Nekrolog eines Theaters

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Titel: Nekrolog eines Theaters
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 400–402
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Nekrolog eines Theaters.

Kein langes Dasein ist den Kunststätten beschieden, auf welchen der Mime seine schnellwelkenden Kränze erwirbt. Ein tückischer Feind umlauert die Bretterwelt und läßt nur allzu oft ihre Herrlichkeit in Rauch und Flammen aufgehen. Allein in diesem Jahrhundert sind mehr als 500 Theater niedergebrannt, und namentlich in den großen Städten sind Theaterbrände keine Seltenheit. Die Geschichte von London weist seit dem Jahre 1613 nicht weniger als 35 solcher Brände auf, in Paris wiederholte sich seit dem Jahre 1762 dieses schauerliche Schauspiel 24 Mal, und Berlin und Wien figuriren in dieser Statistik mit je acht Theaterbränden. Die viel jüngeren Großstädte der nordamerikanischen Union rivalisiren in dieser Beziehung mit ihren ehrwürdigen Schwestern in Europa, denn New-York allein kann in seinen Annalen 26 Theaterbrände verzeichnen, während das junge San Francisco durch Feuersbrunst schon 21 Theater verlor. Ja, die modernen Theater scheinen rasch zu leben und zu vergehen, wie so viele Werke unserer ungeduldig alles umändernden Zeit. Die Statistik hat nachgewiesen, daß ihre durchschnittliche Lebensdauer nur 30 Jahre beträgt.

Darum erregen Theaterbrände nur dann ein größeres Aufsehen, wenn bei ihnen namhafte Verluste an Menschenleben zu beklagen sind, oder wenn durch die ungebändigte Feuersmacht Kunststätten vernichtet werden, an die sich besondere Erinnerungen knüpfen. So wirkte vor wenigen Jahren die furchtbare Katastrophe im Wiener Ringtheater erschreckend auf die Gemüther des Theaterpublicums, so hat auch die Zerstörung des Wiener Stadttheaters vor Kurzem die Freunde des deutschen Schauspiels schmerzlich berührt.

Als sich jener Prachtbau vor 12 Jahren an der Seilerstätte erhob, da begrüßten in ihm Viele die Wiege eines neuen dramatischen Aufschwungs, denn kein Geringerer als Heinrich Laube, der „Marschall Vorwärts“ der deutschen Theatertruppen, war sein Schöpfer und dazu erkoren, in den neuen Räumen mit frischen Kräften seine Thätigkeit zu entfalten. An diese Zeit dachten wohl die Meisten, als der elektrische Funke die Nachricht von dem Brande des Wiener Stadttheaters in Deutschlands Gaue trug.

Es war am 16. Mai um einhalb fünf Uhr Nachmittags. Da meldete der Thürmer auf St. Stephan dem Centraldepôt der Feuerwehr, daß ein verdächtiger Rauch über dem Dache des Stadttheaters aufsteige. Der erste Löschzug ging ab, bis bald darauf die Meldung „Dachfeuer im Stadttheater“ sämmtliche Feuerwehren alarmirte. Sie erschienen pünktlich an Ort und Stelle und gingen energisch an das Rettungswerk, obwohl die Hoffnung, den Brand zu ersticken, nur eine geringe war. Schon um fünf Uhr ergriffen die Flammen den Zuschauerraum und nur die Bühne, geschützt durch den eisernen Vorhang, blieb noch unversehrt. Es begann der Kampf zwischen dieser eisernen Schranke und den weiter um sich greifenden Flammen.

„Um diese Zeit bot das Innere des Theaters,“ wie ein Augenzeuge berichtet, „das Bild eines riesigen Feierkranzes, der sich um ein wogendes, flammendurchzucktes, funkensprühendes Meer von Rauch schlang, dessen Hintergrund die rothglühende Courtine bildete.“

