Moritz August von Bethmann-Hollweg

Textdaten
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Titel: Moritz August von Bethmann-Hollweg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 297–300
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bethmann-Hollweg.

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Moritz August von Bethmann- Hollweg.
(Mit Portrait.)

Durch körperliche Leiden behindert, die Zügel der Regierung weiter zu führen, übertrug König Friedrich Wilhelm IV. seinem Bruder, dem Prinzen von Preußen, am 23. October 1857 die einstweilige Stellvertretung; und als die erwünschte Besserung nicht eintrat, als fortdauernd eine düstere Wolke seinen Geist umlagerte, übernahm kraft der Verfassung des Landes, wie in Folge eines königlichen Erlasses vom 7. October 1858 der stellvertretende Prinz als nächster Agnat die Regentschaft mit königlicher Machtvollkommenheit, mit der „alleinigen Verantwortlichkeit vor Gott“. Eine kleine, aber mächtige Partei ausgenommen, welcher der Staat ganz und gar in die Hände gefallen und deren Autorität der Oberkirchenrath Stahl war, ging eine schwere, jedem Einsichtigen, jedem wahrhaften Patrioten die höchste Besorgniß erregende Verstimmung durch die Nation, eine Verstimmung, die diesmal beim Wechsel der Regenten nicht sofort wich. Wir können es heute, wo die Dinge doch schon anders stehen, getrost sagen: Die Nation erwartete nichts sogleich zu ihrem Frommen, und einzelnen Hoffnungslustigen rief man: Abwarten! entgegen. Ebenso lautete und lautet noch jetzt die Parole derjenigen Partei, welche eher fürchten als hoffen durfte. Nur eine zweite kleine politische Genossenschaft, die sogenannten Gothaer Constitutionellen, von denen ein bekanntes Mitglied des Abgeordnetenhauses zu Berlin im Nvbr. 1848 gesagt halte: „Mit dem Ministerium Manteuffel muß man durch Dick und Dünn gehen,“ vermochte ihre Natur auch diesmal nicht zu verleugnen: freudetrunken begrüßte sie ohne factischen Anhalt den Wechsel und quittirte die alte Freundschaft völlig. Aber die erste That des Prinz-Regenten, die „glückliche Beseitigung“ des Ministeriums Manteuffel, die damit verbundene Neubildung des Cabinets erweckte im ganzen preußischen Volke ungemeines Wohlgefühl, und die nun erwachte Hoffnung, von seinen Wunden geheilt, in den Besitz der ihm verfassungsmäßig gebührenden Rechte gesetzt zu werden und zu einem gesunden, naturgemäßen Fortschritte zu gelangen, diese Hoffnung ist seitdem nicht getäuscht worden. Der Platzregen, den Herr Leo nach dem Morgenrothe als unvermeidlich prophezeihte, hat die der Kräftigung bedürftigen Glieder des Volkes noch nicht durchweicht, der Jubel der Constitutionellen ist fürder kein Verrennen in Knechtschaft, ja noch mehr, das Programm der Demokratie, wie es ein Führer der Preußischen Volkspartei, Johann Jacoby, kürzlich öffentlich darlegte, ist der Bewahrheitung wenigstens etwas näher gerückt, als es zur Zeit irgend Jemand erwartete. Trotz alledem ist noch viel, sehr viel zu thun, und in das unbedingte Jubelgeschrei, das einige preußische Blätter ausgestoßen, können wir vorläufig nicht einstimmen. Aber rühmend hervorheben müssen wir, daß alles Gute, was bis jetzt das neue Ministerium geschaffen, freiwillig von diesem gegeben wurde, nicht gedrängt oder abgenöthigt von Zeitereignissen oder Kammerdebatten.

