Die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels

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Titel: Die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 177–179
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels.
Ein Blick hinter die Coulissen der Curpfuscherei.

„Mit der Dummheit,“ sagt ein altes, gutes Wort, „kämpfen selbst Götter vergebens“, und „die Dummen werden nicht alle“ fügte der Menschenkenner Professor Bock hinzu. In der That ist Dummheit eines der schlimmsten und weitverbreitetsten Leiden der Menschheit, und Vieles, was, von Weitem gesehen, wie Schlechtigkeit aussieht, ist, näher betrachtet, nur geistige Beschränktheit. Selbst auf Seiten Derer, die mit der Gesundheit ihrer Mitmenschen ein frevelhaftes Spiel treiben, indem sie dem Leidenden ohne alle Wahl und Untersuchung angebliche Heilmittel anbieten, handelt es sich gewiß oftmals viel mehr um Unwissenheit, als um Bosheit. Sie wissen und glauben nicht, wie viel Unheil sie mit ihrer Marktschreierei anrichten können; sie erwägen nicht, daß ihre Annoncen einer Teufelssaat gleichen, welche, wie die Sporen der Schmarotzerpilze, die kranken Individuen befällt, von ihnen zehrt und sie vollends zu Grunde richtet. Ja, so weit geht die Dummheit, daß einzelne solcher Industrieller, deren Mehrere sich auf Kosten der leidenden Menschheit zu Millionären aufgeschwungen haben, mit vollster Ueberzeugung sich für Wohltäter der Menschheit halten. Suchen wir uns an einem Beispiele klar zu machen, wie ein solches Wunder der Dummheit möglich ist!

Da Süßigkeiten und schleimige Stoffe unter Umständen den Hustenreiz mildern, so glauben die Großmütter in der Regel, jene sogenannten lösenden Mittel seien nicht nur Linderungs-, sondern auch Heilmittel der betreffenden Uebel. Da hat sich nun, wie alle Welt zur Genüge gelesen, ein solches weltbeglückendes Großmütterchen vor einigen Monaten entschlossen, ihre vielbewährten „Brustcaramellen“ auch denjenigen Schutzbefohlenen des deutschen Michels, welche die Schlauheit nicht zu ihren Gebrechen zählen, zugänglich zu machen, und läßt sie, um besonders die Stubenhocker der höheren Stände für sich einzunehmen, wie einen Modeartikel in Correspondenzen aus Paris anpreisen. Wüßte diese Caramellen-Großmama, daß der erkrankte Kehlkopf nicht auf dem Wege zum Magen und die Lungen nicht in den Därmen liegen, also von ihren Mitteln, die einfach verdaut werden, gar nicht erreicht werden können, so würde sie möglicher Weise doch Bedenken tragen, die Krankheitsstoffe in diesen Organen mit ihren bestenfalls unschädlichen Caramellen curiren zu wollen. Mögen sie aber noch so unschädlich sein, die Sache hat doch eine allen Geheimmitteln und Curpfuschereien eigene, höchst bedenkliche Seite.

Die Leiden der Athmungsorgane würden nicht halb so verheerend sein, wenn sie nicht in der Regel erst mit Caramellen, Hustenbonbons, Katarrhbrödchen und dergleichen angenehmen Sächelchen groß gefüttert würden, während eine gesunde und vorsichtige – nicht verzärtelnde – Lebensweise und Anordnungen, die nur der Arzt nach genauer Feststellung der Natur des Uebels und der Individualität zu treffen vermag, dieselben im Keime ersticken oder wenigstens in Schranken halten könnten. Man kann wohl sagen daß die meisten Menschen langsame, unbewußte Selbstmörder sind, sofern sie durch allseitige Unbekanntschaft mit den Grundsätzen der gesunden Lebensweise ihren Lebensfaden verkürzen, diejenigen aber, welche bei den bereits beginnenden Folgen derselben, statt zu dem rechten Beichtvater des leiblichen Heiles zu wandern, zu einem Pfuscher ihre Zuflucht nehmen, gleichen Kindern, die mit Waffen und Explosionskörpern spielen.

