falle.
Ein weiterer Beitrag zur Kennzeichnung der „amtlichen“ Empfehlungs-Atteste für Geheimmittel.
Von R. H. Paulcke, Apotheker in Leipzig.

Die „Gartenlaube“ gab in Nr. 7 dieses Jahrgangs Bericht über den Verlauf eines Processes, welchen zwei später in einem Artikel über „die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels“ näher charakterisirte Herren (vergl. Nr. 11) gegen die Redaction „wegen Beleidigung“ angestrengt hatten. Einer der beiden Herren nun, welche das Gericht mit ihrer Klage abwies, hat, weit entfernt, an seine Brust zu schlagen und in sich zu gehen, den traurigen Muth gehabt, seine Galle über die erfahrene „Störung seines Berufes“ in einer Broschüre zu entladen, in welcher er auf seine Weise nicht nur mit der „Gartenlaube“, sondern mit allen Denen in’s Gericht geht, welche jüngst sich bemüht haben, das Publicum über diese ganze Schwindelwirthschaft des Geheimmittel-Attestwesens aufzuklären. Der Titel des durch Inserate in den Zeitungen angekündigten Werkes lautet:

„Der 'Gartenlauben'-Redacteur Dr. Ziel, der 'Vereinsblatt'-Redacteur Dr. Heintze, der Schriftsteller Ernst Leistner, der Engelapotheker Paulcke, alle in Leipzig, der Ortsgesundheitsrath und Bürgermeister Schnitzler in Karlsruhe, sämmtlich in Sachen des Geheimmittelschwindels und wegen Beleidigung vor das Gericht der öffentlichen Meinung gestellt von Dr. Heß in Berlin. Gegen Einsendung von 1 Mark baar oder in Briefmarken an Zeitungsspediteur Schmidt, Berlin, franco gegen franco.“

Die Ehre, mit an diesem Pranger zu stehen, verdanke ich einem vor Monaten von mir veröffentlichten „Almanach für Gesundheitspflege“, welcher einen Aufsatz „Die Mutter und Hausfrau am Krankenbette“ von Dr. Max Lange in Kassel sowie ein Gesundheitslexikon enthält, letzteres den Zweck verfolgend, die jetzt vorzugsweise in den pharmaceutischen Handel kommenden empfehlungswerthen diätetischen Mittel und medicinischen Specialitäten gemeinverständlich auf ihren Werth und die Art ihrer Verwendung hin zu besprechen. In der Einleitung hatte ich nicht umhin gekonnt, gelegentlich eines die Geheimmittel besprechenden Passus vor den Zeugnissen der Herren Dr. Groyen, Dr. Johannes Müller, Dr. Heß und Dr. Theobald Werner zu warnen.

Eines Tages erhielt ich eine Zuschrift, welche den obigen Titel der Heß’schen Broschüre mit folgenden Zeilen begleitete:

„Vorstehendes Inserat ist für die Leipziger und Karlsruher Zeitungen bestimmt. Machen Sie mir die Mittel namhaft, bei denen es sich um betrügliche Ausbeutung des Publicums handelt, und für welche ich Atteste ausgestellt habe (siehe Seite 47 Ihres Almanachs). Wollen Sie freiwillig die Satisfaction geben, welche ich auf Grund des Preßgesetzes § 11 zu beanspruchen habe, oder soll ich Ihnen angeben, worin diese Satisfaction zu bestehen hat? Wegen der Satisfaction, welche ich auf Grund § 185 bis 189 des Reichsstrafgesetzbuches von Ihnen zu verlangen habe, sprechen wir uns vor Leipziger Gerichten. Dr. Heß zugleich im Namen von etc.“

Ein fast gleichlautender Brief war, wie sich nachträglich herausstellte, an sämmtliche im Inserat beziehungsweise Titel der Broschüre genannte Herren gelangt.

Ich stand sprachlos, über die naive Unverschämtheit dieses Briefes halb belustigt, halb empört. Ein Mann, der soeben mit einem gerichtlichen Protest gegen die ihm gewordene Bezeichnung eines Schwindlers abgewiesen worden war, weil das Gericht den Beweis der Wahrheit als geführt erachten mußte, drohte mit einer neuen Klage dieser Art, im Falle er nicht zuvor durch eine Entschädigung abgefunden würde!

