CXXXXIX. Roveredo Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CL. Mitylene
CLI. Absalom’s Denkmal in der Nekropolis von Jerusalem
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MYTILENE

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CL. Mitylene.




Unter die Resultate, welche die täglich allgemeiner und ausgedehnter werdende Anwendung der neuen Kommunikationsmittel, Eisenbahnen mit Dampfwägen und die Dampfschifffahrt, begleiten, gehört auch die Wiederaufsuchung und Herstellung der alten, diametrischen Verkehrswege zwischen den europäischen und asiatischen Kontinenten. Bahnen, welche seit vier Jahrhunderten verlassen und verödet waren, beleben sich wieder und auf den Schwingen, womit die wichtigste Erfindung unserer Zeit den Verkehr zwischen Ländern und Völkern beflügelt, dringt europäische Kultur und Gesittung in das Gebiet der asiatischen Bildung und macht da in einem Jahre größere Eroberungen als vordem in fünfzig. Die Dampfschifffahrt auf der Donau z. B., die dadurch hergestellte unmittelbare Verbindung des Herzens von Deutschland mit Konstantinopel, wird in ein Paar Jahrzehnten das schönste Land Europa’s der Civilisation sicherer wiedergewinnen, als durch die Gewalt christlicher Waffen geschehen konnte; eben so wird sie die herrlichen Länder der Levante in den Kreis wieder einführen, aus dem sie geschieden sind, seit die Sonne der Bildung untergegangen ist an ihrem Horizonte und der türkische Halbmond am Nacht-Himmel scheint. Schon ist geschehen, was man vor einem Jahrzehent nicht für möglich halten durfte; Konstantinopel legt Kaftan und Turban ab, und es werden europäische Formen und Sitten sichtbar, wo die des Orients so lange Alleinherrschaft behaupteten. Eben so in der Levante und auf den Inseln, wo die Dampfschifffahrt den Verkehr mit Europäern vervielfacht.

Eine Dampfboot-Tour nach der türkischen Hauptstadt von der Donau aus ist fast etwas so Gewöhnliches geworden, wie eine Eilwagenfahrt von Paris nach Berlin. Man kehrt gemeinlich über Smyrna und Triest zurück. Diese Fahrt ist eine der interessantesten Partieen: und die Gegenden, welche man berührt, oder sieht, sind eben so sehr um ihrer Schönheit, als historischen Merkwürdigkeit willen berühmt. Wenn das Dampfschiff der Dardanellen romantische Ufer verlassen hat, wendet es sich, an Tenedos vorbei, der herrlichen Küste von Kleinasien zu, die den Reisenden mehre Stunden lang zur Seite bleibt. Ein grandioser Anblick erwartet ihn an den Ruinen der Alexandria Troas; magisch erheben sich dort die Riesenmauern der öffentlichen Bäder und die imposante Masse entschuldigt den Glauben des Volks, daß sie der Pallast des Priamus gewesen. Die weißen glänzenden Bogen scheinen über einem Eichenwald zu schweben, der die umgebenden Hügel deckt. Hoch über die Trümmer ragt aber des Ida [28] hoher Rücken, dessen schroffe Gipfel von ewigem Schnee erglänzen. Dieser Theil der asiatischen Küste, bald mit grünenden Höhen geschmückt, bald als kahle Basaltmassen emporragend, beschäftigt das Auge beständig mit höchst malerischen Punkten.

Nachdem man das Kap Baba, dessen Spitze als das äußerste Ende einer Bergkette steil emporsteigt, passirt hat, dem Städtchen Baba, das in hohem, wilden Felsenschooße wie ein Adlernest ruht, links vorbeisegelnd, kommt man in die Meerenge von Mitylene, das alte Lesbos. Welche reiche Erinnerungen aus der klassischen Vorzeit knüpfen sich an diesen Namen! Hier tönte, wie Homer uns erzählt, die äolische Harfe ewig im Winde, und die Namen Sappho, Terpander, Alcäus führen uns in den Kreis der griechischen Dichter und Helden. Es gibt nichts Schöneres, als die Küsten dieser Insel. Die Nordspitze ist steile, tief und wunderbar ausgezackte Felsenwand; aber je weiter man in südlicher Richtung segelt, desto reizender werden die Ufer, und Platanenwälder und Olivenhaine, zwischen welchen üppig-grüne Wiesengründe, von schimmernden Bächen bewässert, sich herabziehen, dehnen nach allen Seiten hin sich aus. Fünf bis sechs Terrassen hoher Berge thürmen in großartigem Verhältniß sich über einander empor und tief in der Bergwelt steigen mächtige Dampfsäulen auf, die, vom Winde bewegt, zu seltsamen Gestalten sich formen. Jene Dämpfe kommen von heißen Quellen, welche im Gebirge anzutreffen sind. Lange sieht man keine menschliche Wohnung, bis man, ein weit hervorspringendes Kap umsegelnd, plötzlich durch den Anblick der Hauptstadt (Mitylene, oder Castro) angenehm überrascht wird, welche sich recht stattlich, auf der Stelle der alten, amphitheatralisch auf hohem Strande ausbreitet. Ein Fort mit Zinnen steht auf einem Felsblock, an dem sich die dunkeln Wogen gewaltsam brechen. Es ist, sammt den übrigen Festungswerken, ein Werk der Genueser und gehört jener großen Zeit an, als Genua’s Dreizack in dem levantischen und schwarzen Meere herrschte. Damals war die Verwaltung der Insel ein Erbgut der Familie Catanisi, deren Stamm in der heldenmüthigen Vertheidigung des Eilandes gegen die Türken fiel und erlosch. Das Innere der Stadt, die, außer der türkischen Garnison, etwa 7000 Einwohner zählt (meistens mahomedanische Griechen), entspricht dem Aeußern wenig und wie das aller türkischen Städte, ist’s ärmlich und schmutzig. Desto reizender aber sind die Umgebungen, und die Menge freundlicher Landhäuser, welche aus den Gehölzen, Olivenhainen und Weingärten hervorsehen, machen einen angenehmen Eindruck. Das Laub der Platanen, Myrthen und Lorbeeren, der stattlichen Palmen, der hohen Kaktus und der Aloe, spielt in hundert Schattierungen und vermählt sich mit dem düstern Grün der Taxus- und Cypressenarten auf eine höchst reizende Weise. Dazu die aus rankendem Gesträuch hervorblickenden häufigen Trümmer aus der griechischen Altzeit, der Apollotempel mit seinen schlanken Säulen auf der Höhe, grandiose Ruinen einer Wasserleitung und in den Gebirgen die mehrer Bäder; alle aus köstlichem Marmor. Auch in der Stadt selbst trifft man auf manches Merkwürdige. Die Mauern der Festungswerke bestehen großentheils aus antiken Fragmenten und die Säulen in den Kirchen sind [29] ohne Ausnahme altgriechischen Ursprungs. Interessant ist in der Metropolitankirche ein herrlich geformter Thronsessel von fast durchsichtigem Marmor, – der Thron des Priamus, wie im Volke die Sage geht.

Gegenwärtig zählt die ganze Insel nicht über 50,000 Bewohner. Ihre Haupterzeugnisse sind Feigen, Trauben und Oel; und diese machen auch den Handel aus, der auf eignen Schiffen nach den Märkten des festen Landes getrieben wird. In neuester Zeit haben sich auch mehre europäische Handelshauser hier niedergelassen, welche auf das Fortschreiten der Kultur in dem paradiesischen Eilande den wohlthätigsten Einfluß üben. –