Freilich kommt auch der Pfuscherei das psychische Heilmoment des Glaubens an die untrügliche Wirksamkeit ihrer Mittel zuvörderst mit seinem günstigen Einflusse zu Hülfe, aber man darf nicht vergessen, daß es darum doch ein mißleitetes Vertrauen bleibt, welches am rechten Orte viel größere Wunder wirken könnte. Dazu kommt, daß die meisten Krankheiten, auch solche, [178] welche unaufhaltsam fortschreiten, Perioden anscheinender Besserung darbieten, die dann dem angewendeten Geheimmittel gutgeschrieben werden, und daß sich unter den Tausenden, die solche Mittel gebrauchen, immer einige Hunderte befinden, die entweder gar nicht schwer erkrankt waren, oder deren gute Natur den Sieg davon trug.

Alle die „wunderbar Geheilten“ glauben nun, ihrer Dankbarkeit für die vermeintliche Hülfe in überschwänglichen Ausdrücken Luft machen zu müssen; das Beispiel Anderer, die Eitelkeit, auch einmal ein paar Zeilen von sich gedruckt zu sehen, wirken ansteckend, und Niemand von ihnen bedenkt, wie geradezu unsittlich es ist, Zeugnisse für die Güte von Arzneimitteln abzulegen, deren Wirkungsweise man nicht im Entferntesten beurtheilen kann, von denen man höchstens bezeugen könnte, daß man zur Zeit ihres Gebrauches gesund geworden ist, daß sie die Genesung vielleicht nicht auffallend verzögert haben. Niemand aber bedenkt, daß er durch solche Zeugnisse seinen Mitmenschen den größten Schaden zufügen kann und sich zum unfreiwilligen Helfershelfer einer schlechten Sache hergiebt.

Da sich Diejenigen nur vereinzelt melden, denen ein Geheimmittel nichts nützt, und Diejenigen, die daran zu Grunde gehen, den Mund schon gezwungen halten müssen, so wächst natürlich in allen Fällen bald ein Schatz günstiger Zeugnisse an, mit dem man Broschüren füllen kann; der Erfinder des Mittels wird, wenn er nicht ein großer Menschenkenner ist, von seinen eigenen Erfolgen überrascht und lebt sich immer tiefer in seinen einträglichen Wohlthätigkeitsdrang hinein. Wir setzen hier den günstigsten Fall, den Glauben des Verkäufers an seine Mittel und die authentischen Zeugnisse Solcher voraus, die sich durch den Gebrauch derselben geheilt wähnen. Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen und sogar eine Unschädlichkeit der Mittel für viele Fälle, eine zufällige Wirksamkeit für einzelne zugeben, und würden doch mit Entschiedenheit behaupten müssen, daß die besten Geheimmittel zehnmal so viel Schaden als Nutzen stiften, sei es auch einzig dadurch, daß sie den Leidenden verhindern, bei Zeiten vor die richtige Schmiede zu gehen.

Konnten wir auf diese Weise einzelne Geheimmittelverkäufer – denn die meisten sind echte Industrieritter – und auch einzelne Personen, die solche Mittel weiter empfehlen, bis zu einem gewissen Grade entschuldigen, nämlich mit ihrer möglicher Weise vorhandenen Unwissenheit, so können wir eine gleiche milde Beurtheilung keineswegs Denjenigen zu Gute kommen lassen, die ein Geschäft daraus machen, Geheimmittel aller Art gegen Entgelt und unter dem Vorgeben eines amtlichen Charakters oder einer speciellen Befugniß zu empfehlen.

So ausgedehnt hat sich der Krebsschaden des Geheimmittelschwindels in unsern Tagen, daß sich ein förmliches Geschäft auf die natürlich unabänderlich günstige Begutachtung von Geheimmitteln begründen ließ. Fast in jeder unserer Großstädte giebt es eine oder einige solcher „Autoritäten“, die gegen bestimmte Vergütung jede neu auftauchende Schwindelwaare unter den Schutz ihrer Titel nehmen, die Reinheit, Unschädlichkeit und Wirksamkeit solcher Waare bestätigen und ihr wie ein Amtssiegel gestaltetes Privatsiegel unter das Attest drücken.

