Ludwig Napoleon als „Befreier“ Italiens

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Titel: Ludwig Napoleon als „Befreier“ Italiens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 300–303
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ludwig Napoleon als „Befreier“ Italiens
und die Briefe Orsini’s und Mazzini’s.

Der Napoleonide, unter dessen unumschränkte Gewalt seit nun acht Jahren die Franzosen gebeugt sind, hat einen europäischen Krieg begonnen; er, der für seinen Willen keine Schranken anerkannte und einen vollendeten Despotismus eingeführt hat, gibt sich für einen „Befreier“ der Völker und für einen Beförderer der „Civilisation“ aus. Eine dreistere Behauptung hat die Weltgeschichte nicht aufzuweisen.

Jeder Mensch, der auch nur noch einen Schatten seiner fünf Sinne besitzt, wußte und konnte von Anfang an wissen, daß das Treiben der Abenteurer in Frankreich über kurz oder lang einen europäischen Krieg hervorrufen werde. Dieser Napoleonide mußte den Krieg haben, wenn er seine Herrschaft über die Franzosen befestigen wollte. Der Kundige weiß aus der Geschichte, daß Männer der Staatsstreiche, Usurpatoren, die eine neue Dynastie bilden wollen, ohne Krieg niemals diesen Zweck erreichen können, und zu Gunsten dieses Ludwig Napoleon sollte doch die Geschichte nicht etwa eine Ausnahme machen? Auch hat er ja von langer Hand auf den Krieg hingearbeitet, und sein ehemaliger Genosse bei den Attentaten gegen König Ludwig Philipp, Monsieur, jetzt Graf von Napoleons Gnaden, Fialin Persigny, hat ja offen gesagt: „Wir werden nur in einem Feuerwerk abziehen.“ (Nous ne partirons que dans un feu d’artifice.) Wie echte Seiltänzer!

Das Feuerwerk ist nun da, und vorerst hat dieser Napoleon Italien in Brand und Flammen gesteckt. Damit möchte er mancherlei erreichen. Zuerst beschäftigt er die Franzosen, die ein sehr wankelmüthiges, vorzugsweise auf das Aeußerliche gerichtetes und von einem Extrem zum andern schwankendes Volk sind. Er steckt eine Masse mißliebiger junger Leute unter die Soldaten und opfert sie als Kanonenfutter; seine Soldaten verweist er auf Beute in fremdem Lande, als dessen Befreier er auftritt, und hat er Glück, nun, so erobert er und stopft den Franzosen den Mund so voll mit „gloire“, mit Ruhm, daß sie lange daran zu kauen haben. Ein solcher Ruhm, das heißt napoleonisches Kriegsglück, würde den Despotismus in Frankreich nur noch mehr befestigen.

Seit vierzehn Monaten war es sonnenklar, daß der französische Gewalthaber seine ersten Hebel zur Eroberung, bei welchen er es in letzter Instanz auf Deutschland abgesehen hat, in Italien ansetzen werde. Dort hatte er schon in früher Jugend den Revolutionair gespielt, sich in Carbonarilogen aufnehmen lassen und zu Forli im Kirchenstaate dem Vater Orsini’s den Eid auf den Dolch geleistet. Er ist aber ein falscher Bruder gewesen, hat die Carbonari verrathen, und deshalb schworen sie ihm Rache. Orsini der Jüngere versuchte ihn am 14. Januar 1858 zu ermorden, aber das Bombenattentat mißlang.

Als der erste Schreck vorüber war, faßte der ehemalige Carbonaro in den Tuilerien den Plan, diesen Mordversuch zu seinem Vortheil auszubeuten, und man muß ihm zugestehen, daß er ein wahres Meisterwerk macchiavellistischer Politik zu Stande gebracht hat. Freilich wird dasselbe durchschaut, wenigstens in Deutschland. Von Italien gingen die Attentate gegen das Leben dieses Kaisers aus; Orsini, der Mörder, wurde von den Italienern, die sittlich sehr entartet sind, wegen seiner That gepriesen. Jetzt kam es darauf an, diese gefährliche Stimmung zu ändern und zugleich gegen Oesterreich einen Schlag zu führen, um diesem Staate in Italien Verlegenheit zu bereiten. Denn auf Oesterreich war es zunächst abgesehen. Nun läßt der Zwingherrscher der Franzosen sich von dem italienischen Mörder einen Brief schreiben, und in diesem sich als Heiland und Retter Italiens proclamiren.