Eine Stunde lang leistete sie der Gluth siegreichen Widerstand. Da begann kurz nach einhalb sechs Uhr die Dachwölbung zu wanken, und mit donnerndem Getöse stürzte die Decke in das Parterre nieder. Das Schicksal des Gebäudes war nun entschieden. Durch frischen Luftzug angefacht loderten die Flammen mit erneuter Gewalt auf, der eiserne Vorhang begann zu schmelzen und in wenigen Minuten überflutheten die Flammen auch den Bühnenraum. Als der Morgen des 17. Mai anbrach, war das Theater ausgebrannt, kahle, geschwärzte Mauern umringten einen dampfenden Trümmerhaufen. Nur eln Trost war geblieben, der Brand hat, abgesehen von einigen Verletzungen der braven Feuerwehrleute, kein Opfer an Menschenleben gefordert. In Wien empfindet man den Verlust dieser Kunststätte sehr schmerzlich, denn es ist keine Hoffnung vorhanden, daß sich ein neuer Bau aus dem Trümmer- und Schutthaufen erheben wird.

„Es ist uns,“ sagte uns ein Freund von dem blauen Donaustrande, „als wäre ein Stück von Wien, als wäre ein Stück von uns selbst gestorben und wie am Grabe eines lieben Freundes, dessen Laufbahn sich vor unserer Seele entrollt, so blicken wir heute – am Grabe des Stadttheaters – trauernd auf sein Entstehen und auf seine Entwickelung zurück.“

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Der Brand des Wiener Stadttheaters am 16. Mai 1884.
Originalzeichnung von J. J. Kirchner.

[402] Und auch wir möchten die Geschichte dieses Theaters unsern Lesern nicht vorenthalten. Als Heinrich Laube nach Beendigung seiner Leipziger Direction nach Wien zurückkehrte, hatte just Friedrich Halm darum nachgesucht, daß man ihn der Leitung des Burgtheaters entheben möge, und als seinen Nachfolger hatte er den früheren Gegner, Heinrich Laube, vorgeschlagen. Dessen Freunde aber mißbilligten einen Wiedereintritt in’s Burgtheater und riethen zur Gründung eines neuen Schauspielhauses.

Es war die Zeit des volkswirthschaftlichen Aufschwunges, ganz Wien war von fröhlicher Zuversicht erfüllt, und man konnte annehmen, daß die lebensfreudige Stadt reichliches Publicum für ein neues Theater stellen werde. In wenigen Wochen war das nothwendige Capital durch Ankauf von Logen (zu 25,000 Gulden) und Sperrsitzen (zu 5000 Gulden) aufgebracht. Die Stadt Wien selbst hat weder zur Gründung noch zur Erhaltung des Theaters eine Beisteuer geleistet.

Man nannte das neue Schauspielhaus Stadttheater, im Gegensatze zu dem Burgtheater, der Hofbühne. Denn die Haupttendenz des neuen Unternehmens war, ein Theater zu bilden, welches frei bliebe von den bei einem Hofinstitut unerläßlichen Beschränkungen und welches den Schauplatz für jegliche dichterische Schöpfung bieten würde. Keine Concurrenz, sondern eine Ergänzung sollte also das Stadttheater werden für die Hofbühne.

Das wurde freilich von der Leitung des Burgtheaters anders aufgefaßt. Sie behandelte wenigstens das Laube’sche Stadttheater wie ein Concurrenz-Unternehmen, und man verschaffte sich z. B. Reverse von unzähligen Autoren, daß ihre Stücke in Wien nur im Burgtheater gegeben werden dürften, um Laube seine Aufgabe zu erschweren. Das gelang auch vollständig. Nicht wohlgemuth und hoffnungsfreudig, sondern voll schwerer Sorgen schritt Laube zur Eröffnung seines Stadttheaters.

Diese erfolgte am 15. September 1872. Schiller’s Demetrius–Fragment, von Laube ergänzt, bildete die Eröffnungs-Vorstellung. Der Erfolg war günstig, aber das Publicum schien noch nicht ganz gewonnen. Es stand dem neuen Theater zuwartend, beinahe mißtrauisch gegenüber. Durch eiserne Energie jedoch erzwang sich Laube die Gunst der Wiener – nicht indem er ängstlich bald dies, bald jenes versuchte, sondern indem er seinen systematischen Plan rücksichtslos verfolgte.

Bald war eine Künstlerschaar gebildet, welche eines ersten Theaters vollkommen würdig heißen mußte. Die Damen Schönfeld, Frank, Schratt und Albrecht, die Herren Lobe, Robert, Friedmann, Tewele und Tyrolt, sie alle gehörten dem damaligen Stadttheater an und haben sich heute maßgebende Stellungen in der deutschen Theaterwelt errungen.