Diese Personen sind in der Regel keine Aerzte, obwohl doch nur solche ein ärztliches Gutachten über Arzneiwirkungen abgeben könnten, sondern es sind meistens sogenannte verdorbene Apotheker, das heißt solche Apotheker, die durch das herrschende Concessionssystem verhindert sind, ihre Fähigkeiten besser zu verwerthen, eines der vielen Beispiele, wie mangelhafte staatliche Einrichtungen stets auch in weiteren Kreisen üble Folgen nach sich ziehen. Um das liebe Publicum nun gründlich zu täuschen, schmückt sich der betreffende Schutzgenius möglichst mit hochklingenden Titeln; er nennt sich zum Mindesten einen Apotheker erster Classe, obwohl es seit sehr langer Zeit keine Apotheker zweiter Classe bei uns mehr giebt, und legt sich den Director-Titel eines chemischen Laboratoriums bei, sollte auch dieses Laboratorium nur in einer gewöhnlichen Kochküche und sein chemisches Werkzeug in Dreifuß und Bratpfanne bestehen.

Ein ferneres sehr schätzbares Requisit ist der Titel eines Doctors der Philosophie, dessen ordnungsmäßige Erwerbung Apothekern, welche vorschriftsmäßige Universitätsstudien zu machen haben, keine nennenswerthen Schwierigkeiten bereitet. Gleichwohl haben sie sogar diesen Titel, der natürlich stets unter Weglassung der näheren Facultätsbezeichnung gebraucht wird, um dem verehrlichen Leser die Verwechselung mit einem Doctor der Medicin möglichst zu erleichtern, meistens auf Schleichwegen erworben, und es machte einen allgemein sehr erheiternden und belustigenden Eindruck, als eine der berühmtesten Autoritäten dieses Faches vor Jahr und Tag auf den peinlich dringenden Wunsch der zuständigen Polizeibehörde, seine Papiere zu sehen, ein Jenaer Doctordiplom zum Vorschein brachte, mit welchem er von einem der bekannten Doctor-Fabrikanten – auch ein moderner Industriezweig! – betrogen worden war, denn das zur Prüfung nach Jena gesandte Diplom erwies sich als eine plumpe Fälschung.

Jedenfalls noch bedeutend höher im Preise stehen die Atteste der sogenannten „Medicinalräthe“; denn Medicinalräthe sind ja in der Regel mit dem Vertrauen einer Regierung betraute Personen von Amt und Würden, deren Urtheil in solche Dingen ein großes Gewicht haben würde. Allein auch hier darf das Publicum getrost überzeugt sein, daß Medicinalräthe, die Geheimmittel attestiren, einem andern Stande angehören. Zur Zeit der deutschen Kleinstaaterei legte man nämlich in kleinen Ländern, die kaum einen Regierungs-Medicinalstab hätten besolden können, diesen Titel Apothekern bei, die zu Revisionen und dergleichen Geschäften herangezogen wurden.

Ein solcher Medicinalrath a. D. eines Ländchens von kaum 50,000 Einwohnern ist nun, da ihm offenbar dieser Wirkungskreis nicht groß genug war, nach der deutschen Reichshauptstadt verzogen und hat durch seine Atteste das liebe Publicum in den Glauben versetzt, er stelle eine preußische oder deutsche amtliche Autorität im Gesundheitswesen vor, eine Täuschung, die um so vollständiger gelingen mußte, als in Berlin sich ein wirklicher Medicinalrath gleichen Namens im Amte befand. Dieser dadurch in eine sehr schiefe Lage gelangende Beamte nahm dann freilich bald Gelegenheit, das Polizeipräsidium auf seinen Doppelgänger aufmerksam zu machen, und diese Behörde hat denn auch amtliche Warnungen vor dem Herrn Doppelgänger erlassen, ohne ihn indessen dadurch einzuschüchtern, denn auf seinen Geheimmittelattesten prangte nach wie vor der Medicinalrathstitel.

Eine zweite Kategorie von Helfershelfern, die man beinahe mit noch mehr Recht die Hehler des Diebstahls an der Volksgesundheit nennen könnte, rekrutirt sich, statt aus verdorbenen Apothekern, aus unfähigen Buchhändlern. Wir meinen hier diejenigen dunklen Ehrenmänner, welche Herstellung und Vertrieb einer Broschürenliteratur betreiben, deren Hauptzweck es ist, mit allen Künsten der Drohung und Ueberredung den Kranken zu veranlassen, sich in den alleinseligmachenden Schutz ihrer Universalmittel oder eines mit ihnen associirten heruntergekommenen Arztes zu werfen. Diese Broschürenliteratur speculirt mit ihren unübertrefflichen „Meisterwerken“ einerseits auf die verderbliche Sucht Halbgebildeter, an ihrem Körper herumzucuriren, andererseits auf junge Gimpel, denen sie einredet, sich durch schlechte Gewohnheiten einem unheilbaren Siechthum übergeben zu haben, wogegen sie nur bei ihnen Hülfe finden könnten. Schon im vorigen Jahrhundert mußte der berühmte englische Arzt John Hunter die Jugend vor jener elenden Literatur warnen, welche durch übertriebene Schreckensbilder die in dieser Richtung sehr folgsame Phantasie in Spannung versetzen und die Krankheit erst schaffen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Es handelt sich hier um einen Industriezweig, dessen Nichtswürdigkeit gar nicht zu schildern ist und der geradezu darauf baut, daß sich die anständige Presse nicht gern mit ihm beschäftigt.