Kein Mensch glaubt, daß Orsini selbst diesen Brief, so wie er vorliegt, geschrieben hat oder geschrieben haben kann, denn er trägt das Gepräge der Fälschung offen an der Stirn. Er ist in durchaus correctem Französisch abgefaßt, dessen Orsini gar nicht vollkommen mächtig war. Denn sein Testament an seine Kinder, das er auch französisch niederschrieb, wimmelt von Sprachfehlern. Weshalb soll der Mörder nun den Brief an Napoleon, in welchem dieser von demselben Mörder als Befreier Italiens bezeichnet wird, in untadelhaftem Französisch, das Testament aber in fehlerhaftem Französisch abgefaßt haben? Jedenfalls hat Napoleon den Brief, wenn ein Concept Orsini’s vorlag, so abändern lassen, wie er ihn für seine Zwecke gebrauchen wollte.

Dieser Brief des Mörders ist als Actenstück wichtig, denn er bildet den Ausgangspunkt für die gemeingefährliche Politik des Napoleonismus seit fünf Vierteljahren; der Mörder hat dem Kaiser sein Programm der Ruhestörung Europa’s vorgezeichnet. Man ließ Orsini aus dem Gefängnisse Mazas unter dem 11. Februar 1858 an Napoleon III. schreiben, daß er sich nicht vor demjenigen demüthigen wollte, welcher die Freiheit seines unglücklichen Vaterlandes im Entstehen gemordet habe, dessen ungeachtet wolle er am Ziel seiner Laufbahn den letzten Versuch wagen, um Italien zu Hülfe zu kommen. Dann gibt er dem Decemberkaiser folgende politische Anweisungen:

„Um das jetzige Gleichgewicht in Europa aufrecht zu erhalten, muß Italien unabhängig gemacht oder es müssen die Ketten, unter denen Oesterreich es in Sclaverei hält, fester geschmiedet werden. Fordere ich für Italiens Befreiung, daß das Blut der Franzosen für die Italiener vergossen werden solle? Nein, so weit gehe ich nicht. Italien verlangt blos, daß Frankreich nicht intervenire; es verlangt, daß Frankreich Deutschland nicht gestatte, daß dieses Oesterreich [301] in den Kämpfen unterstütze, welche alsbald erfolgen werden. (– Wie genau präcisirt der italienische Mörder die napoleonische Politik und das napoleonische Verlangen, die gerade jetzt so klar hervortreten! Er hat den Propheten gemacht. –) Und gerade dieses können Ew. Majestät thun, wenn Sie wollen. Von diesem Willen hängt das Wohlergehen oder das Mißgeschick meines Vaterlandes, das Leben oder der Tod einer Nation ab, welcher Europa zum großen Theile seine Civilisation verdankt.“ (– Also schon hier das Civilisationsthema, auf welchem jetzt, wie auf einem Principe, herumgeritten wird! –)

Der Mörder, welcher dem Kaiser politische Lehren ertheilt, fährt fort: „Diese Bitte richte ich aus meinem Kerker an Ew. Majestät und verzweifle nicht ganz daran, daß meine schwache Stimme Gehör finden werde. (– Sie hat Gehör gefunden! –) Ich beschwöre Ew. Majestät, dem Vaterlande die Unabhängigkeit wiederzugeben, welche dessen Söhne im Jahre 1849, durch den Fehler der Franzosen selbst, eingebüßt haben. Möge Ew. Majestät sich erinnern, daß die Italiener, unter denen auch mein Vater war (– der Carbonaro, welcher den nachherigen Kaiser auf den Dolch vereidigte –), mit Freuden ihr Blut für Napoleon den Großen (– der die Italiener unverschämt ausplünderte und ihre Länder zu willenlosen Anhängseln Frankreichs, zu Präfecturen, machte –) überall, wohin er sie auch führen mochte, vergossen haben. Mögen Sie eingedenk sein, daß sie ihn bis zu seinem Sturze nie verließen (– aber verfluchten, als sie seiner ledig waren –). Mögen Sie nicht vergessen, daß Europa’s und Ihre Ruhe nur eine Chimäre sind, so lange Italien nicht unabhängig ist. Verschließen Ew. Majestät Ihr Ohr nicht dem letzten Zuruf eines Patrioten, der auf den Stufen des Blutgerüstes steht. Befreien Sie mein Vaterland, und die Segenswünsche von fünfundzwanzig Millionen Bürgern werden Ihnen in die Nachwelt folgen.