Ich ließ mir zunächst die Broschüre kommen, welche die Vertheidigung des Dr. Heß enthielt; ein rohes Machwerk, aber in mancher Hinsicht von geschickter Dialektik. Als Probe, bis zu welchem Stil der Verfasser sich verirrt, diene die Wiedergabe eines Passus auf S. 14:

„Melde Dir bei mich, grüner, berühmter Berliner Gewerbeberichterstatterjunge! ich werde Dich enen Gesundheitsliqueur einschenken, genannt Rachenputzer, der Dich den Rachen putzen und Dich recht wohl bekommen soll! und merken Sie sich lieber Junge! Jeder Einfaltspinsel und Schafskopf bildet sich ein über meine Atteste urtheilen zu können …“

Was mich frappirte, war die Thatsache, daß ich der Broschüre in einem Punkte Recht geben mußte: das amüsante Manöver, durch welches der Karlsruher Gesundheitsrath seinerzeit Herrn Dr. Müller gefangen und welches die „Gartenlauben“-Leser kennen, erfüllte insofern seinen Zweck nicht genügend, als das Mittel, welches Dr. Müller attestirt hatte, weder schädlich, noch der medicinischen Wirkung, auf welche es berechnet sein sollte, ganz fremd war.

Wie, sagte ich mir, wenn man versuchte, ein direct schädliches Mittel in den bekannten Bureaux als Heilmittel attestiren zu lassen? Zwar war es kaum glaublich, daß die Herren noch einmal in eine Falle gehen sollten, welche soeben erst einen von ihnen eingefangen. Aber ein Versuch konnte nichts schaden – wenn er gelang, so gab das der öffentlichen Thätigkeit dieser Herren den Gnadenstoß, zu Ehren der Volksgesundheit und der öffentlichen Moral.

Diese Erwägung war der Ausgangspunkt einer Posse von so belustigendem Verlauf und Abschluß, daß ich mehr als einmal in Versuchung war, zu vergessen, um eine wie ernste und traurige Sache es sich im Grunde handelte.

Gern entspreche ich dem Wunsche des weitest verbreiteten deutschen Unterhaltungsblattes, an der Hand der nöthigsten Actenstücke seinem Leserkreise zu zeigen: bis zu welchem Grade der Gewissenlosigkeit mit seinem Gelde und seiner Gesundheit gewirthschaftet wird.

Während ich die sofort zu schildernde Entlarvung der Herren Attestschwindler vorbereitete, ließ ich durch einen Vertreter zunächst mit Dr. Heß über den Gegenstand seiner Zuschrift, die Forderung einer „Entschädigung“, verhandeln. Des Pudels Kern war, wie sich herausstellte, das Ansinnen eines „Geldopfers“, wofür mein Name aus allen Schriften des Dr. Heß wegbleiben sollte. Die Forderung einer Geheimhaltung der diesbezüglichen Verhandlungen „auf Ehrenwort“ ließ der Ehrenmann fallen, da diese Geheimhaltung, wie er sich ausdrückte, „in meinem eigenen Interesse liege“. Es handelte sich somit, wie ich vermuthet, nicht um die Ehre des Dr. Heß, sondern um eine einfache Geldschneiderei.

Inzwischen war Folgendes geschehen:

Anfangs dieses Jahres wurden in meiner Apotheke durch meinen Provisor, in Gegenwart von Zeugen, nachstehende Recepte, jedes in dreifacher Menge, angefertigt:

1) Eine Salbe, bestehend aus:

Weißem Arsenik (Acidum arsenicosum) 0,5 Gramm; Basisch salpeters. Wismuth (Bismuth. subnitric.) 2,0 Gramm; Borax (Natr. biboracic.) 1,0 Gramm; Vaseline (Vaselinum americ.) 50,0 Gramm; Rosenöl (Ol. rosarum) 3 Tropfen.

2) Ein Pulver, bestehend aus:

Weißem Arsenik (Acidum arsenicosum) 0,1 Gramm; Schwefelspießglanz (Antimon. crud.) 0,5 Gramm; Zinkoxyd (Zinc. oxyd. alb.) 0,5 Gramm; Baldrianwurzel (Pulv. rad. valerian.) 10,0 Gramm; Hirschhornpulver (Pulv. corn. cerv. pr.) 10,0 Gramm. Gemischt und in zwanzig Theile getheilt.

