Textdaten
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Autor: R. Elcho
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Titel: Mr. Slade, das Schreibmedium
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 793–796
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe Slade’s Ehrenrettung
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[793]
Mr. Slade, das Schreibmedium.
Eine spiritistische Studie von R. Elcho.


„Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,
Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“

In diesen Hamletspruch ließ sich der Inhalt eines Schreibens zusammenfassen, welches jüngst Herr L., ein Berliner Spiritualist, an den Herausgeber der „Gartenlaube“ richtete. Herr L. sprach darin sein Befremden aus, daß man den Spiritualismus, welcher in andern Ländern „zu einer Macht geworden sei“, hier in Deutschland nicht einmal ernsthaft nehme. Er betheuerte, daß „diese geistige Strömung wohl im Stande sein werde, das System der Materialisten wie ein Kartenhaus zusammen zu werfen,“ und schloß mit der Erklärung, jetzt sei der Augenblick nahe, wo sich Jeder von der eminenten Bedeutung der großen Geistesbewegung überführen könne, denn Mr. Slade, das hervorragendste amerikanische Schreibmedium werde nach Berlin kommen und Geister citiren. Herr L. bat um ernste Prüfung der Slade'schen Communicationen und gewissenhafte Berichterstattung.

Der Herausgeber dieses Blattes zögerte keinen Augenblick, einer solchen Bitte gerecht zu werden, und mir wurde die interessante Mission zu Theil, mich den Geistern zu stellen.

Um mich mit dem Spiritualisten vorerst in Verbindung zu setzen, begab ich mich auf das Geschäftsbureau des Herrn L. Derselbe war persönlich nicht anwesend, allein ohne es zu wollen, wurde ich Zeuge einer leise geführten Unterredung, welche mir verrieth, daß Herr L. geschäftlich bei dem spiritistischen Unternehmen interessirt sei. Der Mann, welcher eine gerechte Beurtheilung im Namen der Menschheit forderte, hatte für das amerikanische Medium und seine drei Begleiter die nöthigen Hôtelzimmer gemiethet und traf weitere Vorbereitungen für die Inscenesetzung der spiritistischen Operationen.

Ohne Herrn L. gesprochen zu haben, kehrte ich nach Hause zurück. Am nächsten Morgen trat ein würdig aussehender Herr mit greisem Haar und Bart in mein Arbeitszimmer; er war der Vertheidiger der spiritistischen Glaubenslehre.

Herr L., früher, soviel wir wissen, Buchhändler, jetzt Techniker, hat viele Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und dort das Wesen des Spiritualismus ergründet. Er übernahm es sofort, mich in die Entstehungsgeschichte und die geheimnißvollen Manifestationen desselben einzuweihen.

Drei Schwestern, welche den bezeichnenden Namen Fox führten und in einer kleinen Stadt Neu-Englands lebten, riefen die Bewegung durch Entdeckung eines Klopfgeistes hervor. Es war – ganz wie im deutschen Volksmärchen – der Geist eines Ermordeten, der da pochte, weil seine Seele nicht Ruhe fand, ehe sein Mörder der irdischen Justiz übergeben worden.

Es ist das Verdienst der Fox’schen Schwestern, jenem Klopfgeist die ewige Ruhe und der Welt ein telegraphisches System verschafft zu haben, durch welches sich das Geisterpochen in Worte übertragen ließ. Die älteste dieser erfindungsreichen Schwestern steht heute in England mit an der Spitze der spiritistischen Bewegung und zwar als ein ausgezeichnetes Medium für Materialisation.

[794] Es sei mir gestattet, hier an der Hand meines spiritistischen Mentors eine Erklärung des Wesens und Standes des gegenwärtigen Verkehrs mit Geistern einzuschalten.

Um einen Geist aus jenem Lande, von welchem Hamlet fälschlich sagt: „aus dess’ Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“, auf diese Erde zurückzurufen, dazu bedarf es nach dem gegenwärtigen Stand der „spiritistischen Wissenschaft“ eines Mediums. Dieses Medium soll ein besonders sensitives Wesen sein, welches eine starke Aura besitzt, das heißt, eine Art geistigen Fluidums. Diese das Medium umgebende Aura dient nun dem Geist als Brücke, um nach Belieben in die reale Welt zurückkehren zu können. Die Art aber, wie die Geister dann durch die Person des Mediums mit uns Sterblichen verkehren, ist eine grundverschiedene. Die Medien zerfallen in Schreibmedien, Sprechmedien, Heilmedien und Medien für Materialisation.