Trotz der Gegenarbeiten des Burgtheaters, welches auch die besten Mitglieder des Stadttheaters zu gewinnen suchte, konnte Laube auch bald wirkliche Novitäten, d. h. noch unaufgeführte Stücke moderner Autoren bringen. Adolf Wilbrandt wurde mit seinem „Grafen von Hammerstein“ glänzend eingeführt, Paul Lindau’s „Maria und Magdalena“ verhalf die Darstellung zu durchschlagendem Erfolg, und zahlreiche Lustspieldichter, wie G. v. Moser, Julius Rosen und Sigmund Schlesinger, fanden hier eine Stätte. – Das Publicum hatte das Theater lieb gewonnen, und die Cassen waren wohlgefüllt.

Da trat eine Wandlung ein. Die Geschäfte an der Börse gingen schlechter und schlechter. Die Geschäftswelt wurde von Panik erfüllt, und mit erschreckender Schnelligkeit erfolgte der „Krach“. Das Stammpublicum des Stadttheaters, welches zum großen Theil aus Finanzleuten bestehen mochte, war verarmt und gab den Theaterbesuch auf. Die Vorstadttheater mit ihrem Possen-Repertoire erlitten freilich wenig Einbuße. Es mußte sich also Laube die Ueberzeugung aufdrängen, daß seine Bühne sich ebenfalls einer leichteren Richtung zuwenden müsse, wenn die materiellen Erfolge nicht geschwächt werden sollten. Er wollte aber nur ein erstes Theater führen, und so trat er – am 15. September 1874 – von der Leitung zurück.

Laube’s Nachfolger, Theodor Lobe, konnte den Niedergang des Theaters nicht aufhalten, und Laube kam dem Unternehmen noch einmal zu Hülfe. Er arbeitete mit ehrlicher Anstrengung, jedoch ohne sich selbst genug zu thun. Allenthalben fehlte jetzt die mächtigste Triebfeder, die Begeisterung. Er hielt es für seine Pflicht, um die Gründer nicht zu schädigen, auch leichte Schwänke zu geben, und so mühte er sich, im Grunde genommen, für ein Theater, das nicht sein Theater war. Nach vierjähriger Thätigkeit trat er – tiefer verstimmt – zum zweiten Male zurück.

Es folgte das sogenannte „Vierer-Collegium“, bestehend aus den Herren Friedmann, Lobe, Schönfeld und Tyrolt, und dann zum dritten Male eine Direction Laube, die jedoch kaum einige Monate währte.

Man stand vor einem Räthsel. Wer sollte den Muth finden, das zu unternehmen, womit ein Laube gescheitert war? Jeder schüttelte ungläubig den Kopf, als die Nachricht auftauchte, der Komiker Karl von Bukovics habe die Direction übernommen. Aber die Nachricht bestätigte sich. Der neue Director frug zwar nicht viel nach künstlerischen Pflichten, sondern machte die finanzielle Festigung des Unternehmens zu seiner Hauptaufgabe. Als Schauspieler mit vollstem Rechte sehr beliebt, zog sich Bukovics ein neues Stamm-Publicum heran, ein Publicum, das keine großen Ansprüche machte, sondern den Abend ohne Aufregung und in behaglicher Heiterkeit verbringen wollte. Anfänglich kamen noch einige interessante Vorstellungen zu Stande, denen vornehmlich das Regietalent und die Darstellungskunst Mitterwurzer’s eigenthümlichen Reiz verlieh. Allmählich aber wurde das künstlerische Niveau des Stadttheaters – nicht ohne Geschick – immer tiefer herabgedrückt, bis wir schließlich kein Schauspielhaus, sondern ein Possentheater vor uns hatten, in welchem die französische Farce vornehmlich gepflegt wurde. Die Veranstaltung eines Anzengruber-Cyclus bildet den einzigen Lichtpunkt in der letzten Epoche des Stadttheaters, und Anzengruber’s „Meineidbauer“ war auch das Stück, welches zuletzt auf dem Theaterzettel für den Abend des 16. Mai angekündigt war. R.