Durch einige Mittelspersonen wurde sodann ein Leipziger Annoncenbureau beauftragt, bei Dr. Werner in Breslau und Dr. Heß in Berlin anzufragen, ob sie geneigt seien ein Mittel gegen rothe Nasen zu untersuchen; bei Medicinalrath Dr. Müller und Stabsarzt Dr. Groyen bildete ein Epilepsiemittel den Gegenstand der Anfrage. Die ersten drei Herren antworteten umgehend zusagend; für Herrn Stabsarzt Dr. Groyen, der unterdessen verstorben, antwortete Herr Dr. Heß als Geschäftsnachfolger ebenfalls zustimmend. Herr Dr. Heß und Dr. Werner erhielten nun zwei Büchsen der oben angeführten Salbe, sowie Dr. Müller und Dr. Heß je zwanzig der oben erwähnten Pulver. Die Reste beider Mittel blieben sorgfältig verschlossen als eventuelle Controllexemplare in sicherer Verwahrung. Zur Vereinfachung der Untersuchung wurden den Herren die richtigen Bestandtheile ohne Angabe der Mengenverhältnisse und mit Ausnahme des Arseniks, mitgetheilt; letzteren sollten sie selbst bei der Analyse finden. Daß das Quantum Arsenik ein genügendes, um von einem Chemiker bei der Analyse nicht übersehen zu werden, wird jeder Sachverständige sofort bestätigen, ebenso auch, daß es genügend, um sowohl in seiner äußerlichen wie innerlichen Anwendung die Gesundheit gründlich zu schädigen.

Am wenigsten Umstände machte Dr. Theobald Werner in Breslau. Er tauft die Nasensalbe mit dem sinnigen Namen „Rosalin“, wünscht den Wismuthbestandtheil durch eine andere Zusammensetzung dieses Minerals ersetzt, und corrigirt seine Forderung von anfänglich zwanzig Mark in dreißig um, was ihm schließlich alles zugestanden wird; der Preis von drei Mark für eine Quantität, welche nach der sächsischen Arzneitaxe in elegantester [356] Verpackung etwa auf eine Mark kommen würde, erscheint ihm durchaus angemessen. Das Attest, welches für das Wundermittel gegen rothe Nasen, genannt Rosalin, des Herrn Louis Dufrêne in Leipzig (fingirter Name des Erfinders) schließlich von Dr. Werner einging, lautet:

„Certificat für Herrn Louis Dufrêne in Leipzig.

Seit der ebenso zeitgemäßen wie heilsamen Einrichtung und Schaffung des deutschen Reichsgesundheitsamtes und des damit verbundenen Gesetzes vom 14. Mai 1879 hat das Publicum eine bleibende Garantie für die Güte, Reellität und Unschädlichen derjenigen Fabrikate, die von unparteiischer, sachverständiger Seite auf ihre chemische Zusammensetzung geprüft und durch die Analyse für unschädliche und reelle erkannt werden.

Von dieser bereits allgemein anerkannten Thatsache ausgehend und überzeugt, übersandte mir Herr Louis Dufrêne zu Leipzig eine größere Probe des von ihm unter Beihülfe namhafter Autoritäten erfundenen, nach eigener Methode bereiteten Mittels gegen Hautreiz, namentlich gegen rothe Nasen und Flechten, welches der Herr Fabrikant unter dem Namen ‚Rosalin‘ in praktischer und eleganter Verpackung in den Handel bringt, mit dem Wunsche, mich als Sachverständiger und Fachmann unparteiisch über das Resultat meiner Untersuchung zu äußern. Ich habe das oben näher bezeichnete Fabrikat, welches eine butterartige, sehr angenehm riechende Substanz ist, persönlich in meinem analytisch-chemischen Laboratorium für Öffentliche Gesundheitspflege einer genauen, sowohl qualitativen als auch quantitativen Untersuchung, wodurch anerkanntermaßen am ehesten und sichersten der reelle Werth eines derartigen Fabrikates constatirt werden kann, unterworfen und bin zu nachstehendem Urtheil berechtigt.