Von den neuberufenen Mitgliedern des Ministeriums waren Alle, bis auf den Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen, ihrem politischen Charakter nach hinlänglich bekannt. Daß durch ihr bloßes Eintreten schon der Bruch mit der radikalen Reaction angekündigt wurde, wußte und fühlte Jeder. Allein wie weit sie den Sinn des großen Wortes Vorwärts, welches der Prinz-Regent in richtiger Erkenntniß seiner Zeit und seines Berufes ausgesprochen, ausdehnen, wie weit sie in das Streben der Nation eingehen würden, das unterlag anfänglich allgemeinem Zweifel. Der Cultusminister vornehmlich war es, welchem man von Seiten der Menge, in Würdigung seiner bisherigen Thätigkeit auf kirchlichem Gebiete, mit den bescheidensten Erwartungen nahte, wozu die Auslassungen über ihn in den letzten sogenannten conservativen Wahlvorversammlungen wesentlich beitrugen. Und gerade er hat seitdem eine That verrichtet, wie sich derselben kein anderer deutscher Minister rühmen darf, eine That verrichtet, die den Staatsmann zum Volksmanne – was er auch sein soll – gemacht hat; gerade er hat die Gelegenheit ergriffen, sich ein Ehrendenkmal zu setzen, das seinen Namen im Gedächtniß des Volkes verewigen wird: es ist, wie männiglich bekannt, Herr von Bethmann-Hollweg, in dessen Vergangenheit wir hier nur einen Blick thun.

Unter den glänzendsten Verhältnissen am 10. April 1795 zu Frankfurt a. M. geboren – sein Vater ist Johann Jakob Hollweg, der sich durch Verschwägerung und Associirung mit dem Banquier Bethmann dessen Namen beizulegen Veranlassung fand –, standen ihm alle Mittel zu einer vollkommenen, von jedweder subsistentiellen Rücksicht unabhängigen geistigen Ausbildung zu Gebote, welche bis zu seinem Eintritt in das Frankfurter Gymnasium der berühmte Karl Ritter leitete, der ihn auch auf Reisen begleitete und noch beim Uebergange zur Universität Göttingen, 1813, ihm zur Seite blieb. Das Studium der Jurisprudenz wählend, hat Savigny, dessen Schüler er 1815 zu Berlin ward, wohl den meisten Einfluß auf ihn ausgeübt. Von diesem dazu bestimmt ließ er sich, nachdem er im Jahre vorher in Göttingen promovirt, 1819 in Berlin als Docent nieder und rückte 1823 zum ordentlichen Professor auf. In diese Zeit seiner akademischen Wirksamkeit fällt die Veröffentlichung seiner Schrift: „Gerichtsverfassung und Proceß des sinkenden römischen Reiches“, die zu Bonn 1827, in demselben Jahre erschien, in welchem ihm die Berliner Universität das Rectorat übertrug, und seine Betheiligung (seit 1832) an der Herausgabe des Rheinischen Museums. Mehrere den Civilproceß betreffende Schriften sind nicht von der Bedeutung der eben und weiter unten erwähnten. Im Jahre 1829 vertauschte er die Berliner Professur mit einer zu Bonn, welche er bis 1842 bekleidete, worauf er, 1849 geadelt, den Rang eines geheimen Oberregierungsrathes und das Curatorium der letztgenannten Universität erhielt, das er bis 1845 verwaltete. Alsdann dem Staatsrathe beigesellt, schließt sich hiermit eine Periode seines Lebens und Wirkens ab.