Das Schreibmedium vermittelt nur die Depeschen des Geistes, dadurch, daß es der Geisterhand eine Tafel und ein Stückchen Griffel präsentirt. Wie Jehova auf die Gesetzestafeln seines Dieners Moses, so schreibt der Geist hier seine Offenbarungen auf die Schiefertafel des Mediums.

Das Sprechmedium macht sich direct zum Organe des Geistes, und was dieser ihm eingiebt, das spricht es im somnambulen Zustande nach.

Das Heilmedium gehört zur Rettungsabtheilung einer wohlmeinenden Geisterwelt. Will ein Geist sich seiner bedienen, so jagt er es durch lebhafte Träume aus dem Schlafe, raunt ihm zu, sich hastig in die Kleider zu werfen und irgend einen bereitstehenden Eisenbahnzug zu besteigen. Das Medium gehorcht blindlings und wird von der rollenden Locomotive über Ströme, Ebenen und durch Bergschluchten geführt. Mit einem Male ruft der Geist ihm zu: „Steige aus!“ Das Medium gehorcht und wandert, von Geisterhand geführt, durch eine fremde Stadt. Endlich sieht es ein matt erleuchtetes Fenster vor sich, betritt ein fremdes Haus und findet einen Kranken, der in den letzten Zügen liegt. Unser Medium rettet den Sterbenden durch Händeauflegen und eilt bei anbrechendem Morgen nach dem Stationsgebäude, um sich ein Retourbillet in die Heimath zu kaufen.

Ich halte diesen Geisterdienst für den aufreibendsten, allein den gefahrvollsten Liebesdienst muthet der Geist dem Medium für Materialisation zu. Dieses leiht nämlich im Stadium völliger Bewußtlosigkeit dem Geiste so viel von seinem Fleische und Blute, daß derselbe im Stande ist, sich eine persönliche Erscheinung zu bilden. Das Medium für Materialisation ist demnach der Körperverleiher der Geisterwelt. Solch ein materialisirter Geist aber ist in hohem Grade lichtscheu; er zeigt sich den Blicken der Sterblichen nur beim matten Scheine einer Magnesiumflamme. Allen Skeptikern sollte dieser Geist ein Noli me tangere! zurufen; denn die schaudervollsten Erfahrungen belehren uns, daß er nicht angetastet werden darf. Böse Zweifler versuchten es bisweilen, die Geistererscheinung zu umfassen; jene entschwand wie zerrinnender Nebel, das arme Medium aber fand man nachher in seinem Blute schwimmend. Die Erklärung für diese entsetzliche Erscheinung liegt auf der Hand. Der Geist wurde verscheucht, ehe er Zeit gewann, seinem Medium die erborgte Materie zurückzustellen.

Diesen Mittheilungen meines spiritistischen Mentors folgte sein Bekenntniß, wie er gläubig wurde. Herr L. befand sich auf einer Geschäftsreise in Boston, als ihm seine in Deutschland weilende Gattin die kurzgefaßte Nachricht sandte: „Unser Sohn wurde auf der Jagd erschossen. Ausführliche Mittheilungen folgen, sobald ich meine Fassung wiedergewonnen.“

Der tiefgebeugte Vater ging sofort zu einem Medium und ließ den Geist des Sohnes citiren. Dieser kam, erzählte sein trauriges Schicksal in der genauesten Weise und flehte den Vater an, er möge es doch ja hindern, daß seine Mutter nicht gegen seinen Jagdgefährten klagbar werde, den man fälschlich in den Verdacht bringe, ihn ermordet zu haben. L. versprach dies und bat den Geist seines Sohnes, er möge ihm doch seine Photographie hinterlassen. Und der Sohn sprach: „Geh’ hin zum Geisterphotographen Mumel in Boston! Der mag mich zum letzten Male photographiren.“

Mumel versuchte das gewünschte Experiment dreimal, und beim dritten Male sah man auf der Platte das Bild des Vaters, hinter demselben aber die Erscheinung des Sohnes, welcher seine Geisterhände um den Hals des Vaters schlang.

Als ich meiner Verwunderung über die Einmischung der Geister in eine rein technische Manipulation den bescheidensten Ausdruck gab, wartete mir Herr L. noch mit einem weit überraschenderen Geisterexperiment auf.

