Mutter und Sohn
Mutter und Sohn.
»Nun ist die Not geendet,
Frau Mutter, seid getrost,
Seht da, was man mir sendet
Aus München mit der Post:
Ein fertiger Kontrakt!
Kein Tag mehr wird geblieben,
Noch heute eingepackt!«
Die Alte hob vom Lager
Ein Aermlein, welk und mager
Und zitternd wie ein Rohr;
Mit Händen will sie greifen,
Was sie nicht lesen kann:
Die Ruhe gehe an.
Doch Schreck, nicht Freude spiegelt
Ihr Antlitz totenblass:
»Dies Blatt ist schwarz gesiegelt,
»Welch abergläub’ger Schauer
Euch wieder einmal plagt!
Vielleicht war eben Trauer
Bei Hof dort angesagt!«
Sein Kopf vom Planen brennt!
Nun sieht er endlich offen
Ein Feld für sein Talent;
Was schon sein sel’ger Vater,
Ein grosses Hoftheater,
Nun ist’s ihm doch beschert!
Und wie sein Glück die greise,
Schwerkranke Mutter rührt,
Getreulich mit sich führt!
Er ist zwar nur ein Mime,
Ein leichtes Künstlerblut;
Doch was dem Sohn gezieme,
Sie faltet die Hände beide
Und spricht, ins Bett verhüllt:
»So wird, bevor ich scheide,
Auch mir ein Wunsch erfüllt,
Mir schmerzlich vorenthalt’,
Den Leib des Herrn empfange
In beiderlei Gestalt.
Viel Kirchen, gross und kleine,
Doch meines Glaubens keine
Giebt’s hier im Land Tirol;
Wenn hier mein Stündlein schlüge,
So sagt die Nachbarin,
Wie ehrlos man mich hin.
Herr, thu mir solchen Schaden
An Leib und Seel’ nicht an!
Herr, führe mich in Gnaden
Bis München lass mich langen
Auf meiner Leidensbahn,
Und wenn ich heimgegangen,
Nimm du dich Fritzens an!«
Doch währt’s noch ein’ge Zeit,
Eh’ sie von dannen gehen,
Und auch der Weg ist weit;
Indes flog das Verderben
Das grosse Völkersterben
Im Bayern-Land und Haus!
Eh’ sie die Stadt erreichen,
Die alle andern floh’n,
Geruch von weitem schon.
Man warnt, man rät zu bleiben;
Vergebens! Ohne Ruh’
Und unaufhaltsam treiben
Spät abends fuhr der Wagen
Ins Isarthor herein:
Wie ausgestorben lagen
Die hohen Häuserreih’n,
Die sonst so lärmend sind;
Aus schwarzen Wolkenmassen
Blies seufzerschwer der Wind.
Der Sohn hat kaum die Alte
So eilt er in die kalte,
Die todesschwangre Nacht;
Er kann nicht eher schlafen,
Zur Ruh’ nicht eher geh’n,
Das Schauspielhaus, geseh’n.
Und als es hoch und helle
Im Mondlicht vor ihm stand,
Da küsste er die Schwelle,
Und rief, die Händ’ erhoben,
Durch Thränen vor sich hin:
»Ich danke dir da droben,
Dass ich am Ziele bin!«
Erkrankt am Morgen drauf
Und abends – fortgenommem:
Gewöhnlicher Verlauf!
An ihres Sohnes Bahre
Mit wirrem, weissem Haare
Die Alte ganz allein!
Ein Wunder ist’s, zu schauen,
Wie sich mit voller Kraft
Urplötzlich aufgerafft,
Wie sie, gestützt am Stabe
Und mehr noch am Gebet,
Von ihres Einz’gen Grabe
Sie lebt noch heutzutage,
Wenn das ein Leben heisst:
Ein Leiden ohne Klage,
Ein Schatten ohne Geist!
Ob’s Eis, ob Blüten schneit,
Im Kirchhof ihr begegnen
Kannst du zu jeder Zeit.
Sie hält in ihrem Schosse
Das Siegel drauf, das grosse,
Das schwarze, zeigt sie dir
Und spricht mit Stolz: »Ich sitze
Hier nicht als Bettlerin;
Der Hofschauspieler, drin!