In religiösen Dingen von jeher aus reiner Ueberzeugung der orthodoxen Richtung angehörig, verfolgte er jetzt mit vorwiegendem Interesse die seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. besonders lebhaften Bewegungen auf kirchlichem Gebiete, und so sehen wir ihn 1846 auf der evangelischen Generalsynode zu Berlin und von da ab auf einer Reihe an verschiedenen Orten tagender Kirchenversammlungen, zum Theil als deren Vorsitzenden. Wie in einer nicht zu verkennenden Hinneigung zu mittelalterlicher Romantik [299] hatte er auch in einer gewissen Vorliebe für den sogenannten christlichen Staat nahe Berührungspunkte mit den Gedanken und Intentionen des Königs. Allein dieser seiner Vorliebe, seinem strenggläubigen Sinne hafteten niemals, wie bei den Zionswächtern der Kreuzzeitung, hyperbolische Auswüchse an, waren eine auf Geistesverfinsterung, Gewissensdruck, auf Knechtung unter den Buchstaben gerichtete Tendenz, widriger Zelotismus und egoistische Unduldsamkeit von jeher fremd. Niemals von Haß gegen die freien Bewegungen des menschlichen Geistes beseelt, hat er in Streben nach einem echt evangelischen Wesen, das Aufklärung und Bildung nicht ausschließt, besser wie die Meisten derer, welche sich rühmten, mit ihm in gleicher Phalanx zu kämpfen, die protestantischen Bewegungen, den welthistorischen Act der Bildung des Deutschkatholicismus gewürdigt, ihnen gleich damals eine gewisse Berechtigung nicht abgestritten und keinen Augenblick die kirchlichen Maßregeln des Ministeriums Eichhorn gebilligt, welche die Erstehung der freien Gemeinden zeitigten. Was der Justizminister von Mühler am 30. März 1840 bezüglich des Verfahrens gegen die Altlutheraner äußerte, daß man sich in Religionsangelegenheiten aller Gewaltthätigkeiten enthalten müsse und der Staat lediglich durch Belehrung, Bestellung würdiger Geistlicher und Förderung der Sittlichkeit auf die religiösen Ansichten des Volkes wirken dürfe, das war auch Bethmann-Hollweg’s Bekenntniß, bevor es in Preußen eine Verfassung und einen §. 12 darin gab.

Die ministerielle Auflehnung gegen Fortschritt in Glaubenssachen, gegen die Bethätigung selbstständiger Vernunft auf religiösem Gebiet hat die Ereignisse des März 1848 mit erzeugen helfen. Die innere Neugestaltung des preußischen Staats aber gab Bethmann-Hollweg Gelegenheit, sich noch von einer dritten Seite her, auf dem Felde der Politik zu zeigen, da man schwerlich schon seine Schrift über den „Ursprung der lombardischen Städtefreiheit“ (Bonn 1846) dahin mit rechnen wird. Er gelangte 1849 in die erste, 1852 in die zweite Kammer. Hier bildete er eine besondere Fraction, das rechte Centrum, und trat in Opposition zu dem Ministerium Manteuffel. Vornehmlich stritt er gegen die der Würde und Macht des preußischen Staats so ganz unangemessene auswärtige Politik, gegen das Junkerthum mit seinen autokratischen Gelüsten, den Stahl’schen Pharisäismus, gegen die schwertbewaffnete Autorität der Kirche, wie gegen das Uebermaß polizeilich-büreaukratischer Gewalt. Zum Verständniß seiner Fraction, zur Verbreitung und größeren Geltendmachung seines politischen Strebens gründete oder protegirte er ein eigenes Organ, das „Preußische Wochenblatt“, worin er Anerkennung der Verfassung, Selbstregierung der Gemeinden, Parität aller Religionsbekenntnisse, Selbstverwaltung der katholischen und protestantischen Kirche als leitender Hauptgrundsätze für die innere Politik der Monarchie verfocht, in Betreff der äußeren eine kräftige und vernünftige Machtstellung mit Beachtung der Bundesverfassung von 1815 anstrebte.

Der „glücklich beseitigte“ Minister des Innern, Herr von Westphalen, der mit der Einführung der „discretionairen Polizeigewalt“ das preußische Volk mit einem Stück französischer Präfectenwirthschaft beschenkte, erachtete jedoch selbst die so sehr gemäßigte und umschränkte Opposition des dermaligen Cultusministers mit seinem System für unverträglich, und bei den nächsten Wahlen traf er die Veranstaltung, daß Herr von Bethmann-Hollweg nicht wieder in der Kammer erscheinen konnte. Gänzlich aber vermochte man ihn nicht vom politischen Schauplatz zu verdrängen, nach wie vor gab er auf diesem, wie auf dem kirchlichen, Lebenszeichen, dabei der Pflege seiner reichen Besitzungen in der Rheinprovinz, wie seinem Hange zur antiquarischen Kunst obliegend, für deren Verständniß unter andern das ihm gehörige, durch ihn restaurirte, erweiterte und künstlerisch verschönerte Bergschloß Rheineck einen herrlichen Beweis liefert. Erst durch die höchste Berufung vom 6. November v. J. erschien er wieder im Abgeordnetenhause, diesmal aber, in seinem Werthe an maßgebender Stelle längst erkannt, am Ministertisch, im Besitz des wichtigen Portefeuilles der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, und im Hinblick auf eine neue Schaar von Deputirten, welche allen heilsamen Bestrebungen der vom Prinz-Regenten verordneten Regierung von vornherein wirksamen Beistand verhieß.