Man pflegte früher gern „Doctor und Apotheker“ als die natürlichen Verbündeten gegen den Geldbeutel der Leidenden hinzustellen, aber die Neuzeit hat gezeigt, daß Buchhändler und Arzt viel schlimmere Bundesgenossen sein können. Da hat sich z. B. in Leipzig eine besondere Verlagsanstalt aufgethan, die ihre eigene Druckerei besitzt, und sich berühmt (!), ihre Geheimmittelbücher binnen wenigen Jahren in – ich glaube – hundertzwanzig starken Auflagen verbreitet zu haben. Da diese durch ungeheuere Massen von Anerkennungen und Zeugnissen umfangreiche Bücher halb oder ganz verschenkt werden, so kann man daraus ermessen, mit welchem werthlosen Zeuge die Opfer solcher „Verlagsgeschäfte“ bedient werden müssen, um derartige Unkosten zu decken und die Veranstalter für die Verachtung der aufgeklärten Welt zu entschädigen. [179] Natürlich hat diese systematische Täuschung und Prellerei des Publicums in der wohlmeinenden Presse stets die entschiedenste Gegnerschaft gefunden, und die „Gartenlaube“ darf sich wohl das Zeugniß geben, ihrerseits seit langen Jahren das Mögliche gethan zu haben, das Publicum vor solcher gewissenlosen Ausbeutung zu warnen. Sie will aber auch ihrer Mitstreiter auf diesem Gebiete nicht vergessen und nennt dabei in erster Reihe den verstorbenen Professor Bock, den Professor der Medicin Dr. H. E. Richter, den Vertrauensmann der Dresdener Aerzte beim sächsischen Landesmedicinal-Collegium, der eine besondere Schrift gegen das Geheimmittelunwesen (Leipzig, 1872 bis 1875) herausgegeben hat, und Dr. Emil Jacobsen in Berlin, der in seiner mit Dr. E. Hager begründeten Zeitschrift „Industrieblätter“ seit einem Jahrzehnt tapfer zur Unterdrückung dieser am Volkswohle nagenden Krebsgeschwüre gekämpft hat. Es kann wohl kaum ein beredteres Zeugniß für den großen Umfang des Unwesens und der durch dasselbe geschädigten Interessen geben, als daß ein hauptsächlich gegen die Geheimmittelkrämerei gerichtetes Preßorgan als Bedürfniß erschienen ist und im gebildeten Publicum Boden finden konnte. Es wäre freilich zu wünschen, daß diese Zeitschrift eine noch weitere Leserschaft an solchen Personen fände, die in ihrem Kreise auf Unterdrückung der großen Calamität hinwirken wollen und können.

Naturgemäß hat sich dieser Kampf der wohlmeinenden Presse nicht blos gegen die Geheimmittelfabrikanten, sondern und mit erhöhter Energie gegen die Helfershelfer gewendet, bei denen sie als sicher voraussetzen kann, daß sie sich nicht aus bloßer Fahrlässigkeit an dem kostbaren Gute ihrer Mitmenschen versündigen. Und dieser Kampf ist kein ganz dornenloser; denn die Angegriffenen, welche an kolossale Geschäftsunkosten gewöhnt sind, strengen in der Hoffnung, doch einmal zu triumphiren, selbst in den aussichtslosesten Fällen Injurienprocesse an, um den Gegner einzuschüchtern und ihrem Geschäfte freie Bahn zu schaffen. Die Richter sind nicht immer unbefangen genug, zu erwägen, daß es sich hierbei um Kämpfe für das Volkswohl handelt, daß die Angriffe nicht den Personen an sich, sondern ihrem unsaubern Treiben gelten, daß keinerlei egoistische Motive, sondern rein ethische denselben zu Grunde liegen und statt einer schlechten Absicht (dolus) vielmehr die allerbeste vorhanden ist. Trotz alledem hat auch die „Gartenlaube“ manche bittere Erfahrungen auf diesem Gebiete sammeln müssen, aber sie will hier nicht von sich selber reden, sondern an einem andern Beispiele zeigen, wie auch die selbstlosesten Streiter im Kampfe gegen den Geheimmittelschwindel nicht selten die Zeche bezahlen müssen.