Felix Orsini.“     

Wenn dieser Orsini einen solchen Brief concipirt haben sollte, so ist er, wie schon gesagt, napoleonistisch überarbeitet und redigirt worden. So wie er vorliegt, paßt er vortrefflich in den kaiserlichen Befreiungs- und Civilisationskram. Die Italiener sollten sich patriotische Lehren von einem Meuchelmörder geben lassen, und, was bezeichnend für den Verfall der Nation ist, sie haben sich solche Lehren geben lassen! Die Sache wurde gut eingefädelt. Der Napoleonismus spiegelte dem Könige von Sardinien Vergrößerung an Gebiet auf Kosten Oesterreichs vor, und Victor Emanuel biß an diesen Köder, in welchem er schon jetzt einen Haken findet. Sein Minister, Graf Cavour, ist seitdem dienstwilliger Lakai des Gewaltherrschers in den Tuilerien. Jenes Orsinische Machwerk wurde ihm von Napoleon zugeschickt, und er mußte es in der amtlichen piemontesischen Zeitung veröffentlichen. Seitdem begannen von Piemont aus die unzähligen Aufreizungen gegen Oesterreich, welchen dann die Neujahrsrede an Herrn von Hübner und die über alles Maß schamlosen Lügen des Moniteur die Krone aufsetzten. Nach alle dem war es, gelind ausgedrückt, höchst komisch von der Hochwohlweisen Diplomatie, die den Wald vor Bäumen nicht sah, daß sie „vermitteln“ zu können glaubte, wo nichts zu vermitteln war. Im vorigen Herbst war zu Plombières die ganze Stänkerei mit Cavour abgekartet, und bei der Zusammenkunft mit dem Moskowiterczar in Stuttgurt die Villafrancageschichte und die „Verabredung“ erledigt. Also ein paar Jahre nach dem Krimkrieg ein russisch-französisches Bündniß, das man freilich gern ableugnen möchte. Aber wer glaubt an Moniteure und kaiserliche Ableugnungen?

Indessen sind nicht alle Italiener in die plumpe napoleonisch-russisch-sardinische Falle gegangen, nicht alle an dieser Leimruthe wie Gimpel kleben geblieben, vor Allem nicht der alte Erz- und Hauptverschwörer, Joseph Mazzini, der im Lande großen Anhang hat und von dem Treiben des französischen Gewaltherrschers nichts wissen will. Orsini gilt ihm für einen einfältigen Tropf, für einen schwachköpfigen Gesellen, der sich habe übertölpeln lassen. Die Mazzinisten, als Revolutionaire vom reinsten Wasser, wollen mit den sardinischen Vergrößerungsgelüsten und dem napoleonischen Willkürsystem nichts zu schaffen haben. Mazzini würde freilich mit seinen Theorien den Italienern eben so wenig Segen bringen, wie die Firma Cavour-Napoleon, aber er mag sich nicht zum Besten haben lassen und bleibt den Grundsätzen getreu, welche er seit dreißig Jahren bekannt hat. Als Orsini’s Brief, um napoleonischen Plänen die Brücke zu schlagen, überall veröffentlicht wurde, und die sardinisch-französischen Agenten ihn colportirten, trat auch Mazzini hervor und sprach im Namen seiner Partei. Er geht dem durch Orsini angefleheten Befreier scharf zu Leibe, und entwirft von demselben eine ganz mit Fractur geschriebene Charakteristik. Mazzini ist durchaus nicht unser Mann, aber sein Schreiben an Ludwig Napoleon ist jedenfalls ein in seiner Art wichtiges und interessantes Document für die Geschichte, schon deshalb, weil es zeigt, wie die radicale Partei über den Mann denkt, welcher sich zum Retter Italiens und Vorkämpfer der Civilisation sehr unbefugter Weise aufwerfen will. Deshalb veröffentlichen wir das Actenstück.