Vorauszusehen war, daß die aus wirklichen Volkswahlen hervorgegangene Kammer mit Beschwerden und Petitionen in reichlichem Maße bedacht werden würde. Von den bisher bekannt gewordenen sind die erheblichsten die der Dissidentengemeinden, welche gesetzliche Regelung ihrer Angelegenheiten, Schutz des verfassungsmäßigen Rechts auf freie Religionsübung begehrten. Wer die Zeitungen der verwichenen zehn Jahre aufmerksam gelesen, die Geschichte dieser Zeit nur einigermaßen im Gedächtniß hat, wer Walesrode’s „Politische Todtenschau“ und Uhlich’s „Dissidentische Denkschrift“ kennt, der weiß, unter welchem Verfolgungssystem die freien Gemeinden und ihre Führer seufzten. In der achtzehnten Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. Februar d. J. erfolgte die Berathung über die Petitionen der Dissidenten zu Königsberg, Tilsit und Berlin, und es wurde von der betreffenden Commission beantragt, jene dem Staatsministerium zur Berücksichtigung und in der Erwartung zu überweisen, daß baldigst eine gesetzliche Regelung der Verhältnisse der Dissidentengemeinden im Geist der Artikel 12–16 der Verfassung herbeigeführt werde. Der Minister des Innern, Flottwell, nahm zunächst das Wort, um anzuzeigen, daß den Beschwerden der Petenten im Wesentlichen schon abgeholfen, daß gänzliche Beseitigung des Vereinsgesetzes vom 11. März 1850 nicht stattfinden könne, die Behörden aber auf’s Strengste angewiesen seien, ihre Beaufsichtigung auf das allergeringste Maß zurückzuführen, sich dabei auf die bescheidenste Weise zu betragen, um nicht religiöse Gefühle zu verletzen, daß fortan keine Gensd’armen mehr störend in die Versammlung eingreifen dürften, und ihnen jede Auflösung einer Versammlung untersagt wäre. Nachdem noch der Justizminister Simons einige Worte gesprochen, erhob sich Bethmann-Hollweg und sprach:

„Von dem Standpunkte meines Ministeriums kann ich den Wegfall aller ferneren einschränkenden polizeilichen Maßregeln gegen harmlose religiöse Versammlungen, welcher religiösen Richtung sie auch angehören mögen, nur herzlich willkommen heißen. (Bravo!)

„Denn solche Maßregeln tragen mehr oder weniger den Charakter religiöser Verfolgung an sich und sind weder der Wille des Staates, noch den preußischen Traditionen, noch unserer Verfassung gemäß (Bravo!), ja sie sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, noch viel weniger im Interesse der beiden großen religiösen Gesellschaften, in welche sich unser Volk theilt. Es wäre ein Armuthszeugniß, das diese großen kirchlichen Gemeinschaften sich selbst ausstellten (Bravo!), wenn sie durch solche Mittel sich erhalten zu können glaubten; es wäre ein Widerspruch mit dem ihnen innewohnenden Princip, mit dem Christenthum. Das Christenthum hat durch freie Ueberzeugung die Welt überwunden und wird ferner durch diese geistigen Waffen sich behaupten und sich Bahn brechen.