Mr. Child, das längst dahingeschiedene Haupt der Spiritistengemeinde zu Philadelphia, verkehrte als Chemiker mit Vorliebe in den Kreisen seiner noch lebenden Fachgenossen. Eines Tages beantwortete sein Geist durch ein Schreibmedium einige wissenschaftliche Fragen, welche ein New-Yorker College im Interesse der organischen Chemie an ihn stellte. Während dies geschah, schrieb Child’s Geisterhand: „Damit Du siehst, daß wir im Jenseits doch ein wenig weiter in der Chemie vorgeschritten sind, als Ihr armen Sterblichen, schreibe ich von nun ab mit rother Kreide.“ Und siehe da, von dem Worte Kreide ab wurde die Schrift roth.

Auch ich mußte vor innerer Lachlust roth geworden sein, allein es gelang mir, meine Fassung zu behaupten. Herr L. schlug sein Geisteralbum auf, welches die Portraits von etwa zweihundert Geistern enthielt. Am weitesten vorgeschritten in der Anfertigung von Geisterphotographien ist der Bostoner Mumel. Bei ihm erscheint das Bild des Geistes wie ein Nebelbild. Es zeigt nur die äußeren Contouren der Erscheinung. Mumel’s Geister legen mit Vorliebe ihre Hände um das Haupt der Person, welche sich photographiren ließ, um ein Geisterbild zu erhalten.

Die Geister weiblichen Geschlechts erscheinen zumeist in der Gestalt der wahnsinnigen Ophelia. Den Photographien amerikanischer Mediums ist in der Regel ein theatralisch aufgeputzter Indianer als Geist mitgegeben. Indianer sollen nach spiritischer Erfahrung eine sehr starke Aura besitzen. Eine Dame, welche den Geist Beethoven’s beschwor, erhielt das Bild eines Geistes, den ich eher für Benjamin Franklin halten würde, doch wer weiß, wie sehr sich die Gesichtszüge einer Person im Jenseits verändern können. Eine Photographie Mumel’s machte den rührendsten Eindruck. Eine alte Großmutter hatte die Photographie ihres dahingeschiedenen Enkelkindes verlangt. Mumel ließ die alte Frau während der Aufnahme die Arme öffnen und fertigte ein Bild an, welches die Figur eines Kindes auf dem Schooß der Großmutter zeigt. Die Alte war so gerührt bei der Handlung, daß uns das Bild die Thränen zeigt, welche der gläubigen Frau über die Wangen flossen.

Auch die Frau des ehrlichen Präsidenten Lincoln, welche bekanntlich einmal an Geistesstörung litt, sehen wir auf einer Mumel’schen Geisterphotographie. Hinter der Dame erhebt sich der Schatten Lincoln’s, welcher klar ersichtlich von einem recht schlechten Oelbilde stammt.

Die Geisterdarstellung beschränkt sich aber schon lange nicht mehr auf das Lichtbild; wir haben bereits einen plastischen Zweig dieser Kunst. Der Pariser Spiritist Graf Bullet engagirte ein amerikanisches Medium für Materialisation – sein Name ist Firman – um den intimsten Verkehr mit der Geisterwelt herzustellen. Bullet zahlt seinem Medium einen Jahresgehalt von zwölftausend Franken und dafür liefert ihm dieser Geisterbüsten. Firman drückt den materialisirten Geist mit dem Operkörper in einen Kessel mit weichem Paraffin; das Paraffin erstarrt, während der Geist sich entmaterialisirt, und wir erhalten die genaue Form des Geistes. –

Wenn der Leser bei diesen Mittheilungen sich sagt: „Aber das ist ja alles der haarsträubendste Blödsinn,“ so ergeht es ihm genau so wie mir, allein ich durfte es nicht aussprechen, denn vor mir saß ein Mann, der an all diese Dinge fest zu glauben schien und der mich mit Mr. Slade, dem Schreibmedium, sofort bekannt zu machen versprach, sobald derselbe angekommen sein würde.