Offenes Sendschreiben an Ludwig Napoleon.

„Mein Herr! Die Zeiten erfüllen sich, und die kaiserliche Fluth rollt zurück. Sie fühlen es. Alle Maßregeln, welche Sie seit dem 14. Januar 1858 in Frankreich beliebt, alle diplomatischen Noten und Forderungen, welche Sie seit jenem verhängnißvollen Tage in alle vier Winde hinausgestreut haben, legen Zeugniß davon ab, daß der Schrecken Ihnen keine Ruhe läßt. Ihre Seele wird, wie jene Macbeth’s, von einem Gefühle der Angst gequält, und diese Angst verräth sich in Allem, was Sie sagen oder thun. Der Zauber ist gebrochen.

„Denn das Bewußtsein der Menschheit ist wach geworden. Es schauet auf Sie mit ernstem Blicke und bietet Ihnen die Stirne; es prüft Ihre Handlungen und zieht Sie zur Verantwortung für das, was Sie versprachen. Von nun an ist Ihr Schicksal besiegelt. Das Bewußtsein der Menschheit wird entdecken, daß Sie eine lebendige Lüge sind; eine Fehlgeburt, indem Sie eine Vergangenheit wieder hervorrufen wollen, die längst und für immer dahin ist. Sie sind ein bleicher Schatten, der aus dem Grabe von St. Helena hervorgeschlichen ist, aber ohne den Ruhm und die verhängnißvolle Sendung des Mächtigen, der einst auf St. Helena ruhete. Sie sind eine Scheinmacht der Verneinung, wohl fähig, Auflösung zu bringen und für eine kurze Zeit niederzudrücken, aber unfähig, etwas festzustellen, zu organisiren und aufzubauen, das der Zukunft irgend einen Schutz gewähren könnte.

„Die Menschheit bedarf wirklicher Gestalten, nicht der Phantome; sie bedarf Entwickelungen des Principes der Erziehung, welches Gott zu ihrem Lebensgesetze gemacht hat; vorübergehende Thatsachen, abnorme Facta einer Stunde sind ihr nichts. Auf solche blickt sie wohl einen Augenblick mit Staunen, aber bald nachher gebietet sie dem, was nur ein Phantom des Augenblickes war, wieder in’s Grab hinunterzusteigen. Und Sie, mein Herr, eilen dem Grabe zu.

„Als Sie ungesetzlicher Weise sich die Gewalt anmaßten, da versprachen Sie, um die Usurpation zu sühnen, Sie wollten dem ruhelosen, aufgeregten und aufregenden Frankreich den Frieden wiedergeben. Wohlan, heißt Einkerkern, Knebeln, Deportiren – heißt das Frieden geben? Ist der Gensd’arm ein Lehrer und Erzieher? Ist der Spion ein Apostel der Sittlichkeit und des wechselseitigen Vertrauens? Sie, mein Herr, sagten dem ungebildeten französischen Bauer, mit Ihrer Herrschaft werde für ihn ein neuer Zeitabschnitt beginnen, und alle Lasten, unter welchen er sich erdrückt fühle, würden nacheinander beseitigt werden. Nun, ist auch nur eine einzige derselben verschwunden? Können Sie nachweisen, daß Sie auch nur in einem einzigen Punkte sein Schicksal verbessert hätten, daß auch nur eine einzige Steuer aufgehoben sei? Wie erklären Sie es sich, daß jetzt auch der Bauer in den Geheimbund der Marianne tritt? Sie müssen zugestehen, daß von den durch Sie eröffneten Canälen des industriellen Schwindels das Capital verschlungen wurde, welches sich früher naturgemäß dem Ackerbau zuwandte, und daß der Bauer keine Vorschüsse erhalten kann, um Ackergeräthschaften zu kaufen und seinen Boden zu verbessern. Sie, mein Herr, köderten den mißleiteten Arbeiter, indem Sie versicherten, Sie seien ein Kaiser des Volkes, eine Art von neumodischem Heinrich dem Vierten, und würden ihm fortdauernde Beschäftigung, hohe Arbeitslöhne und ein Huhn im Topfe verschaffen. Aber ist nicht gerade jetzt das Huhn in Frankreich theurer? Sind die Hausmiethen und die nothwendigsten Lebensmittel nicht gestiegen? Sie haben neue Straßen gebaut und Verbindungslinien gezogen, weil Sie dabei strategische Zwecke zur Volksunterdrückung hatten; Sie haben zerstört und wieder umgebaut. Aber gehört die große Masse der Arbeiter zu dem von Ihnen bevorzugten Maurerhandwerke? Können Sie ohne Unterbrechung und immerfort Paris und die größeren Provinzialstädte fortwährend umkehren, um dem Proletarier eine Quelle der Arbeit und des Verdienstes zu verschaffen?