Das ‚Rosalin‘ ist ein auf kunstgerechte und durchaus sachgemäße Weise bereitetes Fabrikat, das unschädliche, Hautepidermalreize lindernde und heilende chemische Ingredienzien enthält, welche letztere in höchst sinnreicher Weise in so concentrirter Form darin enthalten sind, daß bei richtiger Anwendung schon nach kurzem Gebrauch die erwähnten Hautkrankheiten, namentlich aber die unangenehme Röthe der Nase, bedeutend gelindert und nach längerem Gebrauch vollständig gehoben wird.

Ich erwähne ausdrücklich, daß das ‚Rosalin‘ frei ist von schädlichen ätzenden und narkotischen Stoffen und dasselbe keine Ingredienzien enthält, welche durch das Gesetz vom 14. Mai 1879 verboten sind. Alle die erwähnten Vorzüge berechtigen mich, dem ‚Rosalin‘ das Prädicat 'vorzüglich' zu ertheilen und die Anwendung desselben aus vollster Ueberzeugung da, wo es nöthig ist, angelegentlichst zu empfehlen.

Breslau, im März 1880.

Der Director des analytisch-chemischen Laboratoriums
und polytechnischen Instituts.
Dr. Th. Werner, vereideter Chemiker.“

Die „persönliche“, „genaue qualitative Untersuchung“ dieses würdigen Sachverständigen hatte keinen Arsenik gefunden. Ein völlig unschädliches, „linderndes“ (der Arsenik wird vorzugsweise als Aetzmittel bei Krebsleiden angewendet!) Mittelchen gegen rothe Nasen ist der Welt geschenkt.

Etwas umständlicher gestaltete sich die Sache mit dem schreibseligen Dr. Heß, schon darum, weil derselbe zwei Mittel zu attestiren hatte, erstens das Mittel des Herrn Dufrêne gegen rothe Nasen, zweitens die Epilepsiepulver, für welche ein Freund, Herr Max Kröhl, den Erfinder spielte.

Zunächst liegt auch ihm, was das Nasenmittel betrifft, daran, daß das Kind einen Namen erhalte. Herr Dufrêne schlägt die wohlklingende Bezeichnung „Rhinleucansis“ vor und sendet gleichzeitig 20 Mark für das zu erwartende Attest. Darauf gelangt an seine Adresse folgendes Schriftstück von Dr. Heß:

„Hochgeehrter Herr Dufrêne!

Es freut mich sehr, daß sie die Anfechtungen und Verdächtigungen der Leipziger medicinischen Infallibilisten, Geheimmittelinquisitoren und wie alle diese medicinischen Obscuranten und Dunkelmänner nach einander heißen, nicht scheuen und gerade von Leipzig aus mit einem neuen Geheimmittel in die Oeffentlichkeit treten, doch bedaure ich, daß sie das Mittel 'Rhinleukansis' getauft haben, was fast etwas an 'Rhinoceros' erinnert. Uebrigens muß 'Rhinleukansis' nicht mit 'c', sondern mit 'k' geschrieben werden, wie ich gethan habe. Da Sie mir statt vierzig Mark nur zwanzig Mark gesandt haben, so habe ich das Mittel nicht untersucht, sondern nur begutachtet, auf Grund der Ihnen bekannten Bestandtheile, welche Sie mir ja mitgetheilt hatten. Schaffen Sie sich meine Schriften über Geheimmittel an; Sie sind ein Gleichgesinnter. Wünsche besten geschäftlichen Erfolg von 'Rhinleukansis'. Ergebenst

Dr. Heß.“

Das wissenschaftliche Gutachten lautet nun:

Herr Louis Dufrêne in Leipzig ist im Besitz eines guten Mittels gegen rothe Nasen und beabsichtigt dieses Mittel wegen seiner vortrefflichen specifischen Eigenschaften geschäftlich zu verwerthen. Dieses Mittel führt den Namen 'Rhinleukansis' und gehört zu den sogenannten Geheimmitteln. Bedenkt man, wie namentlich in Leipzig augenblicklich ein wahres Nest von schwarzen Geheimmittelfeinden und Geheimmittelinquisitoren beisammen hockt, so verdient der Muth des Herrn Dufrêne, von Leipzig aus ein neues Geheimmittel der Oeffentlichkeit zu übergeben, die größte Bewunderung und Anerkennung, welche ich demselben um so mehr zolle, als auch ich selbst die schwärzesten Geheimmittelfeinde und Geheimmittelinquisitoren nie fürchte, sondern denselben muthig entgegentrete, und namentlich auch jederzeit für gute Geheimmittel gute Atteste ausstelle, wie hiermit geschieht. Herr Dufrêne hat mir 'Rhinleukansis' zur wissenschaftlichen Begutachtung übersandt und zufolge der Bestandtheile dieses Mittels ist dasselbe vollkommen unschädlich, gehört aber zu den besten Hautverbesserungsmitteln, welche es überhaupt giebt, abgesehen davon, daß es nach Herrn Dufrêne's eigenen Erfahrungen ein vorzügliches Mittel gegen rothe Nasen ist. Herrn Dufrêne's 'Rhinleukansis' verdient daher als vortreffliches Mittel gegen Nasenröthe und als Hautverbesserungsmittel überhaupt die beste Empfehlung, was ich hiermit gutachtlich, der Wissenschaft gemäß, bestätige und beglaubige.

Dr. Heß,
königl. preuß. approbirter Apotheker I. Classe
und gerichtlich vereideter medicinisch-pharmaceutischer und
technisch-chemischer Sachverständiger.“

Wie man sieht, vermeidet das Attest die plumpe Lüge des Herrn Theobald Werner, von einer stattgehabten chemischen Untersuchung zu sprechen. Dennoch muß der Uneingeweihte aus den gesperrten Worten eine solche herauslesen, denn wenn ein Mann vom Standpunkt der Wissenschaft aus erklärt, daß eine Composition „zufolge ihrer Bestandtheile“ unschädlich sei, so muß vorausgesetzt werden, daß er die Art dieser Bestandtheile wissenschaftlich festgestellt hat. So lautete denn auch, als der angebliche Herr Dufrêne noch 20 Mark einsandte und eine chemische Untersuchung forderte, die Antwort des Dr. Heß einfach:

„Sie werden zugeben, daß ich kaum ein besseres Attest für 'Rhinleukansis' ausstellen kann, als ich schon gethan habe, weswegen ich der Meinung bin, wir betrachten die Sache als abgethan.“

Glücklicher war Herr Max Kröhl mit seinem Epilepsiemittel; denn hier constatirt das Attest des Herrn Dr. Heß ausdrücklich die Vornahme einer wissenschaftlichen Prüfung. Das Gutachten lautet:

„Heutzutage werden zwar diejenigen Heilmittel sehr bekämpft und angefochten, welche nicht in den Apotheken angefertigt werden; aber so lange die Medicin noch keine unfehlbare Wissenschaft ist, was gewiß noch sehr lange dauern wird, muß man es, im Interesse der Leidenden und Kranken, sogar als eine große Wohlthat betrachten, daß auch außerhalb der Apotheken Heilmittel angefertigt werden. Die Hauptsache ist nur, daß alle Heilmittel den berechtigten wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, nämlich vollkommen unschädlich sind und wirklich heilkräftige und wirksame Stoffe enthalten. Herr Max Kröhl in Leipzig hat mir das von ihm bereitete Epilepsiemittel zur wissenschaftlichen Prüfung und Begutachtung übersandt. Zufolge dieser Prüfung und der Zusammensetzung dieses Mittels ist dasselbe für die Gesundheit vollkommen unschädlich, und enthält durchaus nur solche Bestandtheile, welche nach vielfachen Erfahrungen des Herrn Kröhl bei Krampfleiden verschiedener Art, insbesondere aber bei Epilepsie und anderen derartigen Krampfleiden von großer Heilkraft und Wirksamkeit sind. Daher kann Herr Kröhl mit Ruhe und Gelassenheit auf die unerhörten und bösen Verdächtigungen herabschauen, welche nur ein Ausfluß der Unwissenheit und des Brodneides sind und jetzt hauptsächlich von Leipzig aus gegen die sogenannten Geheimmittel und deren Verfertiger und Begutachter geschleudert werden; denn das Kröhl'sche Epilepsiemittel entspricht den berechtigten wissenschaftlichen Anforderungen, was ich hiermit bestätige und beglaubige.

Berlin den 6. April 1880.
Dr. Heß etc.“

Also die „wissenschaftliche Prüfung“ des Dr. Heß hat keine Spur Arsenik gefunden, der Gebrauch des Mittels ist dem Publicum durchaus zu empfehlen – und diesmal ist der Arsenik innerlich zu nehmen!