„Wenn auf diese Weise den dissidentischen Gemeinden die freieste Entwickelung gewährt ist, so wird es an ihnen sein, den Beweis des Geistes und der Kraft zu führen, den die Fundamentalwahrheiten des Christenthums im zweiten Jahrtausend ihres Bestehens täglich führen, sich zu consolidiren, namentlich sich mehr zu bestimmen und dadurch die Bürgschaft ihrer Dauer zu gewähren.“

Nachdem der Minister hierauf noch einige Mitteilungen über die Ertheilung von Corporationsrechten gegeben, ging er auf den „allein streitigen und sehr bedenklichen Punkt“, auf den religiösen Unterricht der Jugend über.

„Zwei Rechte,“ fuhr er fort, „nehmen in dieser Beziehung die Dissidenten-Gemeinden in Anspruch, erstens den religiösen Unterricht durch ihre Vorsteher, Redner, Geistliche oder wie man sie nennen will, ertheilen lassen zu dürfen, und zweitens ihre Kinder fern halten zu dürfen von dem religiösen Unterricht in den öffentlichen Schulen. Beides wurde ihnen früher bestritten; man glaubte, ihre Religionslehrer nach früheren gesetzlichen Bestimmungen als Privatlehrer ansehen und einer Prüfung unterwerfen zu müssen. Diese Bestimmung mußte schon in ihrer Ausführung zu Verwickelungen Veranlassung geben, da manche von diesen Religionslehrern früher bereits ein solches Examen bestanden hatten. Nach sorgfältiger Ueberzeugung habe ich, hat die Staatsregierung sich davon überzeugt, daß die Anwendung jener früheren Vorschriften auf den vorliegenden Fall nicht zulässig ist, daß vielmehr der Religionsunterricht der Jugend in den Dissidenten-Gemeinden ein wesentliches Stück der freien Religionsübung bildet, welche nach Artikel 12 der Verfassungs-Urkunde gewährleistet ist (Bravo!), so daß also fortan den Religionslehrern dieser Dissidenten-Gemeinden nichts im Wege steht, diesen Unterricht zu ertheilen. (Bravo!)

„Ebenso sind wir zu der Ueberzeugung gekommen, daß irgend welcher Zwang zur Theilnahme an dem Religionsunterrichte in der öffentlichen Schule nicht stattfinden darf. Eine bekannte Stelle unseres allgemeinen Landrechtes verordnet, daß die Kinder solcher Eltern, die einer anderen Religionspartei angehören, zur Theilnahme an dem öffentlichen Religionsunterrichte nicht genöthigt werden sollen. Man hat früher geglaubt, die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmung auf den vorliegenden Fall ablehnen zu können. Ich bin überzeugt, daß auch hier diese altpreußische Bestimmung Anwendung finden muß, daß man kein Recht hat, die Kinder zu nöthigen, sei es an dem Religionsunterrichte in der Schule, sei es an dem der Geistlichen der Landeskirche Theil zu nehmen. (Bravo!) Vorausgesetzt natürlich – wie es auch das Landrecht ausdrücklich sagt – daß ein anderweitiger Religionsunterricht nachgewiesen ist. Für einen solchen aber muß, wie ich schon vorher gesagt habe, der Religionsunterricht der Geistlichen der Dissidenten gelten. Dies ist nach unserer Ueberzeugung die gesetzliche Lage der Sache, und nach dem Gesetz soll und muß verfahren werden (Bravo!). Daß der Erfolg im Interesse des Staates ein bedenklicher sei, soll hier nicht verschwiegen werden. Die Frage ist von der Regierung auch bestimmt und klar in’s Auge gefaßt worden. Es ergibt sich daraus das sonderbare, fast widersprechende Resultat, daß, während der Staat darauf [300] dringt und dafür sorgt, daß die gesammte Jugend, also namentlich auch die Jugend dieser Dissidenten-Gemeinden, Lesen, Schreiben und Rechnen und was noch sonst zum Elementar-Unterrichte gehört, aus das Sorgfältigste und Beste erlernt, er den Religionsunterricht und die damit so nahe verknüpfte Sittenlehre ganz ignorirt. Welchen Unterricht die Kinder darin erhalten, darum bekümmert er sich gar nicht, so daß also der Fall eintreten kann, daß die zehn Gebote, diese Fundamentalsätze jeder sittlich-bürgerlichen Gemeinschaft: Du sollst nicht stehlen; du sollst nicht tödten; du sollst den Namen deines Gottes nicht mißbrauchen etc. – bei vielen dieser Dissidenten-Gemeinden ist selbst das Bekenntniß des lebendigen persönlichen Gottes sehr in Zweifel gestellt – den Kindern vielleicht niemals vorgehalten werden. Indessen das fällt nicht auf unseren Kopf, sondern auf den Kopf derer, die von Gottes und Rechts wegen die Erziehung dieser Kinder zu leiten haben (lebhaftes Bravo) und die selbst gewissenhaft urtheilen mögen, ob sie den jedenfalls auf mehr als tausendjährigen Grundlagen beruhenden Religionsunterricht der öffentlichen Schule oder den wahrscheinlich nur sehr dürftigen ihrer Religionslehrer ihren Kindern ertheilen lassen wollen. In der That empfiehlt sich aber dieses Resultat nicht blos durch seine Gesetzlichkeit, sondern auch durch seine Zweckmäßigkeit. Ein anderes Verfahren enthält einen inneren Widerspruch. Was kann die Schule ausrichten, wenn sie sich im Kampfe mit der Familie befindet, wenn den Kindern das, was sie in der Schule hören, im Hause als unwahr, als thörichter Aberglaube etc. dargestellt wird? (Sehr wahr!)