„Sie, mein Herr, raunten der eben so leicht erschreckten als [302] leicht verblendeten Bourgeoisie phantastische Träume in’s Ohr, machten die Erwartung rege, daß die gewerbliche Thätigkeit sich verdoppeln werde, und stellten neue Quellen des Gewinnes in Aussicht, Paradiese für Warenausfuhr und den Handelsverkehr zwischen den Völkern. Wo sind sie? Das productive Leben Frankreichs ist erstarrt, die Aufträge vermindern sich, und das Capital beginnt sich zurückzuziehen. Sie haben, wie jener Barbar, den Baum umgehauen, dessen Früchte Sie pflücken wollten. Sie haben in erkünstelter Weise eine wilde, durch und durch unsittliche, Alles versprechende und nichts haltende Speculationsschwindelei immerfort angestachelt. Sie haben durch marktschreierische Projecte, die Sie in’s Riesenhafte aufbauschten, die Ersparnisse des kleinen Capitalisten aus allen Theilen Frankreichs nach Paris gelockt, und haben die Capitalien den einzig wahren und dauerhaften Quellen des Nationalreichthums, nämlich dem Ackerbau, den Gewerben und dem Handel, entzogen. Diese ersparten Gelder sind in den Händen einiger Dutzend Hauptspeculanten geblieben, oder in grenzenlosem, unergibigem Luxus verschwendet worden, oder still und vorsichtig außer Landes in Sicherheit gebracht. Ich könnte in dieser Beziehung Mitglieder Ihrer Familie mit Namen anführen. Die Hälfte der Projectmacher ist schon in das Nichts der Vergessenheit hinabgesunken, und Ihre künstlichen Mittel haben sich erschöpft. Von nun an wird Alles, was Sie thun, um den finanziellen Schwierigkeiten und jenen Ihrer Lage zu begegnen, nur eine weitere Stufe zu dem verhängnißvollen Abhange bilden, welchem Sie zueilen. Bisher haben Sie auf Credit gelebt, von einer langen Reihe von Anleihen, aber wer bürgt Ihnen dafür, daß dieser Credit ewig vorhalten werde? Rom und Napoleon plünderten eine Welt aus; Sie können nur Frankreich plündern. Die Heere jener Beiden lebten von Eroberungen, aber Sie können nicht und dürfen nicht wagen, solche zu unternehmen. Die römischen Dictatoren und Ihr Oheim führten Eroberungsheere in Person an. Sie Ihrerseits lieben wohl auch goldstarrende Paradeuniformen, aber ich möchte bezweifeln, daß Sie fähig seien, auch nur einige Bataillone anzuführen.