Mr. Slade langte am 1. November in Berlin an, allein sonderbarer Weise blieb bei mir die Einladung seitens des Herrn L. aus. Es verstrich der zweite, dritte und vierte Tag des Monats, ohne daß mein Cicerone zur Geisterwelt von sich hören ließ. Jetzt fiel mir etwas ein, was mich besorgt machte. Am Tage, da Herr L. mir sein Album brachte, behandelte mich derselbe höchst zutraulich, bis ich ihn fragte, ob ich das Album meiner im Schlafzimmer befindlichen Frau zeigen dürfe. Als ich

[795] zurückkehrte, schien Herr L. sichtlich verstimmt und erkältet zu sein und nahm in hastiger Weise seinen Abschied. Jetzt entsann ich mich, daß ich auf der Schwelle des Schlafzimmers meine Frau, welche den Namen Anna trug, mit dem traulicheren Hans angeredet hatte. Vielleicht argwöhnte Herr L., ich halte einen Mann im Nebenzimmer versteckt und es werde ein Complot gegen das spiritistische Unternehmen geplant.

Wie dem nun sei, ich war entschlossen, ein Wort mit diesem Geistermedium zu sprechen und fuhr direct nach dem Hôtel des Mr. Slade, das ich von Potsdamer Spiritisten umlagert fand. Herr L. befand sich im Allerheiligsten, und ich wurde im Conversationszimmer zuvörderst von den Begleitern des Mediums, zwei schönen jungen Damen und Herrn Simmons, empfangen. Die Damen lasen, wie es schien, eine interessante Novelle, und Herr Simmons verwickelte mich in ein Gespräch, wobei es mir nicht entging, daß die vier Augen der amerikanischen Schönen mich mit Aufmerksamkeit musterten. Später traten Herr L. und das Medium ein. Der Erstere schien bei meinem Anblick sehr betreten zu sein; vielleicht dachte er bei sich: „Den Geist der ‚Gartenlaube‘, den ich rief, ich werd’ ihn nicht mehr los.“ Als er endlich einige Worte der Begrüßung hervorbrachte, sah ich, wie das Medium rasch mit seiner Schwester Blicke austauschte. Letztere neigte dabei kaum merklich den Kopf. Die graziöse Dame hielt mich für ungefährlich, und ihr Bruder war sofort geneigt, mir eine Sitzung zu bewilligen. Vorerst gab Herr L. betreffs seines fragwürdigen Schweigens die unzulängliche Erklärung ab, Mr. Slade habe auf der Reise von Kopenhagen nach dem deutschen Hafen sehr an der Seekrankheit gelitten und seine Aura sei in den ersten Tagen zu schwach gewesen. „Seltsam!“ erwiderte ich, „sie war doch stark genug, um dem Redacteur der ‚Germania‘ einige Geister vorzuführen.“

Der Eintritt des Leipziger Spiritisten Dr. W.(ittich) und des Präsidenten des Potsdamer Spiritistenclubs schnitt unsere Unterhaltung kurz ab. Mr. Slade erklärte sich bereit, mir und Dr. W. eine Geistersitzung bewilligen zu wollen, und führte uns in sein Schlafgemach. Hier stand ein einfacher Spieltisch mitten im Zimmer. Auf diesen Tisch, der oben und unten eine glatte Fläche zeigte, stellte er eine Kerze und hieß uns Platz nehmen. Hierbei bestand er darauf, daß ich an seiner Seite sitzen solle.

Bevor Mr. Slade die Geister rief, hielt er mir einen kleinen Speech, worin er sich als Märtyrer einer guten Sache erklärte, an welche er so fest glaube, wie an das Dasein Gottes. Er versprach auszuharren bis an’s Ende und zu dulden für seine spiritistische Mission.

Während dieser Vorrede hatte ich Zeit, den Mann genau zu mustern. Es ist eine höchst interessante Männererscheinung. Man denke sich auf einer mittelgroßen, erstaunlich breit ausgelegten Figur einen feingeschnittenen Kopf mit krausem Haar und langem, vollem Schnurrbart. Das Gesicht zeigt eine geisterhafte Blässe, und mit dieser contrastirt seltsam ein von kühn gezogenen Brauen überwölbtes, sanftes, glänzendes Augenpaar. Der Mann hatte die bescheidene Sprache und das naive Lächeln eines Kindes, und auch damit stand die herculische Gestalt in Widerspruch, wie die energische Form des Kopfes.

