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New-York, die Hauptstadt des gleichnamigen Staats, die größte, nicht blos der Union, sondern des Welttheils, ist der Hafen, in welchem gegenwärtig die Mehrzahl der europäischen Einwanderer zuerst den Boden Amerika’s betreten. Denken wir uns einen solchen, wenn er nach langer beschwerlicher Fahrt die Küste erblickt, das Ziel seiner Sehnsucht. Prachtvoll glänzt sie ihm entgegen mit ihren grünen Hügeln, an derem Fuße sich Städte und Dörfer lagern, und mit den schimmernden Leuchtthürmen auf den Vorgebirgen: die Pforten des Elysiums können ihm nicht schöner dünken! Freudetrunken sind alle Erinnerungen dessen verschwunden, was er auf der Seereise erduldet. – Langsam geht nun der Lauf des Schiffes einer schmalen Meerenge zu, durch die sich einander nähernden Ufer von Neu-Jersey und Long-Island gebildet. Gewaltige Forts erheben sich auf beiden Seiten, wie riesige Wächter; stark genug, um allen Flotten der vereinigten Seemächte den Eingang zu wehren. Das enge Thor ist schnell passirt. Welch ein Anblick! Vor ihm breitet sich eine prachtvolle Bai aus, deren reizende Gestade rechts und links freundliche Villen und Gartenanlagen bedecken und im Grunde der Bai, aus einem dichten, weiten Mastenwald, blickt ihm New-York, die Metropole der neuen Welt mit ihren Thürmen und Domen in unbeschreiblicher Pracht entgegen. Das Ganze bildet eine Landschaft, die zu den imposantesten der Welt gehört und selbst von der Ansicht Venedig’s nicht übertroffen wird, dessen jetzige Stille zu dem bewegten Leben hier den schneidendsten Contrast bildet. Schon in einer viertelstündigen Entfernung hört man ein ununterbrochenes Getöse, welches das Rauschen der Wellen übertäubt. Bald verliert sich das Fahrzeug im Gewühle der Schiffe von allen Theilen der Welt, die da unaufhörlich ankommen und auslaufen. Die Lüfte gellen vom Durcheinanderschreien Tausender, die bald Anker werfen, bald Anker lichten, Segel auf- und einziehen, aus- und einladen. Am Kai wird der Lärm betäubender noch durch die Caravanen von ab- und zufahrenden Karren, die Waaren bringen und wegschaffen, das Knarren der unzähligen Krahnen und Winden und das unaufhörliche Läuten der Glocken abgehender Dampfschiffe. Das eigne Wort wird unverständlich. So schnell als möglich enteilt man diesem Chaos und betritt die Stadt.

Diese bedeckt in schnurgeraden, breiten Straßen die Spitze einer fast 6 Stunden langen und ½ Stunde breiten Landzunge, welche westlich vom majestätischen Hudson, auf der andern Seite vom Ostflusse bespült wird. Die gegenüber liegenden Ufer dieser beiden Gewässer zieren ebenfalls beträchtliche Städte; Jersey-City auf der Hudson-, Brocklyn auf der Ostfluß-Seite, und einige hundert kleine Dampfbote, die die Bewohner mit Flügelschnelle von einem Ort zum andern bringen, verbinden das Ganze. Zusammen haben die 3 Orte eine Bevölkerung von 280,000 Einwohner; – 240,000 kommen auf New-York allein. Erstaunenswürdig ist des letztern rasche Zunahme. Theils durch den Ueberschuß der Geburten, mehr aber durch Einwanderung steigt die Bevölkerung jährlich um 10 bis 15,000, und die Häuserzahl vergrößert sich um 1500 bis 2000. Neue Straßen und Märkte, welche nach allen Richtungen