„Zu Frankreich sagten Sie: um des Landes willen unternähmen Sie den Kampf gegen die Anarchie; die wahre, gemäßigte, ordentliche Freiheit werde die beste und sicherste Bürgschaft unter der kaiserlichen Regierung finden; der Bonapartismus sei eine Idee, und zwar die Idee des Fortschrittes unter einer starken, centralisirenden Gewalt. Ferner erklärten Sie, daß die wahre von Gott geschaffene Aristokratie, jene der sich erschließenden Talente und des Geistes, unter Ihnen das civilisirende Leben der Nation befördern würde. Aber können Sie auch nur eine Spur von Freiheit in einem Lande aufweisen, das, Dank Ihnen! unter die übrigen gesunken ist, wo Hunderte von Männern im Gefängnisse schmachten, um nach Cayenne oder Lambessa deportirt zu werden, ohne daß mit ihnen auch nur ein gerichtliches Verhör vorgenommen worden wäre? Können Sie in Ihrem kaiserlichen Frankreich auch nur eine einzige unabhängige Zeitung aufweisen? Auch nur eine einzige Classe von unabhängigen Männern, der es ermöglicht wäre, den Gedanken, Wünschen und Bestrebungen des Landes Ausdruck zu geben? Einen einzigen Mann, der von seinen Landsleuten in eine Ihrer hohlen Scheinversammlungen gewählt werden könnte, ohne im Voraus durch einen Eid sich verpflichten zu müssen, daß er Ihre despotische Herrschaft aufrecht erhalten wolle? Können Sie nur einen einzigen wahrhaftigen, talentvollen und gesinnungstüchtigen Mann nennen, der in Ihrem Rathe säße und dadurch Ihr verhaßtes System anerkennte?

„Nein. Sie sind nie im Stande gewesen, einen Minister, eine Stütze Ihrer Politik außerhalb des Kreises Ihrer unmittelbaren Mitschuldigen zu finden. Von Thiers zu Guizot, von Cousin zu Villemain, von Michelet bis zu Jean Reybaud scheut das intellectuelle Frankreich vor Ihrer Berührung zurück, weil diese besudelt.

„Noch vor Kurzem strahlten Sie vor Europa groß damit, daß Frankreichs Herz Ihr Herz sei und, glücklich, ruhig und ungestört, Sie als seinen Retter und Heiland begrüße. Aber vor wenigen Monaten ertönte ein Krach in der Straße Levelletier, und dann erklärten Sie – vermittelst Ihrer brutalen und vom Schrecken eingegebenen Zwangsmaßregeln, durch halb drohende, halb flehende Appellationen an Europa, durch die militairische Eintheilung Frankreichs, – Sie erklärten, nachdem Sie sieben Jahre lang eine uneingeschränkte Gewalt geführt mit Hülfe eines Heeres, das Alles überwältigte, und nachdem Sie die Nation von den Männern gelichtet, die Ihnen Furcht einflößten, – Sie erklärten, daß Sie nicht leben und nicht herrschen können, falls nicht Frankreich in eine große Bastille und Europa in ein großes kaiserliches Polizeiamt umgewandelt werde!

„Frankreich mag tief in den Staub getreten sein, aber es läßt sich nicht in eine Bastille umschaffen, und Europa mag nicht Ihretwegen in eine Zweiganstalt Ihrer corsischen Polizei umgewandelt werden. Deshalb, mein Herr, üben Sie Entsagung, sinken Sie nur wieder unter! Ihr Kaiserthum hat sich als eine Lüge herausgestellt, und Lügen verdienen, der Vernichtung anheim zu fallen.

„Ja, das Kaiserreich hat sich als eine Lüge erwiesen! Sie, mein Herr, bildeten dasselbe nach Ihrem eigenen Angesichte. Im Verlaufe des verflossenen halben Jahrhunderts hat, mit Ausnahme Talleyrand’s, kein Mann so viel gelogen, wie Sie. Darin liegt das Geheimniß Ihrer zeitweiligen Gewalt. In einem skeptischen und zerfahrenen Zeitalter, wie dem unseren, werden Lügen leicht geglaubt, aber sie halten nicht vor.

„Im Jahre 1831 erklärten Sie, in Gemeinschaft mit Ihrem Bruder, den Aufstand und die Bewegung gegen den Papst für eine heilige Angelegenheit; jetzt und seit 1849 brandmarken sie diesen Aufstand als eine Demagogenrebellion. In Arenenberg sagten Sie 1838, Sie wären, weil alle edelen Seelen in die Verbannung gejagt seien oder von den Regierungen verfolgt würden, stolz darauf, zu der Schaar der Geächteten zu gehören. Seither haben aber gerade Sie gegen dieselben eine grausame Verfolgung organisirt.

