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hoher Rücken, dessen schroffe Gipfel von ewigem Schnee erglänzen. Dieser Theil der asiatischen Küste, bald mit grünenden Höhen geschmückt, bald als kahle Basaltmassen emporragend, beschäftigt das Auge beständig mit höchst malerischen Punkten.

Nachdem man das Kap Baba, dessen Spitze als das äußerste Ende einer Bergkette steil emporsteigt, passirt hat, dem Städtchen Baba, das in hohem, wilden Felsenschooße wie ein Adlernest ruht, links vorbeisegelnd, kommt man in die Meerenge von Mitylene, das alte Lesbos. Welche reiche Erinnerungen aus der klassischen Vorzeit knüpfen sich an diesen Namen! Hier tönte, wie Homer uns erzählt, die äolische Harfe ewig im Winde, und die Namen Sappho, Terpander, Alcäus führen uns in den Kreis der griechischen Dichter und Helden. Es gibt nichts Schöneres, als die Küsten dieser Insel. Die Nordspitze ist steile, tief und wunderbar ausgezackte Felsenwand; aber je weiter man in südlicher Richtung segelt, desto reizender werden die Ufer, und Platanenwälder und Olivenhaine, zwischen welchen üppig-grüne Wiesengründe, von schimmernden Bächen bewässert, sich herabziehen, dehnen nach allen Seiten hin sich aus. Fünf bis sechs Terrassen hoher Berge thürmen in großartigem Verhältniß sich über einander empor und tief in der Bergwelt steigen mächtige Dampfsäulen auf, die, vom Winde bewegt, zu seltsamen Gestalten sich formen. Jene Dämpfe kommen von heißen Quellen, welche im Gebirge anzutreffen sind. Lange sieht man keine menschliche Wohnung, bis man, ein weit hervorspringendes Kap umsegelnd, plötzlich durch den Anblick der Hauptstadt (Mitylene, oder Castro) angenehm überrascht wird, welche sich recht stattlich, auf der Stelle der alten, amphitheatralisch auf hohem Strande ausbreitet. Ein Fort mit Zinnen steht auf einem Felsblock, an dem sich die dunkeln Wogen gewaltsam brechen. Es ist, sammt den übrigen Festungswerken, ein Werk der Genueser und gehört jener großen Zeit an, als Genua’s Dreizack in dem levantischen und schwarzen Meere herrschte. Damals war die Verwaltung der Insel ein Erbgut der Familie Catanisi, deren Stamm in der heldenmüthigen Vertheidigung des Eilandes gegen die Türken fiel und erlosch. Das Innere der Stadt, die, außer der türkischen Garnison, etwa 7000 Einwohner zählt (meistens mahomedanische Griechen), entspricht dem Aeußern wenig und wie das aller türkischen Städte, ist’s ärmlich und schmutzig. Desto reizender aber sind die Umgebungen, und die Menge freundlicher Landhäuser, welche aus den Gehölzen, Olivenhainen und Weingärten hervorsehen, machen einen angenehmen Eindruck. Das Laub der Platanen, Myrthen und Lorbeeren, der stattlichen Palmen, der hohen Kaktus und der Aloe, spielt in hundert Schattierungen und vermählt sich mit dem düstern Grün der Taxus- und Cypressenarten auf eine höchst reizende Weise. Dazu die aus rankendem Gesträuch hervorblickenden häufigen Trümmer aus der griechischen Altzeit, der Apollotempel mit seinen schlanken Säulen auf der Höhe, grandiose Ruinen einer Wasserleitung und in den Gebirgen die mehrer Bäder; alle aus köstlichem Marmor. Auch in der Stadt selbst trifft man auf manches Merkwürdige. Die Mauern der Festungswerke bestehen großentheils aus antiken Fragmenten und die Säulen in den Kirchen sind