New-York (Meyer’s Universum)

LXVII. Der Olymp Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXVIII. New-York
LXIX. Neapel und der Vesuv
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NEW-YORK

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LXVIII. New-York.




Humanität, in der erhabensten Bedeutung des Wortes, ist die höchste Bestimmung der Menschheit. Sie ist das heilige Feuer, welches anzufachen und zu verbreiten jeder edlere Mensch sich zur Aufgabe seines Lebens setzen soll. Es gehört nicht einem Volke, einem Lande allein; es wird gefunden, so weit die Menschen wohnen; sey es als Flamme, ober als Funke. Niemals war es erloschen. Die größten, ehrwürdigsten Geister der Vergangenheit waren stets seine Vestalen.

Humanität zu fördern ist auch unser Vorsatz. Nur aus ihrem Geiste falle unser Urtheil über Menschen und Dinge, über Erscheinungen und Verhältnisse der Vergangenheit und Gegenwart. – Darum dem Guten, Rechten und Schönen, überall und allenthalben, wo wir es finden, sey es einheimisch oder fremd, alt oder neu, laute Anerkennung; und freimüthigen Tadel dem Gegentheil, wo es uns auch immer begegne. Mag dem politischen und religiösen Sektengeiste dieser Zeit unser Streben mißfallen. Sein Haß flößt uns keine Furcht ein, und wir buhlen nicht um seine Liebe. –

Unser Bild gibt uns den stets willkommnen Anlaß, wieder einmal von einem Lande zu reden, wo durch eine von ihren Fesseln und Vorurtheilen befreiete Nation für der Menschheit schönste Zwecke das Größte geschieht, zum Theil durch unmittelbare That, mehr noch durch Beispiel, unberechenbar viel aber durch den Einfluß, der im Streben aller Völker nach glücklichern Zuständen seine Nahrung findet. Wir denken uns so gern in das Land

„wo Menschen frei sind und die Freiheit segnet.

Auch das hat man uns verargt und mißdeutet. –

[50] New-York, die Hauptstadt des gleichnamigen Staats, die größte, nicht blos der Union, sondern des Welttheils, ist der Hafen, in welchem gegenwärtig die Mehrzahl der europäischen Einwanderer zuerst den Boden Amerika’s betreten. Denken wir uns einen solchen, wenn er nach langer beschwerlicher Fahrt die Küste erblickt, das Ziel seiner Sehnsucht. Prachtvoll glänzt sie ihm entgegen mit ihren grünen Hügeln, an derem Fuße sich Städte und Dörfer lagern, und mit den schimmernden Leuchtthürmen auf den Vorgebirgen: die Pforten des Elysiums können ihm nicht schöner dünken! Freudetrunken sind alle Erinnerungen dessen verschwunden, was er auf der Seereise erduldet. – Langsam geht nun der Lauf des Schiffes einer schmalen Meerenge zu, durch die sich einander nähernden Ufer von Neu-Jersey und Long-Island gebildet. Gewaltige Forts erheben sich auf beiden Seiten, wie riesige Wächter; stark genug, um allen Flotten der vereinigten Seemächte den Eingang zu wehren. Das enge Thor ist schnell passirt. Welch ein Anblick! Vor ihm breitet sich eine prachtvolle Bai aus, deren reizende Gestade rechts und links freundliche Villen und Gartenanlagen bedecken und im Grunde der Bai, aus einem dichten, weiten Mastenwald, blickt ihm New-York, die Metropole der neuen Welt mit ihren Thürmen und Domen in unbeschreiblicher Pracht entgegen. Das Ganze bildet eine Landschaft, die zu den imposantesten der Welt gehört und selbst von der Ansicht Venedig’s nicht übertroffen wird, dessen jetzige Stille zu dem bewegten Leben hier den schneidendsten Contrast bildet. Schon in einer viertelstündigen Entfernung hört man ein ununterbrochenes Getöse, welches das Rauschen der Wellen übertäubt. Bald verliert sich das Fahrzeug im Gewühle der Schiffe von allen Theilen der Welt, die da unaufhörlich ankommen und auslaufen. Die Lüfte gellen vom Durcheinanderschreien Tausender, die bald Anker werfen, bald Anker lichten, Segel auf- und einziehen, aus- und einladen. Am Kai wird der Lärm betäubender noch durch die Caravanen von ab- und zufahrenden Karren, die Waaren bringen und wegschaffen, das Knarren der unzähligen Krahnen und Winden und das unaufhörliche Läuten der Glocken abgehender Dampfschiffe. Das eigne Wort wird unverständlich. So schnell als möglich enteilt man diesem Chaos und betritt die Stadt.