„Als im Jahre 1836, nach dem von Ihnen verübten Straßburger Attentate, Ludwig Philipp Sie nach Amerika schickte, erklärten Sie, es sei Ihnen bewußt, daß Sie schuldig seien; Sie sagten weiter, daß Sie sich durch seine Großmuth und Milde tief gerührt fühlten, und Sie übernahmen die Verpflichtung, gegen ihn nie mehr eine Verschwörung anzuzetteln. Aber schon zwei Jahre nachher conspirirten Sie gegen ihn von der Schweiz aus und vier Jahre später landeten Sie in Boulogne.

„Im Jahre 1848 eilten Sie nach Paris, „um sich unter die Fahne der Republik zu stellen und der republikanischen Sache volle Hingebung zu bezeigen.“

„Noch in demselben Jahre schrieben Sie: „Im Angesichte der Souverainetät der Nation kann ich und will ich nichts in Anspruch nehmen, außer den Rechten eines französischen Bürgers.“

„Sie sprachen 1850 mit feierlicher Betonung: „Wenn die Verfassung Fehler hat und Gefahren in sich trägt, so steht es bei Ihnen, dieselben zu beseitigen. Ich aber halte mich durch meinen Eid gebunden, streng innerhalb der von ihr gezogenen Grenzen mich zu bewegen.“

„Wenige Tage vor dem Staatsstreiche von 1851 sagten Sie zur Armee: „Ich werde nichts von Ihnen fordern, das über mein von der Verfassung anerkanntes Recht hinausginge“. Und am 2. Dec. selbst, dem Endergebniß Ihrer Usurpationspläne, proclamirten Sie: „Es sei Ihre Pflicht, die Republik zu schützen“.

„Aber was kam gleich darauf? Es kam die Verletzung aller Eide und aller Garantieen. Es herrschte der eine ehrgeizige Wille, welcher sich an die Stelle des gesetzlich ausgesprochenen Willens der Nation drängte; es kam unter Strömen von Blut die Berufung an die brutale Gewalt; es kam der unerbittliche Befehl an St. Arnaud; die Volksvertretung wurde zersprengt oder verhaftet; Generale wurden verhaftet; Paris wurde einem durch Geld gewonnenen, aufgeregten, berauschten, mitleidlosen Soldatenpöbel preisgegeben. Das Feuer der Linie und der Pelotons wurde gegen eine unbewaffnete, unschädliche Volksmenge auf den Boulevards gerichtet und ein methodisches Niedermetzeln veranstaltet, um die Seelen der demnächstigen Stimmabgeber mit Angst und Schrecken zu erfüllen. Es fielen 2652 Opfer, 88 Volksvertreter wurden geächtet, Tausende eingekerkert und viele ohne auch nur die geringste Form eines gesetzlichen Verfahrens deportirt; dann erst war der Triumph vollständig und es erfolgte die Scheinwahl!

„Und Sie, mein Herr, konnten sich der Hoffnung hingeben, daß eine Dynastie sich gründen ließe auf so systematische Lüge, auf solch’ einen Unterbau von Blut und Leichen? Sie konnten glauben, daß die vorübergehende, ephemere Ehrfurcht einiger auswärtigen Mächte, die nur den Erfolg in Betracht ziehen, aushalten werde gegen das Kainszeichen, welches durch Gott und die Gerechtigkeit auf Ihre Stirn gedrückt ist?

„Herr! Es gibt etwas, das über dem bloßen Erfolge steht: [303] Gott! Etwas, das stärker ist, als die einzelne Thatsache: das Recht! Etwas, das höher steht, als götzendienerische Verehrung: die Zeit!

Vermögen Sie, Gott vom Throne zu stoßen?
Können Sie das Recht austilgen?
Können Sie die Zeit vernichten?
„Die Männer des Rechtes und der Freiheit haben die Inquisition und das große Kaiserreich besiegt; verlassen Sie sich darauf, Herr, daß auch Sie besiegt werden! Joseph Mazzini.“

Dieses Actenstück hat Napoleon’s Moniteur natürlich nicht abgedruckt. Er wird dazu wohl seine guten Gründe gehabt haben. Complimente sind freilich nicht darin, auch keine Aussichten auf Ruhm in der Nachwelt, wie in dem Briefe des „Tölpels“ Orsini.