Mr. Slade rief den Geist und dieser zeigte durch dreimaliges Klopfen gegen den Fuß des Tisches an, daß er zu sprechen sei. Hierauf hielt Mr. Slade eine einfache Schiefertafel mit Holzrand, auf welche er ein ganz winziges Stückchen Griffel legte, unter die Tischplatte und die Geisterhand begann aus freier Initiative zu schreiben. Man hörte deutlich das Kratzen des Griffels, nichts war unter der Tafel, als die Hand des Mediums, nichts über ihr, als die Tischplatte. Mit flüchtiger Schrift stand auf der Tafel: „I will answer“ („Ich will antworten“). Hierauf hielten wir alle Drei die Tafel, welche Mr. Slade, während eines eifrigen Gesprächs, mit einer zweiten bedeckte, frei in die Luft und der von Geisterhand bewegte Griffel schrieb lange; er beschrieb die ganze Tafel. Hierbei war es seltsam, daß das Schreiben aufhörte, sobald das Medium seine Hand von der Tafel wegzog. Als wir die obere Tafel entfernten, war die ganze Seite mit Sätzen in deutscher, dänischer und französischer Schrift bedeckt.

Dr. W. gerieth bei diesem Anblicke in Ekstase, und das Medium begann allerlei Geisterspuk zu produciren; bald betastete er den Oberschenkel meines linken Beines, bald ließ er die Tafel unter dem Tische herumfahren, bald gab er dem Stuhle einen Tritt, auf welchem er Geisterhände zu sehen vorgab. Während mein deutscher Nachbar darüber in eine Art Verzückung gerieth, las ich die spiritistischen Mittheilungen; sie lauteten: „Wir finden, was wir suchen. Der geschickteste Mann wird gelobt und der Ungerechte getadelt.“ Ein zweiter Spruch lautete: „Und Jesus antwortete ihnen: der Gott, den Ihr glaubet, ist der, welcher mich gesandt hat.“

„Mr. Slade,“ sagte ich, „es braucht kein Geist vom Grabe herzukommen, um solche längst bekannte Sentenzen und Bibelsprüche niederzuschreiben. Weiß Ihr Geist nichts Besseres, so kann er schlafen gehen, weiß er aber mehr als wir, so antworte er mir auf die einfache Frage: Lebt meine Schwester?“

Hierauf erwiderte das Medium mit unbefangenem Lächeln: „Ich bin nur ein einfacher Zuschauer, und es hängt vom Geiste ab, ob er antworten will. Versuchen wir's!“

Diesmal legte wir Slade die Tafel auf den Kopf und der Griffel schrieb: „I can't inform You now“ („Ich kann Ihnen jetzt keine Mittheilung machen“).

„Kann er uns nicht jetzt darüber unterrichten,“ sagte ich lächelnd, „so wird er es später auch nicht können.“ – Wieder schrieb der Geist, und diesmal schützte er Müdigkeit vor. Mr. Slade erklärte, der Geist wolle noch den Tisch rücken. Wir legten die Hände auf, und der Tisch hob sich einen halben Fuß von der Erde. Ich erkannte hieraus, welch ein bärenstarker Mann dieses Medium war, denn während er mich ersuchte, meine Füße auf seinen rechten Fuß zu stellen, hob er den Tisch mit dem linken.

Als ich in das Conversationszimmer zurücktrat, hatte sich die Gesellschaft vermehrt, und ich hörte nur Ausrufe, wie: „Phänomenal! Wunderbar! Nun sollen uns die Materialisten, wie Helmholtz und Virchow, nur kommen!“ Die mit Bibelsprüchen bedeckte Tafel wurde sofort mit Glas eingerahmt.

Ich reichte Mr. Slade die Hand, welche dieser zärtlich mit seinen Händen umschloß. Diese Hände des Mediums oder vielmehr seine seltsamen langen Finger machten mich stutzig.

Auf dem Nachhausewege wurde es mir klar, daß das Schreiben der Geister ein ganz artiges und mit staunenswerthem Geschick ausgeführtes Taschenspielerkunststückchen sei. Ich ahnte die Lösung, allein ich mußte vollkommene Gewißheit haben.

Zu dem Ende schmiedete ich ein Complot. Meine Frau, die ein scharfes Auge besitzt, begab sich in Begleitung des Schauspielers Julius Ascher, welcher, wie kaum ein Anderer, den Naiven zu spielen vermag, und mit der Gattin desselben zum Medium, stellte sich als trauernde Wittwe vor und bat um eine Sitzung; dieselbe wurde sofort gewährt, und die beiden Frauen stellten bis zur Evidenz die geschickte Manipulation des Schreibmediums fest.

Das ganze Geheimniß beruht auf folgender Täuschung. Die kurzen, in flüchtigen Zügen hingeworfenen Antworten des Geistes schreibt Slade selbst, die vollbeschriebene Seite der Tafel, welche wir frei in der Hand halten, ist vorher beschrieben. Die letztere Schrift ist correct und sehr sauber, dabei in verschiedenen Sprachen gehalten. Die kurzen Sätze sind flüchtig, quer geschrieben und immer in englischer Sprache abgefaßt.