Diese bedeckt in schnurgeraden, breiten Straßen die Spitze einer fast 6 Stunden langen und ½ Stunde breiten Landzunge, welche westlich vom majestätischen Hudson, auf der andern Seite vom Ostflusse bespült wird. Die gegenüber liegenden Ufer dieser beiden Gewässer zieren ebenfalls beträchtliche Städte; Jersey-City auf der Hudson-, Brocklyn auf der Ostfluß-Seite, und einige hundert kleine Dampfbote, die die Bewohner mit Flügelschnelle von einem Ort zum andern bringen, verbinden das Ganze. Zusammen haben die 3 Orte eine Bevölkerung von 280,000 Einwohner; – 240,000 kommen auf New-York allein. Erstaunenswürdig ist des letztern rasche Zunahme. Theils durch den Ueberschuß der Geburten, mehr aber durch Einwanderung steigt die Bevölkerung jährlich um 10 bis 15,000, und die Häuserzahl vergrößert sich um 1500 bis 2000. Neue Straßen und Märkte, welche nach allen Richtungen [51] hin auf Jahre hinaus abgesteckt sind, entstehen wie durch Zauber. – Keine Stadt in der Welt stellt ein ähnliches Beispiel solchen Gedeihens auf. Man erwäge, vor funfzig Jahren hatte New-York erst 20,000 Einwohner.

Der älteste Stadttheil ist, obschon auch regelmäßig, doch keineswegs schön. Kleine, beräucherte Backsteinhäuser ohne Bewurf, deren Einförmigkeit nur zuweilen große, öffentliche Prachtbauten unterbrechen, geben ihm ein unfreundliches Ansehen. Dagegen sind die weit umfangreicheren neuen Stadttheile, besonders da, wo viele Privatwohnungen palastähnlich in eins zusammengebaut sind, schön und mehre äußerst prachtvoll. – Die Hauptstraßen, in einer Länge von ½ bis 1¼ Stunde schnurgerade fortlaufend, sind 80 bis 100 Fuß breit; alle sind auf beiden Seiten mit äußerst reinlich erhaltenen erhöheten Trottoirs für Fußgänger versehen, die mit großen Granit- und Marmorplatten belegt sind. Das prächtige Gaslicht erleuchtet nicht nur alle Häuser, Läden, Straßen und Plätze, sondern auch die nächsten Umgebungen der Stadt. – Unter den vielen öffentlichen Gebäuden ist Föderal-Hall das merkwürdigste. Hier beschwor Washington an der Spitze des Congresses den 30. April 1780 die Nordamerikanische Verfassung. Das Rathhaus (City-Hall), 1812 aus weißem Marmor erbaut, übertrifft Königspaläste an Pracht; es wird für das schönste Gebäude der Union gehalten. Die Börse ist der größten Handelsstadt der neuen Welt würdig; die Universität (Columbia-College), die Maurerloge (Masonic-Hall), mehre Banken imponiren durch Größe und Styl; unter den 126 Tempeln, christliche und andere, in denen der einzige Gott nach 30 verschiedenen Lehrweisen verehrt wird, sind St. Paul und Trinity-Church Gebäude von großer Schönheit. – Gewerbe und Handel sind unermeßlich; dieser alle Geschäftszweige umfassend. Kein Platz in der Welt, London allein ausgenommen, übertrifft New-York in Ausdehnung des Verkehrs. Die Zahl der jährlich seewärts einlaufenden größeren Schiffe übersteigt 2000; die der Küstenfahrzeuge und Canalboote das Fünffache. – Vierzehn Millionen Dollars beträgt blos der Export der Fabriken.

So außerordentliches Gedeihen wäre ein minderes Wunder, beschränkte es sich einzig auf die Hauptstadt; aber das des Staats ist nicht geringer. Halb so groß wie Preußen, hatte New-York 1800 kaum eine halbe Million Einwohner, jetzt zwei. Das Gesammtvermögen der Staatsbürger wurde vor 20 Jahren auf 450 Million Dollars geschätzt; es hat sich seitdem mehr als verfünffacht. Der Handel ist auf das Fünfzehnfache gestiegen in derselben Zeit. Aber auch in keinem Lande in der Welt sind die Anstalten für Verbreitung von Aufklärung und Wissen unter dem Volke so zahlreich und mit solcher Munifizenz ausgestattet. Der Elementarschulen allein sind über 10,000 und sie werden von 500,000 Schülern besucht. Sie haben 1¼ Million Dollars jährliche Einkünfte. Gewerbschulen sind in jeder Landstadt und keine größere entbehrt die Mittel zur Erlangung jeder Art höherer wissenschaftlichen Bildung. Gleich bewundernswürdig sind die Anstalten, welche den Verkehr erleichtern – die Eisenbahnen, Canäle. Sie [52] durchschneiden den Staat in allen Richtungen und gegen die ungeheure Größe von vielen dieser Werke verschwindet selbst die der berühmtesten Bauten des Alterthums. Das merkwürdigste aller ist der große Canal, der, 500 Engl. Meilen lang, den Hudson mit dem Eriesee verknüpft, und dadurch New-Vork mit den Stromgebieten des Missisippi und Lorenzo, mit den westlichen und südlichen Theilen der Union und Canada, auf einer schiffbaren Strecke von 160,000 Meilen in direkte Wasserverbindung bringt. Er ward mit einem Aufwand von 10 Millionen Dollars gebaut, – ein ewiges Denkmal von Dem, was verständiger Gemeingeist der Bürger unter dem Schutze der Freiheit vermag. Ganz Europa, wo doch der Wille und die Laune Einzelner die Thätigkeit und Kräfte von mehr Millionen in Bewegung setzen kann, als New-York Zehntausende von Bürgern zählt, hat kein Werk des öffentlichen Nutzens aufzuweisen, was sich mit diesem in Vergleich bringen läßt. Die Ursachen liegen nahe genug; aber die Zukunft wird sie entfernen. –