Nachdem Dr. E. Jacobsen die hervorragendsten Geheimmittel-Väter und -Beschützer schon lange Jahre hindurch mit den Waffen der wissenschaftlichen Kritik bekämpft hatte, indem er ihnen an der Hand der chemischen Analyse Schlag auf Schlag nachwies, welch werthloses Zeug sie fortwährend in die Welt setzten respective empfahlen, fiel es ihm vor nicht langer Zeit eines Tages bei, einmal die Waffen zu wechseln und die Satire gegen sie in's Feld zu schicken. Er veröffentlichte im Briefkasten seiner „Industrieblätter“ folgende köstliche Persiflage, die wohl ein Seitenstück zu dem berühmten Theaterzettel Lichtenberg's contra Philadelphia genannt zu werden verdient:

„... Vor einigen Jahren hat Professor A. in J., der berühmte Erfinder der Glycerin-Glanzwichse, bei Experimenten mit einer Deleuil'schen Quecksilberluftpumpe sich die Frage vorgelegt: was wird daraus, wenn man nach Erreichung vollständigster Luftleere weiterpumpt? Gedacht, gethan! Zu seinem Erstaunen entwickelte sich ein blauer Dunst, den der Professor durch eine U-förmige Röhre leitete und genügend abkühlte, wobei eine Condensation des Dampfes stattfand, sich schöne blaue, goniometrisch noch nicht bestimmte Krystalle bildeten. Die Untersuchung ergab, daß man es mit krystallisirtem Raum zu thun hatte. Die Tragweite dieser Erfindung ist natürlich eminent: kein Mangel an Raum mehr! Der Erfinder hat seine Erfindung nicht verwerthen wollen, weil er von der preußischen Patent-Commission mit der Behauptung abgewiesen wurde, die Luftpumpe wäre nicht neu und das Pumpen nichts Eigenthümliches. Ein Versuch Professor A.'s, den krystallisirten Raum als Geheimmittel gegen Magerkeit zu verwerthen, scheiterte, trotzdem die Herren Medicinalrath X., Dr. Y., Dr. Z. und Director W. die besten Atteste ausstellten.“

X., Y., Z., oder vielmehr des inzwischen verstorbenen Z. Wittwe, verklagten den Satiriker, erstere wegen Beleidigung, Herabsetzung ihres „wissenschaftlichen Ansehens“ und Schädigung ihres Geschäftsbetriebs als Geheimmittel-Empfehler, letztere unter Bezeichnung des Angriffs als eine Art Leichenschändung. Die pietätvolle Wittwe wurde mit ihrer Anklage abgewiesen, X. und Y. aber gewannen ihren Proceß in zwei Instanzen, da sie mit Bestimmtheit nachweisen konnten, den sicherlich ganz unschädlichen krystallisirten Raum niemals als bestes Mittel gegen Magerkeit empfohlen zu haben.

Man ersieht hieraus, daß, wer im Kampfe gegen solche Gebrechen des öffentlichen Lebens, die im Strafgesetzbuche nicht vorgesehen sind, siegreich bestehen will, sich gar oft gegen Arglist mit List wappnen muß, wie es laut unserer neulichen gelegentlichen Mittheilung in dem Artikel „Ein Preßproceß der 'Gartenlaube'“ (Nr. 7, „Blätter und Blüthen“) der Karlsruher Ortsgesundheitsrath gethan hat.

Und das Heilmittel gegen jenes Bündniß von Geldgier und Gewissenlosigkeit? Wir wissen vorläufig kein anderes Universalmittel, als die Aufklärung des Publicums über dergleichen Schwindel, denn das Radicalmittel eines Verbots aller öffentlichen Anpreisungen von Heilmitteln unbekannten Inhalts scheint trotz seiner Einfachheit von den gesetzgebenden Factoren aller Länder für undurchführbar gehalten zu werden. Vergeblich fragen wir: warum?