Nebenher hatte übrigens Herr Max Kröhl eine Episode in dieser Angelegenheit angeregt, welche den Zweck hatte, den Dr. Heß vertrauensseliger zu machen, als er nach meiner Befürchtung zu sein schien. Er hatte sich ganz unter der Hand bei dieser ehrenwerthen wissenschaftlichen Autorität erkundigt, was von dem Mittel gegen rothe Nasen, genannt „Rhinleukansis“, des Herrn Dufrêne zu halten sei; er habe die Bekanntschaft des Letzteren gemacht und nicht übel Lust, sich mit ihm zu associiren. Herr Dr. Heß meint, das Mittel sei als Hautverbesserungsmittel ganz gut, aber er wisse bessere Specifica gegen Nasenröthe, welche er „gegen angemessenes Honorar“ mittheilen wolle, ebenso ein noch besseres Mittel gegen Epilepsie. Er legitimirt sich in dieser Beziehung mit folgendem Satz:

„Wenn man, wie ich, fünfzig Jahre hindurch ununterbrochen mit medicinischen, pharmaceutischen und chemischen Sachen zu thun gehabt hat, dann hat man schon hinreichende Kenntniß von den besten Mitteln gegen die verschiedenen Leiden und Krankheiten.“

Und diese Bemerkung, zusammen mit den vorgängigen Eröffnungen ist nicht uninteressant: es ergiebt sich, daß wir in Dr. Heß die Quelle nicht nur zahlreicher Atteste für Geheimmittel, sondern einer Anzahl dieser Schwindelmittel selbst vor uns haben dürften.

Bevor ich den unerwarteten Abschluß, den die Verhandlungen mit Dr. Heß fanden, mittheile, muß ich über diejenige mit [357] Dr. Müller berichten. Die Vermuthung liegt zu nahe, daß Beides in einem gewissen Zusammenhange steht.

Medicinalrath Dr. Müller hat das empfangene Epilepsiepulver mikroskopisch untersucht und so complicirt gefunden, daß er für die chemische Analyse dreißig Mark fordern muß. Dieselben gehen an ihn ab. Irrthum! schreibt Dr. Müller, Sie müssen falsch gelesen haben; ich habe dreißig Thaler beansprucht. Aber Herr Max Kröhl erklärt ihm, das könne er nicht daran wenden; entweder also Analyse für dreißig Mark, oder Rücksendung des Geldes!

Da trifft ein Brief Dr. Müller's ein, in welchem es heißt:

„Wenn ich ein Gutachten über ein Mittel abgeben soll, ist es meine Pflicht, zuerst dasselbe gründlich zu untersuchen und jeden einzelnen Bestandtheil kennen zu lernen. Diese Untersuchung war schon längst vollständig im Gange, als ich Ihren letzten Brief erhielt, und ist nun fast abgeschlossen. Es handelt sich jetzt noch darum für mich, zu wissen, ob sie wirklich dieses Mittel gegen Epilepsie mit Erfolg angewendet, ob Sie dasselbe selbst zusammengesetzt und ob Sie überzeugt sind, daß die Substanzen, welche Sie angeführt, wirklich darin vorhanden sind und keine schädlichen enthalten etc.“ –

Der Herr Medicinalrath hat die chemische Untersuchung also fast abgeschlossen und keinen Arsenik gefunden. Aber er wittert Unrath – der Vorfall in Karlsruhe muß doch etwas nachgewirkt haben – und der Verdacht scheint weit über das im Briefe angedeutete Maß hinaus ein bestimmter zu sein, wenn damit, wie ich nicht zweifle, eine plötzlich an Herrn Max Kröhl gelangende Zuschrift des Dr. Heß in Verbindung zu bringen ist. In dieser heißt es nämlich:

„Seit einiger Zeit behandle ich manche Attestangelegenheiten gewissermaßen diplomatisch … aus Gründen, die nur mich angehen … Ehe Sie von dem Ihnen am 6. April gesandten Attest irgend welchen Gebrauch machen, dürfte es immerhin gerathen sein, erst meine weiteren Mittheilungen abzuwarten.“

Und vier Tage später schickt er an die Herren Dufrêne und Kröhl nachstehendes kostbare Document:

„Die Geheimmittelattestangelegenheit, welche Sie mit mir gepflogen haben, war nur ein verdecktes Spiel.