Wie aber schreibt Slade diese wenigen Worte? Mir fiel sofort auf, daß wir das Geräusch des Schreibens nur hörten, wenn der breite Daumen des Mediums sich auf dem obern Rand der Tafel befand, und daß Slade dem Geiste ein so winziges Griffelstückchen mit den Zähnen abbiß. Nun, der schlaue und geschickte Yankee schreibt die wenigen Worte mit dem langen Mittelfinger seiner Hand, wobei das Griffelstückchen in den langen Nagel gepreßt ist. Es gehört dazu eine große Gewandtheit und Uebung, die sich eben Slade zu eigen machte. Meine Frau beobachtete genau das, was ich sah, daß sich die Muskeln des Armes bewegten, so lange Slade schrieb.

Nun wird man einwenden: Ist denn bei der vollbeschriebenen Tafel das Geräusch etwa nicht hörbar, welches ein schreibender Griffel verursacht? Allerdings und dieses Geräusch bringt er mit dem Fingernagel hervor. Meine Alliirten sahen auf der Tischplatte den Schatten des sich bewegenden Fingers. Als der schlaue Yankee merkte, daß dieser ihn verrathe, zog er seine weite Manschette vor. Um sicher zu erfahren, ob die beschriebene Tafel [796] schon vorher beschrieben gewesen sei oder nicht, ersuchte ihn meine Frau dringend, er möge den Geist auch die andere Seite der Tafel in derselben Lage beschreiben lassen. Was aber gab das Medium zur Antwort? Der Geist sei müde und gehe niemals auf ein unbilliges Verlangen ein. Wie täuschend sich aber das Geräusch eines schreibenden Griffels durch Nagelstriche copiren läßt, davon kann sich jeder Leser selbst überzeugen. Eine Anfrage meiner Frau, ob sie ihren verlorenen Gatten, der leider einen gottlosen Lebenswandel geführt habe, im Himmel oder in der Hölle zu suchen habe, beantwortete der Geist mit der Phrase; „You meet him in a better land“ („Sie treffen ihn in einem bessern Lande“). Mündlich setzte das Medium noch hinzu: „Ihre schlimmen Tage sind jetzt vorüber, Madame; der liebe Gott wird Sie noch mit einem liebenswürdigen zweiten Gatten beglücken.“

Für diesen Trost und die Schreibkunststückchen des langen Fingers ließ sich Mr. Slade von meinen Alliirten dreißig Mark zahlen, eine Summe, welche meiner Frau gering erschien für das Vergnügen, ein Taschenspielerkunststückchen enthüllt zu haben, zu welchem seit einem Jahrzehnt amerikanische, englische und dänische Gelehrte vergeblich den Schlüssel suchten. Und mit solchen Künsten glaubt man hier in Deutschland einen gemeinen Schwindel in Scene setzen zu können, aus welchem schwache Gemüther den Glauben an Geisteroffenbarungen herleiten sollen!

Der Agent des Taschenspielers Slade, Herr L., forderte eine ernste Behandlung des Gegenstandes, und er hat Recht: die Sache ist ganz verteufelt ernst. In einer Zeit, wo man stigmatisirte Jungfern und Madonnenerscheinungen auf Pflaumenbäumen hat, in einer Zeit, wo der Berliner Prediger Bimstein in Sommer’s Salon Hunderten von gläubigen Gemüthern versichert, die Wiederkehr Christi auf diese schnöde Erde müsse in nächster Zeit erfolgen – er weiß nur noch nicht, ob diese per Ballon oder Passagedampfer erfolgt – in einer solchen Zeit bedarf es nur noch des Spiritisten-Humbugs, und wir stehen wieder an der Grenze des Hexenglaubens und nicht allzuweit von den Hexenprocessen. Und man glaube ja nicht, daß dieser Schwindel bei uns keinen Boden finde! Das Hôtel, in welchem Slade abstieg, wird von Gläubigen belagert. Personen aus den besten Gesellschaftskreisen zahlen mit Vergnügen ihr Goldstück, um sich durch ein Taschenspielerkunststückchen betrügen zu lassen. Wer aber die verzückten Ausrufe der Betrogenen hört, der muß sich sagen: „Es giebt mehr Narrheit zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.“