„Es ist die große Aufgabe der beiden christlichen Kirchen, wie es ja ihr Bekenntniß sagt, das Verirrte zu suchen, nicht durch Zwangsmaßregeln, sondern auf dem Wege der suchenden Liebe, auf dem Wege der Ueberzeugung, durch Lehre und Beispiel das wieder zu gewinnen, was ihnen verloren war. (Lebhaftes Bravo rechts.)“

Dies ist die That, die wir gerühmt, die seinen Namen verewigen wird! Achtung vor der Verfassung, Gesetzmäßigkeit und wahrhaft christliche Gesinnung sind die charakteristischen Merkmale dieser denkwürdigen Rede, die als ministerielle in Deutschland einzig dasteht.

Wem es endlich beschieden gewesen, in engeren Verkehr mit Herrn von Bethmann-Hollweg zu treten, rühmt von ihm ein humanes, liebreiches Wesen. Er war allezeit bereit, das Verdienst zu ehren, das Gute anzuerkennen und aufzunehmen, von welcher Seite es sich immer darbot, ob er dabei auch auf die größte Principverschiedenheit in den wichtigsten Lebensfragen stieß, und besitzt Geist und Bildung genug, Verdienst und Gutes unter allen Formen und Verhältnissen herauszufinden. Mit vielen seiner Ansichten über Religion und Kirche sind wir nicht einer Ansicht, aber selbst seine Gegner auf diesem Gebiete achten in ihm den Ehrenmann, den Mann des Gesetzes, dessen durch und durch noble Gesinnung ihn stets auf dem geraden, offenen Wege halten wird. Nichts hat ihn im Leben so angewidert, als Doppelzüngigkeit und die Unsittlichkeit der Disharmonie zwischen Thun und Reden. Von seinem enormen Reichthum hat er, so weit es in die Oeffentlichkeit gedrungen, lobenswerthen Gebrauch gemacht. Er hat Kunst und Wissenschaft unterstützt, der Armuth nie seine Hand verschlossen, ja es könnten, wenn es nicht gerade bekannte lebende Personen beträfe, wenn es keine Verletzung des Edelmuths wäre, Beispiele angeführt werden, mit welcher hochherzigen, rührenden Zartheit namhafte Subventionen von ihm ertheilt worden sind.

Freuen wir uns denn, zumal im Rückblick auf die Vergangenheit, dieses Mannes!