Ich hätte Ihnen das gleich von vorn herein sagen können; aber ich habe es nicht gethan, aus nur mir bekannten Gründen. Heute will ich Ihnen aber diese Aufklärung nicht länger vorenthalten.

Das Mittel des Herrn Dufrêne, ‚Rhinleukansis‘, gegen rothe Nasen erkläre ich hiermit ausdrücklich und durchaus für unbrauchbar gegen rothe Nasen. Auch das Mittel des Herrn Kröhl, gegen Epilepsie, erkläre ich hiermit ausdrücklich und durchaus für unbrauchbar gegen Epilepsie; im Gegentheil ist es sogar schädlich!

Ihre Rollen haben Sie, im Ganzen genommen, nicht schlecht, sondern gut gespielt; und darum kommen Sie – vorläufig – nicht auf den – Index.[1] Ein anderer Herr in Leipzig aber, der seine Rolle schlecht gespielt hat, wird wahrscheinlich über lang oder kurz auf den – Index kommen. Wollen Sie auf die Ehre verzichten, jemals auf den Index zu kommen, so senden Sie mir die für Ihre Mittel ausgestellten Atteste zurück, Sie haben jedoch vollkommen freien Willen, ganz zu thun, was Ihnen beliebt. Ich erkläre hiermit beide Atteste für ungültig; jeder mich benachtheiligende Gebrauch, welchen Sie davon machen, bringt Sie auf den – Index. Ergebenst

Berlin, den 12. April 1880.
Dr.Heß.“

Eine Antwort auf letzteren Brief hat Dr. Heß vergeblich erwartet; ich will sie ihm an dieser Stelle ertheilen, zugleich im Namen der Uebrigen, welche von ihm mit dem Eingangs abgedruckten Drohbrief behelligt wurden:

„Sie haben in Ihrer ersten Zuschrift an mich, mein Herr Doctor, entweder die bewußte Entschädigung, oder Nennung der auf betrügliche Ausbeutung des Publicums zielenden Mittel verlangt, welche Sie durch Atteste eingeführt hätten. Nun, indem ich mich Ihnen als Verfasser der sämmtlichen Kröhl-Dufrêne'schen Briefe vorstelle, nenne ich Ihnen zwei dieser Mittel: ‚Rhinleukansis‘ und das bewußte Epilepsiemittel.

Daß diese Mittel nie in den Handel kommen würden, haben Sie bei deren Empfehlung nicht gewußt, vielmehr angenommen, daß mit denselben tatsächlich auf den Geldbeutel des Publicums speculirt werde.

Sie haben diese Mittel glänzend empfohlen und zwar vom Standpunkt der Wissenschaft aus. Ein Verkauf dieser Mittel aber wäre nicht nur ein Betrug, er wäre ein Verbrechen. Daß dieselben nicht, wie das vom Karlsruher Gesundheitsrath benutzte, in gewisser Beziehung doch ihrem Zweck entsprachen, daß sie vielmehr ganz unbrauchbar und geradezu schädlich waren, dafür nenne ich Ihnen eine Autorität, welche Sie gewiß anerkennen, sie heißt – Dr. Heß (vergl. den letzten Brief).

Damit Gott befohlen!“

Noch ein kurzes Nachspiel. Von Sanitätsrath Dr. Müller ist schließlich doch ein Zeugniß für das Epilepsiemittel eingelaufen des Inhalts: daß, wenn in dem Mittel nichts enthalten sei, als die ihm genannten Bestandtheile in der angeführten Menge, das Mittel unschädlich und einer Empfehlung werth sei.

Der Ehrenmann wußte doch eine Form zu finden, um in ungestörtem Besitz der 30 Mark verbleiben zu können.

Und was mag bei den beiden Berliner „wissenschaftlichen Autoritäten“ den Verdacht rege gemacht haben? Nicht etwa der gefundene Arsenik; der würde sicher sonst zur Sprache gekommen sein. Ich habe eine bessere Vermuthung: im Leipziger Adreßbuch ist der Name Louis Dufrêne nirgends zu finden.

  1. Der Index ist nämlich die fünfzehnte Seite der Eingangs erwähnten Broschüre, auf welcher die Feinde des Herrn Dr. Heß verzeichnet stehen.